Manche Bücher lassen sich durch die Orte charakterisieren, an denen man auf sie stößt: Tim O’Briens „If I Die in a Combat Zone“ von 1973 gehört zu der Sorte Bücher, die sich stockfleckig und leergelesen bei den Bouquinisten der Backpacker-Quartiere von Bangkok, Siem Reap oder Luang Pradang finden – neben Masons „Chickenhawk“, Pirsigs „Zen and the Art of Motorcycle Maintenance“ oder De Quincy’s „Confessions of an English Opium Eater“.
„If I Die in a Combat Zone“ schlug als klassisches Erstlingswerk ein und der Stoff hat den Autor nicht mehr losgelassen. In „Going After Cacciato” von 1978 griff Tim O’Brien den Krieg in Südostasien in einer literarisch weit komplexeren Form wieder auf und gewann damit im folgenden Jahr den National Book Award for Fiction. Noch 1990 arrangierte er in „The Things They Carried” kleine Geschichten zum selben Stoff ein weiteres Mal neu. Mehr kann man sein eigenes Kriegserlebnis literarisch kaum melken. Der Krieg ernährt seinen Mann.
O’Brien hat den Krieg in Vietnam von 1968 bis 1970 als Wehrpflichtiger und Infanterist erlebt. Der Leser begegnet dem Protagonisten in seiner Heimatstadt Worthington, Minnesota, wo es so öde ist, dass man nicht tot über dem Zaun hängen möchte. Als er den Einberufungsbescheid erhält, zögert er mit dem Schritt über die kanadische Grenze. Zur Desertion fehlen ihm Neigung und Energie. Es folgen Grundausbildung in Fort Lewis, Flieger nach Vietnam, Einsatz mit der „Alpha Company“ in der Quang Ngai Provinz, Flieger nach Hause, Ende der Geschichte.
Der Titel zitiert einen zeitgenössischen, wenngleich geografisch reichlich deplatzierten Kadenzgesang aus der Grundausbildung der US-Armee: „If I die in a combat zone, / box me up and ship me home. / An’ if I die on the Russian front, / bury me with a Russian cunt.“ Das ist so doof, das es schon wieder lustig ist. Und wer miterlebt hat, welche unmittelbare Wirkung das poetisch ähnlich orientierte Liedrepertoire aus Stanley Kubricks Film “Full Metal Jacket” (1987) auf die Praxis der Grundausbildung der Bundeswehr hatte, wird zustimmen, dass die populärkulturelle Widerspiegelung vergangener Krieg in der militärischen Sozialisierung doch recht erhebliche Folgen haben kann. „Russian cunt“ statt „Westerwald“ – ein bislang unterbewerteter Kulturschock. Ohnehin beschleicht einen bei der Lektüre dieses Buchs der Verdacht, dass sich zahlreiche Schriftsteller und Drehbuchautoren seither der Motive und Archetypen in Tim O’Briens Buch bedient haben.
Das Buch verbindet militärische Alltagsgeschichte mit den großen Themen: Die Fragen zum Beispiel, was denn Mut sei. Mut, so lässt der Erzähler Laches aus den Dialogen des Platon antworten, sei „Beharrlichkeit der Seele“. Zu den großen Themen zählen auch die Verbrechen. Die Einheit des Autors operiert im Raum My Lai rund ein Jahr nach den Massaker vom 16. März 1968, und man gewinnt einen guten Eindruck, wie sich das alles zusammengebraut hatte: Ignoranz plus Hitze plus Frustration.
Ob der Soldat selbst ein berufener Chronist des Krieges ist, hinterfragt der Erzähler: „Do dreams offer lessons? Do nightmares have themes, do we awaken and analyse them and live our lives and advise others as a result? Can the foot soldier teach anything important about war, merely for having been there? I think not. He can tell war stories.” Wie alle großen Erzähler vom Krieg nimmt der Autor eine indifferente, ja lakonische Position ein. „If I die in a combat zone“ ist ein Bildungsroman, ein Wilhelm Meister zwischen Wasserbüffeln und Claymore-Minen. Wie alle großen Erzähler vom Krieg ist der Autor ein Solitär. Einer, der Bücher liest, während die Kameraden Heftchen gucken. Einer, der eigentlich hier gar nicht hingehört.
Autobiografie und Fiktion sind bei Tim O’Brien auf das engste verwoben. Diese Verunklarung hat System und daher lässt sich „If I Die in a Combat Zone“ auch allenfalls als ein autobiografisch motivierter Text verstehen. Nach 40 Jahren wiedergelesen, präsentiert sich das Buch aber vor allem als eine bedrückende Schilderung vom Krieg an den Peripherien, wo die Trennlinien zwischen Kombattanten und Zivilisten unklar sind, wo der Feind eben dadurch wirkt, dass er sich nicht stellt. Das klingt heute wieder ziemlich vertraut:
„If land is not won and if hearts are at best left indifferent; if the only obvious criterion of military success is body count and if the enemy absorbs losses as he has, still able to lure us amid his crop of mines; if soldiers are being withdrawn, with more to go later and later and later; if legs make me more of a man, and they surely do, my soul and character and capacity to love notwithstanding; if any of this is truth, a soldier can only do his walking laughing along the way and taking a funny, crooked step. After the war, he can begin to be bitter.”