I. Teil: „Neue Forschungen zur Reichswehr“
Dennis Werberg/Pierre Köckert
Aufsatz
Veröffentlicht am: 
05. Dezember 2022
DOI: 
https://doi.org/10.15500/akm.05.12.2022

„Dieses Handbuch […] zeigt, daß der Stand der Forschung etwas prekärer ist als es die Geschlossenheit der Darstellungen und die Fülle der Studien über die Reichswehr ahnen lässt.“1 Mit diesen Worten fasste Michael Geyer den Stand der Reichswehr-Forschung, wie er im „Handbuch zur deutschen Militärgeschichte“ der 1970er Jahre wiedergegeben war, kurz und bündig zusammen.2 Die zahlreichen Forschungslücken, die Geyer identifizierte, sind bis heute nur teilweise geschlossen worden. Dies hängt mit dem beklagenswerten Umstand zusammen, dass die Forschung zum deutschen Militär der Zwischenkriegszeit seit den 1970er und 1980er Jahren weitgehend verebbt ist,3 so dass der Forschungsstand heute noch immer als defizitär betrachtet werden muss.4 In dem neusten Handbuch zur Geschichte der Weimarer Republik stellte Benjamin Ziemann erst kürzlich treffend fest, dass die Geschichte der Reichswehr heute zwar als wichtiges Thema identifiziert wurde, aber in der Forschung immer noch nur marginal behandelt wird.5 Diese Feststellung trifft nicht nur für die politikgeschichtliche Betrachtung, sondern im engeren Sinne für die militärgeschichtliche Erforschung der Reichswehr zu. Im direkten Vergleich zum deutschen Militär des Ersten Weltkrieges und insbesondere zur Wehrmacht wurde den deutschen Streitkräften zwischen 1919 und 1935 von der geschichtswissenschaftlichen Forschung bislang nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Dies war durch die bisherige Fokussierung der Forschung wie des Interesses von Politik und Gesellschaft zunächst auf den Zweiten Weltkrieg und die Wehrmacht – ab 2014 verstärkt auf den Ersten Weltkrieg und das Militär des Kaiserreiches – bedingt. Das Bild der Reichswehr wird daher bis heute von Schlagworten und Bildern bestimmt, die bereits in den 1920er und 1930er Jahren geprägt, aber nur selten hinterfragt worden sind. Beispiele hierfür sind „Staat im Staate“ und „Reichswehr schießt nicht auf Reichswehr“. Die Geschichte der Reichswehr weist so bis heute zahlreiche Leerstellen auf. Diese ernüchternde Erkenntnis überrascht umso mehr, da es sich bei der Reichswehr aus mehreren Gründen um einen überaus relevanten Forschungsgegenstand handelt: Einerseits erfolgte der Wiederaufbau deutscher Streitkräfte ab 1919 im Schatten eines Weltkrieges, der den Rahmen militärischen Operierens durch den massiven Einsatz moderner technischer Mittel und die Mobilisierung der gesamten Gesellschaft und Wirtschaft für die Kriegsanstrengungen nachhaltig verändert hatte. Zudem begrenzten die Bestimmungen des Versailler Friedensvertrages das neu zu organisierende Militär in personeller wie militärtechnischer Hinsicht. Andererseits vollzog sich dieser Wiederaufbau unter den Rahmenbedingungen der parlamentarischen Demokratie, in der sich die Reichswehr – nachdem das Militär über Jahrzehnte eine privilegierte Sonderstellung im Staat des Kaiserreichs genossen hatte – neu verorten musste.6 Insbesondere für die Bundeswehr ist die Geschichte der Reichswehr als erste gesamtdeutsche Streitkräfte überhaupt und als Militär der ersten deutschen Republik von größter Relevanz. Die Vereidigung der Soldaten auf die Verfassung, die Unterstellung unter einen zivilen Oberbefehlshaber (Reichspräsident) und einen dem Parlament verantwortlichen Minister (Reichswehrminister), aber auch Frühformen der Partizipation der Soldaten im Dienstbetrieb über Vertrauensleute waren Neuerungen für das deutsche Militär, die heute selbstverständliche Bestandteile der Bundeswehr als Parlamentsarmee, im Primat der Politik sowie im Leitmotiv des Staatsbürgers in Uniform sind.

