Der Militärische Abschirmdienst (MAD) 1956–1990
Benjamin Pfannes
Buchbesprechung
Veröffentlicht am: 
17. Januar 2022

Laut dem Ergebnis einer Untersuchung, die das Parlamentarische Kontrollgremium (PKGr) des Bundestages vorstellte, existieren in der Bundeswehr und anderen Sicherheitsbehörden rechtsextreme Netzwerke.1 Zu einer der Aufgaben des Bundesamtes für den MAD gehört die Suche nach Extremisten innerhalb der Bundeswehr. Extremismusabwehr hat eine lange Tradition im Aufgabengebiet des MAD. Dieser ist der kleinste deutsche Nachrichtendienst und ein „Zwerg“ im Vergleich zu anderen europäischen Geheimdiensten.

Seitdem das Auswärtige Amt im Jahr 2005 als erstes Bundesministerium eine unabhängige Historikerkommission damit beauftragte, die Aktivitäten des Ministeriums in der Zeit des Nationalsozialismus, den Umgang mit der eigenen Vergangenheit in den Jahren nach 1945 sowie personelle Kontinuitäten zu untersuchen, blüht die historische Behördenforschung auf.2 Bis zu diesem Zeitpunkt verhinderte der restriktive Umgang der Nachrichtendienste mit ihren Akten die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit diesem Thema. Die Aufarbeitung der Geschichte der Geheimdienste hat sich in den letzten Jahren zu einem eigenständigen Feld innerhalb der Geschichtswissenschaften etabliert.

Im Jahr 2012 beauftragte das Verteidigungsministerium das damalige Militärgeschichtliche Forschungsamt, die Geschichte des MAD von seiner Gründung 1956 bis 1990 aufzuarbeiten. Das Ergebnis ist ein erster, historisch fundierter, kritischer Überblick zur Geschichte des MAD, den Hammerich 2019 vorlegte.

Als Orientierung für seine Forschungsfrage dienten Hammerich zum einen das Projekt von Patrick Wagner „Geschichte des Bundeskriminalamtes von 1949 bis 1981“ sowie der Aufsatz von Bernhard Löffler, der eine moderne Institutionsgeschichte über das Bundeswirtschaftsministerium schrieb.3 In seiner Studie nimmt Hammerich die Arbeitsgebiete Geheimschutz, Spionage- und Sabotageabwehr näher in den Blick. Außerdem thematisiert er das schwierige Verhältnis des MAD zu den Medien. Demgegenüber bietet die Studie keinen Überblick über die Methoden nachrichtendienstlicher Arbeit aufgrund des noch bestehenden Quellenschutzes und der gültigen Verschlusssachenrichtlinien.

Das Buch ist in zehn Kapitel mit Themenschwerpunkten von den historischen Vorläufern deutscher Nachrichtendienste vor 1945 bis zur Beziehung zwischen dem MAD und der Öffentlichkeit gegliedert. Der erste und letzte Teil des Werkes vermitteln einen Einblick in den Forschungsstand, in die Leitfrage und Methode bzw. in die Ergebnisse der Studie Hammerichs. Unterstützt werden die Erläuterungen des Autors durch 39 Abbildungen und 12 Grafiken. Ebenfalls wurden am Ende ein Abkürzungsverzeichnis, die herangezogenen Quellen und Literatur sowie ein Personenregister angefügt.

Im zweiten Kapitel skizziert Hammerich die militärische Abwehrarbeit seit 1889 bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges. An einer fundierten neueren Darstellung mit dem Schwerpunkt auf die deutschen militärischen Nachrichtendienste bis 1945 mangelt es bis heute. Deshalb beabsichtigt Hammerich einen groben Abriss über die „Vor-Nachrichtendienste“ (S. 26) in Deutschland zu geben.

Anschließend erläutert der Autor den politischen sowie militärischen Rahmen nach 1945. Der Konflikt zwischen den beiden Großmächten USA und UdSSR mit ihren unterschiedlichen Ideologien prägte die Geschichte Europas in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Aufgrund der Gefahr eines atomaren Krieges und der damit einhergehenden Stellvertreterkriege außerhalb Europas sowie der Auseinandersetzung der Geheimdienste auf dem europäischen Kontinent, kann auch von einem „Kalten Weltkrieg“ gesprochen werden, so Hammerich (S. 59).

Das nachfolgende Kapitel beschreibt die Entwicklung des MAD von seiner Vorgeschichte sowie ersten Anfängen 1949/50 bis zum Fall der Mauer im Jahr 1990. Des Weiteren werden die Umstrukturierung sowie Reformen der Behörde näher in den Blick genommen. Der Schwerpunkt liegt hierbei zum einen in den 1970er Jahren unter Kanzleramtsminister Horst Ehmke sowie zum anderen ab 1984, dem Jahr der Wörner-Kießling-Affäre.

Im Anschluss wird das Behördenpersonal genauer untersucht. Hinsichtlich der fehlenden Überlieferung von Beamtenakten war eine umfangreiche Analyse des gesamten MAD-Personals nicht zu realisieren. Deshalb beschränkt sich die Untersuchung auf das Führungspersonal. Bezüglich dessen Herkunft stellt Hammerich fest, dass „die Aufbaugenerationen des MAD eine Mischung aus nachrichtendienstlichen Experten mit Vorzeit in der Wehrmacht und in der Abwehr, kriegsgedienten Soldaten ohne nachrichtendienstliche Erfahrung, ehemaligen Polizisten und Zollbeamten, aber auch Berufsanfängern waren“ (S. 460).

Dieses Kapitel widmet sich dem Fundament der militärischen Sicherheit, der Sicherheitsprüfung. Am Fallbeispiel der Wörner-Kießling-Affäre verdeutlicht Hammerich die Konsequenzen einer solchen misslungenen Sicherheitsprüfung. Neben personellen Veränderungen wog auch der Image-Schaden durch die monatelange kritische Berichterstattung der Medien sowie der politischen Auseinandersetzung zwischen den Regierungs- bzw. Oppositionsparteien für den MAD besonders schwer.

Das siebte Kapitel analysiert eines der klassischsten Tätigkeitsfelder der Nachrichtendienste, das für den MAD bis in die 1970er Jahre oberste Priorität besaß: die Spionageabwehr. Anhand des Falls des langjährigen stellvertretenden Amtschefs des MAD, Joachim Krase, soll auf die zahlreichen Feinde des Nachrichtendienstes, wie z.B. das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) und die Militäraufklärung der Nationalen Volksarmee (NVA) eingegangen werden. Im Vergleich zu seinen Gegnern in der DDR und UdSSR standen dem MAD weitaus weniger Ressourcen zur Verfügung. Dies verhinderte zumeist eine präventive Arbeit, so Hammerich. Letztlich gab es nur zwei Möglichkeiten sich gegen eine gegnerische Spionageattacke zu schützen: zum einen durch eine effektive Geheimhaltung und zum anderen durch eine Abwehr der Nachrichtendienste (S. 284).

Im Zuge der zunehmenden Gefahr durch Terrorgruppen, wie der Roten Armee Fraktion (RAF) oder der „Bewegung 2. Juni“ verschoben sich die Arbeitsschwerpunkte des MAD. Der Kampf gegen den politischen Linksextremismus rückte nun in den Vordergrund. Auch hier wird wieder die Ressourcenknappheit des Abschirmdienstes sichtbar. Mit seinen rund 2000 Mitarbeitern hatte die Behörde im Jahr 1977 über 200 000 Sicherheitsprüfungen zu tätigen, was sie vor einen bürokratisch und personell aussichtlosen Kampf stellte (S. 461).

Das neunte Kapitel beschreibt die Wahrnehmung des MAD in der Bevölkerung und den schwierigen Spagat zwischen einer professionellen Öffentlichkeitsarbeit und Tätigkeit des Nachrichtendienstes. Bis in die 1970er Jahre galt der MAD als „Geheimdienst ohne Skandal“ (S. 434). Illegal durchgeführte Abhöraktionen und die Affäre um General Kießling erschütterten jedoch das Vertrauen in den Nachrichtendienst.

In seinem Buch liefert Hammerich im Vergleich zu anderen Historikerstudien die bisher tiefsten Einblicke in die Geschichte, Hintergründe und Fallgeschichten deutscher Geheimdienste nach dem Zweiten Weltkrieg. Trotz der Tatsache, dass Verschlussregeln und Quellenschutz sowie die gesetzliche Vorschrift bezüglich der Vernichtung von Fall- und Personalakten einen vertiefenden Einblick in die Arbeitsweise eines Nachrichtendienstes verhindern, ist es dem Autor gelungen, mehrere Erfolgs- und Misserfolgsgeschichten, die Kenntnisse über die Methoden des MAD und seiner Kontrahenten beinhalten, zu präsentieren. Neben die Grundaufgaben Extremismusabwehr, Sicherheitsüberprüfungen und Spionageabwehr sind heute noch der islamistische Terrorismus sowie die Cyberabwehr hinzugekommen. Es ist der Verdienst Hammerichs die erste wissenschaftliche, gut lesbare und informative Abhandlung über die Geschichte, das Personal, die Tätigkeiten sowie dem Verhältnis zur Öffentlichkeit des MAD vorgelegt zu haben. Sie dient künftigen Historikern als Orientierung, die sich mit dem kleinsten Nachrichtendienst der Bundesrepublik beschäftigen wollen.

Helmut R. Hammerich, »Stets am Feind!« Der Militärische Abschirmdienst (MAD) 1956–1990, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2019, 520 Seiten, 40,00 Euro, ISBN 978-3-525-36392-8.


Dieser Beitrag wurde redaktionell betreut durch Lisa-Marie Freitag.


Zitierempfehlung: Benjamin Pfannes, Review zu Helmut R. Hammerich, „Stets am Feind!“. Der Militärische Abschirmdienst (MAD) 1956–1990, in: Portal Militärgeschichte, 17. Januar 2022, URL: https://portal-militaergeschichte.de/pfannes_zu_hammerich_mad, (Bitte fügen Sie in Klammern das Datum des letzten Aufrufs dieser Seite hinzu).

  • 1. https://dserver.bundestag.de/btd/19/251/1925180.pdf (zuletzt aufgerufen am 01.09.2021).
  • 2. Eckart Conze u.a., Das Amt und die Vergangenheit. Deutsche Diplomaten im Dritten Reich und in der Bundesrepublik, München 22010.
  • 3. Patrick Wagner u.a., Schatten der Vergangenheit. Das BKA und seine Gründungsgeneration in der frühen Bundesrepublik, Köln 2011; Bernhard Löffler, Moderne Institutionengeschichte in kulturhistorischer Erweiterung. Thesen und Beispiele aus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. In: Hans-Christof Kraus/Thomas Nicklas (Hg.), Geschichte der Politik. Alte und neue Wege, München 2007 (Historische Zeitschrift. Beihefte. Neue Folge. Bd. 44).
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