Eine biographische und organisationsgeschichtliche Studie zum Bundesministerium der Verteidigung
Lisa Marie Freitag
Projektskizze
Veröffentlicht am: 
27. Februar 2023
DOI: 
https://doi.org/10.15500/akm.27.02.2023

„Ich bin immer sehr gerne Verteidigungsminister gewesen, bis zum letzten Tag […].“1
„Ich wollte dieses Amt und kein anderes.“2

Diese Äußerungen Manfred Wörners verdeutlichten dessen emotionale Bindung an das Amt des Bundesministers der Verteidigung. Die Leidenschaft für alles Militärische sowie die enge Beziehung zur Truppe tauchten in Erzählungen über sein Leben immer wieder auf. Was auf den ersten Blick wie eine retroperspektivische Romantisierung seiner Rolle als Verteidigungsminister wirkte, schien bei Wörner bei genauerer Betrachtung der Realität zu entsprechen.3 Er war bei Amtsantritt der erste CDU-Politiker, der diesen Posten nicht aufgrund politischer Erwägungen anstrebte, sondern weil er ein ausgeprägtes Interesse für alle Belange der Bundeswehr hatte und sich durch seine eigene politisch-militärische Laufbahn mit der Truppe identifizieren konnte.4

Forschungsgegenstand

Als Wörner im Oktober 1982 den Posten des Bundesverteidigungsministers antrat, war dies für ihn somit der Beginn einer lang ersehnten Karriere. Als verteidigungs- und sicherheitspolitischer Experte der CDU, Starfighter-Pilot und Oberstleutnant der Reserve war er scheinbar auch für die Politik und für die Truppe der ideale Kandidat.5

Wörner bekleidete die Ministerposition in einer Phase des Kalten Krieges, in der sich die verteidigungs- und sicherheitspolitische Lage zu einer erneuten Krise verschärft hatte. Dies wurde vor allem an den Diskussionen um den NATO-Doppelbeschluss und die damit einhergehende Hochrüstungsphase deutlich. Als Verteidigungsminister war Wörner an der Realisierung dieses Beschlusses maßgebend beteiligt.6 Kurz nach seinem Amtsantritt als NATO-Generalsekretär in Brüssel zeichnete sich in ganz Europa ein erheblicher strategischer Wandel ab. In seine Amtsperiode fiel der Zusammenbruch des Ostblocks, der Zerfall der Sowjetunion und die damit einhergehende Umstrukturierung des Bündnisses.7 Somit nahm Wörner sowohl als Verteidigungsminister als auch ab 1988 in seiner Rolle als NATO-Generalsekretär einen erheblichen und folgenreichen Einfluss auf die nationale und internationale Politik seiner Zeit.8

Das BMVg hat innerhalb der Bundesministerien Deutschlands eine Sonderstellung inne. Neben den Aufgaben eines Ministers nimmt der Ressortleiter des BMVg zusätzlich die Befehls- und Kommandogewalt über die Streitkräfte im Frieden wahr. Damit ist er nicht nur Chef der Ministerialbeamten, sondern auch höchster militärischer Vorgesetzter aller Soldatinnen und Soldaten.9 Diese Konstellation hat in den vergangenen Jahrzehnten des Bestehens des BMVg und der Bundeswehr wiederholt zu Herausforderungen und Spannungen geführt, die die Rolle des Verteidigungsministers von der Position anderer Bundesminister unterschied. Dazu gehörte mitunter die Durchsetzung des Primats der Politik. Weitere Spannungen ergaben sich in den Konflikten zwischen zivilen Beamten und Militärs, sowie in den Streitigkeiten über die Rolle der Tradition innerhalb der Bundeswehr. Darüber hinaus befanden sich der Verteidigungsminister und sein Ressort unter ständiger Beobachtung einer Öffentlichkeit, die dem Militär zuweilen mit Skepsis und Ablehnung gegenüberstand.10

