Alexander Reineke
Projektskizze
Veröffentlicht am: 
31. Oktober 2022

Dieses Dissertationsvorhaben untersucht die Kultur, Mentalität, Ideologie und Diskussionen innerhalb der U.S. Army in Friedenszeiten mit einem Fokus auf das Offizierskorps und die Vor- und Nachbereitung von militärischen Konflikten. Im Mittelpunkt steht dabei die Zeit zwischen dem Ende des Spanisch-Amerikanischen Krieges und dem Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg im Jahr 1941. Die Dissertation beschäftigt sich damit mit einem noch kaum erforschten Thema: dem U.S.-Militär in Friedenszeiten. Auch wenn man das Militär eigentlich mit der militärischen Auseinandersetzung assoziiert, so verbringt das stehende Heer den Großteil seiner Existenz im Frieden, in dem andere Prioritäten als im Krieg eine Rolle spielen. Zwar befasst sich ein Heer in Friedenszeiten vor allem mit der Instandhaltung und Weiterentwicklung des Militärwesens, doch ist es dabei institutionellen, intellektuellen und kulturellen Kräften unterworfen, die diese Entwicklungen beeinflussen. Die U.S. Army selbst sah sich im 20. Jahrhundert nicht auf die beiden Weltkriege vorbereitet trotz existierender Strukturen wie einem Generalstab, Fachzeitschriften oder Kriegsschulen, die dies ermöglicht hätten. Eine kontemporäre, tiefgründige Erklärung und Analyse dieser Versäumnisse fehlen allerdings in der historischen Forschung. Die Dissertation setzt an dieser Stelle an und versucht dieses „Warum“ zu beantworten.

Untersuchungsgegenstand

Das Personal der U.S. Army war – und bleibt – räumlich voneinander isoliert und auf zahlreiche Basen verteilt. Mit der Erfindung des Internets wurden diese Barrieren aufgebrochen, doch für den Großteil ihrer Existenz kommunizierte das Offizierskorps über Wochenblätter und Journale wie die Army and Navy Gazette, das Infantry Journal, das Cavalry Journal oder das Artillery Journal. Es sind diese Fachzeitschriften, die das Gros der Quellen für diese Dissertation liefern. Und obwohl sich die meisten Ausgaben auf die Einzelheiten des militärischen Lebens und die technischen Details des Dienstes, den Gedankenaustausch über neue Innovationen, Taktiken, Technologien usw. konzentrierten, gab es auch Einblicke in die Denkweise des Offizierskorps, nicht nur in Bezug auf die wiederkehrenden Themen, sondern auch in Bezug auf die Elemente des militärischen Lebens im In- und Ausland, die sie hervorhoben. Während Tagebücher und Briefe wichtige Einblicke in die Denkweise des Einzelnen, seine Gefühle, Zweifel, Hoffnungen, Wünsche und Dinge, die aus verschiedenen Gründen besser ungesagt bleiben sollten, geben, zeigen uns diese Aufsatzsammlungen etwas ebenso Wichtiges: was zu Protokoll gegeben wurde und was zu einem bestimmten Zeitpunkt Konsens war, nicht nur, wie das Offizierskorps der Army den Krieg im 20. Jahrhundert interpretierte und führen wollte, sondern auch, wie es sich selbst und seinen Platz in der Gesellschaft sah.

In Friedenszeiten und außerhalb von brieflicher Kommunikation zwischen bereits befreundeten oder bekannten Offizieren waren die Journale die einzige Möglichkeit, wie sich das Offizierskorps austauschen konnte. Vom Leutnant bis zum General der Armee wurden hier Aufsätze publiziert, diskutiert oder kritisiert. Die Redaktion setzte sich aus hochrangigen Offizieren der jeweiligen Waffengattungen zusammen, die in ihren Leitartikeln auch zu wehrpolitischen und parlamentarischen Debatten Stellung nahmen oder versuchten diese zu beeinflussen. Die Journale repräsentierten zu dieser Zeit die nach außen gerichteten Ideen der U.S. Army und waren zugleich ihre Fachzeitschriften.

Auf günstigem Papier im Heftformat gedruckt, handelte es sich bei den Journalen um Gebrauchsgegenstände; leicht zerstörbar, selten aufgehoben, selten archiviert. Erst dank der Digitalisierungsinitiativen der letzten zwanzig Jahre ist es nun möglich von überall auf der Welt auf die gesamte Sammlung zuzugreifen, was diese Studie erst ermöglicht.

