Verbrechen, Zwangsarbeit, Widerstand – eine Intervention gegen das Image der „sauberen Luftwaffe“
Inka Engel/Peter-Erwin Jansen/Olga-Mai Wörister
Miszelle
Veröffentlicht am: 
05. Juni 2023
DOI: 
https://doi.org/10.15500/akm.05.06.2023

Im Rahmen einer Kooperation des Militärhistorischen Museums Berlin-Gatow mit Studierenden des Masterstudiengangs „Holocaust Communication and Tolerance“ der Touro University Berlin sind 2022 sieben Ausstellungselemente entstanden, die auf bisherige blinde Flecken der Ausstellung „Zwischenlandung. Militärische Luftfahrt in Deutschland“ des Militärhistorischen Museums Berlin-Gatow hinweisen. Der thematische Schwerpunkt der Intervention liegt dabei auf Kriegsverbrechen der Luftwaffe im Zweiten Weltkrieg. Die von den Studierenden konzipierten Ausstellungsergänzungen lenken die Aufmerksamkeit der Ausstellungsbesucher:innen weg von der technischen Faszination der militärischen Objekte, hin zu den dahinterstehenden Kriegsverbrechen und den theoretischen Hintergründen der Verbrechen der Luftwaffe zur Zeit des Nationalsozialismus. Sowohl textlich als auch bildlich wird auf den Zusammenhang von Technikeuphorie und Kriegsmaschinerie sowie auf die Zerstörungen eingegangen.

Die einzelnen ausgearbeiteten Ausstellungselemente werden in einer gemeinsamen Übersichtskarte dargestellt und auf einer Europakarte hervorgehoben. Die Bombardierung von Guernica am 26. April 1937 ist das zeitlich erste Verbrechen, welches im Rahmen des Interventionsprojekts thematisiert wird. Die Legion Condor der deutschen Luftwaffe unterstützte das faschistische Franco-Regime im Spanischen Bürgerkrieg. Gezielt warf die Luftwaffe ihre tödliche Fracht bereits zu dieser Zeit nicht nur auf militärstrategische Ziele wie Brücken oder Eisenbahnen, sondern zerstörte Städte wie beispielsweise das spanische Dorf Guernica ohne jede Rücksicht auf die zivile Bevölkerung. Die deutschen Luftangriffe auf polnische Städte, die zu Beginn des Zweiten Weltkriegs in Europa im September und Oktober 1939 erfolgten, bilden eine weitere Ausstellungsergänzung. Im Vordergrund stehen die schon zu dieser Zeit erkennbaren zivilen Opfer, die bei den Bombardements von über 150 Städten, in denen kein polnisches Militär stationiert war, verwundet wurden oder starben. Die Darstellung der Angriffe verdeutlicht, dass die Zerstörung der Infrastruktur und die Demoralisierung der zivilen Bevölkerung im Vordergrund des militärischen Überfalls stand. Auch dienten diese als eine Art Testlauf für spätere Bombardierungen, deren Effizienz und Erfolg im Sinne einer schnellen Eroberung neuen „Lebensraums“ gesteigert werden sollte.
 
