Das Reichsheer im Neusser Krieg (Dissertation). Eine Untersuchung des spätmittelalterlichen Reichsheeres, das sich 1474/75 für den Entsatz von Neuss am Rhein bildete
Patrick Leukel
Projektskizze
Veröffentlicht am: 
23. März 2015

"[…] all welt wil auf sein wider Burgundi jensseit und hie disseit Reyns […]"1 - in dieser Weise fasste Albrecht Achilles, eine der schillerndsten Persönlichkeiten des spätmittelalterlichen Reichs und enger Vertrauter Kaiser Friedrichs III., am 21. November 1474 gegenüber seinen Räten seinen Eindruck vom Widerhall zusammen, den der Aufruf zur Sammlung des Reichsheeres gegen Karl den Kühnen von Burgund im Reich gefunden hatte. Dabei drückt sich nicht zuletzt die Überraschung des Kurfürsten darüber aus, dass dieses Reichsheer tatsächlich zustande kam. Anlass zu dessen Aufstellung war die Belagerung der Stadt Neuss durch den burgundischen Herzog Karl den Kühnen. Dem Reichsheer gelang es, die Belagerung schließlich zu beenden und Karl den Kühnen zum Rückzug zu bewegen.

Diese bemerkenswerte politische, organisatorische und militärische Leistung verwunderte bereits die Zeitgenossen und erstaunt auch heute noch Historiker, zeigten sich doch hier das spätmittelalterliche Reich und der Kaiser gegenüber einer akuten Bedrohung unerwartet handlungsfähig. Vor allem die soziale und politische Zusammensetzung des Reichsheeres spiegelt das Reichgebilde im späten 15. Jahrhundert in weiten Teilen wider. Die verschiedenen Kontingente kamen sowohl aus königsnahen als auch -fernen Gebieten des Reiches, aus Städten und Fürstentümern und bestanden aus zur Lehnsfolge gerufenen Vasallen sowie bezahlten Söldnern und dienstverpflichteten Bürgern und Knechten. Im Reichsheer von 1474/75 befanden sich nach vorläufiger eigener Auszählung 24 Fürsten, 40 Grafen, 72 Städte sowie unzählige Niederadlige, die den Aufgebotsschreiben des Kaisers gefolgt waren.

Mit Hilfe von netzwerk- und kommunikationsanalytischen Perspektiven auf die Zusammensetzung des Heeres untersuche ich in meinem Forschungsprojekt das Reichsheer als soziales Gefüge. Doch wie funktionierte dieses Gefüge und welche spezifischen Faktoren und Personen trugen dazu bei, dass der Feldzug nach Neuss zum Erfolg führte? Welche Wege ging man bei der Aufstellung und der Finanzierung, welche sozialen Hierarchien bildeten sich aus? Die Heterogenität und die daraus resultierende hohe Komplexität des Aufgebots sowie die Präsenz der wichtigsten politischen Akteure des Reichsverbands lassen das Neusser Aufgebot zum Spiegel des dezentral strukturierten spätmittelalterlichen Reichs werden. Welche Rolle spielte die Heterogenität der sozialen Zusammensetzung des Reichsheeres und wie prägten regionale Identitäten und Interessen die einzelnen Teilnehmer und Kontingente?

Nicht zuletzt soll aber auch gezeigt werden, inwieweit neue Momente der Heeresorganisation zum Tragen kamen. Hier ist zu fragen, inwiefern eine Wechselwirkung zwischen entstehenden protostaatlichen Strukturen und der Gesellschaft des Reiches im Mikrokosmos des Reichsheeres nachvollzogen werden kann.

Aufgrund der sehr umfangreichen Quellenbestände und der geografischen Ausdehnung des Untersuchungsraumes werden ausgewählte Teilnehmer exemplarisch näher untersucht. Dabei soll im Rahmen der mittelalterlichen Überlieferung ein möglichst breiter sozialer wie auch geografischer Querschnitt erreicht werden. Eine vorläufige Auswahl umfasst Kaiser Friedrich III., Markgraf Albrecht Achilles von Brandenburg-Ansbach und Herzog Albrecht den Beherzten von Sachsen, der in Vertretung seiner Brüder das vereinigte wettinische Kontingent nach Neuss führte. Hinzu kommen die dynastisch direkt in die Kölner Stiftsfehde bzw. den Neusser Krieg involvierten Landgrafen von Hessen. Neben diesen Fürsten sollen die zwischen Grafen- und Fürstenstand stehenden Grafen von Henneberg sowie die Grafen von Eberstein untersucht werden. Die städtischen Quellen versprechen nicht zuletzt aufgrund einer hervorragenden Überlieferungssituation einen besonderen Erkenntnisgewinn. Geplant ist, die Städte Köln, Frankfurt, Nürnberg und Überlingen einzubeziehen. Neben diesen intensiver zu untersuchenden Teilnehmern des Feldzugs sollen Quellenzeugnisse weiterer Akteure ergänzend hinzugezogen werden. Das sich aus diesen Untersuchungen ergebende Gesamtbild soll zum einen zeigen, wie das Reichsheer strukturiert war und welche funktionalen und sozialen Rollen einzelne Teilnehmer einnahmen. Zum anderen lassen sich innerhalb des Reichsheeres die Wechselbeziehungen politischer und sozialer Kräfte des Reiches im 15. Jahrhundert in einer Art Mikrokosmos nachvollziehen. Das Reichsheer war, so die These, ein Spiegelbild der politischen Kräfteverhältnisse und Beziehungen innerhalb des Reichs und kann von daher nur im Kontext derselben verstanden werden.

Meine Dissertation entsteht derzeit an der Universität Mainz unter der Betreuung von Herrn Prof. Joachim Schneider und Prof. Michael Matheus. Die Dissertation wird seit 2014 durch ein Promotionsstipendium der Gerda-Henkel-Stiftung gefördert.

  • 1. Priebatsch, Felix (Hrsg.) (1965): Politische Correspondenz des Kurfürsten Albrecht Achilles. 1470-1474. Osnabrück. Bd. I Nr.995, S. 761.
Mittelalterliches Hausbuch von Schloss Wolfegg, Mittelalterlicher Heerzug
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