Der Forschungsbereich II des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw) hat diese Forschungslücke erkannt und einen eigenen Projektbereich zur Erforschung der Reichswehr geschaffen.7 Ein erster und wesentlicher Schritt, um dieses bisher unzureichend bestellte Forschungsfeld zu vermessen, bestand in der Vorbereitung und Durchführung eines Workshops am 1. Juni 2022 zu dem Thema „Die Streitkräfte der Weimarer Republik. Neue Forschungen zur Reichswehr“, an dem sich Historikerinnen und Historiker, erfahrene Kolleginnen und Kollegen sowie junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit neuen, erkenntnisreichen Perspektiven beteiligten.8 Die Anzahl der Teilnehmenden und Gäste musste jedoch aufgrund der noch immer geltenden Einschränkungen im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie begrenzt werden. Nach dem großen Erfolg der Veranstaltung reifte innerhalb des Projektbereiches der Wunsch, einen Teil der gehaltenen Vorträge online einer größeren Leserschaft zur Verfügung zu stellen. Der hier veröffentlichte Themenschwerpunkt stellt das Ergebnis dieser Bestrebungen dar.

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass der Workshop zu zahlreichen Einzelthemen mehr Fragen aufwarf, als er Antworten gab – was angesichts des bereits skizzierten, desolaten Forschungsstandes nicht überrascht. Die ältere Forschung betrachtete die Reichswehr vornehmlich als einen innenpolitischen Faktor, deren höhere Führungsebenen stets im Gegensatz zu den jeweiligen Regierungen der Weimarer Republik standen. Dabei geriet die Betrachtung des Militärs als Streitkraft und „Gewaltorganisator“ aus dem Fokus. Somit erscheint die Reichswehr bis zum heutigen Tage oftmals als eine Art „Blackbox“. Als wesentliche Punkte zum aktuellen Stand der Reichswehrforschung können festgehalten werden:

Erstens ist die Reichswehr und das Bild, welches wir heute vom deutschen Militär zwischen 1919 und 1935 haben, auffällig stark von Mythen und Stereotypen geprägt, die bereits vor vielen Jahren zu historischen Schlagworten geronnen waren: Begriffe und Phrasen wie „Ebert-Groener-Pakt“, „Schwarze Reichswehr“, „Staat im Staat“, „Reichswehr schießt nicht auf Reichswehr“, „Republik ohne Republikaner“ oder „Bonn ist nicht Weimar“ prägen unser Verständnis von den Streitkräften der Weimarer Republik bis heute. Dies ist insbesondere deswegen befremdlich, da Generaloberst Hans von Seeckt als Chef der Heeresleitung zwischen 1920 und 1926 – eine für die Reichswehrgeschichte zentrale Persönlichkeit – gegen die unkritische Verwendung von Schlagworten angeschrieben hatte: „Wenn ich die Notwendigkeit von Schlagworten anerkenne, so liegt darin das Zugeständnis, daß alle die das Schlagwort nicht entbehren können, welche nicht in der Lage sind, ihre eigenen Gedanken zu denken.“9 Weiter gab er an, durch kritisches Hinterfragen solcher Sprachbilder zum eigenen Denken anregen zu wollen. Bei jeder Begegnung mit einem solchen sollte sich der Betrachter folgende Frage stellen: „Bist du Wahrheit?“.10 Diese Frage Seeckts lässt sich auf die heutige Zeit übertragen. In diesem Sinne müssen sich Historikerinnen und Historiker kritisch mit tradierten Mythen, Schlagwörtern und Narrationen auseinandersetzen.

Zweitens lässt sich bei der Beschäftigung mit der Geschichte der Reichswehr ein starkes Ungleichgewicht hinsichtlich des Untersuchungszeitraumes feststellen. Die bisherigen Schwerpunkte der Forschung lagen entweder auf der Frühphase bis 1923 oder der Endphase ab 1930. Für die Frühphase standen der Einsatz im Inneren und das Paramilitär im Vordergrund, für die Spätphase die Rolle der militärischen Eliten bei der Zerstörung der Weimarer Republik.11 Die Jahre zwischen 1924 und 1929, die allgemein als Phase der Stabilität gelten und auch als die Goldenen Zwanziger bezeichnet werden, sind für die Reichswehr dagegen weniger intensiv behandelt worden. Dieses Ungleichgewicht hängt mit der Bedeutung zusammen, welche diese beiden Zeitabschnitte für die jeweiligen Debatten um das Kaiserreich und den Nationalsozialismus hatten. Bereits Geyer forderte, dass sich die militärgeschichtliche Forschung von der Vorstellung einer relativen Stabilisierung in der mittleren Phase der Weimarer Republik lösen und die Reichswehr auch in diesem Zeitraum stärker in den Blick nehmen sollte.12 Es erscheint symptomatisch für die Historiographie zur Reichswehr, dass es in den Debatten weniger um den Untersuchungsgegenstand selbst, als vielmehr um dessen Bedeutung für andere Ereignisse geht, die der Geschichte der Reichswehr übergeordnet werden. Es gilt künftig also, die Reichswehr als Forschungsgegenstand in ihrer historischen Eigenständigkeit zu fassen – und hierbei nicht nur hinsichtlich ihrer innenpolitischen Bedeutung, sondern streng militärhistorisch als Streitkraft im Frieden und als „Gewaltorganisator“. Gleichzeitig gilt es auch, die Reichswehr in ihrer Eingebundenheit in der longue durée der deutschen (und des Weiteren der europäischen) Militärgeschichte zu betrachten.

