Interview mit Gerd Krumeich (Düsseldorf)
Gerd Krumeich
Interview
Veröffentlicht am: 
08. Oktober 2012


Zum Start des Portals lassen eine Reihe prominenter Vertreter des Fachs die Entwicklung der Militärgeschichtsschreibung im deutschsprachigen Raum Revue passieren und wagen den Ausblick in die Zukunft. Die Interviewfolge wird von Prof. Dr. Gerd Krumeich fortgesetzt, von 1997 bis 2009/10 Lehrstuhlinhaber für Neuere Geschichte an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf.

Wie hat sich die deutschsprachige Militärgeschichtsschreibung in den vergangenen 25 Jahren entwickelt?

Sie hat sich so entwickelt und so gut entwickelt, wie wir Links-Intellektuellen es damals nicht für möglich gehalten hätten. Vor 25 Jahren war die Militärgeschichtsschreibung ein Feld von Militaristen, Dabei-Gewesenen, Alt- und Neu-Nazis. Dazu einige ernsthafte Wissenschaftler, die sich aber stark in "konservativ" (Gerhard Ritter) und "kritisch" (Wilhelm Deist, Volker Berghahn, Manfred Messerschmidt) polarisierten. Man muss bedenken, dass es vor 25 Jahren die DDR noch gab, mit ihrer etablierten Militärgeschichte und deren ganz spezifischer Bürokratie der sozialistischen Wahrheit. Echte Historiker wie Fritz Klein waren dort auch rar und hatten größte Schwierigkeiten mit ihrem "System" – da gab es Vorgaben, die Fritz Klein in seinen lesenswerten Memoiren anschaulich berichtet hat. In der alten Bundesrepublik war es für kritische Geister schwer, sich zu äußern, ohne in den Verdacht zu kommen, verlängerter Arm der "Sowjetzone" zu sein. Das Militärgeschichtliche Forschungsamt (MGFA) seinerseits war auch nicht der Ort einer wirklich kritischen Militärgeschichte. Wilhelm Deist und Manfred Messerschmidt hatten es nicht leicht im Kampf um die Freiheit ihrer eigenen militärgeschichtlichen Forschung, die individuellen Spielräume im "Amt" waren eng.

Das war der Grund, warum wir damals den Arbeitskreis Militärgeschichte (AKM) gegründet haben. Wir – das waren Wilhelm Deist, Stig Förster und ich – haben irgendwie gleichzeitig erkannt, dass die Zeit reif war für etwas Neues. Die Überlebenden des Ersten Weltkrieges starben langsam aus, die Nazis wurden alt und ungefährlicher, die national-militärfrommen Positionen lösten sich langsam auf quasi natürliche Weise auf. Kriegsgeschichte war plötzlich nicht mehr allein offen für Kriegsveteranen und Möchtegern-Krieger. Wir waren der Überzeugung, dass die Kriegs- und Militärgeschichte zu wichtig war, um sie den Militärs zu überlassen, und diese Auffassung fand dann ein breites Echo. So ist die Militärgeschichte langsam aber stetig wirklich Teil der allgemeinen deutschen Geschichte geworden, mit überraschenden und innovativen Ergebnissen. Dafür war auch wohl entscheidend, dass sich dieser Sektor für Frauen öffnete, bzw. von den Historikerinnen für sich entdeckt wurde. Die anregendsten Arbeiten, die ich kenne, stammen heute von Frauen, was vor 25 Jahren noch ganz undenkbar gewesen wäre.

Auch die Zeitungen und Verlage gehen ganz anders mit dieser gesellschaftlich geöffneten Militärgeschichte um als früher. Wenn heute viele Verlage Arbeiten aus diesem Bereich quasi aufsaugen, beste Beispiele sind wohl Schöningh, mit seinem langjährigen Lektor Michael Werner, und Klartext mit Ludger Classen, so kann man den ganzen Unterschied zu früher an der Tatsache ermessen, dass German Werth sein heute noch so lesenswertes Buch über die Verdun-Schlacht und den Verdun-Mythos 1977 nicht in einem "zivilen" Verlag unterbringen konnte, sondern bei den Militaria von Bastei-Lübbe figurieren musste, worunter er sehr gelitten hat. Doch das ist inzwischen wirklich nur noch Vergangenheit. Die Militärgeschichte ist auf einem sehr guten Weg und wird sicher weiter voranschreiten.

