Die Deutsch-Französische Brigade ist der erste zu Friedenszeiten in Europa aufgestellte einsatzfähige militärische Großverband, dessen Soldaten seit der Aufstellung 1989 auf Dauer aus zwei Nationen rekrutiert werden und die dazugehörigen Truppenteile ständig unter binationaler Führung stehen. Demgegenüber werden multinationale Verbände nach der Gründung der Brigade nur im Einsatz zusammengestellt, z.B. in den ehemaligen jugoslawischen Gebieten. Neben der grundlegenden Bedeutung der Brigade für die Entwicklung der Interoperabilität des deutschen Heeres und der französischen Armee gilt sie als Vorbild für weitere multinationale Stäbe bzw. Verbände.1 Auch für die Angehörigen der Bundeswehr gehört Transnationalität ab den 1980/90er-Jahren zum Dienstalltag in den Stäben sowie in Auslandseinsätzen.2 Zu diesem Zeitpunkt entsteht auch zwischen den ehemaligen „Erbfeinden“ Deutschland und Frankreich eine militärische Zusammenarbeit, die zu Beginn v.a. ein politisches Projekt war. Die damit assoziierten Erwartungen und Sorgen im Hinblick auf Europa sind eng mit dem europäischen Integrationsprozess verbunden, weshalb eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema der deutsch-französischen Militärkooperation von spezieller Relevanz ist, da die Deutsch-Französische Brigade die Möglichkeiten und Hindernisse einer engeren konventionellen Kooperation im Hinblick einer europäischen Integration in der Sicherheitspolitik aufzeigt.
„Dem Besten verpflichtet“ – „Devoir d’excellence“, so lautet der Wahlspruch der Deutsch-Französischen Brigade. Ausgehend von einer binationalen Initiative ist sie zu einem wichtigen Bestandteil der multinationalen militärischen Zusammenarbeit Europas geworden, mit dem politischen Anspruch, Deutschlands und Frankreichs treibende Kraft der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik zu sein. Bedeutete ihre Gründung somit einen historischen Schritt und hob die Beziehungen der beiden Nachbarländer auf ein neues Niveau oder ist ihre Aufstellung nur als ein Zeichen von Symbolpolitik anzusehen?
Die Dissertation geht den Fragen nach, erstens: welchen Beitrag die Deutsch-Französische Brigade zur deutsch-französischen Zusammenarbeit auf der politischen Bühne leistet, oder, wie es der Historiker Wilfried Loth für ihre Anfangszeit ausdrückt: „[…] nicht über eine symbolische Funktion“ hinauskam.3 Die politischen Gründe für die Aufstellung der Brigade können als Nukleus für eine damals kommende deutsch-französische und möglicherweise dann auch europäische Zusammenarbeit angesehen werden. Es gilt zu klären, wie sich das Projekt in den darauffolgenden Jahren im politischen Sinne weiterentwickelte und inwieweit eine weitere Integration, die es ja einerseits durch die multinationalen Korps gab, möglich war. Um dies auszumessen, geht es, zweitens: um die militärische Bedeutung des Verbandes im Rahmen der deutschen und französischen Streitkräfte, die immer auch eine politische Dimension hatte. Dazu werden exemplarisch die Auslandseinsätze der Brigade in Bosnien-Herzegowina, Afghanistan und Mali näher in den Blick genommen. Es soll ein Einblick gewonnen werden, wie der Einsatz des Verbandes aus militärischer und politischer Perspektive bewertet wurde, ob er aufgrund seiner Struktur eher Friktionen förderte oder eher einen Beitrag zur binationalen Zusammenarbeit leistete. Welche Wechselbeziehungen gab es zwischen den Erfahrungen des möglicherweise unpraktikablen Einsatzes und der politischen Idee? Sodann wird, drittens, untersucht, inwieweit sich in der Deutsch-Französischen Brigade eine neue transnationale Militärkultur herausbildete oder letztlich französische und deutsche Soldaten hier nebeneinanderher lebten. Fand ein „Zusammenwachsen“ der Truppe statt oder wurde das Zusammenleben durch Fremdheit bestimmt? Zeitzeugeninterviews von ausgewählten Offizieren und Unteroffizieren sowie Ego-Dokumente sollen neben den Archivquellen helfen, dem kulturellen „footprint“ des Verbandes nachzuspüren.
Während die Außen- und Sicherheitspolitik Deutschlands und Frankreichs und im Besonderen die bilaterale Zusammenarbeit zwischen den beiden Nachbarländern häufig Gegenstand von Forschungsarbeiten waren, stellt die Beschäftigung mit der Deutsch-Französischen Brigade noch immer ein Forschungsdesiderat dar. Eine große Anzahl an Artikeln und Sammelwerken entstand zum Thema der sicherheitspolitischen Zusammenarbeit Deutschlands und Frankreichs in den 1980er-Jahren und war häufig das Ergebnis von deutsch-französischen Projekten.4 Die wenigen Darstellungen, die sich mit der Deutsch-Französischen Brigade auseinandersetzen, basieren zum einen auf Erfahrungsberichten ehemaliger hochrangiger Militärs und zum anderen auf zeitgenössischen Presseartikeln.5 Eine auf aktenbasierte Untersuchung, deren Interpretationen sich aus der Analyse sowohl deutscher als auch französischer Unterlagen speist, existiert bis heute nicht. Ebenso gibt es keine systematische Erfassung der militärischen Rolle der Deutsch-Französischen Brigade oder ihrer Kultur.
