„Ich habe mein Hobby zum Beruf gemacht, was will man mehr?“
Wencke Meteling
Interview
Veröffentlicht am: 
22. April 2021

Am 31. März dieses Jahres ist Prof. Dr. Michael Epkenhans als Geschäftsführender Beamter und Stellvertreter des Kommandeurs am Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr in den Ruhestand getreten. 2009 war er nach über einer Dekade als Geschäftsführer der Otto-von-Bismarck-Stiftung in Friedrichsruh ans ZMSBw nach Potsdam gekommen, um die dortige Abteilung Forschung zu leiten. Im Interview mit Wencke Meteling reflektiert er über eine lange, abwechslungsreiche Karriere als Historiker, die eigentlich in den Schuldienst hätte führen sollen und dann ganz eigene Wendungen nahm.

Ihre Laufbahn

In Ihrer beruflichen Laufbahn haben Sie in sehr unterschiedlichen Institutionen gewirkt: vom Schuldienst und Stellen an mehreren Universitäten angefangen über das Provinzialinstitut für Westfälische Landes- und Volksforschung (inzwischen LWL-Institut für westfälische Regionalgeschichte) in Münster und die Stiftung Reichspräsident-Friedrich-Ebert Gedenkstätte in Heidelberg bis zur Otto-von-Bismarck-Stiftung in Friedrichsruh, deren Geschäftsführer Sie lange waren. 2009 sind Sie dann nach Potsdam ans Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw, ehemals Militärgeschichtliches Forschungsamt) gegangen, das Sie beinahe anderthalb Jahrzehnte wissenschaftlich geleitet und in hohem Maße mitgeprägt haben. Was haben Sie aus den jeweiligen Institutionen mit ins ‚Marschgepäck‘ genommen, weil es wertvolle Erfahrungen waren? Wo lagen Stolpersteine auf Ihrem Karriereweg?

Epkenhans: Ich habe eigentlich in allen Einrichtungen dazu gelernt, angefangen in meiner Zeit als Referendar an einem Aufbaugymnasium am Niederrhein. Seitdem war mir klar, wie wichtig es ist, Geschichte zu didaktisieren. Nur so ist es möglich, komplexe Ereignisse und Entwicklungen der Vergangenheit in fruchtbarer Weise zu vermitteln. Gelingt dies nicht, dann wird Geschichtsschreibung zur l’art pour l‘art, aber das kann nicht das Ziel von Historikerinnen und Historikern sein. Später, zurück in der Wissenschaft, habe ich dann den Wert und Nutzen regionaler Geschichtsschreibung schätzen gelernt, wie in Münster, oder, wie in Heidelberg, die Weimarer Republik als spannendes Forschungsthema entdeckt. Meine Heidelberger Zeit war jedoch auch insofern sehr wertvoll, als ich dort nicht nur das „Machen“ von Ausstellungen gelernt habe, sondern auch wichtige Managementaufgaben übernommen habe. Diese habe ich beim Aufbau der Bismarck-Stiftung gut gebrauchen können. Es war schon sehr sportlich, mit anfänglich nur drei Personen ein Museum zu errichten und gleichzeitig die politisch umstrittene Stiftung in der Wissenschaftslandschaft zu verankern. Da habe ich manche schlaflose Nacht gehabt. Gleichermaßen waren diese Erfahrungen aus meiner Warte sehr hilfreich, als ich ins MGFA kam. Viele Wissenschaftler haben eine eigentümliche Scheu vor allem, was mit Verwaltung zu tun hat und geraten deswegen immer wieder mit jenen aneinander, die für das reibungslose Funktionieren einer Administration verantwortlich sind. Im Alltag, besonders aber in schwierigen Phasen wie Aufstellen eines Haushalts, Prüfungen des Rechnungshofes, Soll-Orgänderungen oder der Planung von Großveranstaltungen fiel es mir leicht, gemeinsam mit den jeweiligen Verwaltungsleitern tragfähige Lösungen zu finden oder überzeugende Erklärungen abzugeben, anstatt mich in einen bürokratischen Kleinkrieg zu begeben, der nicht zu gewinnen war. Ich hatte gelernt, wie das System funktioniert, und dann ist man klar im Vorteil, weil alle Beteiligten die gleiche Sprache sprechen.