Fragestellung

In der bisherigen Forschung zur U.S. Army stand die Friedenszeit selten im Mittelpunkt. Zentrale Werke über die Army befassen sich zumeist mit der Entwicklung von Strategien, Taktiken, neuen Waffensystemen, Kampagnen oder den Biographien wichtiger Persönlichkeiten, aber weder damit wie diese Ideen konzeptualisiert wurden noch mit den Diskussionen zwischen den Offizieren, die zu diesen Konzepten führten. Es bleibt zu untersuchen, warum diese Ideen so umgesetzt wurden, wie sie letztendlich eingeführt wurden. Es gibt keine eigenständige und tiefgründige Studie der institutionellen Strukturen innerhalb der Army, die gewisse Entwicklungen erlauben und andere erschweren. Teil dieser institutionellen Strukturen sind verschiedene identitätsbasierte, ausgrenzende Konflikte zwischen den Waffengattungen. Beispielsweise auf Basis von Mentalitäten, zivil-militärischer Spaltung, intellektueller Blasen, kultureller Entfremdung und Karrierismus, um nur einige Beispiele zu nennen.

Zudem wurden in der bisherigen Forschung häufig anachronistische Narrative verbreitet. So wurden angebliche militärische Innovationen aus Kriegszeiten auf die erfolgreichen Kommandeure zurückgeführt, woraufhin in Studien der Friedenszeit die Einflüsse dieser Personen hervorgehoben wurden, häufig zum Nachteil anderer Personen, die bei der Entwicklung dieser Ideen mitgeholfen hatten. Es lag somit häufig ein Fokus auf Revolution und militärischem Genie statt auf Evolution, Diskurs und Kollaboration. Ein wichtiger Teil dieser Dissertation ist es, diese Strukturen zu verdeutlichen.

Angesichts der bisherigen Forschung lautet die Arbeitshypothese, dass sich die U.S. Army in Friedenszeiten – anders als bisher angenommen – in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts sehr wohl auf dem neusten Stand der Militärtheorien befand und sowohl die Journale als auch der Generalstab sorgfältig europäische wie auch asiatische Streitkräfte beobachteten, militärische Konflikte analysierten als auch eigene Taktiken und Strategien entwickelten. Sie waren offen für neue technologische Errungenschaften wie das Flugzeug der Gebrüder Wright oder automatische Waffen und versuchten diese in existierende oder neue Strukturen zu integrieren. Dennoch existierten Reibungen und Konflikte zwischen den Waffengattungen und Abteilungen des Heeres, die neben den existierenden Rivalitäten mit der Marine häufig Diskussionen um die Weiterentwicklung von Ideen behinderten. So wurde beispielsweise die Eingliederung von Maschinengewehren durch einen Konflikt zwischen Infanterie und Artillerie erschwert, da die Artillerie ihre Rolle als schwere Unterstützungswaffe bedroht sah. Neben dem existierenden Konzept der interservice rivalry kann man an dieser Stelle von intraservice rivalry sprechen – Konflikten innerhalb der Army statt Konflikten zwischen Army und Navy. Generell kann kaum von einer Revolution militärischer Technologien gesprochen werden, eher von einer Evolution über die Jahrzehnte, die sich während laufender militärischer Auseinandersetzungen beschleunigte. Diese Konzepte wurden auch nicht von Einzelpersonen erfunden oder popularisiert, sondern höchstens synthetisiert anhand von häufig dekadenlangen Diskussionen, Analysen und Experimenten.

Das Forschungsprojekt wird durch Prof. Dr. em. Michael Wala vom Lehrstuhl für die Geschichte Nordamerikas an der Ruhr-Universität Bochum und PD Dr. Charlotte Lerg vom Amerika-Institut an der Ludwig-Maximilians-Universität München betreut.

Dieser Beitrag wurde redaktionell betreut durch Christian Th. Müller.


Zitierempfehlung: Alexander Reineke, Prussia Envy? The United States Army in Peacetime (1899–1941), in: Portal Militärgeschichte, 31. Oktober 2022, URL: https://portal-militaergeschichte.de/reineke_usarmy (Bitte fügen Sie in Klammern das Datum des letzten Aufrufs dieser Seite hinzu).

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