Berufssoldatentum und militärische Männlichkeiten in der Weimarer Republik
Carolin Kaiser
Aufsatz
Veröffentlicht am: 
08. Januar 2024
DOI: 
https://doi.org/10.15500/akm.08.01.2024

Mit dem Aufkommen der allgemeinen Wehrpflicht in Europa zu Beginn des 19. Jahrhunderts ging ein größeres Ansehen des Soldatenberufs einher. Galten Soldaten zuvor noch als Randständige der Gesellschaft, als Männer mit rauen Sitten und schlechtem Einfluss auf zivile Kreise,1 entwickelte sich im Verlauf des Jahrhunderts der Bürgersoldat in vielen europäischen Ländern zum idealmännlichen Leitbild. Vaterlandsliebend, fleißig, treu, ordentlich – gerade im kaiserlichen Deutschland wurde mit dem Wehrpflichtsoldaten ein Kanon männlicher Tugenden verbunden.2 Dementsprechend positiv bewertet war die dazugehörige Wehrform der Wehrpflichtarmee. Die Ablehnung war daher groß, als Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg durch den Versailler Vertrag gezwungen war, die Wehrpflicht zugunsten einer auf Freiwilligenwerbung basierenden Berufsarmee aufzugeben.3 Ähnlich wie der Söldner in der Regel mit einem ausländischen Kämpfer assoziiert wurde,4 galt auch die Berufsarmee als „Deutschlands Art wesensfremd“, wie es der völkisch-konservative Reichstagsabgeordnete Hans-Erdmann von Lindeiner-Wildau im Jahr 1930 ausdrückte.5 Der Wehrformwechsel bedrohte die Stellung des Soldaten als männliches Leitbild für die Zivilgesellschaft, wie sie im Kaiserreich noch vorgeherrscht hatte.6 Deutschlands neue Berufsarmee, die Reichswehr, stand somit vor der Aufgabe, dem schlechten Ruf ihrer Wehrform ein aktualisiertes soldatisch-männliches Berufsideal entgegenzusetzen, das zeigte, dass die Ehrenhaftigkeit des Soldatseins7 auch in einer reinen Berufsarmee noch bestand.

Welche Vorstellungen militärischer Männlichkeit in der Weimarer Republik mit dem Berufssoldaten verbunden wurden, soll im Folgenden erläutert werden. Die Autorin vertritt die These, dass Berufssoldatentum in der Weimarer Republik in einem Spannungsfeld von drei Typen militärischer Männlichkeit diskutiert wurde: der Söldner als Gewaltdienstleister, der Wehrpflichtsoldat als Vaterlandsverteidiger und der Elitesoldat als nationaler Führer. Zunächst wird das Gegensatzpaar des (verrufenen) Söldners und des (ehrenhaften) Wehrpflichtsoldaten exemplarisch an Redebeiträgen aus der verfassungsgebenden Nationalversammlung untersucht. Im Anschluss geht es um die Vorstellung vom Berufssoldaten der Reichswehr als eine Art Berufs-Wehrpflichtsoldat – einem Gegenentwurf zur Gleichsetzung von Söldner und Berufssoldat. Zuletzt steht der Typus des Elitesoldaten und Führers im Fokus, der unter anderem vom langjährigen Chef der Heeresleitung, Hans von Seeckt, als soldatisch-männliches Leitbild der Reichswehr propagiert wurde.

Das Gegensatzpaar Söldner – Wehrpflichtsoldat

Weder in der verfassungsgebenden Nationalversammlung und noch später im Reichstag änderte der Erste Weltkrieg wenig an der Popularität der Wehrpflicht. Die Verbindungen zwischen Wehrpflicht, Massenheeren und der bis dahin ungekannt hohen Anzahl an Gefallenen im Krieg wurde von kaum einem Abgeordneten hergestellt.8 Politisch war die Wehrpflicht dabei keineswegs nur eine Herzensangelegenheit nationalistisch-militaristischer Politiker. Auch bei vielen progressiven, dezidiert demokratisch-republikanischen Politikern genoss die Wehrpflicht ein gewisses Ansehen.9 Ebenfalls einig waren sich die verschiedenen politischen Lager noch in einer zweiten militärpolitischen Angelegenheit: Misstrauen gegenüber einer Berufsarmee.10 Die Aussicht auf einen Friedensvertrag, der Deutschland eine ebensolche Berufsarmee vorschreiben könnte, rief in der Nationalversammlung viele Abgeordnete ans Rednerpult, um vor einer solchen Wehrform zu warnen. Gerade der bezahlte Soldat der Mannschaftsgrade war vielen suspekt. Gebündelt wurde diese Skepsis zumeist im negativ konnotierten Begriff des „Söldners“.11