Die zuvor dargestellten Gegebenheiten und Problematiken lassen die grundlegende Frage aufkommen: Inwieweit prägte der Verteidigungsminister sein Ressort und die Bundeswehr? Daraus resultieren weitere offene Punkte, auf die die Forschung bislang keine hinreichenden Antworten gefunden hat: Welchen Einfluss übte der Minister auf die Struktur des BMVg und der Bundeswehr aus? Wie konnte er das Ministerium im Kabinett, in der eigenen Fraktion und schließlich auch im internationalen Raum vertreten? Wie sah das Kriegsbild des Ministers aus und inwieweit konnte er Einfluss auf die Militärpolitik nehmen? Welche Medien- und Personalpolitik verfolgte der Verteidigungsminister? Und nicht zuletzt: In welchem gesellschaftlich-sozialen Rahmen agierte er?

Um die Kernfrage des Einflusses des Ministers zu beantworten und die hier vorhandenen Forschungslücken zu schließen, wird in der geplanten Dissertation der klassische Ansatz einer Biographie mit einer Struktur- und Organisationsgeschichte des BMVg verbunden. Um diesen Einfluss anhand der vorliegenden Quellen auszumessen, wird zwischen Sachzwängen und Entscheidungswillen unterschieden – sprich: Wurden im Verteidigungsministerium Entscheidungen getroffen, weil Notwendigkeiten diese vorschrieben oder weil Wörner dieses Anliegen aus eigenem Willen durchsetzen wollte?

Biographie und personenbezogener Ansatz

Die Dissertation orientierte sich hier unter anderem an Ansätzen von Historikern wie Ulrich Herbert, der in seiner biographischen Studie über den NS-Funktionär Werner Best die personelle Darstellung dazu nutzt, um anhand eines Fallbeispiels Strukturen von Organisationen nachvollziehbarer zu machen.11

Der personenbezogene Ansatz geht davon aus, dass bestehende politische Strukturen, in denen Entscheidungen getroffen werden, nur in gewissem Maße eine Rolle spielen und es letztlich Personen und Individuen sind, die innerhalb vorhandener Rahmenbedingungen Entscheidungen treffen. Dabei stellen die Umwelt beziehungsweise die vorhandenen Strukturen die Optionen zur Verfügung, aus denen ein politischer Entscheidungsträger wählen kann. Diese Entscheidungsmöglichkeiten sind jedoch an gewisse Voraussetzungen gekoppelt. So kann ein Entscheidungsträger nur dort mehr Einfluss entwickeln, wo sein Umfeld es ihm erlaubt. Darüber hinaus spielt die Position der Person innerhalb des politischen Systems eine wichtige Rolle. Schließlich hängen die Entscheidungsmöglichkeiten auch von der individuellen Geschicklichkeit des politischen Akteurs am Verhandlungstisch ab. Das wiederrum lässt die Frage zu, inwieweit Entscheidungsträger in einem System austauschbar sind.12

Organisationsforschung und -geschichte des BMVg

Im Bereich der Organisationsforschung bezieht sich das Promotionsprojekt vorwiegend auf die Forschung des Soziologen Stefan Kühl. Dieser zählt zu den führenden Wissenschaftlern auf dem Gebiet und hat hier zahlreiche Publikationen veröffentlicht.13 Sein Ansatz der systemtheoretischen qualitativen Erforschung von Organisationen eignet sich durch die nachstehenden Merkmale und Strukturen in besonderem Maße zur Erforschung von Entscheidungsprozessen in staatlichen Institutionen, wie dem BMVg. In der Wissenschaft wird eine Organisation als „eine besondere Form von sozialem Gebilde […]“ bezeichnet, „die sich von anderen sozialen Gebilden wie Familien, Gruppen, Netzwerken, Protestbewegungen oder auch dem Nationalstaat unterscheiden lässt.“14 Anhand von drei Merkmalen (Mitgliedschaft, Zwecke, Hierarchien) lassen sich diese Organisationen von den allgemeineren Erscheinungsformen unterscheiden.15 Neben diesen Merkmalen von Organisationen gibt es verschiedene strukturelle Aspekte (Programme, Kommunikationswege, Personal), die benötigt werden, um die Organisation zu verstehen und zu analysieren.16 Diese Faktoren werden im Rahmen der Dissertation genutzt, um Organisationsstrukturen innerhalb des BMVg sichtbar und nachvollziehbar zu machen.