Stolpersteine? Ja, die gab es, insbesondere bei der Verwaltung eines Hauses. So wie Bismarck immer Angst vor der preußischen Oberrechenkammer gehabt hat, so stand mir regelmäßig der Schweiß auf der Stirn, wenn die Rechnungsprüfer vor der Tür standen. Als Geschäftsführer und Beauftragter für den Haushalt war ich für die Einhaltung der Bestimmungen der Bundeshaushaltsordnung verantwortlich. Da konnte man schnell stolpern, wenn die Kasse oder die Begründungen für Ausgaben nicht stimmten. Bei einem 8-Millionen-Projekt bedeutete dies, alle Aufträge und Rechnungen sorgfältig zu prüfen, ansonsten hatte man ernsthafte Probleme mit der Dienstaufsicht. Stolperfallen waren aber auch Interviews, zumal über Bismarck. Die Familie hatte ihre ganz eigene Sicht auf ihren Urahn. Kritische Äußerungen hatten insbesondere in den ersten Jahren immer wieder Beschwerden zur Folge. Auf Kuratorium und Beirat konnte ich mich jedoch verlassen; dennoch, diese Disziplinierungsversuche waren ausgesprochen lästig.

 

An welche heiteren oder auch verrückten Episoden erinnern Sie sich am meisten?

Epkenhans: Heiter war das jährliche Singen mit den Arbeitergesangsvereinen in Heidelberg. Da hatte ich das Gefühl, die Zeit mache einen Sprung zurück um 100 und mehr Jahre. Voller Inbrunst schmetterten sie im Hof der Gedenkstätte alte Kampflieder der Arbeiterbewegung. Je mehr Wein floss, umso lauter sangen alle. Das hatte schon was.

Heiter waren auch die jährlichen Westfalentage des Landschaftsverbandes. Als Ostwestfale konnte ich da trotz der Unterschiede zwischen den katholischen und den altpreußischen protestantischen Westfalen bis zu einem gewissen Grad mitfühlen. Aber als wir damit ins Siegerland gingen, war klar: Die Menschen dort konnten mit Westfalen nichts anfangen, alles war so aufgesetzt, von gemeinsamer Identität auch nach 175 Jahren Zugehörigkeit zur preußischen Provinz Westfalen keine Spur. Es war einfach lächerlich.

Regelrecht skurril waren die vielen Briefe, die manche Menschen mir schrieben, in denen sie Bismarck ihr Leid über die aktuelle Politik klagten und mich baten, diese auf dessen Sarkophag zu legen. Gleichermaßen skurril war der Besuch von einem von Dönitz‘ Adjutanten, der mir regelrecht verbieten wollte, über den „Großadmiral“, der nicht weit von Friedrichsruh begraben ist, öffentlich zu sprechen. Dieser sei ein „großer Mann“ gewesen, und jedwede Kritik daher unangebracht, ja verwerflich. Er hat sich damit dann aber abfinden müssen.

Neben heiteren gab es aber auch viele lehrreiche Ereignisse. Politikergedenkstätten wie die Ebert-Gedenkstätte oder die Bismarck-Stiftung leben vom Kontakt mit der Öffentlichkeit, da sie neben dem wissenschaftlichen Auftrag auch einen dezidierten Bildungsauftrag haben. Da hat es viele interessante Begegnungen gegeben. Besonders beeindruckt haben mich in Heidelberg die Gespräche mit alten Sozialdemokraten, die im Widerstand gewesen waren, oder der Tochter von Carl Goerdeler bzw. mit einem der wenigen Überlebenden der „Weißen Rose“. Sie alle kamen zu uns, um Schülerinnen und Schülern die Lehren aus der NS-Zeit zu vermitteln.

 

Wenn Sie rückblickend in Ihrer Karriere etwas anders machen könnten – oder einfach auf „löschen“ drücken –, was wäre das?

