Vorstellung einer Vergleichsstudie
Pattrick Piel
Projektskizze
Veröffentlicht am: 
22. Mai 2023
DOI: 
https://doi.org/10.15500/akm.22.05.2023

Zum Gegenstand

In der eurasischen Geschichte des Krieges bekleideten steppenpastorale Gruppen lange die Rolle des militärisch überlegenen Feindes in der Peripherie großer sesshafter Reiche, weswegen den Reitervölkern schon früh das Interesse sesshafter Autoren zuteilwurde. Der Abglanz der vermeintlichen Andersartigkeit der nomadischen Völker fand in der Folge ebenso Eingang in die Werke der zeitgenössischen Geschichtsschreiber.

Heute sind chinesische und lateinische Berichte aus der Ferne wesentlich zahlreicher als schriftliche Selbstzeugnisse der Steppenbewohner und damit oft die einzigen Quellen über dieselben. Das Projekt stellt sich dieser Grundproblematik direkt und rückt die Formierung von Diskursen über die steppenpastorale Andersartigkeit in beiden Schrifttraditionen ins Zentrum der komparatistisch ausgerichteten Studie. Methodisch sollen dafür im Fernvergleich die, voneinander unabhängigen, chinesischen und lateinischen Quellen und ihre Diskussion der Wirtschaftsweise, Mobilität, Gesellschaft und Kriegsführung der Steppenvölker in Beziehung zueinander gesetzt werden. Das Ziel ist es, die Charakteristika der ethnographischen Darstellungen des nomadischen Anderen in beiden Schriftkulturen auf Besonderheiten und Gemeinsamkeiten hin zu untersuchen. Angeleitet ist das Projekt besonders von der Frage, ob eine klare nomadisch-sesshaften Dichotomie historisch belegbar ist.

Forschungsstand

In den Mittelalterstudien hat es in den letzten Jahrzehnten ein großes Interesse an christlichen Reisenden gen Osten und der Erfahrung mit dem Fremden, in Form der Berichte über muslimisch beherrschte Länder und den Gesandtschaftsberichten zu den Mongolen, gegeben. Die lateinische Historiographie wurde von Johannes Gießauf bezüglich der Darstellung des Nomaden hin untersucht, wobei die Monografie mit den ersten Berichten über die Mongolen endet.1

Der Vergleich zwischen chinesischen und lateinischen Gesandtschaftsberichten oder gar eine systematische Studie der Historiographie ist bisher, von einer von Randolph Ford verfassten Untersuchung abgesehen, ausgeblieben.2 Überhaupt erscheint die komparatistische Untersuchung chinesischer und lateinischer Quellen des Mittelalters, anders als im Falle der Gegenüberstellung von arabischen und lateinischen Zeugnissen oder im Falle des Vergleiches von antiken Imperien wie Qin/Han-China 秦漢 (221 v. Chr.–220 n. Chr.) und dem römischen Prinzipat (27 v. Chr.–284 n. Chr.) bisher kaum umgesetzt worden zu sein. Eine systematisch-vergleichende Untersuchung der Darstellung des pastoralen Nomadismus zwischen dem chinesischen Raum und der lateinisch-christlichen Welt wurde bisher nicht vorgenommen. Insofern soll dieses Vorhaben eine Lücke schließen und auch weitere Möglichkeiten ähnlicher Ansätze aufzeigen.

Ansatz und theoretische Grundlagen

Der transkulturell operierende komparative Zugang bietet den perspektivischen Rahmen für das Projekt. Damit knüpft die Studie an eine Reihe jüngerer vergleichender Arbeiten zur Geschichte des europäischen Mittelalters und der weiteren Welt an.3 Methodisch gilt es, die wichtigen Stationen des Nomadismus- und Alteritätsdiskurses zu identifizieren und dann philologisch die maßgeblichen Begriffe, Topoi und Formulierungen, die Nomaden beschreiben, zu erfassen und voneinander in der Entwicklung abzugrenzen.