Tatsächlich waren die beiden Begriffe Söldner und Soldat im deutschsprachigen Raum bis ins frühe 19. Jahrhundert nur unscharf voneinander getrennt. Erst mit dem Aufkommen der Wehrpflicht kam es zu einer Differenzierung der beiden Bezeichnungen und einer Zuschreibung von Werturteilen.12 Während das Wort Soldat nun den aufrechten Bürgersoldaten implizierte, der für Vaterland und Volksgenossen kämpfte, assoziierte man mit Söldnern Männer, die sich für einen begrenzten Zeitraum in den Militärdienst eines fremden Landes stellten, nur um wenig später für ein anderes – möglicherweise besser bezahlendes – Land zu kämpfen. Der vaterlandslose Söldner, der Gewalt zu seinem Beruf gemacht hatte, wurde so zum negativen Gegenbild des Wehrpflichtsoldaten, der losgelöst von jeglichen materiellen Interessen und Gewaltlüsten nur an die Verteidigung seiner Heimat denkt.13 Als negatives Paradebeispiel dieses moralisch verwahrlosten Söldnertums galt die französische Fremdenlegion.14 Auch wenn in der Reichswehr nur deutsche Staatsbürger dienen durften, schwang die etablierte Assoziation von bezahltem Soldatentum mit der vermeintlichen Treu- und Vaterlandslosigkeit des ausländischen Söldners gerade in der Anfangszeit der Weimarer Republik oftmals noch mit.
Ein Beispiel aus der Nationalversammlung: Im März 1919 – also noch bevor endgültig feststand, dass das Deutsche Reich die Wehrpflicht abschaffen musste – nutzte der Abgeordnete der rechtsliberalen Deutschen Volkspartei Alexander Graf zu Dohna den Söldnerbegriff, um gegen eine mögliche Berufsarmee zu polemisieren:

„Die ehrenvolle Pflicht der Vaterlandsverteidigung soll und darf nicht zu einer berufsmäßigen Hantierung herabsinken, wie es der Fall sein würde, wenn […] etwa eine zwölfjährige Dienstpflicht eingeführt würde. Das Söldnerhandwerk hat mit gutem Grunde immer ebenso sehr in Verruf gestanden, wie in Ländern der allgemeinen Wehrpflicht der Soldat ein gesteigertes Maß von Achtung und Ehre genießt.“15

Dohna macht hier das etablierte Gegensatzpaar auf: ehrenhafter Wehrpflichtsoldat auf der einen Seite und ehrloser, verrufener Söldner auf der anderen. Verbunden mit diesem Gegensatzpaar stehen sich ebenso zwei Typen militärischer Männlichkeit gegenüber, auf die auch andere Abgeordnete zurückgriffen. Zum einen war das der Wehrpflichtsoldat als Vaterlandsverteidiger, der aufgrund höherer Ideale und Tugenden wie Vaterlandsliebe und Treue zur Waffe greift und deshalb als moralisch gut bewertet wurde.16 Zum anderen war es der Söldner als Gewaltdienstleister, der gegen eine gute Bezahlung „zu allem zu haben“17 sei und „in letzter Linie eben immer für den einzutreten gewillt sein [würde], der ihn am besten bezahlt“, weswegen „im Inneren […] das Söldnerheer unter Umständen doch sehr gefährlich werden“ könne.18 Eine Neigung zu Gewalt19 sowie die Annahme, dass es hauptsächlich Arbeitslose zum Söldnerberuf bewege,20 komplementierten das negative Söldnerstereotyp.

Interessant bei dieser Gegenüberstellung ist, dass Politiker aus Parteien rechts der SPD eher die Vorzüge des Wehrpflichtsoldaten betonten, um ihr Missfallen an der Berufsarmee zu äußern.21 Abgeordnete von SPD, USPD und KPD hingegen griffen hierfür in der Regel auf das Söldnerstereotyp zurück.22 Nichtsdestotrotz war auch bei Parlamentariern anderer Parteien die Ansicht vorhanden, dass eine Berufsarmee stärker davor bewahrt werden müsse, sich „nicht zum Söldnerheer herabdrücken zu lassen“. Stattdessen müsse man dafür sorgen, „die sittlichen und geistigen Kräfte zurückzugewinnen, die früher in der allgemeinen Wehrpflicht gelegen“23 hätten. Der Wehrpflichtsoldat ist hier nicht lediglich positives Gegenstück, sondern vielmehr eine Art Heilmittel gegen die als negativ wahrgenommene militärische Männlichkeit des Söldners. Die charakterlichen Eigenschaften, die sich Abgeordneten von Reichswehrsoldaten wünschten, orientierten sich daher stark am Typus des Wehrpflichtsoldaten, etwa „Pflichtbewußtsein und Treue“,24 „Ehrgefühl“25 und „Vaterlandsliebe“26 – Eigenschaften, die im Bild des stereotypen Söldners gänzlich fehlten.

