Tagung des Forschungsverbunds Militär, Krieg und Geschlecht/Diversität (MKGD)
Leonard Kleiber
Tagungsbericht
Veröffentlicht am: 
16. Juni 2025
DOI: 
https://doi.org/10.15500/akm.16.06.2025

Der Forschungsverbund Militär, Krieg und Geschlecht/Diversität (MKGD) veranstaltete vom 30. bis 31. Januar 2025 seine erste Konferenz, die von Tanja Bührer (SALZBURG), Isabelle Deflers (MÜNCHEN) und Karen Hagemann (CHAPEL HILL) organisiert wurde. Ziel des MKGD ist es, Geschlechteraspekte stärker mit der Militärgeschichte zu verweben. In der Begrüßung wurde diese Notwendigkeit am Beispiel der zunehmenden Forschung zu Kolonialkriegen deutlich. Die analytische Kategorie Geschlecht werde in diese neuen Studien nur unzureichend integriert, was beispielsweise Machtverhältnisse unterminiere. Diese Lücke bildete den Ausgangspunkt der Konferenz.

Chechesh Kudachinova (BERLIN) sprach über Männlichkeiten während der russischen Eroberung Sibiriens im 17. Jahrhundert. Russische Kosaken entwickelten ein Rangsystem, welches das Verhältnis von Tötungen und eigener Verwundung gewichtete. Diesen Vergleich von Männlichkeiten hätten die Kosaken auch auf ihre jakutischen Gegner angewandt, um ihre Resilienz und Tapferkeit zu betonen. Ein Forschungsprojekt zur kolonialen Gewalt in der französischen Karibik im 18. Jahrhundert stellten Marion Philip und Elodie Bascoul (GENF) vor. Anhand von Gerichtsakten, Korrespondenzen und Bildern soll eine Sozialgeschichte kolonialer Männlichkeiten in der französischen Karibik entstehen. Die Quellen sollen mit Texterkennung ausgestattet digital zugänglich gemacht werden. Carla Andreas Bauzá (BARCELONA) diskutierte die Rolle von Frauen mit afrikanischem Migrationshintergrund im Zehnjährigen Krieg in Kuba (1868-1878). Diese mussten oft als Haussklavinnen dienen, hätten also den Krieg und das Militär als Chance für die Freiheit begriffen, eine eigene Widerstandskultur geprägt und eine Schlüsselrolle für die Abschaffung der Sklaverei in Kuba entwickelt. Der Vortrag von Kirty Campbell (MÜNCHEN) thematisierte deutscher Frauen im Kontext von Gewaltkulturen in Deutsch-Südwestafrika. Diese seien Täterinnen und Opfer gewesen. Im Rahmen diskursiver Gewalt standen sie als „Kulturträgerinnen“ dem „primitiven Naturvolk“ gegenüber. In ihrer Rolle als Hausfrauen hätten sie Macht ausgeübt und die Trennlinien rassischer Hierarchien aufrechterhalten.

Swati Guha (KALKUTTA) fokussierte Gesetzesreformen in Britisch-Indien, die ab 1857 religiöse, frauenfeindliche Bräuche verboten, sowie die Rolle indischer Frauen hierbei. Diese hätten eine Doppelfunktion eingenommen. Einige Frauen waren Täterinnen, die mit dafür sorgten, dass ihre Geschlechtsgenossinnen unterer Kasten zu Opfern wurden.

Das dritte Panel eröffnete Marie Muschalek (BASEL) mit einem Beitrag zu Männlichkeiten und Gewaltformen in der berittenen Landespolizei in Deutsch-Südwestafrika. Die Polizisten hätten sich als Soldaten und berittene Bürokraten verstanden, die als moderne Staatsdiener fungierten. „Fürsorgliche“ Gewalt sollte die indigene Bevölkerung „erziehen“. Carl Deußen (AMSTERDAM) beleuchtete anhand der Forschung des Anthropologen Wilhelm Joest (1852–1897) sexuelle Gewalt in der Anthropologie des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Joest habe als „weißer Mann mit Bedürfnissen und Autorität“ eine Ethnopornografie erstellt und sexuelle Gewalt an Frauen ausgeübt. Auch Vergewaltigungen seien in die „Feldforschung“ integriert worden. Rachel McElroy White (GRONINGEN) behandelte militärische Männlichkeiten im Algerienkrieg anhand Fotografien eines französischen Soldaten. Die Bilder, größtenteils Landschaftsfotografien, sollten eine ablehnende Haltung zum Krieg suggerieren. Fotos mit Kriegsgefangenen belegen laut White die Rolle des Urhebers als Täter, Zeuge und Zuschauer alltäglicher Gewalt.

