Schon bei einer flüchtigen Durchsicht des Artikels fällt auf, dass der Verfasser zu diesem Thema eine beachtliche Sachkenntnis mitbringt, insbesondere was Entstehungsgeschichte und Inhalt der verschiedenen Traditionsrichtlinien der Bundeswehr sowie den Verlauf der Bundestagsdebatte zum Thema Mölders vom 24. April 1998 angeht.1
Die Argumentation des Kollegen Moellers lässt sich im Kern darauf reduzieren, dass die Umbenennung des Jagdgeschwaders 74 ‘Mölders’ am 11. März 2005 ohnehin überfällig war, weil im klaren Widerspruch zu existierenden Traditionsrichtlinien stehend. Mir selbst wirft er vor, nur "im Gestern nach Erklärungen zu suchen" und trotz fehlendem "Einblick" ein "mediales Nachkarten" zu betreiben. Was den ersten Vorwurf angeht, muss ich mich wohl schuldig bekennen. "Im Gestern nach Erklärungen zu suchen", liegt schlechterdings in der Natur des Historikers; ganz in diesem Sinne kann ich mir auch nicht den Hinweis verkneifen, dass bei einer so klaren Sachlage, wie der Kollege sie darstellt, sich das Gutachten eigentlich hätte erübrigen müssen. Warum dies scheinbar doch nicht der Fall war, greift der Verfasser an keiner Stelle auf.
Ich habe in meinem Beitrag zwar die Debatte um die "Entnamung" des JG 74 in einen größeren Rahmen gestellt und dabei auch einige weitere hiermit verbundene Fragen zum Selbstverständnis der Bundeswehr angerissen. Wenn ich hierbei tatsächlich Dinge "immer wieder durcheinander" geworfen haben sollte (Moellers), so kann ich darüber nur mein Bedauern ausdrücken. Es ist mir aber wichtig, erneut darauf hinzuweisen, dass ich bereits damals ausdrücklich betont habe, dass dieser Themenkomplex für mich nicht im Mittelpunkt steht. Von zentraler Bedeutung ist lediglich die Tatsache, dass das Gutachten des damaligen MGFA (Militärgeschichtliches Forschungsamt, inzwischen Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr, ZMSBw) bei der Beurteilung der Person von Werner Mölders auf belegbare Handlungen oder Unterlassungen des Offiziers abstellte. Diese Vorgehensweise entspricht genau der, welche das Haus auch schon bei der Beurteilung anderer historischer Persönlichkeiten angewandt hat; sie hat durchgehend – etwa unlängst in der Diskussion um den Wehrmachtgeneral der Gebirgstruppe Eduard Dietl – zu belastbaren und konsensfähigen Resultaten geführt.2
Im Fall Mölders verhält es sich nun so, dass das damalige Gutachten mittlerweile in allen Punkten in Frage gestellt bzw. sogar widerlegt worden ist. Es handelt sich dabei nicht nur – wie vom Kollegen Moellers angedeutet – um die Tatsache, dass durch zweifache Intervention von Seiten Mölders’ ein wegen einer Tätlichkeit gegen ihn in Festungshaft sitzender französischer Zivilist vorzeitig entlassen wurde.3 Zwei weitere Tatbestände, die im Gutachten auch eine Rolle spielten (seine betonte Zurückhaltung gegenüber den Wünschen des NS-Propagandaapparates sowie die Fürsprache für die Familie eines jüdischen Klassenkameraden) sind mittlerweile ebenfalls belegt, was dem Kollegen Moellers jedoch keine Erwähnung wert war. Diese Erkenntnisse sind die Frucht neuer Quellenfunde und nicht – wie von Moellers an einer Stelle angedeutet – das Ergebnis eines Interviews mit der hochbetagten Witwe des Jagdfliegers vor wenigen Jahren.
Bei dieser Sachlage müsste es für jedes wissenschaftliche Institut im Grunde genommen eine Selbstverständlichkeit sein, das Gutachten aus eigenem Antrieb zurückzuziehen; es ist auch kaum vorstellbar, dass dies in einem umgekehrten Fall (wenn ein ursprünglich entlastend-positiver Befund durch neue Quellenfunde ins Gegenteil verkehrt worden wäre) nicht schon längst passiert wäre. Die Darlegung des Kollegen Moellers, das Gutachten sei für die Entnamung im Grunde völlig nebensächlich gewesen, sollte die Einleitung eines solchen Verfahrens eigentlich erheblich erleichtern.