Forschungsstand

Eine Analyse des zivilen Leitungs- und Verwaltungsapparates des Verteidigungsministeriums kann bis heute weitgehend als Forschungsdesiderat bezeichnet werden.17 Zwar liegen zu einigen Bundesverteidigungsministern Studien vor, deren Karrieren in diesem Amt sind jedoch vorwiegend in gesamtbiographischen Darstellungen eingebettet oder fokussieren lediglich einen spezifischen Teilaspekt beziehungsweise die jeweiligen Errungenschaften und Erfolge der Minister.18

Am Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw) in Potsdam hat sich eine Historikergruppe der Forschungslücke zum BMVg nun angenommen. Hier werden in den kommenden Jahren verschiedene Studien ausgearbeitet, die sich einerseits mit der nationalsozialistischen Vergangenheit des Ministeriums auseinandersetzen, andererseits aber auch die Zeit des Kalten Krieges bis 1990 miteinbeziehen.19 Die angestrebte Dissertation ist als assoziiertes Projekt Teil des Projektverbundes Staatsgewalt und Streitkräfte.

Die hier vorgestellte Dissertation entsteht aktuell an der Professur für Militärgeschichte/Kulturgeschichte der Gewalt der Universität Potsdam unter Betreuung von Prof. Dr. Sönke Neitzel. Gefördert wird das Projekt dabei durch die Promotionsförderung der Konrad-Adenauer-Stiftung e.V.

Dieser Beitrag wurde redaktionell betreut durch Christian Th. Müller.


Zitierempfehlung: Lisa Marie Freitag, Manfred Wörner als Bundesminister der Verteidigung (1982–1988). Eine biographische und organisationsgeschichtliche Studie zum Bundesministerium der Verteidigung, in: Portal Militärgeschichte, 27. Februar 2023, URL: https://portal-militaergeschichte.de/freitag_woerner, DOI: https://doi.org/10.15500/akm.27.02.2023 (Bitte fügen Sie in Klammern das Datum des letzten Aufrufs dieser Seite hinzu).