Natalya Benkhaled-Vince (OXFORD) hielt eine Keynote zum Algerienkrieg. Der antikoloniale Kampf sei auch ein feministischer Kampf gewesen, da sich die Unabhängigkeit mit feministischen Zielen gedeckt habe. Frauen seien Kombattanten gewesen und wurden als „kämpfende Schwestern“ propagandistisch instrumentalisiert. Sexuelle Gewalt an Frauen sei gesellschaftlich nie aufgearbeitet worden.

Michael Rösser (BAMBERG) besprach den Maji-Maji-Aufstand in Deutsch-Ostafrika. Auch Frauen hätten in den 1960er-Jahren über die Verbrechen der Schutztruppe und der Askaris berichtet. Ein Beispiel für Gendergewalt sie die Geiselhaft von Müttern und Kindern in KZ-ähnlichen Einrichtungen, die den Druck auf die Unabhängigkeitskämpfer erhöhen sollte. Maria Tumiotto (MANCHESTER) diskutierte Praktiken und Narrative bezüglich bengalischer Frauen in der indischen Unabhängigkeitsbewegung der 1930er-Jahre. Entgegen der bisherigen Darstellung hätten sich einige Frauen aktiv im „revolutionären Nationalismus“ engagiert und in ihrer Rolle als Attentäterinnen geschlechtliche Ordnungskategorien aufgehoben. Jonathan Verwey (LEIDEN) thematisierte den Umgang der niederländischen Militärführung mit intimen Beziehungen und sexueller Gewalt im indonesischen Unabhängigkeitskrieg. Während im Heer Regeln für eine Heirat galten, seien Marinesoldaten in der Partnerwahl frei gewesen. Sexuelle Gewalttäter seien prinzipiell nicht verfolgt worden. Nils Boender (EDINBURGH) fokussierte die Rückkehr antikolonialer Mau-Mau-Kämpfer Kenias in ihrem Unabhängigkeitskrieg gegen Großbritannien (1952-1960). Diesen wurde von ihren Frauen vorgeworfen, in ihrer Männlichkeit versagt zu haben, da Frauen deren Rollen im alltäglichen Leben übernehmen mussten und dafür nicht entschädigt wurden. Deutlich wurde die kulturelle Vielfältigkeit von Männlichkeiten. Sandra Lourenço (LISSABON) stellte mit der 1974 gegründeten Organização Popular da Mulher Timorense (OPMT) eine antikoloniale Frauenorganisation vor. In der patriarchalen Gesellschaft Osttimors habe die OPMT Frauen ins Zentrum des timoresischen Widerstandes gegen Indonesien gerückt. Diese führten einen militärischen und emanzipatorischen Kampf.

Das letzte Panel eröffnete Silvan Niedermeier (ERFURT). Er interpretierte das private Fotoalbum eines im Philippinisch-Amerikanischen Krieg (1899–1902) gefallenen US-amerikanischen Soldaten. Das Album sei eine Mischung aus Romantik, Patriotismus sowie Gewalt und symbolisiere die „Patriotische Romantik“, in der die Frau den Soldaten des Vaterlandes unterstütze. Claudia Siebrecht (SUSSEX) sprach über den Fall „Maria III“ in Deutsch-Südwestafrika im Jahr 1906. Die Namibierin wurde Opfer einer Vergewaltigung, bekam aufgrund fehlender Beweise für Widerstand aber kein Recht. Der Fall, in dem die Frau „die Bedürfnisse des Mannes nicht erfüllen wollte“, illustriere alltägliche koloniale Gewalt und sei schwierig nachzuerzählen, ohne diese zu reproduzieren. Die literarische und filmische Rezeption von Gewalt an Frauen in Deutsch-Südwestafrika behandelte Carmen Letz (LIMOGES/WARSCHAU/BERLIN). Diese spielen eine wichtige Rolle, da sie durch die Forschung noch nicht tiefgehend analysiert wurden und daher historische Narrative schaffen würden.

Die Abschlussdiskussion leiteten Birthe Kundrus (HAMBURG) und Alaric Searle (POTSDAM). Sie betonten die Vielfältigkeit von Gewaltformen im Kontext Gender, die sich in privaten und militärischen Kontexten psychisch sowie physisch äußern würden und schwierig zu differenzieren seien.

Die Quellenlage verdeutlichte, dass insbesondere weibliche Stimmen oftmals verloren gingen. Deutlich wurde die Notwendigkeit komparativer Untersuchungen, für die allerdings mehr Monografien zum Thema notwendig seien. Stützen müsste sich diese auf mikrogeschichtliche Methoden, wie sie in der Konferenz vorgetragen wurden.

 

Tagungsprogramm

Begrüßung durch Karen Hagemann (CHAPEL HILL), Alearic Searle (POTSDAM) und Tanja Bührer (SALZBURG)

Panel I: Gender in Early Modern Colonialism, Moderation: Isabelle Deflers (MÜNCHEN)
Chechesh Kudachinova (BERLIN): The Construction of Colonial Masculinities and Agency in 17th Century Siberia
Marion Philip und Elodie Bascoul (GENF): Studying Masculinities, Violence and Colonial Rule in the 18th Century French Caribbean: Sources and Approaches

Panel II: 2: Women in the Imperial and (Anti)Colonial Project, Moderation: Tanja Bührer (SALZBURG)
Carla Andreas Bauzá (BARCELONA): Enslaved and Free Women of African Descent in the Ten Years’ War in Cuba (1868–1878)
Kristy Campbell (MÜNCHEN): More than just Kulturträgerin: The Role of German Women Settlers in the Colonial Violence in German Southwest Africa (1884–1915)
Swati Guha (KALKUTTA): Reformer or Perpetrator of Gender Crimes? British Colonial Rule in India and the Woman Question

Panel III: Men in the Imperial and (Anti)Colonial Project, Moderation: Christian Stachelbeck (POTSDAM)
Marie Muschalek (BASEL): Martial Violence, ‘Caring’ Violence: Colonial Masculinities in the Mounted Police of German Southwest Africa, 1905–1915
Carl Deußen (AMSTERDAM): Sexuality and Sexual Violence in Imperial Ethnographic Collecting: The Case of German Anthropologist Wilhelm Joest
Rachel McElroy White (GRONINGEN): Soldier-Photographers’ Images of Violence during the Algerian War through the Lens of Military Masculinities

Keynote, Moderation: Karen Hagemann (CHAPEL HILL)
Natalya Benkhaled-Vince (OXFORD): Gender in Anticolonial Conflicts: The Example of the Algerian War

Panel IV: Gender, Violence and Resistance against Colonial Rule I, Moderation: Frederike Hartung (POTSDAM)
Michael Rösser (BAMBERG): Gender, War and Violence – Revisiting the Maji Maji War in German East Africa 1905-1908
Maria Tumiotto (MANCHESTER): Bengali Women Activists In Revolutionary Nationalism (1930s): Practices and Narratives

Panel V: Gender, Violence and Resistance against Colonial Rule II
Jonathan Verwey (LEIDEN): The Dutch Military Leadership’s Approach to Intimate Encounters and Sexual Violence by Dutch Soldiers during the Indonesian War of Independence (1945-1949)
Niels Bonder (EDINBURGH): Insurgent Masculinities and the Return of Anti-Colonial Mau Mau Fighters in Kenya since 1956
Sandra Lourenço (LISSABON): Struggle, Resistance and Guerrilla: The case of East Timor under Indonesian Neo-colonial Rule in a Gender Perspective (1975–1999)

Panel VII: Recollecting and Presenting Colonial Rule and Anticolonial Resistance, Moderation: Anke Fischer-Kattner (München)
Silvan Niedermeier (ERFURT): Gender, Imperial Violence and Family Memory in Private Photo Albums of the Philippine-American War (1899–1902)
Claudia Siebrecht (SUSSEX): The Testimony of Maria III: Sexual Violence and the Archival Grain, German Southwest Africa, 1906
Carmen Lentz (LIMOGES/WARSCHAU/BERLIN): Women in German Southwest Africa: The Theme of Violence against Women in Historical Novels and Films

Abschlussdiskussion, Moderation: Karen Hagemann (CHAPEL HILL) Birthe Kundrus (HAMBURG) Alaric Searle (POTSDAM)

Treffen des Forschungsverbundes Militär, Krieg und Geschlecht/Diversität (MKGD)

 

 

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