Armeemuseum und Napoleongrab in Paris
Dierk Walter
Exkursionsbericht
Veröffentlicht am: 
15. Juli 2013

Wäre der Eintritt zum "Invalidendom" nicht inbegriffen, würde wohl kaum jemand das Armeemuseum in Paris besuchen (und schon gar nicht € 9,90 dafür bezahlen). Die weltbekannte Kuppelkirche mit dem Napoleongrab lohnt den Besuch durchaus, während das Museum zwar über eine reichhaltige Sammlung verfügt, aber museal und historisch in fast jeder Hinsicht sehr konservative Züge trägt.

Bleiben wir angesichts dessen kurz bei der Grablege, die ja ohnehin meist zuerst besucht wird. Dass es sich eigentlich um die von Ludwig XIV. in Auftrag gegebene Königskapelle der nördlich anschließenden Garnisonskirche zur Heiligen Dreifaltigkeit handelt, entgeht vermutlich vielen Besuchern, weil die beiden Räume seit dem 19. Jahrhundert nicht mehr nur durch den Hochaltar, sondern auch durch eine Glasscheibe getrennt sind und verschiedene Eingänge haben. Die Garnisonskirche selbst ist baulich unspektakulär, historisch aber bemerkenswert, weil sie die Trophäen der königlichen Armee zur Schau stellt, die vor der Revolution in Notre-Dame hingen, jedenfalls soweit sie überlebt haben – mehr als 1.500 eroberte Fahnen wurden noch 1814 im Ehrenhof verbrannt, um nicht dem Feind in die Hand zu fallen. Die Säulen des Hauptschiffs sind von marmornen Ehrentafeln für die Marschälle Frankreichs geschmückt, was ein Motiv aufgreift, das sich in der Kuppelkirche und im Museum fortsetzt: die nationale Heldenverehrung.Ein Kuriosum der Kirche besteht darin, dass sie Sitz der französischen Militärdiözese und damit Kathedrale ist.

Die Kuppelkirche – L’Église du Dôme, was zur im Deutschen eingebürgerten Falschübersetzung "Invalidendom" geführt hat – ist auch vom Raumeindruck bemerkenswert: Die pantheonartige Kuppel erhebt sich hoch über der offenen Krypta mit dem Napoleongrab. Vom eigentlichen Fußboden bleibt nur eine schmale Umlaufgalerie übrig. Der zentral erhöht platzierte Sarkophag ähnelt leider nichts so sehr wie einer von einem Sofa gekrönten Schmuckschatulle aus Milchschokolade, eine abscheuliche Geschmacksverirrung der Julimonarchie, die 1840 die Gebeine Napoleons hierher überführte. Interessant ist aber, dass es der letzte König Frankreichs war, der hier wie andernorts ausgerechnet die militärische Gloire des ersten Kaiserreichs verherrlichte, während umgekehrt Napoleon selbst mit den Grabmalen Turennes und Vaubans, die 1800/02 in Seitenkapellen errichtet wurden, an die Militärgeschichte der Bourbonen anknüpfte. Vom Festungsbaumeister ist allerdings nur das Herz nach Paris überführt worden, die anderen Überreste liegen weiter in seinem Wohnort Bazoches in Burgund begraben. Inzwischen sind noch die Särge Lyauteys und Fochs dazugekommen, der Helden der Kolonialkriege bzw. des Ersten Weltkrieges.

In der Krypta selbst finden sich ein Reliefzyklus, in dem Napoleon als nur spärlich bekleideter Halbgott römischen Stiles in der ersten Person Singular seine zivilisatorischen Taten verewigt, etwa den Code Napoléon ("mon seul code par sa simplicité a fait plus de bien en France que la masse de toutes les lois qui m’ont précédé") .In einem Nebengang kann der Besucher unter anderem eine Erinnerungstafel für die Schweizer entdecken, die 1789 gegen die Revolution für den König kämpften – die unterschiedslose Vereinnahmung aller heroischen Momente der französischen Geschichte für eine synthetische glorreich nationale Militärkultur ist hier perfekt.