Die Aufnahme in das Quellenkorpus folgt dabei der Signifikanz der historischen Zeugnisse für die Darstellung des nomadischen Lebens und die Konfrontation mit dem Nichtsesshaften in der chinesischen bzw. lateinisch-christlichen Geschichtsschreibung. Die Untersuchung der Historiographie wird durch direktere Kontakte zu Steppenvölkern und Cultural Brokern, wie Gesandtschaften, ergänzt werden. Es gilt dabei die Nuancen von Begrifflichkeiten für den nomadischen Anderen und die diskursive Entwicklung für beide Räume festzuhalten. Dies umfasst auch die kritische Einordnung des jeweiligen geisteshistorischen Kontextes der Zeitgenossen, die in Klöstern oder Akademien durch das Studium heute nicht mehr rekonstruierbarer Texte ausgebildet worden waren. Schließlich sollen durch den direkten Vergleich der beiden Quellenkorpora transkulturell nachweisbare Parallelitäten abgebildet werden.

Zur Quellenauswahl

Das Quellenkorpus ist im Wesentlichen eine selektive Auswahl chinesischer und lateinischer Geschichtswerke des 5.–13. Jahrhunderts, erweitert durch zentrale Aspekte der loci classici (spät-)antiker Beschäftigung mit den „Barbaren“ aus der Steppe. Das hauptsächliche Quellenstudium stützt sich auf mittelalterliche Quellen im lateinisch-christlichen Europa und China: Für das frühe Mittelalter sind hier neben einzelnen früheren Beispielen hauptsächlich die Diskussion der Ungarn des 10. Jahrhunderts in den historiographischen Werken Reginos von Prüm (gest. 915), Widukinds von Corvey (gest. ≈973) und Liudprands von Cremona (um 920–972?) zu nennen.4 Zwei der maßgeblichen früheren Hauptzeugnisse für den chinesischen Quellenbestand, das Songshu 宋書 (487) und das Jinshu 晉書 (648), die jeweils eigene Perspektiven auf die Konfrontation mit Steppenkriegern beschreiben, wurden zu unterschiedlichen Zeiten angefertigt: Die nach Abfassungsdatum ältere Dynastiegeschichte, das Songshu des Shen Yue 沈約 (441–513), ist der Herrschaft der Liusong (420–479) gewidmet und in der Zeit der Teilung des Kaiserreiches entstanden. Das Jinshu, in letzter Bearbeitung angeleitet durch Linghu Defen 令狐德棻 (583–666), ist in der Zeit der mächtigen Tang-Dynastie (617–907) auf Grundlage einer großen Zahl älterer Aufzeichnungen neuverfasst und den untergangenen Jin-Dynastie(n) (265–420) gewidmet worden.5

Das zweite Standbein des Projektes sind wesentlich spätere Texte, die direkt aus der Hand von Augenzeugen der mongolischen Expansion des 13. Jahrhunderts stammen und bereits im Kontext der mongolischen Expansion untersucht wurden, wie zum Beispiel Zhao Gongs 趙珙 Bericht Mengda Beilu 蒙韃備錄 (1221) oder Johannes de Plano Carpinis (gest. 1252) Reisebericht aus den 1240er Jahren, die nun aber miteinander in komparatistische Relation gesetzt werden und damit die Untersuchung komplettieren. 

Dieser Beitrag wurde redaktionell betreut durch Lisa-Marie Freitag.

 

Zitierempfehlung: Pattrick Piel, Chinesische und Europäische Nomadenkonzeptionen des Mittelalters. Vorstellung einer Vergleichsstudie, in: Portal Militärgeschichte, 22. Mai 2022, URL: https://portal-militaergeschichte.de/piel_nomadenkonzeptionen, DOI: https://doi.org/10.15500/akm.22.05.2022 (Bitte fügen Sie in Klammern das Datum des letzten Aufrufs dieser Seite hinzu).

  • 1. Johannes Gießauf, Barbaren – Monster – Gottesgeißeln. Steppennomaden im europäischen Spiegel der Spätantike und des Mittelalters, Graz 2006.
  • 2. Mit anderer Fragestellung, aber durchaus relevant: Randolph B. Ford, Rome, China, and the Barbarians. Ethnographic Traditions and the Transformation of Empires, Cambridge 2020.
  • 3. Beispielsweise: Jenny Rahel Oesterle-El Nabbout, Kalifat und Königtum. Herrschaftsrepräsentation der Fatimiden, Ottonen und frühen Salier an religiösen Hochfesten, Darmstadt 2009.
  • 4. Maßgebliche Diskussion: Maximilian Georg Kellner, Die Ungarneinfälle im Bild der Quellen bis 1150. Von der „Gens detestanda“ zur „Gens ad fidem Christi conversa“, München 1997.
  • 5. Dazu sei dieser Überblick empfohlen: http://www.chinaknowledge.de/Literature/Historiography/ershiwushi.html.
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