Drittens wird die Reichswehr bis heute fast ausnahmslos aus einer rein deutschen und damit auf ein bloßes Produkt der militärischen Einschränkungen des Versailler Vertrages verengten Perspektive, als militärgeschichtlicher Sonderfall betrachtet. Ein Vergleich mit den Streitkräften anderer Staaten ist in der Vergangenheit aus dieser Perspektive nicht für notwendig erachtet worden. Um jene Verengung aufzubrechen, ist es notwendig, die Reichswehr künftig stärker in das europäische Militärwesen ihrer Zeit einzuordnen und etwa zu fragen, inwiefern sich die Reichswehr hinsichtlich Wehrverfassung, Organisation, operativem Denken, Militärtechnik, aber auch im Hinblick auf Vorstellungen von (soldatischer) Männlichkeit von den Streitkräften anderer europäischer Staaten unterschied bzw. diesen ähnelte und was die Gründe für diese Gemeinsamkeiten und Unterschiede waren. Existierten im Bereich des Militärischen ferner internationale Verbindungen, vielleicht sogar transnationale Verflechtungen? Diese und weitere Fragen zum „Ort“ der Reichswehr auf der internationalen Ebene kamen auch während des Workshops kaum zur Sprache, werden jedoch auf zukünftigen Veranstaltungen des ZMSBw in den Mittelpunkt der Betrachtung gestellt werden.

Die Forschungsdesiderate zur Geschichte der Reichswehr sind folglich zahlreich. An dieser Stelle sei nur auf einige wenige, besonders markante Forschungslücken hingewiesen: So ist die Geschichte der Reichswehr bis heute vor allem eine Geschichte ihres Offizierkorps. Mannschaftssoldaten und Unteroffiziere der Reichswehr sind bis heute fast unbekannte Wesen, die jedoch – wie in allen Streitkräften zu allen Zeiten – das Gros stellten. Aus militär-, alltags- und sozialgeschichtlicher Perspektive ist diese Engführung äußerst problematisch. Das Gleiche gilt für die Untersuchung der Berufsarmee Reichswehr als Arbeitgeber, womit arbeits- und sozialhistorische Perspektiven berührt werden. Was und wie aber war nun das Berufsverständnis von Mannschaften, Unteroffizieren und Offizieren in der Reichswehr? Gab es einen speziellen Habitus des Reichswehrsoldaten? Welchen Einfluss hatten militärische Tradition einerseits und die in Ansätzen betriebene politische Bildung in der Demokratie andererseits? Präsentierte sich die Reichswehr als attraktiver Arbeitgeber? Welche Rolle spielten Fürsorgemaßnahmen und Frühformen der Partizipation über Vertrauensleute sowie Heeres- bzw. Marinekammer dabei? Insbesondere für die Bundeswehr wäre eine Betrachtung der Reichswehr als Streitkräfte der ersten deutschen Republik aus dieser Perspektive von überaus großem Interesse. Schließlich liegen auch hinsichtlich der Militärtechnik zwar einzelne Erkenntnisse vor, doch eröffnet sich hier das weite Feld einer modernen Technikgeschichte des Militärs in der Zwischenkriegszeit. Stichworte sind hier Technisierung, Motorisierung und Mechanisierung, militärische Luftfahrt, Nachrichtentechnik und Raketentechnologie.