 

Wo steht die deutschsprachige Militärgeschichtsschreibung heute im Vergleich zum Ausland?

Das "Ausland" ist ein weiter Begriff, aber man kann sicher sagen, dass wir in mentalitäts- und kulturgeschichtlicher Hinsicht im oberen Drittel der Champions League spielen. Frankreich hat wohl immer noch den Vorzug, dass Militär und Außenpolitik sowie Diplomatie in alter Tradition stärker miteinander verzahnt werden, als das bei uns nach dem großen Aufbruch der 1990er Jahre bislang gelungen ist. Auch die regionalgeschichtliche Forschung hat eine längere Tradition und mehr Facetten, genauso wie der biographische Sektor. Biographien von Feldherren aller Zeiten sind – stärker als in Deutschland – wichtiger Teil des Buchmarktes. Großbritannien und die USA haben sicherlich noch einen erheblichen Vorsprung bei der Verbindung von Militärgeschichte und Nationalgeschichte.

 

Welche aktuellen, inhaltlichen oder methodischen Entwicklungstendenzen halten Sie für bedeutend?

Vor allem die Tatsache, dass jetzt doch auf breiter Basis "Feldforschung" betrieben wird. Die Lebenswelten der Soldaten zwischen dem 1870er Krieg und dem Ende des Ersten Weltkrieges sind greifbarer geworden; methodisch ist der Weg zu einer Kulturgeschichte des militärischen Sektors weit fortgeschritten, die Ansätze zum transnationalen Denken sind beachtlich. Vielleicht sollten anstatt nur der Schlachtengeschichte, die auch in ihrer modernen, operativ orientierten, Dimension großen Erfolg hat, ältere Ansätze zur Entstehung und gesellschaftlichen Relevanz von Schlachtenmythen wieder stärker aufgenommen werden.

 

Wie hat sich die institutionelle Verankerung der Teildisziplin an den Universitäten entwickelt?

Da bleibt noch Einiges zu tun! Die Geschichte des Ersten und Zweiten Weltkriegs lockt normalerweise sehr viele HörerInnen an. Wer sich aber um einzelne Feldherren, militärische Denker oder Eliten im Unterricht bemüht, steht leicht noch im Verdacht, leere Seminare zu präferieren. Das muss sich ändern! Auch ist festzustellen, dass die ältere Militärgeschichte des 18. und 19. Jahrhunderts doch nach wie vor sehr stiefmütterlich behandelt wird. Es fehlt an den Universitäten zwar nicht an militärhistorisch Interessierten, aber die Zahl der habilitierten MilitärhistorikerInnen und der UniversitätsprofessorInnen dieser Richtung bleibt doch leider noch überschaubar.

 

Welche Rolle haben Ihrer Meinung nach Einrichtungen der außeruniversitären Forschung wie das Institut für Zeitgeschichte, das Hamburger Institut für Sozialforschung oder das Militärgeschichtliche Forschungsamt bei der Entwicklung der Teildisziplin gespielt?

Irgendwie ist, wie gesagt, unsere Initiative ja entstanden, weil die etablierte inner- und außeruniversitäre Forschung erhebliche Lücken aufwies. Das MGFA der 1970er und noch 1980er Jahre ist mit dem von heute ja auch kaum noch zu vergleichen. Wenn früher dort die Freiheit des Forschens regelrecht gegen den militärischen Gehorsam erkämpft werden musste, so ist sie heute doch selbstverständlich geworden. Das Hamburger Institut hat eine starke Vorreiterrolle in Bezug auf den kritischen Blick auf alle Gewaltmaschinen gehabt, aber sein Forschungsfeld blieb doch noch recht begrenzt. Das gilt noch mehr für das Institut für Zeitgeschichte, dessen Aktivitäten und Focus für mich immer etwas undurchsichtig gewesen sind. Eine moderne Militärgeschichte stand jedenfalls leider dort nicht im Zentrum des Interesses. Unter neuer Leitung wird sich das hoffentlich bald verbessern. Beachtlich ist in den letzten Jahren der Impact der Deutschen Historischen Institute im Ausland geworden. Vor allem Paris, Washington und London haben institutionell und finanziell geholfen, vieles auf die Beine zu stellen, nicht zuletzt denke ich dabei an das formidable "Total War"-Unternehmen von Stig Förster und seinen damaligen Kooperationspartnern.