Der Berufs-Wehrpflichtsoldat

Forderungen, den idealen Berufssoldaten mit Tugenden auszustatten, die klassischerweise als Erziehungserfolge der Wehrpflicht galten, weichten die Gleichsetzung von Berufssoldat und Söldner auf. In den Reichstagsdebatten zeigt sich die Wirkung dieser häufigen Forderungen daran, dass der Söldnerbegriff bereits zu Beginn der 1920er-Jahre immer seltener benutzt wurde, um gegen die neue Wehrform zu polemisieren.27 Sie ließen zudem die Grenze zwischen Berufs- und Wehrpflichtsoldat verschwimmen. Eine solches Wegrücken des Berufssoldaten vom Söldner hin zum Wehrpflichtsoldaten findet sich auch in militärpublizistischen Quellen. Beispielhaft sei an dieser Stelle ein Artikel des Offiziers und Militärschriftstellers Karl-Ludwig von Oertzen näher betrachtet, der 1921 in der Deutschen Soldaten-Zeitung28 veröffentlicht wurde und bereits im Titel die zentrale Frage stellt: „Söldner oder Freiwillige?“.29

Oertzen beginnt seinen Artikel, indem er das gängige Klischee des morallosen Söldners zeichnet: „Abenteurerscharen“, „kriegslustige Landsknechte, […] deren Treue mit dem Inhalte der Kriegskasse abnahm“, „Gewinnsucht, Gewalttat, Meuterei und sittliche Verwilderung“.30 Die Soldaten der Reichswehr – zu denen er selber gehörte – nimmt Oertzen vor Söldneranschuldigungen in Schutz. Sie seien vielmehr Freiwillige, die dem Ruf ihres Vaterlandes folgten, die nicht an Beutezügen interessiert seien und am „Soldatenberuf“ „Freude“ hätten, weil in ihnen „der kriegerische Sinn“ lebe, „der die Deutschen von jeher ausgezeichnet“ habe.31 Männer, die dem Stereotyp Söldner entsprachen, seien in der Reichswehr nicht willkommen.

Mit seiner Betonung von Vaterlandsliebe und einer vermeintlich natürlichen Veranlagung deutscher Männer für Militär und Krieg bediente Oertzen etablierte Selbstbilder sowohl der deutschen Nation als auch seines Militärs und machte sie für die Reichswehr nutzbar. In Oertzens Abgrenzung des Reichswehrsoldaten vom klassischen Söldner bleibt die Kontinuität vorbildhaft-patriotischer, militärischer Männlichkeit zwischen alter und neuer Armee trotz Abschaffung der Wehrpflicht bestehen. Der Reichswehrsoldat erscheint bei Oertzen als vertrauter Soldatentypus und nicht als dem deutschen Volke wesensfremdes Element. Im letzten Absatz des Artikels verstärkt Oertzen diesen Eindruck:

„Der Wille unserer Gegner verhindert, daß alle waffenfähigen Deutschen sich auf den Schutz der Grenzen des Reiches vorbereiten, wozu die weitaus größte Mehrzahl von ihnen sich berufen fühlt. Sie beweisen uns, daß wir zu den Auserwählten gehören. Deshalb wird auch kein Riß sich zwischen dem waffentragenden und dem waffenlosen Teile des Volkes auftun. Wir wissen uns eins mit unseren Brüdern im Bürgerkleid und sind gewiß, freudig von ihnen in ihren Reihen aufgenommen zu werden, wenn wir die freiwillig übernommene Verpflichtung dem Vaterlande gegenüber erfüllt haben.“32

Fünf Punkte sind an diesem Absatz besonders interessant: Erstens betont Oertzen ausdrücklich die guten Beziehungen zwischen Militär und deutscher Zivilgesellschaft – entgegen der damals gängigen Ansicht, dass nur die Wehrpflicht solch enge Beziehungen garantieren könne.33 Als Begründung dient ihm dabei das etablierte nationale Selbstbild des wehrhaften deutschen Mannes. Eine zweite Beobachtung hängt mit dem zusammen, was – beziehungsweise wen – Oertzen nicht nennt: Frauen. Auch wenn die Bezeichnung „alle waffenfähigen Deutschen“ Frauen grammatikalisch durchaus miteinschließt, wird spätestens bei den „Brüdern im Bürgerkleide“ klar, dass Frauen nicht Teil dieser zivil-militärischen Wehrfreundschaft waren. Drittens ist die Art und Weise auffällig, in der Oertzen die Rückkehr vom Militär in die Zivilgesellschaft beschreibt. Die „freudige“ Wiederaufnahme in die Reihen der „Brüder im Bürgerkleide“ nachdem man der „Verpflichtung dem Vaterlande gegenüber“ nachgekommen sei, erinnert stark an die Wehrpflicht. Die Formulierung „freiwillig übernommene Verpflichtung dem Vaterlande gegenüber“ übernimmt die der Wehrpflicht zugrundeliegenden moralischen Begründung, dass der Bürger eine patriotische Pflicht habe, das Vaterland zu beschützen und so gesetzlich zum Militärdienst gezwungen werden konnte, und überträgt sie auf das Berufsheer mit Freiwilligenwerbung. Der Reichswehrsoldat sei zwar ein bezahlter Freiwilliger, aber er komme nichtsdestotrotz genauso einer sittlichen Pflicht nach wie es der Wehrpflichtsoldat bislang getan habe. Das Adjektiv „freudig“ verweist noch auf das Ansehen, das man dem fertig gedienten Wehrpflichtigen im Kaiserreich entgegenbrachte, da die gängige Meinung war, dass die Zivilgesellschaft vom abgeleisteten Militärdienst ihrer Mitglieder profitierte.34 Viertens dürften sich unter der Formulierung „unsere Brüder im Bürgerkleide“ die wenigsten einen Tagelöhner oder auch nur einen Arbeiter vorgestellt haben. Eine Zurechnung der Reichswehrsoldaten zur Mittelschicht und zum als respektabel geltenden Teil der Bevölkerung ist impliziert. Oertzen rückt den bezahlten Soldaten somit noch einmal weiter weg vom verrufenen Söldner. Der fünfte Punkt von Interesse ist die Bezeichnung der Reichswehrsoldaten als „Auserwählte“. Die Reichswehrsoldaten nehmen hier eine Stellvertreterposition für ihre vom Militärdienst ausgeschlossenen Geschlechtsgenossen ein. Die moralische Verpflichtung zur Verteidigung des Vaterlandes, die vormals durch die Wehrpflicht in der Gesellschaft verankert war, würde nun von einigen wenigen Auserwählten übernommen. Aus Oertzens Sicht sind sie deshalb auch keine Söldner. Stattdessen handele es sich bei ihnen um freiwillige, professionalisierte Wehrpflichtige, quasi Berufs-Wehrpflichtsoldaten.

Warum kam es zu dieser Verwischung der Grenze zwischen Wehrpflicht- und Berufssoldat – sowohl bei zivilen als auch bei militärischen Akteuren? Zwei Gründe erscheinen plausibel: Zum einen stellte es, wie bereits erwähnt, die Kontinuität zwischen alter Wehrpflichtarmee und neuer Berufsarmee sicher. Nationale und militärische Selbstbilder mussten so nicht grundlegend infrage gestellt werden, obwohl Wehrformwechsel und Abrüstung dies begünstigt hätten.35 Das bewusste Anknüpfen an das etablierte, positive Bild des Wehrpflichtsoldaten konnte dabei helfen, das Image des zunächst eher skeptisch beäugten Berufssoldatentums zu verbessern. So waren die Reichswehsoldaten keine Söldner mehr, sondern Hüter einer althergebrachten, wehrhaften, deutschen Männlichkeit, die ihren Ausdruck bislang in der Wehrpflicht gefunden hatte. Zum anderen muss das Festhalten am männlich-soldatischen Leitbild des Wehrpflichtsoldaten als Vaterlandsverteidiger vor dem Hintergrund der im Deutschland des frühen 20. Jahrhunderts immer noch gesellschaftlich akzeptierten Geschlechtereinteilung in wehrhaft-beschützenden Mann und friedliebend-zu beschützende Frau betrachtet werden.36 Ein Outsourcen der Beschützerarbeit an als zwielichtig und unvorbildhaft angesehene Söldnermänner konnte nicht nur das Image des Militärs beschädigen, sondern passte auch nicht in das spätestens seit den Befreiungskriegen etablierte Verständnis davon, wie in der deutschen Nation die Geschlechterrollen verteilt sein sollten: die Frau als Hausfrau und Mutter, der Mann als Familienoberhaupt, Erwerbstätiger und – im Falle einer Gefährdung der Nation – Soldat.37 Das Erfüllen dieser Geschlechterrollen übersetzte sich in eine soziale Akzeptanz und Ehrbarkeit, die mit dem Bild des fremden und unehrenhaften Söldners nicht verträglich waren. Der (ideale) Reichswehrsoldat als Vaterlandsverteidiger im Sinne der Wehrpflicht fungierte als temporärer Platzhalter für die Lücke in der Geschlechtereinteilung, die durch das Verbot der Wehrpflicht entstanden war und daher vom Söldner differenziert werden musste. Dies war umso mehr der Fall, als dass führende Politiker und Militärs langfristig die Wiedereinführung der Wehrpflicht anstrebten und das dazugehörige Leitbild daher unbeschadet die wehrpflichtlose Zeit überdauern musste.38

Der Elitesoldat und Führer

Das Berufssoldatentum wurde in der Weimarer Republik nicht nur im Widerstreit zwischen Söldner und Wehrpflichtsoldat diskutiert. Vielmehr gab es noch eine dritte Art soldatischen Mannes, die für die Neuaushandlung berufssoldatischer Männlichkeit als Orientierungspunkt fungierte: der Elitesoldat und Führer. Aufgrund der geringen Größe der Reichswehr von lediglich 115 000 Mann sowie den Rüstungsbeschränkungen und Verboten bestimmter Waffen, wurde von militärischer Seite bereits früh erkannt, dass man die alten Berufsideale an die neuen Bedingungen anpassen musste, um die mangelnde Quantität durch Qualität auszugleichen. Gerade innerhalb der Reichswehrführung stieß ein auf bestmögliche Ausbildung und Führungsqualitäten abzielendes Leitbild daher auf Wohlwollen. Ein prominenter Befürworter war der langjährige Chef der Heeresleitung Hans von Seeckt (1920–1926), der schon im Januar 1921 die Grundzüge des neuen Soldatenideals formulierte. Ziel sei es, „aus jedem Glied des Heeres nach Charakter, Können und Wissen einen Soldaten zu machen, der selbstständig und selbstbewußt, hingebend und verantwortungsfreudig ein Mann und ein Führer ist.“39 Einfache Fußsoldaten, die nicht mehr konnten als gehorchen, sollte es in der Reichswehr nicht geben. Vielmehr sollte jeder Reichswehrsoldat – egal welchen Ranges – im Zweifelsfall in der Lage sein, selbst als Autorität aufzutreten und Führung zu übernehmen.40 1921 war dieses Leitbild nicht gänzlich neu. Erste Ansätze hin zu einem stärkeren Fokus auf Selbstständigkeit auch bei Mannschaftssoldaten gab es im deutschen Militär bereits in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg.41 In der Reichswehr wurde der Anspruch zum Führertum aber systematischer in das eigene Selbstbild integriert, was sich beispielsweise in der (Selbst-)Bezeichnung als Führerheer widerspiegelte.42

Die Kompetenz und Führungsqualitäten des Reichswehrsoldaten sollten jedoch nicht nur für den militärischen Bereich gelten. So forderte Seeckt an anderer Stelle in dem Erlass, dass sich „[d]as Wissen […] nicht auf das Berufsgebiet beschränken“ solle, sondern „die allgemeine Bildung“ ebenfalls gehoben werden müsse, um „den Soldaten für sein ganzes Leben zu wertvollen und nützlichen Volksgenossen [zu] erziehen“. Auch wenn diese Aussage an Vorstellungen vom Militär als „Schule der Nation“ erinnert, wie sie die Wehrpflicht im Verlauf des 19. Jahrhunderts popularisiert hatte, ging es Seeckt nicht um eine simple Wiederkehr des Wehrpflichtsoldaten im Rocke des Berufssoldaten. Das „hohe Ziel“ sei es vielmehr, „nicht eine kleine Schar von Berufssoldaten heranzubilden, sondern Führer des Volkes in der Stunde der Gefahr“.43 Beschränkt man die Interpretation auf den militärisch-kriegerischen Blickwinkel, entspricht dieses Ideal schlichtweg dem soldatischen Rollenbild, das führende Militärs für unabdinglich hielten, um die Reichswehr angesichts ihrer geringen Größe bestmöglich für die Landesverteidigung vorzubereiten: der Elitesoldat, der durch seine gute Ausbildung und Führungsqualitäten ein schnelles Anwachsen der Armee sicherstellen konnte.44 Weitet man den Blick allerdings für gesellschaftliche Aspekte, dann offenbart sich in der Absage an den herkömmlichen Berufssoldaten, ein Führungs- und Elitenanspruch, der bis in die Zivilgesellschaft hineingreift.