Die Beiträge des Workshops, die für den Themenschwerpunkt auf dem Portal Militärgeschichte ausgewählt wurden, sollen hier neue Impulse geben. In den ersten beiden Beiträgen schreiben Christian Lübcke (Hamburg) und Peter Keller (Kaufbeuren) gegen das Narrativ der älteren Forschung an, dass sich vor allem die Offiziere der Reichswehr gegenüber der neuen republikanischen Staatsform ablehnend verhalten hätten. Nach der Novemberrevolution habe es, so Lübcke, eine breite, republikanische Basis auch unter den Offizieren gegeben. Hierbei hebt er die Bedeutung der durch die Soldatenräte bereits 1918 vorgelegten „Hamburger Punkte“ für eine mögliche, demokratische Neuausrichtung des Militärs hervor, die so allerdings nicht zur Umsetzung kam. Mit der Auflösung der Soldatenräte im Sommer 1919 fiel auch für republikanisch gesinnte Unteroffiziere und Mannschaften jede Möglichkeit zur weiteren politischen Einflussnahme fort, während die alten Militäreliten der Reichswehr ihren Stempel aufdrücken konnten. Im Sommer 1920 wurden die letzten republikanisch gesinnten Kräfte weiter isoliert und im Zuge der Verkleinerung der Reichswehr auf 115.000 Soldaten aus dem Militärdienst entlassen. Zu einem wichtigen Auffangbecken wurden die Polizeien der Länder. Keller vertritt die These, dass für die frühe Geschichte der Reichswehr durchaus Bestrebungen erkennbar sind, den Schulterschluss mit der Republik zu wagen. Ziel dieser Annäherung sei es gewesen, die Stellung des Militärs im neuen Staat zu stärken. Eine besonders große Rolle spielte hierbei der letzte preußische Kriegsminister und erste Chef der Heeresleitung Walther Reinhardt, der mithilfe der neuen Regierung die Wiederaufrüstung der Streitkräfte erreichen und Abtretungen deutschen Staatsgebietes verhindern wollte. Den Endpunkt für diese Annäherung setzt Keller mit dem Kapp-Lüttwitz-Putsch im März 1920, in dessen Folge Reinhardt als Chef der Heeresleitung zurücktrat und die Abschottung der Reichswehr von Politik und zivilgesellschaftlichen Einflüssen unter Hans von Seeckt begann.

Pierre Köckert (Potsdam) behandelt in seinem Beitrag die in der Forschung zumeist deutlich unterbelichtete militärische Dimension der Aufstandsbekämpfung in Deutschland zwischen 1919 und 1923. Darin konstatiert er, dass die Reichswehr eine eigene kontrainsurgente Kriegführung entwickelte, die auf bereits verfügbarem Wissen aus der Kaiserzeit aufbaute, durch die Erfahrungen im Ersten Weltkrieg erweitert sowie ständig an die gegebenen Rahmenbedingungen angepasst wurde. Die durch das Militär ausgeübte Gewalt zur Niederschlagung von Aufständen sei keineswegs schranken- und regellos gewesen, wie es die ältere Literatur beschreibt, sondern habe sich rechtlichen, militärischen und gesellschaftlichen Regeln in unterschiedlichen sozialen und politischen Kontexten unterworfen. Die Einsatzgrundsätze der Reichswehr enthielten neben militärischen auch polizeiliche und zivile Maßnahmen, wie sie bei modernen Counter-Insurgency-Ansätzen der Gegenwart zu finden sind.
Agilolf Keßelring (Helsinki) betrachtet die illegalen Strukturen der Reichswehr für die verdeckte militärische Ausbildung und Ausrüstung in der „Schwarzen Reichswehr“. Diese beschreibt er als reichsweite, ressortübergreifende, nachrichtendienstliche Großoperation der Streitkräfte, die sich über personelle Netzwerke organisierte. Zweck dieser Operation sei es gewesen, die Souveränität und Handlungsfähigkeit des Staates in Zeiten der innen- und außenpolitischen Krise zu gewährleisten. Diesen spürt er am Beispiel der Verbindungen zwischen Reichswehr und der Organisation „Roßbach“ bzw. der Turn- und Sportabteilung der Deutschen Arbeiterpartei nach. Die Verbindungen zu diesen Organisationen seien über Ernst Röhm, als dieser noch aktiver Reichswehroffizier war, aufrechterhalten worden. Keßelring bewertet die „Schwarze Reichswehr“ abschließend nicht als Vorläufer des Nationalsozialismus – wie es in der älteren Forschung oft geschah – wohl aber als einen Nährboden für diesen.

Linus Birrel (Freiburg) und Carolin Kaiser (Bielefeld) eröffnen in ihren Beiträgen neue, geschlechtergeschichtliche Perspektiven auf die Reichswehr. Kaiser legt dar, dass die Reichswehr die bislang dem Militär zugeschriebene Funktion als „Schule der Nation“ oder auch „Schule der Männlichkeit“ insbesondere aufgrund der Abschaffung der Wehrpflicht nicht ausfüllen konnte. Die als „entmannend“ wahrgenommenen Einschränkungen durch den Versailler Vertrag wurden durch andere, als männlich geltende Qualitäten kompensiert, wie es sich etwa in der Rhetorik der Reichswehrführung zeigte. So wurde etwa das Bild des patriotisch-unpolitischen Reichswehrsoldaten, der über jeder Parteienpolitik steht, als militärischer Gegenentwurf zur zivilen Männlichkeit in Stellung gebracht. Birrel geht auf die Übernahme der Grundsätze des im Ersten Weltkrieg erarbeiteten Stoßtruppverfahrens im Reichsheer ein und legt dar, wie hierdurch ein bestimmtes Bild soldatischer Männlichkeit zum Bestandteil der Selbstdarstellung wie auch der Wahrnehmung des Reichswehrsoldaten wurde. Wie bereits im Weltkrieg sollte die materielle Überlegenheit des (potenziellen) Feindes durch taktische Überlegenheit, soldatische Qualität und Willensstärke ausgeglichen werden. Dieses Bild habe dazu gedient, die Reichswehr trotz der militärischen Beschränkungen, denen sie unterlag, als schlagkräftige Streitmacht zu präsentieren und den Ansehensverlust im Zuge der Kriegsniederlage zu kompensieren. Eine praktische Folge sei in den Dienstvorschriften die Betonung des Willens und die besondere Förderung der sportlichen Ausbildung innerhalb der Reichswehr gewesen.

Die Organisatoren des Workshops beabsichtigen, mit diesen Beiträgen eine intensivere Erforschung der Reichswehr initiiert zu haben und freuen sich auf eine rege Beteiligung und Austausch in den nächsten Jahren, um die „Blackbox“ Reichswehr gründlich auszuleuchten. Hierfür werden am ZMSBw weitere Workshops ausgerichtet werden. Im Mai 2023 soll das Thema „Reichswehr und Technik. Deutsche Streitkräfte zwischen Enttechnisierung und Innovationsdruck“ im Mittelpunkt des Interesses stehen. Zudem werden bereits erste Vorbereitungen für die Ausrichtung der Internationalen Tagung für Militärgeschichte (ITMG) 2024 zu dem Thema „Streitkräfte in Europa zwischen den Weltkriegen“ getroffen, in der u.a. die Reichswehr in den Gesamtzusammenhang des Militärwesens im Europa der 1920er und 1930er Jahre eingeordnet werden soll.

Der Forschungsbereich II „Militärgeschichte bis 1945“ und die Projektgruppe „Reichswehr“ danken den Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Workshops, allen Beiträgerinnen und Beiträgern des vorliegenden Themenschwerpunkts und der Redaktion des Portals Militärgeschichte für die gute Zusammenarbeit.

Dieser Beitrag wurde redaktionell betreut durch Jannes Bergmann und Paul Fröhlich.


Zitierempfehlung: Dennis Werberg/Pierre Köckert, Einleitung zum Themenschwerpunkt Reichswehr – I. Teil: „Neue Forschungen zur Reichswehr“, in: Themenschwerpunkt „Neue Forschungen zur Reichswehr“, hrsg. von Jannes Bergmann/Paul Fröhlich/Wencke Meteling, Portal Militärgeschichte, 05. Dezember 2022, URL: https://portal-militaergeschichte.de/werberg_koeckert_reichswehr, DOI: https://doi.org/10.15500/akm.05.12.2022 (Bitte fügen Sie in Klammern das Datum des letzten Aufrufs dieser Seite hinzu).