Epkenhans: Ich bereue nichts. Ich habe mein Hobby zum Beruf gemacht, was will man mehr. Sicher, wenn das Land NRW 1985, als ich mein II. Staatsexamen abgelegt hatte, Lehrer eingestellt hätte, wäre ich wohl in den Schuldienst gegangen, obwohl ich schon an meiner Dissertation saß. Stellen an den Unis waren ja selten, Karrieren extrem schwierig. Durch manche Zufälle konnte ich dann wieder zurück an die Universität Münster. Die Alternative war die Umschulung auf „edv“ wie bei vielen Referendarkollegen. Da habe ich eine zunächst eher wackelige Mitarbeiterstelle an der Uni Münster vorgezogen. Als ich in Münster, wo ich mich bei meinem akademischen Lehrer Manfred Botzenhart frei entfalten konnte, fertig war, hat mir das II. Staatsexamen die Tür in Heidelberg geöffnet. Die Ebert-Stiftung suchte damals einen Wissenschaftler, der dieses hatte, um neben Forschung auch historisch-politische Bildungsveranstaltungen zu organisieren und selber durchzuführen. Da war ich der einzige unter den zahlreichen Bewerbern. Die Erfahrungen in Heidelberg wiederum haben mir den Weg nach Friedrichsruh, und die dort gemachten Erfahrungen wiederum den Weg nach Potsdam geebnet. Die Vielfältigkeit der Aufgaben jenseits der Forschung war spannend, teils auch aufreibend: Verwaltung, Haushalt, Personalführung oder Baumanagement sind nicht immer vergnügungssteuerpflichtig. Es war der eigenen Familie auch manchmal nur schwer zu erklären, warum ich nachts rausfuhr, weil die Alarmanlage im Museum ausgelöst hatte, oder um zu prüfen, ob das Gerüst am Friedrichsruher Bahnhof dem nächtlichen Sturm standgehalten hatte; missen möchte ich davon aber nichts. Die vielen Begegnungen und teils sehr intensiven Gespräche mit Tausenden Schülerinnen und Schülern, Besucherinnen und Besuchern und zahlreichen prominenten Zeitgenossen – von Henry Kissinger über Gerhard Stoltenberg und Hans Matthöfer bis zu Johannes Rau, Rudolf Seiters und Helmut Kohl waren spannend und lehrreich und in jeder Hinsicht eine „Entschädigung“ für manchen Ärger und Frust.

 

Ihre Forschungen

Der Geschichte des Ersten Weltkrieges und speziell der Marinegeschichte sind Sie seit Ihrer Dissertation zur wilhelminischen Flottenrüstung treu geblieben. Woher rührt Ihr Interesse? Und gibt es noch offene Fragen, die Sie weiter umtreiben?

Epkenhans: Der Anlass für mein Interesse am Ersten Weltkrieg ist ein wenig banal. Mein Großvater, der bei uns im Hause lebte, hatte diesen vom ersten bis zum letzten Tag miterlebt. Ich habe ihm manchmal regelrecht Löcher in den Bauch gefragt, um darüber mehr zu erfahren. Die Ursache für mein Interesse an der Marine ist ähnlich banal. Mein Großonkel war bei der Kriegsmarine, mein Onkel 1961/62 bei der Marine. Beide haben über ihre Zeit viel erzählt und wenn ich dann in Wilhelmshaven bei meinem Großonkel am Deich saß und die Minensucher in die 4. Einfahrt einlaufen sah, dann wollte ich auch auf so ein Schiff. Spaß beiseite: Als ich in Münster studierte, war der Rüstungswettlauf zwischen Ost und West eines der beherrschenden Themen, und da dachte ich, schau dir doch mal den Vorläufer um die Jahrhundertwende an. Und so bin ich bei dem deutsch-englischen Wettrüsten mit all seinen Facetten – Kriegsschiffbau, Rüstungsindustrie, politischen Konzepten und Öffentlichkeit – gelandet. Viele Kommilitonen betrachteten dieses Thema seltsamer Weise skeptisch. Militärgeschichte war verpönt, galt als tendenziell rechtslastig – aber das hat mich nicht weiter gestört, zumal ich im Archiv dann doch den ein oder anderen traf, der sich wie ich dafür interessierte. Dazu gehörte vor allem Gerhard Groß, mit dem ich bis heute befreundet bin. Vor allem aber: Wilhelm Deist aus dem „alten“ MGFA, den ich bei meinem ersten Besuch in Freiburg 1983 kennengelernt habe, hat mir viel Mut gemacht – schreiben Sie, schreiben Sie, Sie haben sich ein spannendes Thema ausgesucht, hat er immer wieder gesagt. Damit begannen Diskussionen über moderne Militärgeschichte, von denen ich ungeheuer profitiert habe.

Was treibt mich um? Es ist weiterhin das Thema „Seemacht“ in all seinen Verästelungen wie auch im internationalen Vergleich. Diesem Thema will ich mich intensiv widmen, sobald meine Tirpitz-Biografie und mein Buch über die Traditionsverbände fertig sind.

 

In Ihren Forschungen haben Sie immer wieder einen biografischen Zugriff gewählt, der sicher nur teils institutionsgebunden war. Was hat Sie daran gereizt?

Epkenhans: Ich bin überzeugt, dass Biografien interessante „Schlüssel“ sind, um Epochen zu erschließen, wenn man den jeweiligen „Helden“ in seine Zeit einbettet. Zugleich zeigen Biografien, dass Menschen Geschichte machen, auch wenn wir die strukturellen Bedingungen, unter denen sie handeln, nicht außer Acht lassen dürfen. Bismarck, Tirpitz, Ebert oder auch Hopman, ein Mann aus der zweiten Reihe, sind dafür gute Beispiele. Dennoch finde ich es genauso reizvoll, „normale“ Bücher zu schreiben. Da muss mir nur das Thema Spaß machen wie bei der „Reichsgründung“ oder auch „Preußen“.

 

Sie sind nicht nur als Verfasser wissenschaftlicher Bücher und Aufsätze hervorgetreten, sondern auch zahlreicher Schulbuchbeiträge, was in der Zunft nur selten der Fall ist. Welche Prämissen waren für Sie als Schulbuchautor leitend? Und wie hat Sie dieses Genre geprägt?

Epkenhans: Als Lehramtsanwärter habe ich gelernt, wie wichtig es ist, Schülerinnen und Schülern nicht nur ein Grundwissen über die jeweiligen Epochen zu vermitteln, sondern auch das Verständnis, warum es wichtig ist, sich mit der Frage zu befassen „wie wurden wir, was wir sind?“. Das geht nur, wenn Geschichte ansprechend vermittelt wird. Die damaligen Schulbücher waren zwar auf dem Stand der neuesten Didaktik, aber grausam für die Schülerinnen und Schüler. Als mich dann zu Beginn der 1990er-Jahre ein ehemaliger Studienfreund, der bei einem großen Verlag angefangen hatte, fragte, wollen wir nicht mal was Neues versuchen, habe ich spontan zugesagt. Sukzessive habe ich mich klassischen Themen wie Imperialismus, aber auch neuen Themen wie der Geschichte Afrikas im Unterricht oder der Bedeutung von Gedenktagen gewidmet. Ziel war stets, Basiswissen zu vermitteln, aber auch die notwendigen Kompetenzen, um beispielsweise historische Plakate zu entschlüsseln, afrikanische Perspektiven kennenzulernen oder Gedenktage kritisch zu hinterfragen.

 

Auch mit Editionen und Ausstellungsbänden haben Sie in eine breitere Öffentlichkeit hineingewirkt. Worin besteht für Sie die öffentliche Funktion von Geschichte?

Epkenhans: Bei Hans Ulrich Wehler, den ich immer sehr bewundert habe, obwohl seine Bücher manchmal schwer lesbar waren, habe ich gelernt, dass Geschichte eine emanzipatorische Funktion hat, ja zur „politischen Pädagogik“ (Theodor Mommsen) gehört. Davon bin ich bis heute zutiefst überzeugt. Editionen, die wichtige Dokumente zugänglich machen, sind ein Mittel, um dieser Aufgabe gerecht zu werden. Sie stellen Material zur Verfügung, um unser Wissen zu vertiefen und sich zugleich ein eigenes Urteil zu bilden – wie im Schulbuch. Ausstellungen sind ein anderes Mittel: Mit ihrer Hilfe kann man historische Themen in ansprechender Weise aufbereiten, so dass auch Menschen, die nicht unbedingt die dicken Bücher lesen wollen, in der Lage sind, Fragen an die Geschichte zu stellen und mögliche Antworten zu finden, die ihnen dann Orientierung in Gegenwart und Zukunft ermöglichen. Wenn Historiker dies schaffen, haben sie viel erreicht – denn bewusst oder unbewusst benutzen viele Menschen Geschichte immer wieder als Argument in Diskussionen im Alltag. Und da sind zusätzliches Wissen und kritisches Bewusstsein immer hilfreich.

 

Zuletzt haben Sie zum deutsch-französischen Krieg und zur Gründung des Deutschen Reiches veröffentlicht. Was fasziniert Sie hieran am meisten?

Epkenhans: Die Gründung des Nationalstaats 1870/71 und die Irr- und Umwege der Deutschen danach haben mich immer interessiert. Manche Debatten in den vergangenen Monaten und der Rückgriff auf Symbole des Kaiserreichs in rechten Kreisen haben gezeigt, wie wichtig die aufklärerische Funktion von Geschichte ist. Auch wenn die Geschichte des Kaiserreichs vielschichtiger ist, als viele Historikerinnen und Historiker vor 50 Jahren mangels neuerer, zumal sozial-, kultur- und auch militärgeschichtlicher Forschungen geglaubt haben, so bleibt der Kulturbruch nach 1933 erklärungsbedürftig. Da kommen wir an der Beschäftigung mit 1871 nicht vorbei – ohne damit der alten „Sonderwegsthese“ das Wort reden zu wollen. Diese ist in Teilen nicht mehr aufrecht zu erhalten, aber ganz falsch ist sie m.E. auch nicht. Wir Deutschen haben uns schwer mit dem Weg zur Demokratie getan; umso wichtiger ist es, deren Bedeutung vor dem Hintergrund zunehmender populistischer Anfeindungen, der Hervorhebung falscher Vorbilder und der Herstellung fragwürdiger Traditionslinien zu verteidigen.

 

ZMSBw

Das ZMSBw ist eine Ressortforschungseinrichtung im Bereich des Bundesministeriums für Verteidigung. Dort haben Sie als Leitender Wissenschaftler mit Expert*Innen der Geschichts- wie der Sozialwissenschaften, Gedienten wie Ungedienten, Westdeutschen wie Ostdeutschen, zu tun. Das ist eine ungemein anspruchsvolle und ungewöhnliche Leitungsaufgabe. Worauf haben Sie besonderen Wert gelegt? Welche Anstöße haben Sie gegeben?

Epkenhans: Mir war immer wichtig, solide, moderne Militärgeschichte ganz im Wohlfeilschen Sinne voranzutreiben. Konkret bedeutete dies, mit neuen Fragen an bekannte Quellen heranzugehen, neue Themen wie die Geschichte der Bundeswehr im Einsatz anzugehen oder, nach der Zusammenlegung mit dem Sozialwissenschaftlichen Institut der Bundeswehr, erste interdisziplinäre Forschungen anzustoßen. Dabei galt es, unser Kerngeschäft, das Militärische, nicht aus dem Blick zu verlieren. Eine Kultur- oder Gesellschaftsgeschichte des Militärs oder des Krieges auf der Grundlage von Sekundärliteratur ist interessant, aber das können andere im Zweifel auch. Wenn es um die Planung von Kriegen, Operationen oder die Realität des Krieges, zumal an den Fronten, geht, dann sind wir die Experten. Ein Blick in die Literatur über die Weltkriege zeigt, wie viele Kolleginnen und Kollegen hier manchmal von Dingen reden, von denen sie, mit Verlaub, dann doch nichts verstehen. Das beginnt oft schon mit der Begrifflichkeit und endet bei der Beschreibung von Operationen. Dass wir die Experten sind, müssen wir dann aber auch beweisen. Die Studien von Markus Pöhlmann über den „Panzer“ oder von Hans-Peter Kriemann über den „Kosovo-Krieg 1999“ haben bewiesen, wie wichtig und fruchtbar es ist, akribische Quellenforschung zu alten und neuen Themen zu betreiben. Gleichermaßen hat Christoph Nübel mit seiner Edition von Dokumenten zur „Deutsch-deutschen Militärgeschichte 1945-1990“ gezeigt, wie viele spannende Quellen in den Archiven schlummern und es wert sind, endlich gehoben zu werden.

Wichtig war mir jedoch nicht allein die Nähe zu den Quellen. Gleichermaßen wichtig war mir, nicht zuletzt vor dem Hintergrund des letzten Wissenschaftsratsberichts, dass Forschung ein einheitliches Design hatte. Manche Kolleg*Innen haben diese Fokussierung auf bestimmte Forschungsachsen wie das „Deutsch-deutsche Projekt 1970-1990“, auf den Ersten Weltkrieg und bestimmte Themen der Einsatzgeschichte, aber auch manche Projekte in der sozialwissenschaftlichen Forschung als Einengung ihrer Freiheit missverstanden. Dabei übersahen sie allerdings, dass das ZMSBw sich wie jedes andere Institut in einem Wettbewerb befindet. Auch andere große Ressortforschungseinrichtungen arbeiten „Programme“ ab, um ihre Tätigkeit gegenüber den jeweiligen Geldgebern zu legitimieren.

 

Das Verhältnis der Deutschen zur nationalen Kriegs- und Militärgeschichte ist aufgrund der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts sehr anders als etwa das der Briten oder Amerikaner. Welche Probleme, aber auch Chancen ergeben sich Ihrer Meinung nach daraus für die Forschung zu Krieg und Militär in der Bundesrepublik?

Epkenhans: Der Kulturbruch der Jahre 1933-45 macht es uns im Gegensatz zu unseren westlichen Alliierten heute leichter, kritisch zurückzublicken. Das war kein einfacher Prozess, wie die Kontroversen um die Ursachen des Ersten Weltkriegs in den 1960er-Jahren oder die Wehrmachtsausstellung in den 1990er-Jahren, aber auch manche kaum verständliche Debatte im Zuge der Formulierung eines neuen Traditionserlasses 2018 oder Probleme beim Umgang mit dem Genozid an den Herero, für den deutsche Soldaten verantwortlich waren, in Südwestafrika in den letzten Jahren gezeigt haben. Unterschiedliche Generationen, aber auch Angehörige unterschiedlicher politischer Lager und verschiedener historischer Schulen hatten und haben hier unterschiedliche Sichtweisen. Es ist schon erstaunlich für mich, wie man beispielsweise nach all den Forschungen über die Verstrickungen der Wehrmacht in die Verbrechen des NS-Regimes immer noch versucht, beim „militärischen Handwerk“ dennoch etwas Positives zu finden, was „irgendwie“ traditionswürdig sein könnte. Militärisches Handwerk und die Ziele, für die es dann gebraucht wurde, voneinander zu trennen, ist in jeder Hinsicht fragwürdig. Damit will ich nicht per se den Stab über jeden Angehörigen der Wehrmacht brechen. Aber: Wenn es um Vorbilder aus der Wehrmacht geht, dann müssen Historiker*Innen schon sehr genau nachweisen, welchen aktiven Anteil sie beim Aufbau eines neuen demokratischen Gemeinwesens gehabt haben.

Unsere britischen und französischen, aber auch amerikanischen Freunde tun sich hingegen schwer, die eigene Vergangenheit kritisch zu betrachten. Wir sehen das bei unseren französischen Freunden, wenn es um Algerien, die Dreyfus-Affäre oder Einsätze in Afrika geht, bei unseren britischen Kameraden am Beispiel des Umgangs mit der eigenen imperialen Geschichte, die ohne Sklaverei, Ausbeutung und brutale Kriege nicht zu beschreiben ist oder jüngst in den USA, wenn es um die Denkmäler von Südstaatengeneralen geht.

Gleichwohl, es gibt keinen Anlass, sich moralisch überlegen zu fühlen. Viele Impulse bei der Erweiterung unseres Verständnisses von Militärgeschichte kamen und kommen auch aus dem Ausland. Die Debatten in den USA um die Kriegsverbrechen in Vietnam oder im Irak zeigen zudem, wie hart und kontrovers hier politisch, aber auch historisch miteinander gerungen wird. Zudem: Wenn es um „Operationsgeschichte“ geht, dann ist es manchmal zwar anstrengend, den Kolleg*Innen aus dem Ausland mit ihrer Liebe zum Detail zuzuhören. Aber umgekehrt gilt: In diesen Bereichen sind sie auch gut. Wir können davon manches lernen. Die Studien von Dennis Showalter über „Tannenberg“, „Patton and Rommel“ oder die „German Wars of Unification“ sind diesbezüglich nachahmenswerte Beispiele. Gleiches gilt für Andrew Gordons Buch „The Rules of the Game“. Darin beschreibt er meisterhaft die vielschichtigen Probleme von Seekriegführung am Beispiel der Skagerrak-Schlacht.

Gemeinsamkeiten? Hier sehe ich viel Potenzial im Bereich vergleichender Geschichte, ob im Längsschnitt oder Querschnitt. Militärische Kulturen, militärische Sozialisation oder die Rolle des Militärs in den jeweiligen Gesellschaften sind Themen, denen wir uns mit unseren Freunden in Paris, London und Washington D.C., aber auch in Den Haag und Kopenhagen ebenso gemeinsam widmen können, wie der gemeinsamen Verteidigung im Kalten Krieg oder den Einsätzen nach 1990. Hier sind vielversprechende Projekte im Forschungsbereich Einsatz, aber auch im FB „Militärgeschichte nach 1945“ angelaufen, die es voranzutreiben gilt.

 

Während Ihrer Amtszeit durchlief die Bundeswehr einen tiefgreifenden Wandel. Welche Entwicklungen finden Sie ermutigend, welche beunruhigend?

Epkenhans: Ermutigend finde ich, dass die Bundeswehr, entgegen ihrer eigenen Einschätzung wie auch entgegen der Meinung vieler Menschen einen viel besseren Ruf in der Öffentlichkeit hat, als man oft glaubt. Über 60 Jahre nach ihrer Gründung ist die Bundeswehr ein anerkannter Teil der Gesellschaft, obwohl sie inzwischen aus der Fläche verschwunden ist. Dies finde ich ermutigend. Umso mehr bedauere ich, dass die Wehrpflicht ausgesetzt wurde, ohne dass über mögliche Alternativen wirklich ausführlich diskutiert wurde. Wehrgerechtigkeit und der immer größere Bedarf an gut ausgebildeten Spezialisten sind sicher wichtige Aspekte; aber der Dienst für die Gemeinschaft ist auch ein Thema, das ohne den politischen Reflex – Verweis auf die NS-Zeit – hätte ausführlicher diskutiert werden müssen. Die Meldungen für den Freiwilligendienst haben die Bereitschaft vieler junger Menschen, sich in anderen Bereichen zu engagieren, ja deutlich gemacht. Die derzeitige Heimatschutzkampagne ist dafür kein wirklicher Ersatz.

