Vom 25. bis 27. September 2024 fand an der Paris Lodron Universität Salzburg die internationale Konferenz „Churches and Religion in the Cold War“ statt. Organisiert wurde die Veranstaltung vom Fachbereich Bibelwissenschaft und Kirchengeschichte der Universität Salzburg und vom „Religion and Cold War Network“ (ReCoNet). Die Leitung lag bei zwei ReCoNet-Mitgliedern: ROLAND CERNY-WERNER (Salzburg) und KATHARINA KUNTER (Helsinki). Als Sponsoren fungierten Stadt und Land Salzburg, die Erzdiözese Salzburg und die Organisation „Pro Oriente“. Diese Organisation ist als Fördergeber besonders hervorzustreichen, weil „Pro Oriente“ bereits während des Kalten Krieges Vermittlungsarbeit über den Eisernen Vorhang hinweg leistete.
Die internationale Tagung war bereits die vierte ihrer Art, die von ReCoNet ausgerichtet wurde. Diesmal war das erklärte Ziel der Konferenz, den Horizont weiter zu öffnen und nicht nur ökumenische, sondern speziell auch interreligiöse Perspektiven miteinfließen zu lassen. Außerdem sollte zusätzlich eine geografische Erweiterung stattfinden, die über den europäischen Diskursraum hinausgehen sollte. Die Bedeutung der Tagung, so CERNY-WERNER, läge speziell darin, dass ein Augenmerk auf den Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und den religiösen Netzwerken liege, die innerhalb des Kalten Krieges eine wichtige Rolle zur Friedensförderung gespielt haben. Häufig würden diese innerhalb des wissenschaftlichen Diskurses nicht oder zu wenig beachtet, weshalb eine Tagung mit Experten und Expertinnen zu genau diesem Thema eine Bereicherung des Diskurses darstellen kann.
Zum Tagungsauftakt wurden von DIETMER WINKLER (Salzburg), Dekan der theologischen Fakultät Salzburg und Sektionschef von Pro Oriente Salzburg, mithilfe eines narrativen Ansatzes die Vermittlungsleistungen zwischen Ost und West des Wiener Erzbischofs Kardinal Franz Königs (1905-2004) beleuchtet. Die anschließende Kick-off Lecture über ökumenische Beziehungen und die orthodoxe Kirche während des Kalten Krieges präsentierte GEORGIOS VLANTIS (München). Anhand einer Spurensuche wurden einschneidende Ereignisse während des Kalten Krieges dargestellt, wie beispielsweise die vier panorthodoxen Konferenzen der 1960er Jahre.
Der erste Block der Konferenz beschäftigte sich mit „Cold War Discourses”. THEA SUMALVICO (Halle a.d. Saale) ging der Frage nach der Rolle der evangelischen Kirche (AB) in Polen zu Beginn des Kalten Krieges nach. Diese sah es als ihre Pflicht an, Verantwortung für die polnische Nation zu übernehmen. Die beiden folgenden Vorträge konzentrierten sich auf den Helsinki-Prozess und seine Auswirkungen. KUNTER hinterfragte in der Forschung verbreitete Narrative im Hinblick auf den Helsinki-Prozess. Unter anderem ging es hierbei um die Darstellung Finnlands als neutrales Land an der Schnittstelle zwischen Ost und West. Tatsächlich war die politische Einstellung immer noch stark pro-sowjetisch geprägt. MARCO LAVOPA (Paris) beschäftigte sich mit der Konstruktion eines „Gemeinsamen Europäischen Zuhauses” und die bezüglichen Beiträge des Heiligen Stuhls und der katholischen Kirche Polens.
Im Block zum Thema des orthodoxen Christentums erweiterte KARINA KHASNULINA (Leipzig) die Perspektive der Konferenz durch einen Blick nach China. Schwerpunkt waren hierbei russische Emigranten und Emigrantinnen von China in der Anfangszeit des Kalten Krieges. NURI KORKMAZ (Bursa) behandelte die Entstehung der mazedonisch-orthodoxen Kirche. Abschließend präsentierte ALFONS BRÜNING (Nijmegen) die These, dass die starke Betonung von Moralität innerhalb der russisch-orthodoxen Kirche ihre Wurzeln in der Sowjetunion hat.