Wie der Name der Deutsch-Französischen Brigade bereits verdeutlicht, werden Akten aus beiden Ländern für diese Arbeit herangezogen. Auf deutscher Seite sind die Bestände des Bundesarchivs in Koblenz, v.a. die Textzeugnisse der Koordination der deutsch-französischen Zusammenarbeit (BArch, B 136/30504), die Akteneditionen zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik (AAPD), die Unterlagen des Deutsch-Französischen Ausschusses für Sicherheit und Verteidigung sowie die Dokumente des Militärarchivs in Freiburg einschlägig für diese Untersuchung.6 Die Schriftstücke in den Archives diplomatiques du Quai d’Orsay (ADMAE) in La Courneuve bieten weitere Ansatzpunkte für die Beantwortung der Forschungsfrage.7 Außerdem dienen zur Klärung der Problemstellung Literaturstudien, Dokumentenanalysen sowie halbstrukturierte Interviews (Leitfadeninterviews) und Expertenbefragungen. Trotz der Schwierigkeiten hinsichtlich ihrer Generalisierbarkeit ergeben die auf qualitativem Wege erhobenen Daten ein reichhaltiges Bild an Informationen über den Forschungsgegenstand.
Dieser Beitrag wurde redaktionell betreut durch Lisa Marie Freitag.
Zitierempfehlung: Benjamin Pfannes, Deutsch-Französische Brigade. Chancen und Herausforderungen für die europäische Integration, in: Portal Militärgeschichte, 11. Juli 2022, URL: https://portal-militaergeschichte.de/pfannes_brigade (Bitte fügen Sie in Klammern das Datum des letzten Aufrufs dieser Seite hinzu).
- 1. Eine Übersicht der wichtigen multinationalen Militärverbände in Europa ist abgedruckt in Sven Bernhard Gareis, Multinationalität als europäische Herausforderung. In: Sven Bernhard Gareis/Paul Klein (Hg.), Handbuch Militär und Sozialwissenschaft, Wiesbaden 22006, S. 365.
- 2. In diesem Zusammenhang sei auch das erste große deutsch-französische Militärmanöver „Kecker Spatz“, bei dem im Jahr 1987 rund 75 000 Soldaten beteiligt waren, erwähnt. Das besondere dieser Übung war die deutsch-französische Dimension, die es zuvor wegen der Nicht-Integration in die militärischen Strukturen der NATO nicht gab. Ein Bericht des Manövers ist abgedruckt im Journal de l’Année – Édition 1988. Eintrag vom 21.09.1987. https://gallica.bnf.fr/ark:/12148/bpt6k1200554x/f119.image.r=kecker%20spatz.langDE (zuletzt aufgerufen am 27.05.2021).
- 3. Wilfried Loth, Europas Einigung. Eine unvollendete Geschichte, Frankfurt a.M. 2020, S. 290.
- 4. Beispielhaft seien folgende Werke erwähnt: Karl Kaiser/Pierre Lellouche (Hg.), Deutsch-Französische Sicherheitspolitik. Auf dem Wege zur Gemeinsamkeit? Bonn 1988 (Rüstungsbeschränkung und Sicherheit. Bd. 16). Entstanden am Forschungsinstitut der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik und am Institut Français des Relations Internationales. André Brigot/Peter Schmidt/Walter Schütze (Hg.), Sicherheits- und Ostpolitik. Deutsch-französische Perspektiven, Baden-Baden 1989 (Aktuelle Materialien zur Internationalen Politik. Bd. 12).
- 5. Centre d'Etudes en Sciences Sociales de la Défense, Bilan et perspectives de la coopération militaire franco-allemande de 1963 à nos jours. Actes du colloque tenu à Paris les 2 et 3 novembre 1998, Paris 1999; Raymond Couraud, L’Eurocorps et l’Europe de la défense, Straßburg 2009; Jean-Yves Haine, L’Eurocorps et les identités européennes de défense. Du gage franco-allemand à la promesse européenne, Paris 2001; Ernst Martin, Eurokorps und Europäische Einigung, Bonn 1996.
- 6. Vgl. u.a. die Akten des Bundesministeriums der Verteidigung – Leitung, zentrale Stäbe und zivile Abteilungen (BArch BW 1) sowie Führungsstab des Heeres (BArch BH 1).
- 7. Vgl. u.a. ADMAE, Allemagne, R.F.A. 1986–1990, 178QO/1932.