Sorgen bereiten mir manche Diskussionen über die „Kriegsfähigkeit“ der Bundeswehr. Dass die Bundeswehr, zumal vor dem Hintergrund der Ereignisse in Osteuropa seit 2014, abschrecken oder gar wieder kämpfen können muss, steht außer Frage. Es erschreckt mich aber, dass manche hohe Bundeswehroffiziere, unterstützt von Kollegen der Zunft, in eine Kalte-Kriegs-Rhetorik im schlechtesten Sinne zurückfallen. Wer ständig von „durchsetzungsfähig, kriegsbereit und siegesfähig“ spricht, wer zugleich die „Innere Führung“ als wenig brauchbar für heutige Einsätze betrachtet und an Stelle des „Staatsbürgers in Uniform“ den „archaischen Krieger“ zum Leitbild des heutigen Soldaten stilisiert, der hat wesentliche Lehren unserer Geschichte und Prämissen unseres Grundgesetzes vergessen. Wo ich kann, will ich meinen Beitrag leisten, um dieser Entwicklung gemeinsam mit anderen meiner Generation, die ähnlich denken, entgegenzutreten.

 

Worin sehen Sie die größten Herausforderungen für das ZMSBw in den kommenden Jahren – institutionell wie wissenschaftlich?

Epkenhans: Die größte Herausforderung ist die Evaluation durch den Wissenschaftsrat im kommenden Jahr. Diesbezüglich ist das ZMSBw mit seinen neuen Leitthemen „Veteranen“, „Gewalt“, „Multinationalität“ und „Neue Kriege“ m.E. aber gut aufgestellt. Wenn das ZMSBw hier die Erwartungen erfüllt, d.h. weiterhin überzeugende Produkte liefert, dann bin ich um dessen Existenz nicht bange. Überzeugt es hingegen nicht, vergisst es vor allem, dass es auch Erwartungen der „Truppe“ gibt, sei es hinsichtlich der Forschungen über ihre Geschichte, sei es im Hinblick auf Lehrmaterial, dann bereitet man selber den Nährboden für Ideen, das ZMSBw „abzuwickeln“. 2011/12 gab es schon einmal Versuche, das ZMSBw in die Führungsakademie zu überführen oder als An-Institut an eine der Bundeswehruniversitäten anzugliedern. Die Wissenschaftslogik, die den Wert von Forschung an sich in den Vordergrund stellt, ist nicht unbedingt die Logik eines Struktureurs, für den die Effizienz von Verwaltungsstrukturen und der tatsächliche Nutzen von Dienstposten für die Truppe Vorrang hat.

 

Was werden Sie nach Ihrem Ausscheiden aus dem Dienst besonders vermissen und worauf freuen Sie sich?

Epkenhans: Vermissen werde ich die vielen Gespräche mit Kolleg*Innen. Es fällt mir schon schwer, von einem Tag auf den anderen auf Menschen zu verzichten, die zu meinem vertrauten Umfeld gehört haben, mit denen ich mich direkt austauschen, von denen ich auch was lernen, mit denen ich aber auch offen über hausinterne Probleme und deren Lösung sprechen konnte. Die kleinen und großen Diskurse in meinem Dienstzimmer oder auf Sitzungen, das Entwickeln von Ideen, so spontihaft sie manchmal waren, waren immer bereichernd. Ich denke hier beispielsweise an die ersten Überlegungen, entgegen manchen Widerständen schließlich doch das Projekt „NS-Aufarbeitung“ anzugehen, die Einsatzgeschichte voranzutreiben oder auch die nun unter ganz anderen Vorzeichen stehende „Extremismusstudie“ zu beginnen.

Aber alles hat seine Zeit. Ohne den Ballast der Administration, der immer größer geworden ist, ohne manche Querelen kann ich mich nun meinen neuen Buchprojekten und der neuen Ausstellung im Marinemuseum Wilhelmshaven, vor allem aber meiner Familie und unseren gemeinsamen Reisen sowie meinem Rosen- und Gemüsegarten ohne Termindruck, ohne tägliche dienstliche Mails und zu bearbeitende Vorlagen widmen. Das ist auch ein schönes Gefühl. Und im Übrigen – niemand hindert mich, nach Potsdam zu fahren, wann immer ich will, und mit alten Freunden weiter Projekte zu planen und durchzuführen.