  • 1. Aussage Manfred Wörners im Gespräch mit Emil Obermann am 24.06.1988 (DRA, Bestand: SWR-STG).
  • 2. Aussage Manfred Wörners am 28.02.1985. Sendung: Unser Mann in Bonn (DRA, Bestand: SWR-STG).
  • 3. In Gesprächen mit Zeitzeugen sowie in medialen Darstellungen wurde immer wieder auf diese Besonderheiten Manfred Wörners hingewiesen.
  • 4. Christoph Bertram, Manfred Wörner. Vom Politiker zum Staatsmann, in: NATO-Brief 42 (1994), S. 31–35, hier S. 31; Karl Feldmeyer, Auf dem Feuerstuhl – die Bundesminister der Verteidigung, in: Klaus-Jürgen Bremm (Hrsg.), Entschieden für Frieden. 50 Jahre Bundeswehr 1955–2005, Freiburg i. Br. 2005, S. 355–364, hier S. 360.
  • 5. Vgl. Detlef Bald, Die Bundeswehr. Eine kritische Geschichte 1955–2005, München 2005, S. 110.
  • 6. Vgl. Peter Crämer, Manfred Wörner. URL: https://www.kas.de/de/web/geschichte-der-cdu/personen/biogramm-detail/-/content/manfred-woerner-v1 (letzter Zugriff am 15.09.2020).
  • 7. Horst Ferdinand, Wörner, Manfred Hermann, in: Udo Kempf/Hans-Georg Merz (Hrsg), Kanzler und Minister 1947–1988. Biographisches Lexikon der deutschen Bundesregierungen, Wiesbaden 2001, S. 762–766, hier S. 765.
  • 8. Vgl. Crämer, Wörner; Ferdinand, Wörner, S. 762f.; Ryan C. Hendrickson, Diplomacy and War at NATO. The Secretary General and Military Action after the Cold War, Missouri 2006, S. 1, 46.
  • 9. Vgl. Siegfried Mann, Das Bundesministerium der Verteidigung (Ämter und Organisationen der Bundesrepublik Deutschland 28), Bonn 1971, S. 90.
  • 10. Feldmeyer, Auf dem Feuerstuhl, S. 355; Martin Kutz, Deutsche Soldaten. Eine Kultur- und Mentalitätsgeschichte, Darmstadt 2006, S. 220; Manfred Wörner, Frieden in Freiheit. Beiträge zur Sicherheits- und Verteidigungspolitik, Strategie, Bundeswehr und zum Dienst des Soldaten, hrsg. von Jürgen Bringmann, Koblenz 1987, S. 126f.
  • 11. Ulrich Herbert, Best. Biographische Studien über Radikalismus, Weltanschauung und Vernunft 1903–1989, Bonn 1996.
  • 12. Vgl. Xuewu Gu/Hendrik W. Ohnesorge (Hrsg.), Politische Persönlichkeiten und ihre weltpolitische Gestaltung. Analysen in Vergangenheit und Gegenwart, Wiesbaden 2017, S. 7–9. Das Konzept des personenbezogenen Ansatzes stammt ursprünglich aus der Politikwissenschaft und wurde vor allem von Hendrik W. Ohnesorge und Xuewu Gu entwickelt, die hierzu bereits diverse Publikationen veröffentlichten. Vgl. u.a.: Xuewu Gu/Hendrik W. Ohnesorge (Hrsg.), Der Faktor Persönlichkeit in der internationalen Politik, Wiesbaden 2021; Dies. (Hrsg.), Weltpolitische Gestaltung in Zeiten von COVID-19. Zur Rolle von Persönlichkeit und politischer Führung in der Coronakrise, Wiesbaden 2022.
  • 13. Vgl. u.a. Stefan Kühl, Ganz normale Organisationen. Zur Soziologie des Holocaust, Berlin 2014; Ders., Leitbilder erarbeiten. Eine kurze organisationstheoretische Handreichung, Wiesbaden 2017; Ders./Petra Strodtholz (Hrsg.), Methoden der Organisationsforschung. Ein Handbuch, Reinbek 2002; Stefan Kühl, Sisyphos im Management. Die vergebliche Suche nach der optimalen Organisationsstruktur, Weinheim 2000; Ders., Wenn Affen den Zoo regieren, Die Tücken der flachen Hierarchien, Frankfurt a. M. 1998.
  • 14. Stefan Kühl, Organisationen. Eine sehr kurze Einführung, Wiesbaden, 22020, S. 5.
  • 15. Vgl. ebd., S. 9–11.
  • 16. Stefan Kühl/Judith Muster, Organisationen gestalten. Eine kurze organisationstheoretisch informierte Handreichung, Wiesbaden 2016, S. 13–16.
  • 17. Christian Mentel/Niels Weise, Die zentralen deutschen Behörden und der Nationalsozialismus. Stand und Perspektiven der Forschung, Potsdam/München 2016, S. 42–44.
  • 18. Vgl. u.a. Detlef Bald, Politik der Verantwortung. Das Beispiel Helmut Schmidt. Der Primat des Politischen über das Militärische 1965–1975, Berlin 2008; Claus Jander, Der Einfluss des Bundesministers der Verteidigung Georg Leber auf das innere Gefüge der Bundeswehr, Berlin, 22006; Militärgeschichtliches Forschungsamt (Hrsg.), Volker Rühe – in der Mitte Europas, Potsdam 2012; Horst Möller, Franz Josef Strauß. Herrscher und Rebell, Berlin/München 2015; Mark Speich, Kai-Uwe von Hassel. Eine politische Biographie, Bonn 2001.
  • 19. Laufende Projekte: Peter Lieb, Die Generalität des Heeres bis um 1970; Christoph Nübel, Der demokratische Staat und sein Militär. Organisation und Politikfelder des Bundesministeriums der Verteidigung, 1955–1990. Die Autorin steht während Ihrer Promotionszeit in regem Austausch mit den Historikern am ZMSBw.
Epochen: