Die deutsche Expedition Klein im Ersten Weltkrieg
Oliver Stein
Buchbesprechung
Veröffentlicht am: 
15. Juni 2015

Das Zentenarium des Kriegsausbruchs von 1914 wird von einer intensivierten Forschungstätigkeit sowie von einem gesteigerten öffentlichen Interesse am Ersten Weltkrieg begleitet. Immer stärker rückt dabei ins Bewusstsein, dass der Erste Weltkrieg aus mehr als nur dem Stellungskrieg im Westen bestand. Er war ein globaler Krieg, der neben anderen Teilen der Welt auch auf den Vorderen Orient ausgriff. Dass gerade dieser Kriegsschauplatz und insbesondere das deutsche Engagement in dieser Region bislang nur eine begrenzte Beachtung gefunden hat und immer noch viele weiße Flecken aufweist, macht die Studie „Unter Wüstensöhnen“ von Veit Veltzke deutlich. Dem Autor kommt das große Verdienst zu, ein bislang kaum bekanntes und doch zugleich wichtiges und aussagekräftiges Kapitel des Ersten Weltkriegs erstmals eingehend untersucht zu haben. Bei diesem Kapitel handelt es sich um die Expedition Klein, die 1915/16 im osmanischen Mesopotamien und in Persien agierte.

Im Herbst 1914 beauftragten das Auswärtige Amt und die Oberste Heeresleitung den preußischen Hauptmann Fritz Klein mit der Führung einer Expedition in das osmanisch-persische Grenzgebiet. Der Auftrag war die Sprengung einer britischen Ölpipeline in Südpersien, um auf diese Weise die Versorgung der britischen Flotte mit Öl empfindlich zu beeinträchtigen. Als vormaliger deutscher Militärattaché in Teheran war Klein für diese Aufgabe bestens geeignet. Die deutschen Mitglieder der Expedition – ihre Zahl von zunächst 18 wuchs bis auf über 70 an – waren zu einem guten Teil Landeskenner, Ingenieure und Archäologen und nicht zuletzt auch Abenteurer. Im April 1915 gelang es Kleins Sprengkommando unter dem Archäologen Hans Lührs, die britischen Ölleitungen in die Luft zu jagen. Zugleich bemühten sich die Angehörigen der Mission, die arabischen Beduinenstämme in dieser Region durch Waffen und Gelder auf die Seite der Mittelmächte zu ziehen, damit diese einen Kleinkrieg gegen die in Mesopotamien vordringenden Briten führten.

Klein strebte danach, aus seinem militärischen Kommandounternehmen zugleich auch eine politische Mission zu machen, um ein deutsch-persisches Bündnis vorzubereiten. Persien war während des Ersten Weltkrieges zwar offiziell neutral, doch lagen im Norden russische Truppen, während die Briten den Süden kontrollierten. Unter den auf Unabhängigkeit ihres Landes bedachten Persern konnte Deutschland daher mit großen Sympathien rechnen. In eigenmächtiger Geheimdiplomatie gelang es Klein, hohe schiitische Geistliche auf seine Seite zu ziehen und zur Erklärung des Heiligen Krieges der Schiiten gegen die Ententemächte zu bewegen. Jedoch beäugten die Türken eine eigenständige deutsche Persienpolitik höchst misstrauisch und suchten Klein zu behindern. Erst als sich im Juli 1915 das Auswärtige Amt für eine eigenständige deutsche Persienpolitik entschied, wurde eine deutsch-persische Militärmission aufgebaut, in die Klein und seine Leute integriert wurden. Kleins Offiziere führten persische Truppen im Kampf gegen die Russen und suchten unter den Stämmen im Westen des Landes Verbündete. Jedoch gelang es nicht, den russischen Vormarsch aufzuhalten und auch die persischen Stämme erwiesen sich als höchst unzuverlässig, so dass nach der Niederlage am Kangavar-Pass im Februar 1916 die deutsch-persische Militärmission als gescheitert gelten konnte. Klein kehrte resigniert nach Deutschland zurück.

Veit Veltzke vermag es, in seiner Monographie über die Expedition Klein zahlreiche relevante Fragen des Ersten Weltkrieges im Vorderen Orient wie in einem Brennglas zu bündeln. So geht es in seiner Studie stets zugleich auch um die deutsche Persienpolitik, um die Schwierigkeiten im deutsch-osmanischen Bündnis und um den Djihad. Mit seiner Untersuchung gelangt der Autor zu einer partiellen Neubewertung der deutschen Persienpolitik. Anders als in der bisherigen Forschung angenommen, kann Veit Veltzke belegen, dass Klein versuchte, den Heiligen Krieg im Alleingang ohne offiziellen deutschen Auftrag und unter Umgehung des osmanischen Verbündeten nach Persien hineinzutragen. Durch sein Vorpreschen setzte er eigenmächtig einen deutlichen Akzent, der den später im Auswärtigen Amt vollzogenen Kurswechsel vorwegnahm. Während allerdings sein britisches Pendant T. E. Lawrence als Lawrence von Arabien zum Mythos geworden ist, ist Klein allgemein kaum bekannt, was neben dem für Deutschland unglücklichen Kriegsausgang vor allem daran liegt, dass der Orient für die deutsche Seite nur ein reiner Nebenkriegsschauplatz war.

Veit Veltzke kann am Beispiel der Expedition Klein aber auch weitere Grundkonstanten des deutschen Engagements im Vorderen Orient illustrieren: So beispielsweise den Umstand, dass die deutsche Politik im Nahen Osten zwar auf unmittelbare imperialistische Ziele verzichtete, sie aber im Hintergrund stets eigene Wirtschaftsinteressen im Blick hatte. Und ebenso wird in Kleins Einsatz zur Bekämpfung der Heuschreckenplage in Mesopotamien und in seiner Pestimpfungskampagne in Bagdad deutlich, wie sehr der Dienst deutscher Soldaten im Orient mit zivilisatorischen Maßnahmen verbunden war. Überhaupt nehmen in Veit Veltzkes Studie Fragen kultureller Begegnung und Wahrnehmung zu Recht einen hohen Stellenwert ein. Schließlich lag ein wesentlicher Grund für die zahlreichen Einzelerfolge Kleins und anderer Expeditionsteilnehmer in deren hoher interkultureller Kompetenz. Mag die Mission letztlich in ihren weitausgreifenden Zielen auch gescheitert sein, so bewertet der Verfasser Kleins Expedition insgesamt dennoch als einen Erfolg, da sie überproportional viele britische Truppen und Ressourcen gebunden habe.

Mit seinem biographischen Ansatz, bei dem neben Fritz Klein auch dessen Adjutant Edgar Stern im Mittelpunkt steht, zeichnet Veit Veltzke ein hochinteressantes und lebendiges Kulturbild deutsch-persischer und deutsch-arabischer Beziehungen. Dabei ist in dem Buch die Sympathie, die der Autor für seine außergewöhnlichen Protagonisten hegt, stets spürbar, ohne jedoch Gefahr zu laufen, in eine unkritische Haltung abzugleiten. Auch den weiteren Lebensweg dieser beiden Offiziere, deren humanistische Weltsicht maßgeblich von ihrem Einsatz im Orient beeinflusst wurde, zeichnet Veit Veltzke mit einem scharfen psychologischen Gespür nach. Hauptquellengrundlage stellen die umfangreichen Nachlässe der beiden Protagonisten dar, die der Verfasser teils in Privatbesitz, teils in verschiedenen Archiven einsehen konnte. Dazu zählen auch zahlreiche zeitgenössische Fotografien, die dem Leser im umfangreichen Bildteil des auch sonst ansprechend gestalteten Bandes einen visuellen Eindruck von der Expedition geben. Insgesamt stellt Veit Veltzkes Monographie „Unter Wüstensöhnen“ eine sehr gut lesbare und klug in einen breiteren historischen Kontext eingebettete Studie dar, die sowohl der Historiker als auch der interessierte Laie mit großem Gewinn in die Hand nehmen kann.

Veit Veltzke: Unter Wüstensöhnen. Die deutsche Expedition Klein im Ersten Weltkrieg, Berlin: Nicolai Verlag, 2014, 400 Seiten, ISBN 978-3-89479-849-9 34,95 EUR Oliver Stein Freie Universität Berlin

 

Oliver Stein, Freie Universität Berlin