„In der Front kämpfen für Deutschland Soldaten allein
Zum Schutz ihrer Frauen und Mütter daheim.
Dagegen konnten wir russische Frau’n
Beim Einsatz als ,Flintenweiber‘ schau’n.“1
In diesem Gedicht über die Flintenweiber, das ein deutscher Soldat für das Erinnerungswerk seiner Einheit über den Herbst 1941 verfasste, wird die abwertende Wahrnehmung von kämpfenden Frauen in der Wehrmacht und deren Abgrenzung zum reichsdeutschen Rollenverständnis der Frau als Ehepartnerin und Mutter deutlich. Das Gedicht zeigt symptomatisch die vorherrschende reichsdeutsche Sichtweise auf zahlreiche Rotarmistinnen als Flintenweiber. Das Geschlecht wird hier im Vergleich zu ihren männlichen Kameraden als biologisch bedingte Strukturkategorie verortet. Im Folgenden sollen genderspezifische Trennlinien für Versuche der Nichtanerkennung des Kombattantinnenstatus der Rotarmistinnen durch die deutsche Wehrmacht erarbeitet werden.
Für die dem Verständnis der deutschen Soldaten während des Zweiten Weltkrieges zugrunde liegende Wahrnehmung von Geschlechterrollen ist zunächst die allgemeine Positionierung der Frau innerhalb der bekannten Geschlechterstrukturen von Bedeutung.2 Diese nimmt ihren Ursprung in der Ende des 18. Jahrhunderts in Deutschland geführten philosophischen Diskussion über das Wesen von Mann und Frau im Kontext der Französischen Revolution. Schon die Revolutionärinnen wurden von den Royalisten als revolutionäre Flintenweiber verhöhnt und rüttelten an den Grundfesten des männlichen Selbstverständnisses und seiner allgemein proklamierten Besserstellung.3 Mit den Erfahrungen des europäischen Bürgertums im 19. Jahrhundert konkretisierten sich diese Fantasien. Ähnlich wie in Frankreich nach 1789 war es in Deutschland 1848 schließlich ebenso die Revolution, die Frauen zu Amazonen werden ließ.4 In der faschistischen Literatur deutscher Freikorpsoffiziere, die während des russischen Bürgerkrieges auf der Seite der Revolutionsgegner kämpften und im Baltikum 1918–1920 auf weibliche Bol’ševiki stießen, erfuhr die Vorstellung vom Flintenweib dann einen weiteren entscheidenden Radikalisierungsschub.5 Sie stützte sich vor allem auf Erfahrungen aus der Konfrontation mit bolschewistischen Kämpferinnen in den brutalen Baltikumskämpfen am Ende des Ersten Weltkrieges.6
Besonders dieser Topos der Flintenweiber aus der Freikorpszeit um 1920 wurde schließlich in der Frühzeit des Nationalsozialismus verstärkt aufgegriffen und institutionalisiert. Dass Frauen in Männerrollen auf dem Schlachtfeld agierten, widersprach traditionellen deutschen Militärvorstellungen ebenso wie der NS-Ideologie. „Die Beteiligung uniformierter Frauen am Kampf war ein Phänomen, das nicht in die militärische Vorstellung der Wehrmacht und ihrer Generale passte,“7 schreibt der Historiker Johannes Hürter. Damit wurde die sowjetische kämpfende Frau ganz im Sinne der Freikorpsliteratur erneut massiv herabgewürdigt und als besonders grausam und unmenschlich im Vergleich zu den Männern charakterisiert.8 Mit der bewussten Rekonstruktion althergebrachter Feindbilder wie dem des Flintenweibes und ihrer damit verbundenen Institutionalisierung wurde diese Art der Diffamierung sowjetischer Soldatinnen bereits zu Beginn des Krieges bewusst von den NS-Propagandaabteilungen genutzt. Die Soldatinnen wurden als „blutrünstige Flintenweiber“ betitelt, als „bolschewistische Mordcanaillen“, die mit „Kind und Kegel“ an die Front zögen und besonders grausam mit ihren Feinden ins Gericht gingen.9 Die Soldatinnen galten als Mannweiber, als heimtückische Zwittergestalten zwischen Frau und Mann. Dementsprechend tauchten sie auch in den Befehlen der Wehrmacht häufig als „entartete Weiber“ auf, nicht aber als Soldatinnen.10 Denn diese Frauen, so hieß es, würden die Männerordnung des Militärs zerstören und die Kampfkraft der Armee untergraben. Sie seien geschlechtskrank, rassisch minderwertig (jüdisch) und sexuell attraktiv und würden deshalb gern zur Spionage verwendet.11
In der Wochenschau vom 4. Juli 1941 wurde über eine Szene mit einer Frau und zwei Männern, in Unterbekleidung nebeneinanderstehend, erklärt: „Ein bolschewistisches Flintenweib und zwei Kommissare, die sich als Heckenschützen betätigten“.12 Eine Frau zusammen mit zwei Kommissaren, die sich auch noch als Heckenschützen, also einem ebenfalls illegalen Status, auszeichnen, konnte in dieser Lesart offenbar nie eine Kombattantin sein.
Die einerseits empfundene, andererseits bewusst konstruierte anormale Geschlechterordnung fand sich dann auch in den direkten Begegnungen zwischen Wehrmachtssoldaten und Rotarmistinnen wieder. Der Historiker Christian Hartmann spricht von Erstaunen, aber auch „Angst, Widerwillen und offenem Hass“,13 wenn die deutschen Soldaten an der Front auf Frauen trafen. Otto und Keller schreiben: „Das Feindbild vom Flintenweib, der maskulin-brutalen, im wahrsten Sinne des Wortes männermordenden Frau, wurde sehr schnell zu einem Stereotyp in Abwehrberichten, Propagandaartikeln sowie Feldpostbriefen, ungeheuerlich und von faszinierendem Schauder zugleich, überfrachtet mit Emotionen.“14 Die sowjetischen Soldatinnen personifizierten für die deutschen Soldaten einen massiven Verstoß gegen die konventionellen, im Nationalsozialismus noch verstärkt betonten und vereinfachten Männlichkeit – und Weiblichkeitskonstruktionen und die damit verbundene Vorstellung von Geschlechterordnung. Im Zweiten Weltkrieg wurde dieses Schreckensbild des Flintenweibs dann zusammen mit einer Reihe von weiteren kreierten Feindbildern dazu genutzt, den Überfall auf die Sowjetunion als „Feldzug gegen den jüdisch – bolschewistischen Untermenschen“15 zu legitimieren. Die Flintenweiber wurden zu „Ikonen der Degeneriertheit sozialistischer Gesellschaftskonzepte“,16 um die Legitimation des Vernichtungskrieges gegen die Sowjetunion noch zu erhöhen.17
Angelehnt an diese Vorverurteilung ist dann auch die Einordnung in die Akteure der militärischen Handlungen erklärbar. Hier ist eine differenzierte Grenzziehung zwischen Kombattantinnen und Nichtkombattantinnen, zwischen Kampftruppe und Unterstützungstruppe erkennbar. Nur in einigen wenigen Ausnahmefällen war die Rede von „weiblichen Soldaten“,18 „Rotgardistinnen“19 oder „Rotarmistin[nen]“.20 Meist war dagegen schlicht die Rede von „Frauen“21 oder man wählte Umschreibungen wie „bewaffnete, uniformierte Frauen“,22 oder „Frauen in Uniform“.23 Der Soldat Walter K. schrieb am 18. August einen Feldpostbrief, in dem es hieß: „Stellt euch vor, da waren doch tatsächlich 2 Weiber, die vollkommen soldatisch ausgerüstet waren, dabei. Eine davon (24 Jahre alt) wurde gefangen genommen. Kein Märchen.“24 Hier wurde der Begriff der Soldatin vermieden und die scheinbare Widersprüchlichkeit militärisch eingekleideter Soldatinnen betont.
Besonders signifikant erscheinen die häufig verwendeten, Befremdung ausdrückenden Verweise auf Uniformierung und Ausrüstung der Frauen, die immer wieder in den deutschen Akten zu finden sind. So meldete ein Divisionsstab beispielsweise „eine Frau in russ[ischer]. Leutnantsuniform“.25 Eine weitere Division verzeichnete eine „Frau in Soldatenuniform“26 und ein Infanterieregiment wunderte sich über zwei gefangene „völlig in russische Männeruniform gekleidete Frauen“.27 Diese Sprache konstruierte eine Beziehung zwischen Rotarmistinnen und ihrer militärischen Bekleidung – also immer wieder als etwas, das nicht vereinbar miteinander sein könne, fast schon als eine Art Verkleidung.28 Diese Darstellung zeigt eine optische Nichtakzeptanz der Frauen als Soldatinnen an. Durch die Betonung dieser vermeintlichen Widersprüchlichkeit wird deutlich, dass aus deutscher Sicht der elementare Sinn des Militärs von einer Normverletzung durch die Soldatinnen bedroht wurde. Militärische Uniformen, ebenso wie Ausrüstungsgegenstände oder auch Waffen waren männlich konnotiert und konnten dementsprechend einer Frau nicht zugeschrieben werden. Aus deutscher Sicht manifestierte sich der Widerspruch, den man zwischen ihrem Geschlecht, ihrer Rolle und ihrem Erscheinungsbild empfand, bereits im Auftreten und in der Uniformierung der Soldatinnen. Für die Nichtanerkennung des Kombattantinnenstatus war also die Beschreibung des Aussehens beziehungsweise der Ausstattung maßgeblich, um die Frauen zunächst semantisch aus dem Kreis der regulären Kriegsteilnehmer auszuschließen.
In diesem Zusammenhang fällt immer wieder die Einordnung von Frauen als Partisaninnen, also Nichtkombattantinnen, auf. Am 8. Oktober 1941 warnte die 2. SS-Infanteriebrigade: „Der Gegner benutzt in erster Linie Greise, Frauen und Kinder als Agenten [...]. Es muß mit allen Mitteln mit diesen Elementen Schluß gemacht werden.“29 In diesem Umfeld konnte auch die Partisanenbewegung für deutsche Männer nicht nur zum Vorwand sexueller und sexualisierter Gewalt gegenüber zivilen einheimischen Frauen werden, sondern trug auch dazu bei, dass Gewalt gegenüber Rotarmistinnen durch Wehrmachtsoldaten ideologisch legitimiert wurde.
Außerdem fällt immer wieder die Kategorisierung der angeblich extrem brutalen Kampfhandlungen – ausgeübt von Frauen – ins Auge, die später wiederum eine Rolle für die Grenzziehung der verschiedenen Truppengattungen spielte. Der Unteroffizier Hans Urban schrieb 1943 in einem Gefechtsbericht über ein „Banditenbataillon“ in der Schlacht von Charkow, das von einer Frau befehligt wurde: „Die Frau hatte rotes Haar und trug rote Stiefel und stand im Range des Bataillonskommandeurs.“ An die Frauen des Bataillons erinnerte er sich folgendermaßen: „Die Kampfesweise dieser weiblichen Bestien war äusserst hinterlistig und gefährlich. Sie lagen meist in Strohhaufen mit Stroh bedeckt und liessen uns vorbeiziehen und beschossen uns von hinten.“30 Ungeachtet der möglichen realen Bedrohung durch die Soldatinnen, unterstützte hier die NS-Propaganda die Schreckensbilder der deutschen Soldaten an der Ostfront hinsichtlich der Frauen, die in direkte Kampfhandlungen verwickelt waren, und charakterisierten sie als besonders grausam. Auch wenn mit der Zuschreibung verstärkter Gewalt durch Rotarmistinnen nicht konkret der Kombattantinnenstatus gefährdet wurde, so sollte sie doch zumindest, ähnlich wie die Zuschreibung des Partisanentums, die mittelbare Nichteinhaltung des Völkerrechts gegenüber den Soldatinnen rechtfertigen.
Welches aber das zentrale Kriterium bei der Konstruktion des Feindbilds Flintenweib und seiner konkreteren unbewussten oder auch bewussten Definition war, lässt sich in der folgenden Passage aus dem Vernehmungsbericht eines deutschen Divisionsstabes erkennen: „Von den Weibern behaupteten vier, Sanitäterinnen gewesen zu sein. Die übrigen sind als reine Flintenweiber anzusprechen, da sie nach ihrer eigenen Behauptung mit dem Gewehr in der Hand gegen uns ausgerückt sind.“31 Es ist also eine klare Abgrenzung von den Sanitäterinnen zu erkennen. Auch wenn es sich bei ihnen ebenso um uniformierte Rotarmistinnen handelte, wurden sie oftmals nicht als Flintenweiber betitelt, weil sie nicht an unmittelbaren Kampfhandlungen teilnahmen. Diese Grenzziehung zwischen dem aktiven Gebrauch der Schusswaffe, um zu töten, und dem Tragen der Waffe zum Schutz im Sanitätsdienst offenbart, wo die entscheidende Demarkationslinie verlief: Nicht die Uninformiertheit der Soldatinnen, sondern die Teilnahme am Waffengang machte in deutschen Augen eine Frau zum Flintenweib.
Die Unterscheidung zwischen Soldatinnen in Unterstützungsfunktionen und Rotarmistinnen in Kampfverwendungen prägte somit in vielen Kampfverbänden die Perzeption der weiblichen Kontrahentinnen. Als eine Kompanie des Infanterieregiments 109 in der ersten Kriegswoche eine Rotarmistin gefangen nahm, relativierte sich der erste negative Eindruck, nachdem festgestellt worden war, dass die Gefangene nicht in einer Kampfhandlung eingesetzt gewesen war:
„Noch einen lockeren, ,langhaarigen Vogel‘ fangen wir in der Falle. ‚Ein Flintenweib’ meinten unsere Landser, toll genug sah sie aus in der braunen Russenbluse mit den Stiefeln und dem zerzausten Haar. Zu ihrer Ehre muß aber gesagt werden, daß sie ,Schreibfräulein‘ in einem Divisionsstab war.“32
In der Tageszeitung Illustrierter Beobachter von 1941 beispielsweise fand man eine Fotografie einer verängstigten kriegsgefangenen Soldatin mit dem Untertitel: „Famulus im Felde. Beim Durchbruch durch die Stalinlinie fiel auch eine, Ärztin‘ in deutsche Gefangenschaft, die im Rang eines Leutnants stand.“33 Die Anführungszeichen bei dem Begriff Ärztin zeigen das Misstrauen gegenüber der vermeintlichen oder tatsächlichen Truppengattungszugehörigkeit. Analog zu den Überlebensstrategien zum Beispiel der sowjetischen Politoffiziere muss also berücksichtigt werden, dass ein Teil der Rotarmistinnen auf den radikalen Umgang der Wehrmacht mit Frauen reagiert haben könnten, indem sie bei Gefangennahme ihren Status als Kämpferinnen verleugneten und sich als Soldatinnen aus Unterstützungseinheiten ausgaben. So erinnert sich Klavdija Zapelnikova, Mitarbeiterin der Militärabwehr:
„Unter den kriegsgefangenen Frauen waren hauptsächlich Ärztinnen und Schwestern unseres Sanitätsbataillons. Sie sagten zu mir, dass ich mich beim Verhör als Wirtschaftsschwester des Bataillons ausgeben solle. Sonst würde ich als Mitarbeiterin der Staatsanwaltschaft erschossen. Dank ihnen blieb ich in der Gruppe des medizinischen Personals.“34
Die Echtheit einer Ärztin konnte auf Grund der Fachkenntnisse zwar schnell nachgeprüft werden, Feldscher hatten als Arztgehilfen dagegen nur eine mittlere medizinische Ausbildung. Auch Krankenschwestern mussten gemessen an einem Militärarzt eine deutlich geringere Fachkompetenz aufweisen, die durch den immer stärker werdenden Bedarf an Sanitätspersonal und die immer kürzere Ausbildung nochmal verringert wurde. Der verhältnismäßige Überschuss an Sanitätspersonal könnte also auch mit einer einfachen Schutzbehauptung im Zusammenhang stehen, die die eigenen Überlebensaussichten erhöhen sollte. Die Trennung zwischen kämpfenden und nicht-kämpfenden Soldatinnen bildet demnach ein weiteres Merkmal bei der Abwertung von Rotarmistinnen.
In der Fixierung der deutschen Terminologie auf den wahrgenommenen Widerspruch zwischen Bekleidung, Ausrüstung und Weiblichkeit der Rotarmistinnen wird deutlich, dass vor allem die Kategorie des Geschlechts innerhalb der Kampftruppen den Diskurs über die Flintenweiber dominierte.
Auch die männlichen Rotarmisten waren propagandistisch verankerten Vorurteilen und Ressentiments ausgesetzt. Diese waren jedoch im Gegensatz zum Fall der Frauen geschlechterunspezifisch und bezogen sich überwiegend auf den Charakter des Ostfeldzuges als Vernichtungsfeldzug. Den Nationalsozialisten galten die Sowjets im Vergleich zur „arischen“ grundsätzlich als minderwertige Rasse und als „Untermenschen“.
Nachdem die Wehrmacht im Sommer 1941 in die Sowjetunion eingefallen war, wurde hierzu vom SS-Hauptamt 1942 eine Hetzschrift mit dem Titel „Der Untermensch“35 veröffentlicht, um die Kampfmoral der Truppe zu stärken, den Krieg vor der deutschen Bevölkerung zu legitimieren und die Sowjets als primitives Volk zu charakterisieren. Das deutsche Bild des ‚einfachen Russen‘ ging ebenso wie der Topos des „jüdisch-bolschewistischen Kommissars“36, den es nunmehr zu vernichten gelte, in Sprachgebrauch und stereotypischer Darstellung auf die Erfahrungen des Ersten Weltkrieges zurück – ein Szenario überwiegend ohne Frauen unter Waffen und gänzlich ohne regulär dienende Rotarmistinnen. Nachdem eine Million russischer Kriegsgefangener im Ersten Weltkrieg außerdem dazu beigetragen hatte, die deutsche Kriegswirtschaft aufrecht zu erhalten, war in Deutschland weiterhin die Vorstellung der Russen als minderwertig verbreitet. Diese Vorurteile führten schließlich zum nationalsozialistisch propagierten slawischen Untermenschentum, das als ideologische Basis immer wieder auch dazu genutzt wurde, die extrem schlechten Bedingungen der russischen Kriegsgefangenen im Vergleich zu denen anderer Nationalität zu rechtfertigen.37
Diesen katastrophalen Zuständen waren auch die Rotarmistinnen ausgesetzt, die mit den Wahrnehmungs- und Deutungsmustern langjähriger deutscher Vorurteile und den damit verbundenen Lebenswelten konfrontiert wurden. Auch wenn das bolschewistische Untermenschentum für beide Geschlechter innerhalb der Roten Armee gleichermaßen galt, wurde dieses Deutungsmuster bei den Rotarmistinnen noch um die geschlechtsspezifische Diskreditierung als entmenschlichte Kreaturen, die ihrer genuinen Rolle als Ehefrau und Mutter nicht nachkämen und besonders grausam mit dem deutschen Feind ins Gericht gingen, ergänzt. Die sowjetischen Männer dagegen wurden in ihrer Rolle als männliche Verteidiger des Heimatlandes nicht angezweifelt. Rotarmisten erfüllten im Gegensatz zu den Rotarmistinnen schließlich die deutsche Vorstellung von ihrer gesellschaftlichen Rolle.
Vor allem das Zeitalter der Weltkriege verursachte also eine Krise der Geschlechterordnung und der traditionellen Rollenvorstellungen, die sich auf die gesamtgesellschaftliche deutsche Wahrnehmung von kämpfenden Frauen im Zweiten Weltkrieg auswirkte und einen unmittelbaren Einfluss auf die (Nicht-)Einhaltung völkerrechtlicher Regelungen gegenüber den Soldatinnen der Roten Armee hatte.38 Die Erschütterung der männlichen Autorität in der Zwischenkriegszeit beförderte zudem eine zunehmende Maskulinisierung, gewissermaßen als Gegentrend.39 Der Dienst an der Waffe galt nicht nur als ein männliches Vorrecht und stand im Zentrum traditioneller Männlichkeitsentwürfe, sondern diente auch der Reproduktion patriarchalischer Machtstrukturen.40 Die immer wieder auftretenden abgrenzenden Merkmale Bekleidung, Semantik und Ausrüstung bzw. die damit verbundene Gewaltausübung verdeutlichen, wie kategorisch sich das deutsche Ostheer der Anerkennung des Kombattantinnenstatus von Soldatinnen verweigerte.41
Die definitorischen Differenzierungen und Grenzziehungen innerhalb des Begriffs Rotarmistin sorgten für eine institutionalisierte ideologische Schlechterstellung der Frauen. Dies betraf nicht nur Partisaninnen,42 sondern auch die Binnengruppe der uniformierten, regulären Soldatinnen.43 Die diffamierende Bezeichnung Flintenweib stellte ein besonderes Charakteristikum weiblicher Rotarmistinnen beziehungsweise Partisaninnen dar und war nicht auf ihre männlichen Kameraden übertragbar. Letztere sahen sich zwar – ebenso wie die Frauen – mit dem im Deutschen Reich propagierten Stigma des sowjetisch-jüdischen Untermenschen konfrontiert, doch ihre Existenz und militärische Daseinsberechtigung wurden von deutscher Seite nicht grundsätzlich in Frage gestellt.
Diese Deutungsmuster spiegeln sich auch in dem eingangs erwähnten Gedicht wider. Die Semantik steht exemplarisch für die Ordnung, welche die Wehrmachtssoldaten durch die Rotarmistinnen bedroht sahen. Aus Sicht der deutschen Soldaten personifizierte die kämpfende Rotarmistin den denkbar weitesten Vorstoß gegen konventionelle Männlichkeits- und Weiblichkeitsvorstellungen und die Geschlechterordnung. Während in dieser Lesart die vorbildliche deutsche Frau die Rolle der Ehefrau und Mutter ausfüllte, stellten in der NS-Propaganda und in den Augen der Wehrmachtssoldaten die sowjetischen Soldatinnen eine verwerfliche Abweichung von der Norm dar. Die Schmähung als Flintenweiber wurde auch bewusst ausgenutzt, um den Frauen ihre Legitimität als Kombattantinnen abzusprechen.
Dieser Beitrag wurde redaktionell betreut durch Friederike Hartung, Wencke Meteling und Daniel R. Bonenkamp.
Zitierempfehlung: Luisa Eckert, Eine genderperspektivische Betrachtung des Kombattantinnenstatus sowjetischer Soldatinnen vor dem Hintergrund des Feindbildes Flintenweib, in: Portal Militärgeschichte, 22. Januar 2024, URL: https://portal-militaergeschichte.de/eckert_betrachtung, DOI: https://doi.org/10.15500/akm. 22.01.2024.
- 1. Abteilungsgeschichte der III./AR 187 zum Jahr 1941/42, o.D., BArch, RH 41/1128. Neben dem Vierzeiler über die Flintenweiber finden sich die Zeichnungen einer sowjetischen Soldatin. Zit. nach Felix Römer, Gewaltsame Geschlechterordnung. Wehrmacht und Flintenweiber an der Ostfront 1941/42. In: Klaus Latzel/Franka Maubach/Silke Satjukow (Hrsg.), Soldatinnen. Gewalt und Geschlecht im Krieg vom Mittelalter bis heute, Paderborn 2011, S. 331–352, hier S. 349.
- 2. Vgl. Claudia Freytag, Kriegsbeute Flintenweib. Rotarmistinnen in deutscher Gefangenschaft. In: Deutsch-Russisches Museum Berlin-Karlshorst/Peter Jahn (Hrsg.), Mascha, Nina, Katjuscha: Frauen in der Roten Armee, Berlin 2002, S. 32–34; vgl. Römer, Geschlechterordnung, S. 332.
- 3. Zum Thema Frauen und Französische Revolution siehe etwa die Arbeiten von M. De Villiers, Histoire des Clubs de Femmes et des Légions d‘Amazones, 1793–1848–1871, Paris 1910; Paule-Marie Duett, Les Femmes et la Revolution 1789–1794, Paris 1971; Neda Bei, Der politische Diskurs / der politische Diskurs der Frauen. Marginalien zur Szenographie der bürgerlichen Revolution. In: Autorinnengruppe Uni Wien (Hrsg.), Das ewige Klischee. Zum Rollenbild und Selbstverständnis bei Männern und Frauen, Wien 1981, S. 76–107; Olwen Hufton, Weiblicher Alltag. Die Schattenseite der Französischen Revolution. In: Claudia Honegger/Bettina Heinz (Hrsg.), Listen der Ohnmacht. Zur Sozialgeschichte weiblicher Widerstandsformen, Frankfurt a.M. 1981, S. 138–159.
- 4. Vgl. Sylvia Paletschek, Einschluss im Ausschluss? Überlegungen zur politischen Partizipation von Frauen 1848/49 und zum Verhältnis von Frauenemanzipation und Revolution, Wien 1999, S. 73.
- 5. Vgl. Römer, Geschlechterordnung, S. 332; Klaus Theweleit, Männerphantasien: Frauen, Fluten, Körper, Geschichte, 2 Bde., hier Bd. 1, Berlin 2000, S. 139–141.
- 6. Vgl. Theweleit, Männerphantasien, Bd. 1, S. 139–141.
- 7. Vgl. zum Inhalt Johannes Hürter, Hitlers Heerführer. Die deutschen Oberbefehlshaber im Krieg gegen die Sowjetunion 1941/42. Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte, Bd. 66, München 2007, S. 365.
- 8. Vgl. Reinhard Otto/Rolf Keller, Sowjetische Kriegsgefangene im System der Konzentrationslager, Mauthausen-Studien Bd. 14, Wien 2019, S. 251.
- 9. Illustrierter Beobachter 30 (1941). Zit. nach Freytag, Kriegsbeute, S. 33.
- 10. Berliner Illustrierte Zeitung 50 (1941), S. 33.
- 11. Vgl. Omer Bartov, Hitlers Wehrmacht. Soldaten, Fanatismus und die Brutalisierung des Krieges, Reinbek 1995, S. 145.
- 12. Bianka Pietrow-Ennker, Die Sowjetunion in der Propaganda des Dritten Reiches: Das Beispiel der Wochenschau, in: Militärgeschichtliche Zeitschrift 46 (1989), S. 79–120, hier S. 97.
- 13. Christian Hartmann, Wehrmacht im Ostkrieg. Front und militärisches Hinterland 1941/42, München 2012, S. 524.
- 14. Otto, Mauthausen, S. 251. Keller und Otto führen hierfür den großen Erfolg des Romans von Heinz Konsalik, Frauenbataillon, Bayreuth auf, von dem bereits nach Wochen mehr als 100.000 Exemplare verkauft wurden.
- 15. Freytag, Beutestück, S. 32.
- 16. Römer, Geschlechterordnung, S. 332.
- 17. Vgl. Freytag, Beutestück, S. 32–34.
- 18. Eintrag im KTB der 1./R 36 v. 17.7.1941, BArch, RH 41/465. Zit. nach Römer, Geschlechterordnung, S. 346.
- 19. Eintrag im KTB der 1./R 36 v. 17.7.1941, BArch, RH 41/465. Zit. nach Römer, Geschlechterordnung, S. 346.
- 20. Eintrag im KTB der 1./R 36 v. 17.7.1941, BArch, RH 41/465. Zit. nach Römer, Geschlechterordnung, S. 346.
- 21. Ic-Meldung des VII. AK an das AOK 2 v. 13.7.1941, BArch, RH 24-7/138, Bl. 289; Ic-Abendmeldung der 297. Inf. Div. v. 30.9.1941, BArch, RH 26-297/87; Ic-Meldung 4. Geb. Div. an das XXXXIX. AK v. 6.8.1941, BArch, RH 24-49/162, S. 273. Zit. nach Römer, Geschlechterordnung, S. 346.
- 22. Eintrag im TB (Ic) des XXXX. AK. v. 22.8.–26.8.1941, BArch, RH 24-40/87. Zit. nach Römer, Geschlechterordnung, S. 346.
- 23. Eintrag im Tagebuch (Ic) der 34. Inf. Div. v. 1.7.1941, BArch, RH 26-34/10, S. 70. Zit. nach Römer, Geschlechterordnung, S. 346.
- 24. Auszug aus einem Feldpostbrief eines deutschen Soldaten der Wehrmacht in: Peter Jahn, Dokumententeil. In: Deutsch-Russisches Museum Berlin-Karlshorst/ Jahn (Hrsg.), Mascha, S. 49–205, S. 57. Vgl. Römer, Geschlechterordnung, S. 346.
- 25. Ic-Abendmeldung der 12. Pz. Div. v. 12.9.1941, BArch, RH 24-39/184, Bl. 71. Zit. nach Römer, Geschlechterordnung, S. 346.
- 26. Ic-Beutemeldung der 7. Pz. Div. an das XXXIX. AK v. 14.7.1941, BArch, RH 27-7/156. Zit. nach Römer, Geschlechterordnung, S. 346.
- 27. Eintrag im Tagebuch einer Teileinheit des IR 84 v. 4.8.1941, BArch, RH 37/7588, Bl. 45. Zit. nach Römer, Geschlechterordnung, S. 347.
- 28. Vgl. Römer, Geschlechterordnung, S. 347.
- 29. Brigadebefehl Nr. 20, 8.10.1941, 2. SS-Infanteriebrigade (mot), in Auszügen abgedruckt in: Klaus-Michael Mallmann/Volker Rieß/Wolfram Pyta (Hrsg.), Deutscher Osten 1939–1945. Der Weltanschauungskrieg in Fotos und Texten, Darmstadt 2003, S. 29.
- 30. Auszug aus dem Gefechtsbericht des Unteroffiziers Hans Urban, 1943, in: Jahn, Dokumententeil, S. 56.
- 31. Vernehmungsbericht der 1. Pz. Div./Abt. Ic v. 17.9.1941, BArch, RH 27-1/135. Zit. nach Römer, Geschlechterordnung, S. 344.
- 32. Bericht Die Kämpfe bei Zdzieciol am 28./29.6.1941 v. Oblt. Rudolf Wich, Adj. Der Vorausgruppe, 11./IR 109, BArch, MSg 2/4975, Bl. 91. Die Passage endet mit der folgenden Bemerkung, aus der nicht eindeutig hervorgeht, wie mit der Gefangenen weiter verfahren wurde: „Auch sie wurde vor der Gefangenschaft zweimal verwundet und erwartet nun weinend, daß sie erschossen wird.“ Zit. nach Römer, Geschlechterordnung, S. 345.
- 33. Illustrierter Beobachter, 34 (1941), in: Jahn, Dokumententeil, S. 55.
- 34. Muratova, Ada, S. 215 f.
- 35. Broschüre „Der Untermensch“, veröffentlicht 1942 im Nordland-Verlag, Berlin, hergestellt vom SS-Hauptamt-Schulungsamt, SS-Hauptsturmführer König, SS-Obersturmführer Ludwig Pröscholdt in Verbindung mit der Grafischen Arbeitsgemeinschaft Jupp Daehler. Deutsch-Russisches Museum Berlin-Karlshorst/MBK, CC BY-NC-SA.
- 36. Vgl. zum Unterschied von jüdisch-bolschewistischen Kommissaren und einfachen Russen auch Hilger, Rotarmisten, S. 19.
- 37. Insgesamt waren laut Hilger die folgenden drei Befehlskomplexe dafür verantwortlich, dass die Behandlung der sowjetischen Kriegsgefangenen sich so sehr von der der westlichen Gefangenen unterschied: Der Kommissarbefehl, die Aussonderungs-Befehle und die Richtlinien für die allgemeine Behandlung der Kriegsgefangenen.
- 38. Vgl. den Forschungsüberblick von Karen Hagemann/Stefanie Schüler-Springorum (Hrsg.), Heimat – Front. Militär und Geschlechterverhältnisse im Zeitalter der Weltkriege, Frankfurt a.M. 2002, S. 237–239.
- 39. Vgl. Birthe Kundrus, Kriegerfrauen: Familienpolitik und Geschlechterverhältnisse im Ersten und Zweiten Weltkrieg, Hamburg 1995, S. 173–175.
- 40. Vgl. Hagemann, Heimat, S. 102.
- 41. Vgl. Römer, Geschlechterordnung, S. 347.
- 42. Vgl. Freytag, Kriegsbeute, S. 33.
- 43. Es ist bezeichnend, wenn die Kommandobehörden davon sprachen, dass an der Front „Frauen in Uniform“ aufgetaucht seien, es sich hierbei aber nur „z.T. [...] um Flintenweiber“ gehandelt habe. Solche Äußerungen lassen annehmen, dass der Begriff nicht auf alle sowjetischen Soldatinnen bezogen war, sondern zumeist eine Binnengruppe unter den Rotarmistinnen beschrieb.