Im Fokus des dritten Blockes standen drei bekannte katholische Persönlichkeiten aus der Zeit des Kalten Krieges. Der Vortrag von KRISTIAN GEßNER (Marburg) beschäftigte sich mit Werenfried van Straaten (1913–2003) und seiner Organisation „Oostpriesterhulp“ („Ostpriesterhilfe“; heute: „Kirche in Not“). KARIM SCHELKENS (Tilburg) präsentierte einige Aspekte des Lebens von Johannes Willebrands (1909–2006). Dieser hat sich im Vatikan für eine aufgeschlossenere Haltung gegenüber den nicht-katholischen Kirchen eingesetzt und initiierte Aufrufe zur nuklearen Abrüstung. Im Vortrag von MAXIMILIAN AIGNER (Salzburg) wurde eine lokale Persönlichkeit in den Mittelpunkt gestellt: Valentin Pfeifenberger (1914–2004), der streitbare ehemalige Pfarrer von Thomatal im Lungau. Pfeifenberger diente als politisch interessierter Mensch als Brückenbauer zwischen seinen Gemeindemitgliedern und der Welt außerhalb von Salzburg.
Ein besonderes Augenmerk auf die Gender-Thematik wurde in dem Block „female actors” gelegt. STEPHANIE JUNGO (Fribourg) rückte die Tätigkeiten weiblicher christlicher Aktivistinnen in den Fokus. Vereint wurden diese Aktivistinnen durch ihre explizite Perspektive auf ihr Frausein als Christinnen. DARIA BOCHKOVA (Bielefeld) stellte sich der eindrücklichen Frage, weshalb Frauen aus der Sowjetunion – Dissidentinnen aus Leningrad – als „feminist exiles” auf dem Cover einer amerikanischen Zeitschrift abgebildet waren.
Im vorletzten thematischen Abschnitt ging es um „Christentum auf der anderen Seite des Eisernen Vorhanges”, wobei ein inhaltliches Augenmerk aber eher auf der Zusammenarbeit des Christentums „über den Eisernen Vorhang hinweg“ lag. Diese Zusammenarbeit erfolgte, wie SEBASTIAN HOLZBRECHER (Hamburg) aufzeigen konnte, zu einem großen Teil über Hilfswerke, wie etwa dem „Europäischen Hilfswerk“ (EHC). Anschließend wurde der Blickwinkel der Tagung bis nach Südafrika erweitert. ANJA SCHADE (Hildesheim) befasste sich mit der Hilfe der evangelischen Kirche in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) für die Befreiungsbewegung in Südafrika und deren Auswirkung auf Mitglieder im Exil des Afrikanischen Nationalkongresses (ANC). Eine weitere interessante Person katholischer Obödienz wurde den Zuhörern und Zuhörerinnen von JULIAN SANDHAGEN (Rome) mit Joseph P. Hurley (1894–1967) nähergebracht. Seine Einstellung war stark anti-kommunistisch und anti-faschistisch geprägt und er bemühte sich darum, Nachrichten für alle und nicht nur für Katholiken und Katholikinnen in den zeitgenössischen Diskurs einzuspeisen.
Die Thematik des religiösen Widerstandes und die Kraft religiöser Taktiken wurde von SOURAJIT GHOSH(Nālandā) und MARION DOTTER (München) dargestellt. Zuerst thematisierte GHOSH den buddhistischen Orden „Tangyo Rahai“. Seine Gründung fand im Jahr 1917 in Japan statt und er zeichnete sich durch friedlichen Aktivismus für nukleare Abrüstung aus. Anschließend ging es um österreichische pastorale und symbolische Unterstützungen während des Kalten Krieges. Diese drückte eine anti-kommunistische Strategie aus und trieb so den Widerstand gegen den Kommunismus mit Hilfe des christlichen Glaubens voran.
Die Konferenz profitierte in einem großen Maße von der Multiperspektivität der Vorträge. Besonders hervorzuheben ist die Horizonterweiterung, die zum Forschungsthema gelungen ist. „ReCoNet“ wollte bewusst den globalen Aspekt des Kalten Krieges mit ins Zentrum des Diskurses rücken, wozu die Konferenz einen Beitrag leistete. Neben den globalen Sichtweisen waren auch dezidiert ökumenische und darüber hinaus interreligiöse Perspektiven erwünscht. Innerhalb der Diskussionen wurde die Multiperspektivität in der Praxis beobachtbar. So konnten auch neue Blickwinkel auf manche Themengebiete beobachtet und teils ein (unbewusster) Eurozentrismus aufgebrochen werden.
