Auch wenn der Schutzumschlag Peter von Hess’ bekanntes Gemälde der Völkerschlacht bei Leipzig zeigt, handelt es sich bei dem vorzustellenden populärwissenschaftlichen Buch nicht um eine militärgeschichtliche Darstellung. Die Befreiungskriege liefern eher die Folie für einen sehr anekdotenreichen und personenorientierten Überblick über die seit den Revolutionskriegen bis in die Restauration nach dem Wiener Kongress hinein geführten publizistisch-literarischen Debatten, die um Begriffe wie „Deutschland“, „Nation“, „Einheit“ und „Freiheit“ kreisten. Für die Militärgeschichte sind diese Debatten von Interesse, weil sie auch die Motivlage der Kriegsteilnehmer und zivilen Zeitzeugen und nicht zuletzt die Frage beleuchten, inwiefern Krieg in diesem Zeitraum von einer Sache der Fürsten zu einer der Nationen wurde.
Zuerst fällt ein anscheinender terminologischer Missgriff im Untertitel auf – üblicherweise umfassen die Napoleonischen Kriege die Jahre 1804–1815 (gelegentlich auch 1800–1815); in diese fallen die „Befreiungskriege“, in der deutschen Geschichtsschreibung meist datiert auf die Jahre 1813–1814/15. Die unübliche Kombination „Napoleonische Befreiungskriege“ scheint ein Widerspruch in sich zu sein, müßte es richtig doch eigentlich „antinapoleonische Befreiungskriege“ heißen. Bei näherer Überlegung offenbart der Titel allerdings einen vom Autor vermutlich gar nicht intendierten, zumindest nirgendwo explizit angesprochenen Hintersinn, der auf die Ambivalenz des zeitgenössischen Freiheitsbegriffes abzielt. Denn gerade darauf läuft die Darstellung hinaus.
Goethes auf einer Farbtafel reproduzierte Aquarellskizze einer idyllischen Mosellandschaft von 1792 stellt einen Freiheitsbaum der Französischen Revolution mit der Jakobinermütze, einem Band in den Farben der Trikolore und der Aufschrift „Passans cette terre est libre“ in den Mittelpunkt. Goethe, selbst alles andere als ein Anhänger des radikalen Jakobinismus, konnte sich gleichwohl noch in der Rückschau nicht der Faszination der um die Mitte der 1790er Jahre verbreiteten Aufbruchstimmung entziehen, wie noch über zwei Jahrzehnte später die selbststilisierende Redaktion seiner Aufzeichnungen aus dem Valmy-Feldzug bezeugte („Von hier und heute geht eine neue Epoche der Weltgeschichte aus [...]“– diese bekannte Sentenz aus der „Campagne in Frankreich“ fügte Goethe wahrscheinlich erst nachträglich ein, S. 17f.). Die Erfolge der französischen Revolutionsarmeen wurden in weiten Teilen der intellektuellen und literarischen Welt der deutschen Länder, nicht nur bei den links- und rechtsrheinischen Jakobinern, zunächst als ein Versprechen auf ein von überholten Konventionen und Institutionen befreites Leben und keineswegs als Bedrohung nationaler Eigenständigkeit aufgefasst. Für diese gab es jenseits der Organe des „Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation“ ohnehin keine entwickelte politische Begrifflichkeit.
Krause macht deutlich, wie die bei den Intellektuellen und Kulturschaffenden verbreitete positive Stimmung gegenüber dem revolutionären Frankreich mit dem Aufstieg Bonapartes zum Alleinherrscher der Bestürzung über die fortgesetzte territoriale Expansion Frankreichs, über die Beschneidung der Souveränität der deutschen Staaten, über die Lasten der Feldzüge, der Okkupation, der Kontributionen und Aushebungen wich. Die zeitgenössischen Autoren begannen bald, ihrer Empörung in nationalen Kategorien Ausdruck zu verleihen. Das vermutlich bekannteste antinapoleonische Pamphlet ist die 1806 anonym erschienene, Krause zufolge wahrscheinlich von dem Ansbacher Beamten Johann Konrad Yelin verfasste Druckschrift „Deutschland in seiner tiefen Erniedrigung“, deren zweite Auflage den bewaffneten Aufstand propagierte und für deren Verbreitung der Nürnberger Buchhändler Johann Philipp Palm auf Napoleons Betreiben standrechtlich erschossen wurde.
Weite Passagen des Buches lesen sich wie ein Who-is-Who der Weimarer Klassik und der deutschen Frühromantik. Viele prominente Schriftsteller der Epoche kommen zu Wort, die mal unverblümt (Johann Gottlieb Fichte, „Reden an die deutsche Nation“), mal literarisch verschlüsselt (Heinrich von Kleist, „Herrmannsschlacht“) zur Frage der deutschen Nation und der Überwindung der Fremdherrschaft Stellung bezogen. Es ist schade, dass das Buch ganz auf Quellennachweise verzichtet – das ein oder andere Zitat würde man gern ohne zu suchen in seinem originalen Kontext nachlesen. Auf die germanische Frühgeschichte und besonders auf ein idealisiertes Mittelalter projizierten die Zeitgenossen die Anfänge der deutschen Nation, deren alte Größe im Kampf gegen das napoleonische Frankreich wiederhergestellt werden müsse. Gestützt auf solche Mythen, sei von Literaten und Reformpolitikern wie dem Freiherrn vom Stein die „Nationwerdung Deutschlands im Zeitalter Napoleons“ (S. 213) auf den Weg gebracht worden. Hier ist der Autor, Inhaber einer Professur für Germanistik und Skandinavistik an der Universität Bonn, ein wenig zu sehr auf die Höhenkammliteratur der Zeit fixiert, während er zu wenig nach deren Breitenwirkung fragt. Denn die jüngere Forschung hat nachgewiesen, dass die nationale Begeisterung damals eine Sache studentischer und bildungsbürgerlicher Kreise blieb und noch kaum bei den niederen Ständen angekommen war, was Krause nur gelegentlich andeutet. So war der vermeintlich allgemeine nationale Enthusiasmus (Körners notorisches „Das Volks steht auf“) selbst ein erst Generationen später geschaffener Mythos.
Dennoch ist anhand von Krauses Darstellung sehr interessant zu beobachten, wie im Betrachtungszeitraum die wechselseitige deutsch-französische Stereotypie, die im übrigen gewiss viel ältere Wurzeln hat, literarisch ausformuliert wurde und politische Sprengkraft gewann. Auf französischer Seite wurde Madame de Staëls „De l’Allemagne“, zunächst von der napoleonischen Zensur unterdrückt, nach 1815 zu einem vielgelesenen und prägenden Text, der die Deutschen als langweilige Biedermänner porträtierte. In Deutschland gewann die antifranzösische Polemik sehr schnell an Schärfe, bis hin zu den pathetisch-bellizistischen Dichtungen eines Theodor Körner oder den nur als frühe Spielart von Rassismus einzustufenden Hasstiraden eines Ernst Moritz Arndt. Was bei Krause vielleicht nicht deutlich genug wird, ist die Tatsache, dass die Wirkungsgeschichte von Texten wie diesen weniger bei den Zeitgenossen als vielmehr 1870/71 und dann wieder 1914ff. ihre eigentlichen Höhepunkte erreichte, also in Kriegszeiten, in denen die Befreiungskriege ihrerseits nach den jeweis aktuellen Bedürfnissen mythisiert und instrumentalisiert wurden. Dessen ungeachtet beschreibt Krause gut nachvollziehbar die Genese der deutsch-französischen „Erbfeindschaft“.
Eine völlige Schwarz-Weiß-Sicht auf das deutsch-französische Verhältnis blieb freilich nicht unwidersprochen. Besonders im Rheinland und in den süddeutschen Staaten (u.a. in Baden und Bayern) war man zwar ebenfalls der Lasten der französischen Herrschaft überdrüssig, erkannte aber daneben die Modernisierungseffekte, welche die französische Verwaltung und die Einführung des Code Napoléon hatten. Vor allem löste die Aussicht keine Begeisterung aus, die französische nunmehr gegen eine ebenso drückende österreichische oder preußische Hegemonie einzutauschen, wie sie etwa vom Stein in seinem radikalen dualistischen Verfassungsentwurf vorsah. Insofern stellten „nationale Einheit“ und „Freiheit“ augenscheinlich einander ausschließende Prinzipien dar. „Einheit“ wäre überhaupt nur zur Hälfte, nämlich um den Preis der Aufteilung Deutschlands zwischen den beiden deutschen Vormächten zu erreichen gewesen; und „Freiheit“ im Sinne einer verfassungsmäßigen Ordnung stand nicht auf der Agenda der restaurativen Monarchien, sondern war allenfalls auf der Ebene der Teilstaaten wie dem Großherzogtum Baden zu erreichen, das sich 1817 eine Konstitution gab, oder im Sinne eines Rückzugs in die Freiheit der unpolitischen „geistigen Republik“, wie sie schon Schiller vorgeschwebt hatte. So war es von mehr als nur symbolischer Bedeutung, dass sich anstelle des von den fortschrittlich orientierten Zeitgenossen bevorzugten Namens der „Freiheitskriege“ per obrigkeitsstaatlicher Anweisung die abgeschwächte Bezeichnung als „Befreiungskriege“ durchsetzte: Während ersterer die Einlösung der vorab gegebenen Freiheits- und Einheitsversprechen implizierte, meinte letztere nur noch die Befreiung von der napoleonischen Herrschaft bei mehr als ungewissen Aussichten für die innere politische Entwicklung der deutschen Länder.
Arnulf Krause, Der Kampf um Freiheit. Die Napoleonischen Befreiungskriege in Deutschland. O.O. [Stuttgart]: Theiss 2013. ISBN 978-3-8062-2498-6; 352 S., XVI Bildtafeln; € 26,95.