Es fällt auf, dass es das Militär ist, das in der – nicht näher definierten – Stunde der Gefahr das Volk führen sollte. Implizit werden dadurch Führungsanspruch und -kompetenz jener Akteure infrage gestellt, denen in einer Demokratie und Republik eigentlich diese Führungsrolle zufallen sollte: Politikern. Die in der Reichswehr verbreitete Sichtweise auf die Demokratie und den politischen Pluralismus als „Parteienhader“45 und „Parteienwirtschaft“,46 die die Einheit des deutschen Volkes verhinderten, lässt den (vermeintlich) unpolitischen und überparteilichen Soldaten47 als den geeigneteren Führer48 erscheinen. Eine direkte Konkurrenz zwischen Reichswehrsoldaten und Politikern, zwischen militärischer und politischer Männlichkeit,49 formulierte der Erlass nicht. Nichtsdestotrotz benutzt er einen Führerbegriff, der sich nicht auf das Militärische beschränkte, sondern die Zivilbevölkerung zu einem Führungsobjekt der Reichswehr machte. Nach diesem Leitbild gehörte der ideale Reichswehrsoldat zur Elite, was seine militärische Ausbildung anbelangte, aber eben auch zur Elite hinsichtlich einer nationalen Führung in Krisensituationen.

Fazit

Das Deutsche Reich hatte mit der Reichswehr zum ersten Mal eine reine Berufsarmee. Mit dem Wechsel der Rekrutierungsart von Wehrpflicht zu Freiwilligenwerbung ging auch eine Diskussion darüber einher, was für Männer diese neuen Berufssoldaten sein und nicht sein sollten. Dabei lassen sich mindestens drei Typen militärischer Männlichkeit identifizieren, zwischen denen das Bild des neuen Berufssoldaten oszillierte. Während der Söldner als Gewaltdienstleister in erster Linie als abschreckendes Argument gegen die Berufsarmee fungierte, nahm der Wehrpflichtsoldat als Vaterlandsverteidiger eine Vorbildfunktion ein. Selbst in Abwesenheit der Wehrpflicht wirkte so die positive Konnotation der Wehrpflicht nach und führte zum Berufs-Wehrpflichtsoldaten als einem möglichen Leitbild für Reichswehrsoldaten. Der dritte Typus, der Elitesoldat als nationaler Führer, orientierte sich am stärksten an den Rahmenbedingungen der Reichswehr und zeichnete sich daher durch einen hohen Grand militärischer Ausbildung sowie Führungsqualitäten aus. Inwieweit sich diese Leitbilder in der Realität niederschlugen und die Selbstwahrnehmung der Soldaten der Reichswehr beeinflusste, gilt es noch zu untersuchen.

Dieser Beitrag wurde redaktionell betreut durch Daniel R. Bonenkamp/Friederike C. Hartung/Wencke Meteling.


Zitierempfehlung: Carolin Kaiser, Ehrlose Söldner oder aufrechte Elitesoldaten? Berufssoldatentum und militärische Männlichkeiten in der Weimarer Republik, in: Themenschwerpunkt „Militär, Krieg und Geschlecht“, hrsg. von Daniel R. Bonenkamp/Friederike C. Hartung/Wencke Meteling, Portal Militärgeschichte, 08. Januar 2024, DOI: https://doi.org/10.15500/akm.08.01.2024.

  • 1. Ein Grund hierfür lag sicherlich in der gängigen Praxis, Arbeitslose und nicht selten auch Kriminelle zwangs zu verpflichten. Vgl.: Stefan Kroll, Soldaten im 18. Jahrhundert zwischen Friedensalltag und Kriegserfahrung. Lebenswelten und Kultur in der kursächsischen Armee 1728–1796, Paderborn 2006, S. 173–177.
  • 2. Vgl. Frevert, Nation, S. 238.
  • 3. Zum politischen Vorgang hinter der Abschaffung der Wehrpflicht, siehe: Wolfram Wette, Wie es im Jahr 1919 zur Abschaffung der Wehrpflicht in Deutschland kam. In: Eckardt Opitz / Frank S. Rödiger (Hrsg.), Allgemeine Wehrpflicht. Geschichte – Probleme – Perspektiven, Bremen 1994, S. 67–74.
  • 4. Vgl. Art. „Söldner“. In: Meyers Großes Konversations-Lexikon 18 (19096), S. 577.
  • 5. 22.05.1930. In: Verhandlungen des Reichstags 428, Berlin 1930, S. 5268.
  • 6. Vgl. Ute Frevert, Das Militär als Schule der Männlichkeit. In: Ulrike Brunotte/Rainer Herrn (Hrsg.), Männlichkeiten und Moderne. Geschlecht in den Wissenskulturen um 1900, Bielefeld 2007, S. 57–75.
  • 7. Vgl. Ebd, S. 65.; Hagemann, Männlicher Muth, S. 80–81.
  • 8. Eine seltene Ausnahme: Walther Schücking (Deutsche Demokratische Partei) am 30.07.1920. In: Verhandlungen des Reichstags 344, Berlin 1920, S. 483–484.
  • 9. Vgl. Christian Herz, Kein Frieden mit der Wehrpflicht. Entstehungsgeschichte, Auswirkungen und Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht, Münster 2003, S. 111–113.
  • 10. Vgl. Frevert, Nation, S. 306–307.
  • 11. Vgl. Art. „Söldner“. In: Jacob Grimm/Wilhelm Grimm (Hrsg.), Deutsches Wörterbuch. X. Band. I. Abtheilung, Leipzig 1905, Sp. 1446: [I]m übrigen aber hat söldner einen besondern, meist verächtlichen nebensinn angenommen, der geworbene soldat wird so bezeichnet im gegensatze zu dem, der seiner gesetzlichen heerespflicht genügt.“ [sic].
  • 12. Martin Rink, Art. „Söldner“. In: Enzyklopädie der Neuzeit 12 (2010), Sp. 174–184, hier 175–176.
  • 13. Vgl. Rink, Söldner, Sp. 175.; Michael Sikora, Söldner. Historische Annäherung an einen Kriegertypus. In: Geschichte und Gesellschaft 29 (2003), S. 210–238, hier S. 231.
  • 14. Vgl. Eckard Michels, Deutsche in der Fremdenlegion. 1870–1965. Mythen und Realität, Paderborn 2006, S. 55–66 und passim.; Karl Ritter von Schoch (DVP) am 18.03.1921. In: Verhandlungen des Reichstags 348, Berlin 1921, S. 3198.
  • 15. 28.03.1919. In: Verhandlungen der Nationalversammlung 327, Berlin 1920, S. 867.
  • 16. Vgl. Arthur Graf von Posadowsky-Wehner (DNVP) am 22.06.1919. In Verhandlungen der Nationalversammlung 327, Berlin 1920, S. 1121.
  • 17. Paul Brühl (USPD) am 28.03.1919. In: ebd., S. 869.
  • 18. Daniel Stücklen (SPD) am 29.10.1919. In: Verhandlungen der Nationalversammlung 330, Berlin 1920, S. 3528–3529.
  • 19. Vgl. Georg Ledebour (USPD) am 27.02.1923. In: Verhandlungen des Reichstags 358, Berlin 1923, S. 9898–9899.
  • 20. Vgl. Stücklen am 27.01.1921. In: Verhandlungen des Reichstags 347, Berlin 1921, S. 2189–2190.
  • 21. Vgl. Max Baercke (DNVP) am 25.02.1919. In: Verhandlungen der Nationalversammlung 326, S. 301–302.
  • 22. Dies ließe sich zum einen dadurch erklären, dass Abgeordnete dieser Parteien ohnehin deutlich wehrpflichtkritischer waren als die Mehrheit. Zum anderen befürchteten einige sozialistische Abgeordnete, dass eine auf rein monetären Anreizen gebildete Armee sich bereitwilliger gegen streikende Arbeiter und Arbeiterinnen einsetzen ließe. Die auf Freiwilligenwerbung basierenden Regierungstruppen („Freikorps“) der ersten Jahre der Weimarer Republik, die unter anderem an der blutigen Niederschlagung des Januaraufstands 1919 und der Münchener Räterepublik wenige Monate später beteiligt waren, dürften die Abneigung gegenüber „Söldnern“ zusätzlich verstärk haben.
  • 23. Konrad Weiß (DDP) am 15.03.1922. In: Verhandlungen des Reichstags 353, Berlin 1922, S. 6274.
  • 24. Joseph Ersing (Zentrum) am 27.01.1921. In: Verhandlungen des Reichstags 347, Berlin 1921, S. 2202.
  • 25. Ludwig Haas (DDP) am 28.01.1921. In: ebd., S. 2234.
  • 26. Reichswehrminister Otto Geßler (DDP) am 28.05.1925. In: Verhandlungen des Reichstags 385, Berlin 1925, S. 2140.
  • 27. Der Ausdruck „Söldnerheer“ fiel zwar gelegentlich noch, in der Regel jedoch nicht mehr als gezielte Diffamierung. Stattdessen sprachen sich einige Parlamentarier nun gegen den Gebrauch des Söldnerbegriffs für die Reichswehr aus.
  • 28. Zur Deutschen Soldaten-Zeitung: Christian Haller, Militärzeitschriften in der Weimarer Republik und ihr soziokultureller Hintergrund. Kriegsverarbeitung und Milieubildung im Offizierskorps der Reichswehr in publizistischer Dimension, Trier 2012, S. 92–94.
  • 29. Karl-Ludwig von Oertzen, Söldner oder Freiwillige? In: Deutsche Soldaten-Zeitung vom 28.05.1921.
  • 30. Ebd.
  • 31. Ebd.
  • 32. Ebd.
  • 33. Bsp.: Johann Victor Bredt (Wirtschaftspartei) am 15.03.1928. In: Verhandlungen des Reichstag 395, Berlin 1928, S. 13413.
  • 34. Vgl. Frevert, Schule Männlichkeit, S. 64.
  • 35. Siehe zur Langlebigkeit bereits etablierter Narrative: Albrecht Koschorke, Wahrheit und Erfindung. Grundzüge einer allgemeinen Erzähltheorie, Frankfurt am Main 2012, S. 248–252.
  • 36. Vgl. Karen Hagemann, Venus und Mars. Reflexionen zu einer Geschlechtergeschichte von Militär und Krieg. In: Dies./Ralf Pröve (Hrsg.), Landsknechte, Soldatenfrauen und Nationalkrieger. Militär, Krieg und Geschlechterordnung im historischen Wandel, Frankfurt a.M. 1998, S. 13–48, hier S. 13–14.; Ruth Seifert, Gender, Nation und Militär. Aspekte von Männlichkeitskonstruktion und Gewaltsozialisation durch Militär und Wehrpflicht. In: Eckardt Opitz/ Frank S. Rödiger (Hrsg.), Allgemeine Wehrpflicht. Geschichte – Probleme – Perspektiven, Bremen 1994, S. 179–194, hier 187–188, 190.
  • 37. Vgl. Hagemann, Mannlicher Muth, S. 353–354.
  • 38. Vgl. Jürgen Förster, Die Wehrmacht im NS-Staat. Eine strukturgeschichtliche Analyse, München 2009, S. 14.
  • 39. Erlass Hans von Seeckts zur Erziehung des Heeres vom 01.01.1921, BArch, N 247/89, Bl. 37–38.
  • 40. Dieser Anspruch findet sich auch in öffentlichen Publikationen über die Reichswehr, siehe beispielsweise: Karl-Ludwig von Oertzen: Deutsches Reichsheer-Handbuch, Berlin 1924, S. 90.
  • 41. Vgl. Exerzier-Reglement für die Infanterie (Ex.R.f.d.I.) vom 29. Mai 1906, München 1906, S. 1.
  • 42. Unter „Führerheer“ verstand man ein Rahmenheer, in der auch Soldaten der unteren militärischen Ränge so gut ausgebildet waren, dass sie im Falle einer schnellen Expansion der Armee zumindest kleinere Führungsaufgaben übernehmen und im militärischen Rang hochgesetzt werden konnten. Vgl. Rainer Wohlfeil, Reichswehr und Republik. 1918–1933, in: Militärgeschichtliches Forschungsamt (Hrsg.), Deutsche Militärgeschichte in sechs Bänden 1648–1939, Bd. 3, München 1983, S. 207–208.
  • 43. BArch, N 247/89, Bl. 37.
  • 44. Darüber, wie ein zukünftiger Krieg aussehen würde und welche Art der Kriegsführung am besten geeignet sei, gab es in der Reichswehr divergierende Meinungen. Einig war man sich darin, dass die Landesverteidigung mit den 100 000 Heeressoldaten nicht möglich war und die Reichswehr im Kriegsfall schnell erweitert werden musste. Vgl. James S. Corum, The Roots of Blitzkrieg. Hans von Seeckt and German Military Reform, Lawrence 1992, S. 51–67.
  • 45. B., Was wir brauchen. In: Deutsche Soldaten-Zeitung vom 23.04.1921.
  • 46. Kurt Hesse, Von der nahen Ära der „Jungen Armee“, Berlin 1925, S. 13.
  • 47. Vgl. Ernst Willi Hansen, Reichswehr und Republik. Die problematische Tradition des „Staatsbürgers in Uniform“. In: Klaus-M. Kodalle (Hrsg.), Tradition als Last? Legitimationsprobleme der Bundeswehr, Köln 1981, S. 46–48.
  • 48. Zur Führerfigur in der Weimarer Republik siehe: Rüdiger Graf, Anticipating the Future in the Present. “New Women” and Other Beings of the Future in Weimar Germany. In: Central European History 42 (2009), S. 647–673, hier S. 656–657.; Klaus Schreiner, „Wann kommt der Retter Deutschlands?“ Formen und Funktionen von politischem Messianismus in der Weimarer Republik. In: Saeculum 49 (1998), S. 107–160.
  • 49. Die Figur des Führers und Männlichkeit waren eng verknüpft. Die „Führerin“ gab es nicht.
Perspektiven: