Daniel Schumacher
Projektskizze
Veröffentlicht am: 
02. Dezember 2013

Mit Ausbruch des Krieges im Pazifik am 7./8. Dezember 1941 traten die japanischen Streitkräfte auch die zügige Eroberung der britischen Kolonien Hong Kong und Singapur an und brachten diese unter eine mehr als dreieinhalb Jahre währende Besatzungsherrschaft. Diese endete erst mit der Kapitulation Japans am 15. August 1945 und mit der nachfolgenden Wiederinbesitznahme beider Territorien durch Großbritannien. Die Weltkriegsereignisse markierten einen entscheidenden Wendepunkt in der neueren Geschichte der südostasiatischen Staaten und Territorien und hinterließen ein schwieriges Erbe.

Ehemals unbesiegbar scheinende Kolonialmächte, wie Großbritannien, hatten schwere militärische Niederlagen gegen Japan hinnehmen müssen und als Folge zum Teil unwiederbringlich an Reputation und politischem Einfluss in der Region verloren. Die Lokalbevölkerungen hatten schwer mit den Folgen jahrelanger Entbehrung und weiträumiger Zerstörung von Eigentum, mit den Auswirkungen von Massenvertreibung und zehntausendfachen gewaltsamen Todes zu kämpfen. Zudem hatten lokale Guerillaeinheiten nach den anfänglichen Siegen Japans maßgeblich den Widerstand gegen japanische Truppen fortgesetzt.

Der Zweite Weltkrieg in Südostasien veränderte somit grundlegend die Machtverhältnisse, auf denen das Zusammenleben von „Europäern“ und „Asiaten“ vor der japanischen Invasion und Okkupation gefußt hatte. Diese Veränderungen begannen sich nach Kriegsende auch in den Denkmälern, Erinnerungszeremonien und den im öffentlichen Raum verbreiteten Narrativen abzubilden. Während der Krieg in angrenzenden Staaten wie China teilweise intentionalem Vergessen anheimfiel, durchlief die öffentliche Erinnerungsinfrastruktur Hong Kongs und Singapurs signifikante Umgestaltungsprozesse und diente unterschiedlichen Akteuren sowohl als Bühne als auch als öffentliche Ressource, die zur Aushandlung einer Vielzahl an Themen nutzbar gemacht werden konnte. Diese Transformationsprozesse reichten in Hong Kong und Singapur bis in die Zeit nach Ende der britischen Kolonialherrschaft hinein und sind auch heute noch für staatliche und nicht-staatliche Akteure und deren systematische Anstrengungen relevant, die auf das Erreichen bestimmter politischer, sozialer und ökonomischer Ziele ausgerichtet sind.

Die Dissertation untersucht jene unterschiedlich gearteten und mit einander verwobenen Kämpfe um Autorität über die öffentlichen Repräsentationen der kriegszeitlichen Vergangenheit. Dabei schenkt sie staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren, die in sich wandelnden Hierarchien auf einander trafen, besondere Aufmerksamkeit. Die Arbeit untersucht zuvorderst den Zeitraum zwischen 1945 und 2013. Sie verfolgt einen vergleichenden, akteurbasierten Ansatz und kombiniert diesen mit einem neu bestimmten Verständnis des Begriffs der „Strategie“. Kommemorationsstrategien werden als politisierte, pragmatische und geplante Formen des öffentlichen Erinnerns verstanden, die auf die Kontrolle und Regulierung von materiellen wie immateriellen Repräsentationen von Vergangenheit zielen. Die Analyse der Fortsetzung, Überarbeitung, Aufgabe und/oder Neubelebung sinnstiftender Strategien versucht zwei wichtige Aspekte öffentlichen Erinnerns zu beleuchten.

Zum einen untersucht die Arbeit Integrations- und Exklusionsprozesse die diese Handlungen in kolonialen und post-kolonialen Kontexten durchzogen. Dies gewährt Einblick in Entwürfe von Selbst- und Fremdbildern, in Prozesse des „nation-building“ und in Versuche koloniale Herrschaft zu legitimieren oder zu delegitimieren. Zum anderen vermisst die Analyse die Handlungsspielräume, die sich einzelne Akteure oder Gruppen selbst schaffen konnten oder die ihnen zugewiesen wurden. Diese lassen den Dynamisierungsgrad entsprechender Erinnerungsinfrastrukturen und die Durchlässigkeit der Hierarchien, in denen die relevanten Akteure operierten, bestimmen. Erfolg oder Scheitern einzelner Erinnerungsstrategien zeigt die Grenzen der Handlungsspielräume auf.

So lässt sich beispielsweise das Unvermögen britischer Kolonialbehörden herausstellen, die eigene Herrschaft durch den Export von Denkmälern in die Kolonien und die (oberflächliche) Integration nicht-britischer Kriegstoter in den Erinnerungskanon zu konsolidieren (Part I). Im Zuge der Dekolonisation wiederum erlaubte der Blick auf Prozesse der Aneignung und Umdeutung offizieller Weltkriegsnarrative durch multi-ethnische Interessengruppen deren Emanzipationsspielräume in sich wandelnden Hierarchien zu vermessen und die fortdauernde Relevanz einzelner kolonialzeitlicher Inhalte zu bestimmen (Part II). Die erlebnisorientierte Aufbereitung lokaler Weltkriegsstätten im aktuellen Kontext des wachsenden Massentourismus zeigte schließlich Möglichkeiten privater Akteure auf, staatliche Institutionen als die maßgeblichen Interpretatoren von Vergangenheit abzulösen (Part III).

Diese Dissertation trägt zur Kolonial- und Postkolonialgeschichtsschreibung Hong Kongs und Singapurs bei, indem sie beide Forschungsfelder zusammenbringt und mit dem Gebiet der Memory Studies verbindet. Den Vergleich Hong Kongs und Singapurs anhand der dort verfolgten Kommemorationsstrategien vorzunehmen erlaubt es lokale Anstrengungen zur Strukturierung und Ordnung des öffentlichen Raums und der dort interagierenden Gesellschaften über formale politische Zäsuren hinweg zu begreifen. Ein solcher Vergleich vermag überdies den grenzüberschreitenden Transfer von Kriegsnarrativen und greifbaren Erinnerungsformen zu beleuchten und die Akteure zu identifizieren, die als deren Träger fungierten. Indem Großbritannien dabei als zusätzlicher Referenzpunkt erhalten bleibt, zeigt die Arbeit nicht nur auf, wie die Kolonial- und Postkolonialgeschichte Hong Kongs und Singapurs verknüpft ist, sondern auch wie eng die Geschichte Europas und Südostasiens zu einander in Beziehung steht.

Dieses Promotionsprojekt an der Universität Konstanz wird von Prof. Dr. Jürgen Osterhammel und Prof. Dr. Dominic Sachsenmaier (Jacobs University Bremen) betreut.

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