Die Öffnung aller Archivalien aus dem Pontifikat Pius XII. (1876–1958) im Jahr 2020 ermöglichte tiefere Einblicke in die internen Sicht- und Vorgehensweisen des Vatikans während des Kalten Krieges. Beispielhaft wurde dies während der Tagung am Falle des Nuntius Hurley beobachtet. Eine vollständige Sichtung der Materialien ist noch nicht abgeschlossen und so können wohl auch in Zukunft noch interessante Erkenntnisse auf die Forschung zukommen.
Höchst interessant erschien der narrative Ansatz, der immer wieder bei den Vorträgen zur Anwendung kam. Anhand der Betrachtung einzelner Persönlichkeiten und deren Leben konnte der Einfluss des omnipräsenten Kalten Krieges veranschaulicht werden. Somit wurde auch die Globalität der Auswirkungen des Ost-West-Konfliktes nochmals deutlich.
Angesichts des Konferenzthemas war es nicht überraschend, dass innerhalb der Diskussionen wiederholt der aktuelle Konflikt zwischen Russland und der Ukraine thematisiert wurde, bei dem sich historische Verbindungen zur Zeit des Kalten Krieges erkennen ließen.
Tagungsprogramm
ROLAND CERNY-WERNER (Salzburg): Grußworte
DIETMAR W. WINKLER (Salzburg): Kardinal König und der Kalte Krieg
GEORGIOS VLANTIS (München): Orthodoxe Kirchen und Ökumene im Kalten Krieg. Eine Spurensuche
Sektion 1: Cold War Discourses
THE SUMALVICO (Halle a. Saale): Real Poles and better Democrats? The Evangelical Church of the Augsburg Confession in Poland in the first Years of the Cold War
MARCO LAVOPA (Paris): From the Religious Spirit of Helsinki. The Holy See and the Polish Catholic Church in the Construction of the „Common European Home“ (1950–1977)
KATHARINA KUNTER (Helsinki): The Helsinki Process — An Event that made History — and Helsinki, 50 Years later
Sektion 2: Orthodox Christianities
KARINA KHASNULINA (Leipzig): The Russian Orthodox Split and Transnational Mobility of the Émigré Communities in China during the Early Cold War Period
NURI KORKMAZ (Bursa): Creation of the Macedonian Orthodox Church and strengthening the Macedonian National Identity by Yugoslavia Times
ALFONS BRÜNING (Nijmegen): The Soviet Roots of Russian Orthodox Post-Soviet Moral Discourses
Sektion 3: Catholic Actors
KRISTIAN GEßNER (Marburg): Werenfied van Straaten — God’s last General of the Cold War?
KARIM SCHELKENS (Tilburg): John Willebrands, a „Cardinal“ Figure in the Tensions between Rome, Moscow and Kyiv during the Cold War Era
MAXIMILIAN AIGNER (Salzburg): Valentin Pfeifenberger — Dispector Procul — Observer from a local Distance
Sektion 4: Female Actors
STEPHANIE JUNGO (Fribourg): Christian female Activists in the Context of the Women’s Movement and the Cold War
NADEZHDA BELLAKOVA (Bielefeld): Religious Women from the Eastern Bloc as Actors of Communication during the Cold War: A Multidenominational Dimension (Entfallen)
DARIA BOCHKOVA (Bielefeld): Christian Women’s Dissidence in Leningrad: Soviet Resistance during the Cold War
Sektion 5: Christianity on Other Side of the Iron Curtain
SEBASTIAN HOLZBRECHNER (Hamburg): The European Aid Fund. Church Networks during the Cold War (1970-1994)
ANJA SCHADE (Hildesheim): Insight into the Support of the South African Liberation Struggle by the Protestant Church in the GDR and its Significance for ANC Exiles (wurde wegen Abwesenheit verlesen)
JULIAN SANDHAGEN (Rom): From Victims to Martyrs. Pope Pius XII, Bishop Joseph P. Hurley and the Struggle for Catholicism in Socialist Yugoslavia
Sektion 6: Religion Resistance from Inside and the Strength of the Religious Tools
SOURAJIT GHOSH (Nālandā): Lotus in Sea of Fire: Nipponzan Myōhōji Pacifism in the Nuclear Age and Nuclear Disarmament Advocacy Based Peace Movements in Cold War Period
MARION DOTTER (München): With Faith against Communism: Austrian Pastoral and Symbolic Support for the Catholic Church in the Cold War (1945-1968)
ERIK SIDENVALL (Lund): Public Praying in the Cold War (Entfallen)