Krieg ist eine auditive Extremerfahrung und gehört zu den lautesten Ereignissen der Menschheitsgeschichte. Geräusche der Waffen, die Klänge von Signalinstrumenten, die Rufe der Kämpfer*innen und die Schreie von verwundeten Menschen und Tieren machen militärische Kampfhandlungen zu einer Ausnahmesituation. Damit ist der Krieg nicht nur von Gewalt, sondern auch von Sounds nicht trennbar. Die interepochale und interdisziplinäre Tagung widmet sich 2023 genau diesem akustischen Konglomerat und seiner Bedeutung für die Erfahrung und die Erinnerung von Krieg. Der Begriff ‚Sound‘ wird dabei benutzt, um alle akustischen Phänomene wertungs- und kontextoffen zu bezeichnen, angelehnt an eine in den Sound Studies etablierte Begrifflichkeit. Auf der Tagung soll erstmalig der Sound des Krieges im historischen Längsschnitt von der Antike bis in die Gegenwart in den Blick genommen werden und die theoretischen und methodischen Potentiale der Sound Studies und der Sinnesgeschichte für die Militärgeschichte ausgelotet werden. Gefragt wird, wie und warum sich der Sound des Krieges im Laufe der Geschichte wandelte und wie er wahrgenommen, gedeutet und erinnert wurde. Denn seit der Antike durchliefen Kriegsinstrumente und Waffen verschiedene Innovationen, wodurch sich der Sound des Krieges veränderte. Außer Waffenklängen gehören zur Soundscape ‚Krieg‘ zudem Bewegungsgeräusche, Stimmen und Musik, die je nach zeitlichem und räumlichem Kontext unter-schiedliche akustische Kulissen ausbildeten. Zu berücksichtigen ist hierbei auch, dass Kombattant*innen den Großteil ihrer Zeit nicht im Kampf, sondern im Heerlager oder auf Märschen verbrachten, die jeweils eigene akustische Kulissen ausbildeten, und dass die Soundscape des Kampfes oft von anderen Soundscapes wie Stadt, Dorf oder Kirche beeinflusst oder überlagert werden konnte. Die spezifische akustische Dimension eines Krieges prägte die Kriegserfahrungen der beteiligten Gesellschaften und bestimmte Sounds schrieben sich in die kollektiven Erinnerungen ein.
Organisation: Martin Clauss, Gundula Gahlen und Oliver Janz
TAGUNGSPROGRAMM
Mittwoch, 27.09.2023
Martin Clauss/Gundula Gahlen/Oliver Janz: Einführung (Moderation: Hannah Potthoff)
Olga Radchenko (Cherkassy): Belliphonie des russisch-ukrainischen Krieges in den Ego-Narrativen der ukrainischen Zeitzeugen
Sektion 1: Soundscape Kampf: Gewalt und Sound (Teil 1) (Moderation: Isabelle Deflers)
Daniel Bonenkamp (Münster)/Lukas Grawe (Bremen): Geräusch des Terrors – Die Sirene des Ju- 87 Sturzkampfbombers
Daniel Richter (Göttingen): Der Klang der fallenden Stadt - Akustische Dimension von Stadteroberungen im Dreißigjährigen Krieg (1631-1632)
Sektion 1: Soundscape Kampf: Gewalt und Sound (Teil 2) (Moderation: Isabelle Deflers)
Sarah von Hagen (Göttingen): Sounds und Soundscape als strukturierende Elemente in frühneuzeitlichen Seeschlachten und deren Darstellungen
Marian Füssel (Göttingen): Der Klang des Anderen. Akustische Repräsentationen des globalen Siebenjährigen Krieges (1756-1763)
Martin Daughtry (New York): Keynote: The Belliphonic (online) (Moderation: Martin Clauss)
Donnerstag, 28.09.2023
Sektion 2: Schlachtgesang und Besatzungsmusik (Moderation: Georg Hoffmann)
Franziska Quaas (Hamburg): Vom Schlachtgesang zur Siegeshymne. Gesang in kriegerischen Konflikten des frühen und hohen Mittelalters zwischen militärischer Taktik und historiographischer (Re-)production
Alexandra Dick (Tübingen): Affektiv und effektiv – Funktionen und Wirkmacht jihadistischer
Anāshīd Heike Frey (München): Besatzungssound. Hegemoniale Musikpolitik im Zweiten Weltkrieg (online)
Sektion 3: Kriegssound und Trauma (Moderation: Lukas Grawe)
Jan-Martin Zollitsch (Berlin): Das „Rasseln der Mitrailleusen“ und die „sensiblen Nerven“ – der „Sound des Krieges“ 1870/71 und seine Auswirkungen
Gundula Gahlen (München): Krank vom Sound des Krieges. Erfahrungen in der deutschen Armee während des Ersten Weltkriegs
Stefanie Linden (Maastricht): The Sounds of Shell Shock
Sektion 4: Schweigen und Stille im Kampf (Moderation: Oliver Janz)
Łukas Różycki (Poznan): In Silence they came. The Late-Roman Art of Silent Intimidation in the Light of Selected Sources
Robin Preiss (New York): Tactics of Silence: ‚Skulking’ and the Persistent Trope of Native American Embodiment
Sektion 5: Narrative Belliphonie (Moderation: Martin Clauss)
Conor Whately (Winnipeg): Agathias and the Sounds of War in the Age of Justinian
Boris Gübele (Göttingen): Lautsphären der Kreuzzugschronistik: Belliphonie bei Wilhelm von Tyrus und anderen
Hannah Potthoff (Chemnitz): Zwischen Klage und Kampf: Frauen (-figuren) in der Belliphonie des Mittelalters
Verleihung des Wilhelm-Deist-Preises
Vorstellung des Portals Militärgeschichte
Freitag, 29.09.2023
Sektion 6: Sound als politisches Mittel des Kriegsgedenkens (Moderation: Daniel Morat)
Karsten Lichau (Berlin): Wie die Kanonen das Verstummen lernten. Die Schweigeminute als Sound des Friedens?
Elias Berner (Wien)/Birgit Haberpeuntner (Wien): „Deine Vergangenheit war groß“: Kriegsresonanzen im österreichischen Nachkriegsradio (1945–1955)
Sektion 7: Der Sound des Krieges in der Kunst (Moderation: Christoph Nübel)
Pauline Lafille (Limoges): Visualizing the Belliphonic, Writing Art Aloud Mute Renaissance Battle Scenes in the Aural Eye of Artists and Art Historians
Giovanna Carugno (Castelfranco Veneto): War Memories in Keyboard Music of the Late Renaissance: Notes on The Batell by William Byrd
Schlusskommentar von Daniel Morat (Berlin) und Abschlussdiskussion (Moderation: Gundula Gahlen)