 

Wie gestaltet sich das Verhältnis von akademischer Geschichtsschreibung und medialer Beschäftigung mit Themen der Militärgeschichte?

Man kann feststellen, dass stärker als früher Universitätsmitglieder aller Art in den Produktionsprozess von historischem Wissen für die so genannte breite Masse einbezogen werden. Aber für Fernsehen und Rundfunk gilt genau wie für Geschichtsmuseen die alte Devise der Kulturschaffenden: Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass. Guido Knopp und viele andere möchten oder müssen sich mit historischem Expertentum absichern, aber nur allzu gerne lassen sie diese FachhistorikerInnen bei der konkreten Gestaltung außen vor. Zu wünschen wäre wirklich, dass – wie es in anderen europäischen Ländern gegeben ist – ein entspannteres Verhältnis zwischen universitärer Wissenschaft und der medialen Vermittlung möglich wäre. Dazu gehört aber zu allererst, dass auch die MilitärhistorikerInnen sich eines Schreib- und Denkstils zu befleißigen lernen, der unsere Wissenschaft wirklich für das breitere Publikum öffnet. Es gibt einfach noch zu viele Akademiker, die Fremdwörter, Neologismen und "trans"-Schnickschnack für zwingend halten, um sich zu distinguieren. Das muss sich ändern.

 

Welcher Autor bzw. welches wissenschaftliche Werk hat Sie persönlich nachhaltig beeinflusst?

Für mich ist das Muster einer gelungen Geschichtsschreibung auf höchstem Forschungsniveau mit gleichwohl absolut verständlicher Darstellung Jean-Baptiste Duroselles Darstellung des Ersten Weltkriegs (La Grande Guerre des Français. L‘incompréhensible, Paris 1994). Ich habe immer bewundert – und selber versucht, das nachzuahmen –, wie Duroselles es schafft, einerseits exklusive Forschung gekonnt darzubieten und sich dann quasi zurücklehnt und den Leser wissen lässt, dass er von dem folgenden Kapitel kaum etwas versteht und deshalb alles, was dort steht, seinem Mitarbeiter oder Schüler XY zu verdanken ist. Das ist gekonnt und wissenschaftlich ehrlich! Persönlich am meisten beeinflusst worden bin ich zweifellos durch meinen ersten akademischen Lehrer, Lucien Goldmann, dessen Studien über Pascal und dessen "Recherches dialectiques" aus den 1960er Jahren. Aber das war vor meiner Zeit als Historiker, dort habe ich dann sehr viel gelernt von Wolfgang Mommsen, dem Lehrer und Freund. Dessen "Max Weber und die deutsche Politik" (1959) ist heute noch für mich die erstaunlichste Dissertation, die je geschrieben wurde. Aber der große Lehrmeister ist und bleibt für mich Clausewitz – I love him. Seine Beobachtungen der Friktionen im Krieg, seine Ideen zum Hin und Her zwischen Politik und Militär, seine Formulierung, dass es im Kriege darauf ankomme, "dem anderen das Gesetz zu geben", ja das wird mich mein Leben lang weiter beschäftigen.

 

Welches Buch müsste längst einmal geschrieben werden?

Da fällt mir ein Thema ein, das ich wohl nicht mehr selber werde bearbeiten können, weshalb es hier veröffentlicht sei: Eine Geschichte, wieso eigentlich die Deutschen vor dem Ersten Weltkrieg und tatsächlich während des ganzen Krieges geglaubt haben, sie würden sich nur verteidigen. Stig Förster würde sagen: "Das wär ‘ne Wucht".

 

http://www.phil-fak.uni-duesseldorf.de/geschichte/lehrstuehle/ii-neuere-...

Regionen: