Die Verteidigung von deutschen Kriegsverbrechern vor alliierten Militärgerichten durch britische Offiziere (Dissertation)
Margaretha Bauer
Projektskizze
Veröffentlicht am: 
31. Dezember 2012
DOI: 
10.15500/akm.31.12.2012

Unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs fand eine Reihe von alliierten Prozessen gegen deutsche Kriegsverbrecher statt. Bereits wenige Monate nach Kriegsende begannen sowohl Amerikaner wie auch Briten in ihren Besatzungszonen in Deutschland verschiedene KZ-, Flieger- und U-Bootprozesse durchzuführen. Unter britischem Militärrecht wurden zwischen 1945 und 1949 insgesamt mehr als 300 Gerichtsverfahren abgehalten. Das Dissertationsprojekt nimmt die Verteidigung dieser Angeklagten durch britische Offiziere vor alliierten Militärgerichten in den Blick.

Dabei sollen die Strategien und Zielsetzungen der “Defense“ im Kontext der besonderen Situation der Vertretung durch einen Militärangehörigen eines ehemaligen Feindstaates als ganz spezifische Form einer transnationalen Begegnung im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens untersucht werden. Während der Beitrag der Anklage im bundesdeutschen Demokratisierungsprozess zumeist offenkundig erscheint, macht es sich dieses Dissertationsvorhaben zur Aufgabe, die vergessene Rolle der Verteidiger in diesem Transformationsprozess zu analysieren. In kritischer Auseinandersetzung mit ihrem Wirken, ihrer gesellschaftlichen Repräsentation und Rezeption werden die Verteidiger als selbstständige, sowohl juristische als auch zeithistorische Akteure untersucht. Wie interpretierten diese Akteure ihre Aufgabe und wie verstanden sie ihre eigene Rolle innerhalb ihres militärischen Umfeldes? Das lässt die Frage aufkommen, nach welchem Berufsethos die britischen Offiziere handelten. War die Verteidigung letztlich „nur ein Befehl“ an eine juristische Funktionseinheit oder sahen sich die Verteidiger verpflichtet, für ein bestimmtes demokratisches Rechtsideal einzutreten und als professionelle Juristen eine Vorbildfunktion auszuüben?

Dabei wird der Versuch unternommen, eine erstaunliche Forschungslücke im Bereich der wissenschaftlichen Untersuchung von NS-Prozessen zu schließen, indem mittels kulturgeschichtlicher und rechtshistorischer Methoden ebenso wie durch die Einbeziehung von Ansätzen der Friedens- und Konfliktforschung gezielt die juristischen, medialen und politisch-gesellschaftlichen Strategien der Verteidigung im Ganzen sowie der einzelnen Verteidiger analysiert werden. Insbesondere soll dabei dem Beitrag der Verteidiger als ganz eigene Form einer transnationalen Begegnung im Hinblick auf die Transformation des deutschen Rechts- und Demokratieverständnisses Rechnung (ˮtransitional justice“) getragen werden. Anhand von britischen Verteidigern deutscher Kriegsverbrecher vor alliierten Militärgerichten soll ein Soziogramm dieser Verteidiger erstellen werden, um ausgehend von dieser Grundlage die politische und gesellschaftliche Wahrnehmung und Beurteilung der Verteidiger als eigenständige Akteure herauszuarbeiten. Gerade die ältere Literatur zu den alliierten Kriegsverbrecherprozessen verkannte diese Rolle des Verteidigers und reduzierte den Anteil der Verteidigung am Prozessgeschehen auf den Dienst als „Sprachrohr“ des Mandanten. Besondere Beachtung verdienen dabei sozialisierte Denkmuster der einzelnen Verteidiger, beispielsweise in Bezug auf Verhalten, „Ehrbarkeit“ oder Standeszugehörigkeit des Angeklagten und der Zeugen. Problematisch werden diese Denkmuster vorrangig im Aufeinandertreffen von Verteidigern und Opferzeugen. Auf der einen Seite erfordert das anwaltliche Berufsethos für den eigenen Mandanten auch entgegen der öffentlichen Meinung einzutreten und die Aussagen des Zeugen, gerade im Kreuzverhör, aggressiv und direkt in Zweifel zu ziehen. Auf der anderen Seite stehen aber insbesondere bei KZ-Prozessen ein mit der alltäglichen Gerichtspraxis und -erfahrung nicht mehr vergleichbarer Unrechtsgehalt der Taten und schwerste Leiden der Opferzeugen. Hinzu kommt, dass gerade für den erfahrenen Strafverteidiger mit diesen auch politisch hoch aufgeladenen Verfahren weniger die Wiederlegung des Straftatbestandes an sich als die psychologische Wirkung im Gerichtssaal im Vordergrund stand. Auf der medialen und diskursiven Ebene war das Handeln der Verteidiger von großer Bedeutung. Obwohl primär als Repräsentant des Angeklagten in der Öffentlichkeit wahrgenommen, gestaltete die Verteidigung den öffentlichen Blick auf die Prozesse als Ort gesellschaftlich-justiziellen Konfliktaustrags wesentlich mit. Gefragt wird nicht „warum“ oder „wie“ der Täter handelte, sondern „in welcher Weise“ über den Täter gesprochen wird, welche Medienstrategien bestimmter Verteidiger auch langfristig großen Erfolg hatten, während andere Verfahren weitgehend in Vergessenheit gerieten.

Anders als die Nürnberger und Tokioter Militärgerichtshöfe, die (entgegen ihrem Namen) von Zivilrichtern geleitet wurden, waren die britischen Prozesse reine Militärgerichtsverfahren. Die ungewöhnliche Konstellation der Vertretung durch einen Offizier eines kurz zuvor noch feindlichen Staates verleiht den frühen Militärgerichtsprozessen wie dem ˮBelsen Trial“, denen ohnehin schon ein Modellcharakter für spätere alliierten NS- aber auch Menschenrechtsverfahren im Allgemeinen zukommt, einen zusätzlichen Reiz.

Wesentliche Quellen für das Projekt sind die Prozessakten der jeweiligen Verfahren, welche in den National Archives, Kew bei London archiviert sind. Die britischen Prozessakten sind gesammelt in den War Crimes Papers des Judge Advocate General's Office im britischen Kriegsministeriums. Dort befindet sich auch wichtiges ergänzendes Material zu den politischen Rahmenbedingungen der Prozesse und den Reaktionen der Öffentlichkeit in den Akten der Legal Division der Control Commission for Germany sowie den Akten zum Kriegsverbrechergefängnis Werl Die Vorbereitung der Prozesse ist dokumentiert in den Generalakten des Judge Advocate General's Office. Eine besondere Herausforderung für die Bearbeitung des Projekts ist überdies die systematische Recherche bei Nachkommen der damaligen britischen Verteidiger.

Die zentrale Fragestellung des Dissertationsvorhabens ist demnach, welche Bedeutung das Vorbringen und die Gestaltung der Argumente der Täter durch die Verteidigung für das Gelingen (oder Scheitern) der Systemtransformation und die Demokratisierung in Deutschland hatten und welchen Erwartungsrahmen und -horizonte an die Besatzungsmacht durch die (Un-)Möglichkeit einer effektiven Verteidigung generiert wurden. Dies gilt in ganz besonderem Maße hinsichtlich der Ausgestaltung der formellen Kritik an den Prozessen und der von den Alliierten angestrebten demokratisch-rechtsstaatlichen Vorbildfunktion, die durch die Vorwürfe der Siegerjustiz und ungerechter Verfahrenspraktiken unterminiert zu werden drohten.

Betreut wird die Arbeit von Prof. Dr. Andreas Wirsching, Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte der Ludwig-Maximilians-Universität München/ Direktor des Instituts für Zeitgeschichte München-Berlin.

Handschriftliche Auflistung der Verteidiger im Bergen-Belsen-Prozess (Foto: National Archives Sig. WO 235/12)
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