Das Armeemuseum präsentiert sich angesichts der etwas wahllosen Verteilung seiner Räume auf dem weitläufigen Gelände des Hôtel National des Invalides eher verwirrend, zumal die Ausschilderung zwar ubiquitär, aber gleichwohl miserabel ist – eine ganze Abteilung war bei unserem Besuch schlechthin unauffindbar. Auch hier dominiert das heroische Element. Keine Sektion kommt ohne die Verherrlichung nationaler militärischer Führer aus, und Galauniformen sowie Marschallstäbe sind auffällig überrepräsentiert, und das durch die Zeiten – buchstäblich die letzte Vitrine des Museums, wenn man es in chronologischer Folge besucht, verewigt die Bildnisse und die Kommandostäbe der Maréchals de France des späten 20. Jahrhunderts, Koenig, Juin, de Lattre de Tassigny und Leclerc. Den Löwenanteil der Sammlungen machen, erneut durch die Zeiten, Uniformen und Waffen aus, von Rüstungen des Mittelalters über Handfeuerwaffen, vor allem aber Blankwaffen in großer Zahl aus der frühen Neuzeit und dem 19. Jahrhundert bis zu Maschinenwaffen des 20. Jahrhunderts. Im Innenhof gibt es dazu frühneuzeitliche Kanonen und zumindest einen leichten Panzer, wenngleich ausgesprochenes modernes militärisches Großgerät wie etwa im Londoner Imperial War Museum fehlt (Platz wäre eigentlich gewesen).

Gegliedert ist die Ausstellung zunächst nach Epochen und dann nach Kriegen, was schon auf den Akzent verweist: Friedenszeiten, Militäralltag, Militär und Gesellschaft, Wirtschaft und ähnliche Zugänge der modernen Militärgeschichte spielen eine geringe Rolle. Von der musealen Präsentation ist das Ganze auch eher konservativ, um nicht zu sagen karg – speziell in den älteren Abteilungen gibt es zwar Etiketten für die Exponate, aber wenig verbindenden Text. Dass man gekonnt hätte, wenn man gewollt hätte, darauf deutet der erhebliche Aufwand hin, der für Schlachtendarstellungen betrieben worden ist: Von Fontenoy bis zur Marne werden die Ereignisse oft in Gemälden, Dioramen und recht gelungenen bewegten schematischen Projektionen des taktischen Ablaufes auf Reliefkarten kommuniziert. Problematisierungen sucht man weithin vergebens. So wird für die Auslösung des Krieges von 1870 in der schönsten Tradition nationaler Geschichtsschreibung allein der Umformulierung der Emser Depesche die Schuld gegeben, die automatisch zum Kriege führte: "L’opinion française s’enflamme." Kein Wort davon, dass sich ein innenpolitisch abgewirtschaftetes zweites Kaiserreich mehr oder weniger verzweifelt über den lächerlichsten Anlass in einen Krieg nach außen stürzte. Fehlt nur noch "revanche pour Sadowa". Immerhin wird für den Deutsch-Französischen Krieg mit einigen Gemälden toter Soldaten die „Malerei der Niederlage“ thematisiert. Interessant sind auch die zahlreichen Propagandaplakate aus dem Ersten Weltkrieg, die sogar teilweise vom Kriegsgegner kommen ("Die deutsche Kartoffel muss England besiegen").

Auffällig ist, dass sich bis Beginn des 20. Jahrhunderts immer wieder Thematisierungen des überseeischen Einsatzes des Militärs finden (wie auch im Innenhof Gedenkstätten für die Kolonialarmee). Am Ende aber endet die Darstellung nach ausführlicher Würdigung des Zweiten Weltkrieges (und da vor allem der Landung in der Normandie) mit kurzen Verweisen auf die Berlinpräsenz im Kalten Krieg. Da bleibt chronologisch und thematisch doch vieles unerwähnt, was umso eigenartiger wirkt, als zumindest zur Zeit unseres Besuches gigantische Plakate auf der Grabenmauer des Geländes die Einsätze der französischen Marineinfanterie in jüngsten Kriegen bis hin ins 21. Jahrhundert farbenfroh verherrlichten.

Um das wahre Schmankerl des Museums zu genießen, muss man in den Dachstuhl steigen. Dort findet sich in einem abgedunkelten Riesenraum das Musée des Plans-Reliefs mit detaillierten und riesigen Holzmodellen französischer Festungen, die mehrheitlich schon für Ludwig XIV. angefertigt wurden. Beeindruckendes Kernstück ist ein 56 Quadratmeter großes Modell von Bayonne mit Umgebung im Maßstab 1:600, aber auch der Hafen Toulon, Mont Saint-Michel und landschaftlich beeindruckende Bergfestungen finden sich hier im Holzmodell verewigt.

Musée de L’Armée / Hôtel National des Invalides
129, rue de Grenelle, 75007 Paris
10 – 18 Uhr (April bis Oktober)
10 – 17 Uhr (November bis März)

Garnisonskirche
Kuppel
Krypta und Napoleongrab
Grabmal Lyauteys
Reliefzyklus
Armeemuseum Paris
Plakat französische Marineinfanterie
Waffen aus dem Ersten Weltkrieg
Malerei der Niederlage
Austerlitz-Projektion
Plakat Madagaskarkrieg
Modell Toulon
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