Abb. 1: Ausstellungsergänzung „Luftfahrtmedizinische Menschenversuche im Konzentrationslager Dachau“, fotografiert am 28. Dezember 2022 (Foto: Inka Engel)
Die Ausstellungsergänzung „Luftfahrtmedizinische Menschenversuche im Konzentrationslager Dachau“ veranschaulicht, wie Mediziner im Auftrag der Luftwaffe circa 540 Menschen in verschiedenen Versuchsreihen missbrauchten, um Lösungen für kriegsrelevante Problematiken zu finden. Über die einzelnen Opfer ist sehr wenig bekannt. Die meisten von ihnen waren polnische und sowjetische Staatsbürger, jüdische Deutsche sowie Juden unbekannter Herkunft. Es wurde keinerlei Rücksicht auf die physischen und psychischen Auswirkungen der Versuchspersonen genommen. Mit Hilfe einer mobilen Unterdruckkammer wollten deutsche Luftfahrtmediziner beispielsweise herausfinden, wie sich extreme Höhe auf den menschlichen Körper auswirkt. Dafür wurden rund 200 Häftlinge zwischen Februar und Juni 1942 zur Teilnahme an Versuchen gezwungen, von denen circa 70 die Experimente nicht überlebten. Eine weitere Versuchsreihe beschäftigte sich mit der Auswirkung von extremer Kälte auf den menschlichen Körper. Hierfür wurden circa 300 Häftlinge missbraucht. 80 bis 90 von ihnen überlebten die durchlittenen Torturen nicht. Die Zeichnungen des Häftlings Georg Tauber, der die Versuche szenisch auf Papier festhielt, verdeutlichen ihre Grausamkeit. Als weiteres Objekt zeigt die Ausstellungsergänzung eine Fliegerschwimmweste: In einer Versuchsreihe mussten die Häftlinge entweder nackt oder nur mit einer Fliegeruniform und mit einer solchen Schwimmweste bekleidet in einem Tank voller Eiswasser mehrere Stunden ausharren. Ab Sommer 1944 wurden ferner 44 Häftlinge zu Meerwassertrinkversuchen gezwungen. Einige der an diesen Versuchen beteiligten Ärzte wurden nach dem Krieg im Nürnberger Ärzteprozess angeklagt. Das Ausstellungselement nennt die Namen der Täter und geht auch auf ihre Nachkriegskarrieren ein. Denn die meisten von ihnen wurden freigesprochen oder erhielten nur milde Strafen und konnten ihre Karrieren nach dem Krieg unbehelligt fortführen.
 Abb. 2: Verhüllte Fieseler Fi 103, fotografiert am 28. Dezember 2022 (Foto: Inka Engel)
Neben Menschenversuchen zeigte sich auch im Umgang mit Zwangsarbeiter:innen die Skrupellosigkeit der deutschen Luftwaffenindustrie im Zweiten Weltkrieg. Dieses Unterthema wird dabei durch drei unterschiedliche Ausstellungsobjekte symbolisiert: Die bis dato in einer Vitrine liegende Häftlingsuniform des Zwangsarbeiters Jacobus Sanger wird neu präsentiert. Die Uniform wurde in der Ausstellungsergänzung aufgerichtet, zentrierter aufgebaut und mit wichtigen Hintergrundinformationen umrahmt. Dabei steht das so exponierte Kleidungsstück stellvertretend für alle Zwangsarbeiter:innen. Eine umfassende interaktive Medienstation informiert zudem über das Schicksal von Jacobus Sanger und die schrecklichen Lebensumstände von über zwölf Millionen Zwangsarbeiter:innen, die in der Zeit des Nationalsozialismus unter dem Terrorregime des Deutschen Reiches litten. Sie lebten unter Bedingungen, die als grausam und unmenschlich angesehen werden: Hunger, mangelnde medizinische Versorgung, Misshandlungen und sexueller Missbrauch prägten ihren Alltag, bei dem sie in fast allen wirtschaftlichen, industriellen sowie teils in privaten Bereichen zur Arbeit gezwungen wurden – auch in der Rüstungs- und Luftfahrtindustrie. Was mit dem sogenannten „Modelleinsatz Polen“ begann, wurde zu einem grausamen standardisierten Massenphänomen und einem wichtigen Kriegsfaktor der deutschen Okkupationsmacht in Europa. Während der wirtschaftliche Nutzen der Zwangsarbeit in vielen Sektoren als nicht allzu bedeutend für die deutsche Kriegswirtschaft anzusehen ist, liegt der Erfolg der Luftfahrtindustrie und damit der Luftwaffe weitgehend in der umfangreichen Zwangsarbeit begründet. Im Sommer 1944 waren etwa 50 Prozent der Mitarbeiter:innen in den Betrieben der engeren Rüstungsindustrie Zwangsarbeiter:innen. In den Betrieben, in denen Fließbandarbeit dominierte und ein hoher Anteil ungelernter Arbeiter:innen beschäftigt waren, waren es sogar bis zu 80–90 Prozent Zwangsarbeiter:innen. Besonders das KZ Mittelbau-Dora, das aus kriegsstrategischen Gründen untertage lag, steht exemplarisch für die Geschichte der menschenverachtenden KZ-Zwangsarbeit in der Rüstungsindustrie im Zweiten Weltkrieg. Mehr als 60 000 Menschen wurden hier zwischen 1943 und 1945 für die deutsche Rüstungsindustrie, auch die Luftwaffe, ausgebeutet. Jeder beziehungsweise jede dritte von ihnen starb. Dazu passend ist die in Gatow vorhandene Fieseler Fi 103, besser bekannt als sogenannte V1 und „Wunderwaffe“, in die Ausstellungsergänzung integriert. Sie wurde mit weißem Stoff komplett verhangen, um das Augenmerk auf das eigentliche Verbrechen hinter der Produktion und weniger auf die Faszination der Technik zu legen. Daran erinnern auch in roten Lettern auf den Stoff geschriebene Worte wie „Ausbeutung“, „Tod“, „Terror“, „Krieg“ und „Hunger“.

 Abb. 3: Uniform Görings, verdeckt von Textfahnen, fotografiert am 28. Dezember 2022 (Foto: Inka Engel)
Kaum bekannt ist, dass die Luftwaffe auch am Boden aktiv Verbrechen verübte. Auch das greift die Intervention in einem neu geschaffenen Ausstellungselement auf. Die Fallschirm-Panzer-Division 1 Hermann Görings war eine militärische Elitetruppe der deutschen Luftwaffe mit besonderem Auftrag. Sie tötete zwischen September 1943 und Juli 1944 bei zahlreichen Massakern über 1500 zivile italienische Opfer. Erst 2009 wurde gegen zwölf Täter der Division „Hermann Göring“ in Verona ein Kriegsverbrecherprozess durchgeführt. Schließlich verurteilte im Jahr 2011 ein Gericht in Verona ehemalige Soldaten der Division in Abwesenheit zu lebenslanger Haft. Beispiellos und zugleich beispielhaft ist bis heute die Auseinandersetzung der Luftwaffe mit der Figur Hermann Görings. Ein Besucher der Dauerausstellung des Flughafens in Gatow bemerkte dazu in einem knappen Feedback: „Es kann ja wohl nicht angehen, dass eine NVA-Uniform in einer Mülltonne steckt und eine Naziuniform vom Herrn ,Obernazi‘ Reichsfeldmarschall Göring in einer Vitrine hängt! Welche Unterschiede in der Darstellung, welche Aussagen!“1

Die Ausstellung zeigte die schmucke, herausgeputzte Uniform des Kriegsverbrechers Hermann Göring, dekoriert mit dem Eisernen Kreuz. Aufgerichtet auf einer Fotocollage, die Trümmer von Dresden und schemenhaft Körper und Fahnen mit Hakenkreuzen zeigte, verzerrte dieses Ausstellungsstück den historischen Kontext. Das der Körperform Görings angepasste Objekt lud Betrachter:innen gar zu Selfies ein. Mit diesem Arrangement sahen sich die Student:innen konfrontiert. Im Rahmen der Ausstellungsergänzung ist die Uniform nun verdeckt und nur noch von den schmalen Seiten der Glasvitrine aus zu sehen. Die Vorderseite wird durch eine Textfahne verhüllt, die den historischen Kontext der aktiven Verstrickungen Görings in den Vernichtungsprozess erläutert. Die aktuelle Präsentation belegt dazu Görings aktive Beteiligung am Vernichtungsprozess der europäischen Juden und seine kaum erwähnte antisemitische Grundüberzeugung. Nur wenige Stunden nach der Reichspogromnacht unterschrieb Göring, der vom 26. November 1937 bis zum 15. Januar 1938 in seiner Funktion als Verantwortlicher des Reichswirtschaftsministeriums an Verordnungen zur Arisierung jüdischen Eigentums beteiligt war, dann als „Beauftragter für den Vierjahresplan“, die „Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben“. Das ausgestellte Dokument belegt die aktive Beteiligung des Oberbefehlshabers der Luftwaffe an der Enteignung des jüdischen Eigentums. Mit einer weiteren Textpassage werden Görings antisemitische Einstellungen in zahlreichen seiner Erlasse belegt. Bei außenpolitischen Konflikten, so schrieb Göring in einem weiteren Dokument, sei es selbstverständlich, „daß wir in Deutschland in allererster Linie daran denken werden, eine große Abrechnung an den Juden zu vollziehen.“2 Originalaufnahmen der während der Nürnberger Prozesse getätigten Aussagen Görings werden in Schriftauszügen der Protokolle in einer Medienstation präsentiert. Als Gegenpol zu der schattenreich schillernden Figur Hermann Görings legten die Studierenden jedoch auch Wert darauf, über mögliche positive Beispiele aus dem Bereich der Luftwaffe zu informieren: Der Feldwebel Karl Laabs versteckte Juden und Jüdinnen auf seinem Grundstück in Oberschlesien und verhalf im Februar 1943 circa 100 von ihnen zur Flucht ins vorerst sichere Mislowitz (heutiges Myslowicze in Polen). 1972 erhielt er für diese Tat das Bundesverdienstkreuz verliehen. Acht Jahre später wurde er posthum von der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem als „Gerechter unter den Völkern” geehrt.

Die Luftwaffe verübte während des Zweiten Weltkriegs eine Vielzahl von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Bombardierungen von und Luftangriffe auf Zivilisten, Menschenversuche, die Ausnutzung von Zwangsarbeiter:innen sowie eine verbrecherische Unterstützung von Bodentruppen sind nur einige Beispiele. Die Ausstellungsergänzungen der Studierenden der Touro University können daher nur einen Anstoß auf die notwendige Sichtbarkeit zahlreicher, auch weiterer Kriegsverbrechen und Gräueltaten geben, an denen die Luftwaffe beteiligt war. Es bleibt festzuhalten, dass die Luftwaffe Teil der nationalsozialistischen Kriegsmaschinerie und damit für den Tod von Millionen von Menschen mitverantwortlich war. Die Auseinandersetzung und öffentliche Aufarbeitung bleibt weiterhin von entscheidender Bedeutung für die Würdigung der Opfer und ist eine notwendige Maßnahme zur Prävention solcher Verbrechen in der Zukunft.

Die Ausstellungselemente wurden von den Studierenden Ryan Edgar, Inka Engel, Thomas Hirschlein, Peter-Erwin Jansen und Olga Mai-Wörister unter der Leitung von Prof. Stephan Lehnstaedt von der Touro University in Zusammenarbeit mit dem Militärhistorisches Museum Flugplatz Berlin-Gatow erstellt.

Dieser Beitrag wurde redaktionell betreut durch Daniel R. Bonenkamp.


Zitierempfehlung: Inka Engel/Peter-Erwin Jansen/Olga-Mai Wörister, Die Luftwaffe im „Dritten Reich“. Verbrechen, Zwangsarbeit, Widerstand – eine Intervention gegen das Image der „sauberen Luftwaffe“, in: Portal Militärgeschichte, 05. Juni 2023, URL: https://portal-militaergeschichte.de/engel_jansen_mai-woerister_intervention, DOI: https://doi.org/10.15500/akm.05.06.2023 (Bitte fügen Sie in Klammern das Datum des letzten Aufrufs dieser Seite hinzu).