  • 1. Michael Geyer, Die Wehrmacht der Deutschen Republik ist die Reichswehr. Bemerkungen zur neueren Literatur, in: Militärgeschichtliche Mitteilungen 2 (1973), S. 152–199, hier S. 198.
  • 2. Siehe die Beiträge in: Handbuch zur deutschen Militärgeschichte 1648–1939, Bd. 6: Reichswehr und Republik (1918–1933), hrsg. v. Militärgeschichtlichen Forschungsamt durch Hans Meier-Welcker und Wolfgang von Groote, Frankfurt a. M. 1970.
  • 3. Zu den älteren Werken zählen u.a. John Wheeler-Bennett, Die Nemesis der Macht. Die deutsche Armee in der Politik 1918–1945, Düsseldorf 1954; Otto-Ernst Schüddekopf, Das Heer und die Republik. Quellen zur Politik der Reichswehrführung 1918 bis 1933, Hannover/Frankfurt a. M. 1955; Wolfgang Sauer, Die Reichswehr, in: Karl Dietrich Bracher, Die Auflösung der Weimarer Republik. Eine Studie zum Problem des Machtverfalls in der Demokratie, Düsseldorf 51984, S. 205–256; Harold Jackson Gordon, Die Reichswehr und die Weimarer Republik 1919–1926, Frankfurt a. M. 1959; Gordon Alexander Craig, Die preußisch-deutsche Armee 1640–1945. Staat im Staate, Düsseldorf 1960; Thilo Vogelsang, Reichswehr, Staat und NSDAP. Beiträge zur deutschen Geschichte 1930–1932, Stuttgart 1962; Francis Ludwig Carsten, Reichswehr und Politik. 1918–1933, Köln/Berlin 1964.
  • 4. Vgl. CfP Die Streitkräfte der Weimarer Republik. Neue Forschungen zur Reichswehr (https://www.portal-militaergeschichte.de/cfp_die_streitkraefte).
  • 5. Vgl. Benjamin Ziemann, Die Reichswehr und die Politik der Aufrüstung, in: Aufbruch und Abgründe. Das Handbuch der Weimarer Republik, hrsg. v. Nadine Rossol und Benjamin Ziemann, Darmstadt 2021, S. 251–279, hier S. 251. Neuere Erkenntnisse zur Reichswehr konnten insbesondere über biografische Arbeiten gewonnen werden. William Mulligan, The Creation of the Modern German Army. General Walther Reinhardt and the Weimar Republic, 1914–1930, New York 2005; Karen Schäfer, German Military and the Weimar Republic. General Hans von Seeckt, General Erich von Ludendorff and the Rise of Hitler, Yorkshire 2020; Klaus-Jürgen Müller, Generaloberst Ludwig Beck. Eine Biographie, Paderborn 2008; Johannes Hürter, Wilhelm Groener. Reichswehrminister am Ende der Weimarer Republik (1928–1932), München 1993; Bernhard Kroener, „Der starke Mann im Heimatkriegsgebiet“ – Generaloberst Friedrich Fromm. Eine Biographie, Paderborn 2005. Zudem sei hier genannt: Peter Keller, „Die Wehrmacht der Deutschen Republik ist die Reichswehr“. Die deutsche Armee 1918–1921, Paderborn 2014; Rüdiger Bergien, Die bellizistische Republik. Wehrkonsens und „Wehrhaftmachung“ in Deutschland, 1918–1933, München 2012. Als Kleinstudie zur Reichswehr können auch dienen, Dieter Pohl, Die Herrschaft der Wehrmacht. Deutsche Militärbesatzung und einheimische Bevölkerung in der Sowjetunion 1941–1944 (Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte 71), München 2008, S. 25–45; Johannes Hürter, Hitlers Heerführer. Die deutschen Oberbefehlshaber im Krieg gegen die Sowjetunion 1941/42 (Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte 66) München 2006, S. 86–111.
  • 6. Vgl. Ziemann, Die Reichswehr, S. 251.
  • 7. Zum Reichswehrprojekt am ZMSBw s.: https://zms.bundeswehr.de/de/reichswehr-die-republik-und-ihre-streitkraefte-1919-1935-5486420.
  • 8. Für einen Tagungsbericht siehe https://www.hsozkult.de/conferencereport/id/fdkn-128537.
  • 9. Hans von Seeckt, Gedanken eines Soldaten, Berlin 1929, S. 9.
  • 10. Ebd.
  • 11. Einen Versuch der Verbindung unternahm: Mark Jones, Am Anfang war Gewalt. Die deutsche Revolution 1918/19 und der Beginn der Weimarer Republik, Berlin 2017, der in der gewaltsamen Frühphase der Republik bereits das Scheitern vorgezeichnet sah.
  • 12. Vgl. Geyer, Die Wehrmacht, S. 186.