Wie hat sich die deutschsprachige Militärgeschichtsschreibung in den vergangenen 25 Jahren entwickelt?
Wenn mit deutschsprachiger Militärgeschichtsschreibung nicht einfach die deutsche Militärgeschichtsschreibung gemein ist, lässt sich die Frage so nicht beantworten, denn es ist offensichtlich, dass es eine deutsche, österreichische und schweizerische deutschsprachige Militärgeschichtsschreibung gibt, die Berührungspunkte haben, aber sich grundsätzlich verschieden entwickelt haben.
Der Hauptunterschied der deutschen und schweizerischen Militärhistoriographie besteht darin, dass die Schweiz an den beiden Weltkriegen nicht teilgenommen hat und deshalb ein grundlegend anderes Verhältnis zum Phänomen Krieg hat. Ausgenommen davon ist der Lehrstuhl von Stig Förster in Bern, der jedoch als "deutsche Enklave" in der Schweiz zu betrachten ist. Die Schweizerische Militärgeschichtsschreibung befasst sich fast ausschließlich mit der schweizerischen Armee. Streitkräftebildung und Entwicklung von Kampfkonzepten stehen zentral im Vordergrund. Dies wird durch den Umstand gefördert, dass viele Autoren in der Milizarmee - meist als Offiziere - Dienst tun und deshalb auch aus persönlicher Betroffenheit an der Entwicklung der schweizerischen Streitkräfte interessiert sind. Die Bewältigung einer teilweise "absurden" (Förster) Haltung zum Krieg und teilweisen verbrecherisch-genozidalen Kriegführung stellt sich für die schweizerischen Militärgeschichtsschreibung nicht direkt.
Die schweizerische Militärgeschichtsschreibung ist jedoch in den letzten 25 Jahren keineswegs von geschichtspolitischen Instrumentalisierungen verschont geblieben. Die Bewegung, welche die schweizerische Milizarmee bereits zweimal durch Volksabstimmungen abschaffen wollte, versucht historiographisch unablässig, die Existenz der Schweizer Armee als wirkungslos (insbesondere während dem Zweiten Weltkrieg) und für die schweizerische Gesellschaft als schädlich darzustellen. Dagegen wird ebenso mit geschichtspolitisch ausgerichteten Beiträgen reagiert.
Vor diesem Hintergrund ist der schweizerische Beitrag zur deutschsprachigen Militärgeschichtsschreibung in den letzten 25 Jahren von beachtlicher Intensität. So sind zahlreiche Monographien erschienen und eine auf 13 Bände angewachsene Geschichte des schweizerischen Generalstabs, im Grunde genommen eine Geschichte der Schweizer Armee seit dem frühen 19. Jahrhundert. In den letzten Jahren hat auch die Forschung zu den Schweizer Söldnerregimentern in Fremden Dienst eine bemerkenswerte Renaissance erfahren. Dabei sind Einwirkungen der Gesellschaftsgeschichte, der Geschlechtergeschichte und nun auch der Kulturgeschichte zu verzeichnen. Siehe dazu meine historiographische Skizze in der Zeitschrift traverse Nr 1./2013.
Wo steht die deutschsprachige Militärgeschichtsschreibung heute im Vergleich zum Ausland?
Auch hier müsste wieder zwischen der deutschen, österreichischen und schweizerischen Militärgeschichtsschreibung im Verhältnis zum Ausland gesprochen werden.
Im Gegensatz zur britisch-amerikanischen Militärgeschichtsschreibung leidet die deutsch-deutschsprachige Militärgeschichtsschreibung an der Geschichte des deutschen Militärs: die angelsächsische Militärgeschichtsschreibung behandelt unbefangen ohne Schuld- und Rechtfertigungszwang militärische Themen und liefert in großer Zahl solide Untersuchungen. Die französische Militärgeschichtsschreibung scheint mir höchstens für die Frühneuzeit origineller zu sein.
Im Vergleich mit den übrigen Ländern, welche in der Internationalen Kommission für Militärgeschichte organisiert sind, liefern sowohl die deutsch-, österreichisch- und schweizerisch-deutschsprachige Militärgeschichte Kongressbeiträge ab, welche die universitäre Entwicklung der Geschichtswissenschaften nicht ganz ignorieren.
Welche aktuellen, inhaltlichen oder methodischen Entwicklungstendenzen halten Sie für bedeutend?
Das Potential des kulturgeschichtlichen Ansatzes scheint mir für die Militärgeschichte längstens nicht ausgeschöpft zu sein. Sämtliche turns der letzten 25 Jahre (linguistic, visual, spatial usw.) könnten einen kreativen Zugang zu alten und neuen Themen bieten. Insbesondere die Wissens- und Wissenschaftsformen des Militärs müssten in einer Epistemologie-Geschichte aufgearbeitet werden.
Was augenscheinlich fehlt, ist eine methodisch-theoretische Diskussion. Methodisch-theoretische Überlegungen werden oft durch Moral und dem Bemühen, auf der richtigen, d.h. militärkritischen Seite zu stehen, ersetzt.
Wie hat sich die institutionelle Verankerung der Teildisziplin an den Universitäten entwickelt?
Ich kann hier nur für die Schweiz sprechen. Eine explizite institutionelle Verankerung der Militärgeschichte gab es bisher nur an der Universität Zürich und an der ETH/Militärakademie im Rahmen der Berufsoffiziersausbildung. Die Inhaber des Lehrstuhles an der Militärakademie waren bisher immer auch an der Universität Zürich habilitiert und betreuten dort die Studierenden des Nebenfachs Militärgeschichte.
Während die Militärgeschichte an der Militärakademie/ETH nach meiner Emeritierung wieder besetzt wurde (Michael Olsansky), wurde an der Universität im die Reform der Reform des Bologna-Systems unter Aufbietung aller nur möglichen Vorurteile gegenüber dem Fach Militärgeschichte dazu benutzt, dieses abzuschaffen. Studierende sollen sogar dazu gezwungen werden, das Fach Militärgeschichte zugunsten eines andern historischen Faches aufzugeben.
Nicht abgeschafft, ist jedoch an der Universität Zürich das Doktoratstudium in Militärgeschichte, was in Zusammenarbeit mit andern Universitäten dem Fach eine Zukunftsperspektive gibt.
Sowohl in Zürich wie in Bern (Emeritierung Stig Förster 2016) wird in Zukunft die Lehre und Forschung der Militärgeschichte personenabhängig sein.
Welche Rolle haben Ihrer Meinung nach wissenschaftliche Zusammenschlüsse wie der Arbeitskreis Historische Friedensforschung, der Arbeitskreis Militärgeschichte oder der Arbeitskreis Militär und Gesellschaft in der frühen Neuzeit bei der Entwicklung der Teildisziplin gespielt?
Diese Arbeitskreise haben dem Revival der Militärgeschichte seit den1980er Jahren einen wertvollen Support gegeben und sind auch für die Zukunft wichtig.
In der Schweiz dürfte in Zukunft der "Vereinigung für Militärgeschichte" für die wissenschaftliche Forschung ein erhöhter Stellenwert zukommen. Dort haben im Vorstand in den letzten Jahren eine ganze Reihe von Doktoranden mit Abschluss nach der Jahrtausendwende aus der Zürcher und Berner Schule Einsitz genommen. Auf Ende dieses Jahres ist die Lancierung einer neuen Publikationsreihe vorgesehen, welche primär Schweizer Themen präsentieren wird.
Welche Rolle haben Ihrer Meinung nach Einrichtungen der außeruniversitären Forschung wie das Institut für Zeitgeschichte, das Hamburger Institut für Sozialforschung oder das Militärgeschichtliche Forschungsamt bei der Entwicklung der Teildisziplin gespielt?
Das MGFA hat auch für die schweizerische Militärgeschichte einen beachtlichen Stellenwert. Im Rahmen der Internationalen Kommission für Militärgeschichte (ICMH) besteht ein langjähriger guter und befruchtender Kontakt. Seit letztem Jahr besteht eine formelle Zusammenarbeit zwischen der Militärakademie/ETH und dem MGFA. Dieses Frühjahr hat ein erster Workshop in Zürich stattgefunden.
Ein weiterer Kontaktpunkt ist das Educational Committee der ICMH, das ich präsidiere und von Michael Epkenhans als Generalsekretär betreut wird.
Wie gestaltet sich das Verhältnis von akademischer Geschichtsschreibung und medialer Beschäftigung mit Themen der Militärgeschichte?
Im Rahmen der geschichtspolitischen Auseinandersetzungen um die Schweizer Armee werden die Vertreter der akademischen Geschichtsschreibung von den Medien gerne aufgeboten oder diese suchen selbst die Medien auf, um ihre Positionen zu vertreten. Nicht nur "2014" wird in der Schweiz zu einer starken Präsenz militärgeschichtlicher Themen in den Medien führen. 2015 werden die für die Schweiz entscheidenden Schlachten von Morgarten 1315 und Marignano 1515 sowie der Wiener Kongress 1815 (Neutralität) im Zentrum des Interesses stehen.
Welcher Autor bzw. welches wissenschaftliche Werk hat Sie persönlich nachhaltig beeinflusst?
Ich hatte das Glück, bereits Ende der 1970er Jahre in Bern Detlef Bald kennen zu lernen. Seine Studien zum deutschen Generalstabskorps haben mich nachhaltig beeinflusst.
Welches Buch müsste längst einmal geschrieben werden?
Eine Geschichte der Epistemologie des Militärs.