Stattdessen hat sich das ZMSBw in dieser Frage bis jetzt betont zurückhaltend gezeigt. Die Gründe dafür sind vor zwei Jahren vom Amtschef des Hauses in einer geradezu frappierenden Offenheit dargelegt worden. In einem Beitrag für die Zeitschrift Militärgeschichte, welcher verschiedene Änderungen bei Traditionsnamen aufgriff, gab er unumwunden zu, dass das Gutachten zu Werner Mölders mittlerweile zwar anfechtbar sei, eine Kassierung des Gutachtens jedoch nicht in Frage käme, weil "dies kaum opportun erscheinen würde".4
Die hier zu Tage tretende Ehrlichkeit mag bewundernswert sein, kann jedoch nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, dass hier offensichtlich ein Interessenskonflikt zwischen den Vorgaben des politischen Auftraggebers auf der einen Seite und dem prae der Wissenschaft auf der anderen vorliegt. Wenn das ZMSBw in der Vergangenheit nicht immer wieder so bemüht gewesen wäre, seine Andersartigkeit gegenüber seinem vorbelasteten Vorgängerinstitut, dem Reichsarchiv der Zwischenkriegszeit, zu betonen, würde sich dieses Problem vielleicht in einem etwas milderen Licht darstellen. So stehen wir vor dem Problem, dass die staatliche Militärgeschichte der Bundesrepublik im Begriff zu stehen scheint, die größte Unsitte ihrer Weimarer Kollegen zu übernehmen: Forschungsprioritäten nicht nur, aber auch nach tagespolitischen Kriterien festzulegen.5
Diese einfache Erkenntnis ist auch mit Beschwörungen der Inneren Führung nicht aus der Welt zu schaffen. Zu Beginn seiner Ausführungen brachte Heiner Moellers zum Ausdruck, dass Zeitgenossen wie ich "ein sehr traditionelles Bild vom Soldatenberuf" hätten. Bei einer anderen Gelegenheit wäre ich gerne bereit, mich auch zu diesem Thema auf eine Diskussion einzulassen. Bei der Kontroverse, um die es hier jedoch geht, scheinen mir die Grundwerte eines anderen Berufs im Vordergrund zu stehen. Die des Historikers.
- 1. "Mediales Nachkarten pensionierter Militärs nach Jahren der eigenen Untätigkeit oder von Historikern ohne Einblick in die Hintergründe und das Berufsverständnis der Bundeswehr sind keine große Hilfe." So Heiner Möllers, Mölders und kein Ende? Eine Replik auf Klaus Schmider, in: Portal Militärgeschichte, 5. September 2016, URL: http://portal-militaergeschichte.de/mollers_moelders (Zugriff am 20. Oktober 2016), S. 1-23, Zitat S. 17.
- 2. Der Entscheidung gegen die Beibehaltung von Dietls Namen durch Verteidigungsminister Volker Rühe (November 1995) ging ein Gutachten des MGFA voraus, welches, in leicht gekürzter Fassung, kurz darauf der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt wurde. Vgl. Winfried Heinemann, Eduard Dietl. Lieblingsgeneral des ‘Führers’; in: Ronald Smelser/Enrico Syring (Hrsg.), Die Militärelite des Dritten Reiches. 27 biographische Skizzen, Berlin 1995, S. 99-112.
- 3. Heiner Moellers ist an dieser Stelle so freundlich, diese neue Erkenntnis meiner Forschungsarbeit zuzuordnen, wovon jedoch keine Rede sein kann. Der Verdienst gebührt vielmehr Hermann Hagena (Bonn). Vgl. den in den Archives départementales de l‘ Oise 33W8242 abgelegten Schriftwechsel. Demnächst ausführlicher hierzu Hermann Hagena, Jagdflieger Werner Mölders. Die Würde des Menschen reicht über den Tod hinaus, erweiterte Ausgabe, Aachen 2017. Angekündigt für März 2017. Ursprünglich ders., Jagdflieger Werner Mölders. Die Würde des Menschen reicht über den Tod hinaus, Aachen 2008.
- 4. Hans-Hubertus Mack, Vorbilder? Die Diskussion um die Namensgeber für Bundeswehr-Kasernen, in: Militärgeschichte. Zeitschrift für historische Bildung, Heft 4/2014, S. 18-21, Zitat S. 20.
- 5. Diese Tendenz ist, obwohl schon länger bekannt, erst in jüngerer Zeit Gegenstand einer umfassenden wissenschaftlichen Untersuchung geworden: Markus Pöhlmann, Kriegsgeschichte und Geschichtspolitik: Der Erste Weltkrieg. Die amtliche deutsche Militärgeschichtsschreibung, Paderborn 2002. Vgl. auch Wolfram Pyta, Hindenburg. Herrschaft zwischen Hohenzollern und Hitler, München 2007, S. 521-538.