„[Die Flotten] jagten [sich], schlugen hart zu, ließen Schiff gegen Schiff krachen, drängten sich, gruppierten sich untereinander, tauschten künstliche Feuer aus, griffen mit kaltem Stahl und mit Flammen an. Beflügelt von der Wut, trunken von Hass und Rauch, beide Seiten blind vor Leidenschaft, nicht mehr Menschen sondern wilde Tiere, überließen sie es der Unmenschlichkeit und Verzweiflung, das Schlimmste in diesem Konflikt zu tun, […] mit dem unaufhörlichen Abfeuern von Kanonen, den Flammen brennender Schiffe, Massen von schwarzem Rauch, der die Luft belastete und verwirrte, dem Lärm von fallenden und brechenden Masten und Spieren und dem Stöhnen der armen Unglücklichen, die Schmerzen erlitten.“1
Mit diesen Worten beschrieb der venezianische Botschafter in Frankreich die so genannte Viertageschlacht, die vom 11.–14. Juni 1666 (greg.) zwischen einer niederländischen und englischen Flotte vor der Küste Flanderns stattfand. Der Bericht des Botschafters bietet einen Ansatzpunkt für das Dissertationsprojekt, das sich einer historisch-anthropologischen Untersuchung der maritimen Kriegsgewalt des 18. Jahrhunderts widmet. Denn er sticht aus unzähligen anderen Darstellungen hervor – ohne Referenz auf Befehlshaber und einzelne Schiffe schildert er eindrücklich die Brutalität, die Unübersichtlichkeit und Materialität der Schlacht.
Anhand von Gewalthandlungen britischer, französischer und niederländischer Seestreitkräfte im Nordatlantik und der Nordsee wird gefragt, wie sich Kriegsgewalt auf See im Rahmen ihrer spezifischen räumlichen und technischen Bedingungen konstituierte und wie sie schriftlich und visuell verarbeitet wurde. Am Beginn und Ende des gewählten Betrachtungszeitraums stehen mit dem Zweiten Englisch-niederländischen Krieg (1665–1667) und dem Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg (1775–1783) Konflikte, die als genuine Seekriege bezeichnet werden können. Sie bilden markante Eckpunkte für die Wahrnehmung und taktische Entwicklung der Seekriegsführung.
Erfahrung – Technisierung – Medialität. Besonderheiten maritimer Gewalt
Maritime Gewaltsituationen waren in höchstem Maß kontingente Phänomene, deren Verlauf und Ausgang kaum kontrollierbar waren. Umwelteinflüsse, die Unberechenbarkeit der Umgebung und technische Faktoren bestimmten das Geschehen; Schiffe und Besatzungen waren Meer und Wind ausgeliefert, Manöver und Bewegungen nur schwer planbar. Die scheinbare Unbegrenztheit und konturlose Weite des Meeres, die dieser entgegenstehenden Begrenztheit der Schiffe als „schwimmende Festungen“ und deren Bewegung auf einem sich ebenfalls bewegenden Untergrund konstituierten zudem eine spezifische Räumlichkeit. Diese Kontingenz und Räumlichkeit erforderten eigene (improvisierte) Bewältigungsstrategien: Vermeintliche technologische Überlegenheit und taktisches Knowhow stellten keine Garanten für taktische Vorteile und militärischen Erfolg dar. Technologische und operationale Entwicklungen, etwa in Form von Schiffstypen oder einer veränderten Taktik, mussten sich auf See beweisen – Notwendigkeiten für Veränderungen erwuchsen aus konkreten Gewalterfahrungen. Die Gewalthandlungen auf See entzogen sich oftmals dem direkten Zugriff der Zeitgenossen. Denn Seeschlachten waren zum einen in ihrer Gesamtheit nicht beobachtbare Ereignisse, zum anderen fanden sie oft ohne Zeug:innen jenseits der Teilnehmenden selbst statt. Erst durch mediale Verarbeitungen wurden die Kriegserfahrungen in der abgeschiedenen, „hölzernen Welt“2 überhaupt sichtbar.
Methodisch-theoretische Vorgehensweise
Die eingangs zitierte Schlachtenbeschreibung zeigt deutlich, dass Menschen zwar notwendige Teilnehmende einer Seeschlacht waren, aber nicht ihre hinreichende Bedingung: Verlauf und Ergebnis einer Schlacht wurden ebenso durch Wetter, Windrichtungen, Wellen, Schiffe, Kanonenpulver, die naturräumlichen Begebenheiten und unzählige weitere Faktoren bestimmt wie durch menschliches Entscheiden und Handeln. Handlungsspielräume und die Wahrscheinlichkeiten möglicher Ausgänge der Schlacht änderten sich im Geschehen ständig und entzogen sich phasenweise vollständig dem menschlichen Zugriff. Um das Phänomen empirisch vollständig zu erfassen, wird Gewalt – verstanden als physische Gewalt – deshalb praxeologisch anhand der maritimen Gewaltpraktiken Verbrennen, Entern, Verfolgen und Beschießen operationalisiert. Ergänzt durch Elemente der Science and Technology Studies (STS) betrachtet ein solcher Ansatz menschliche, technische und natürliche Akteure symmetrisch. So lässt sich Gewalt als Effekt eines räumlich und zeitlich verorteten, komplexen, ergebnisoffenen und regelhaften Zusammenspiels von menschlichen Körpern, technischen Artefakten, naturräumlichen wie klimatischen Bedingungen, Bewegungsabläufen und spezifischen Normvorstellungen empirisch besser und umfangreicher beobachten.
Um den Spezifika maritimer Gewalt auch darstellerisch gerecht werden zu können, arbeitet das Projekt mit der dichten Beschreibung von Sequenzen ausgewählter Fallbeispiele.3 Verbunden wird die Nahperspektive in den jeweiligen Kapiteln mit einer Makroperspektive, die Wirkmechanismen der einzelnen Gewaltpraktiken über die spezifische Situation hinaus aufdeckt.
Quellenbasis
Der Quellenkorpus speist sich aus drei großen Quellengruppen: Erfahrungsberichte, Gerichtsakten und visuelle Darstellungen. Selbstzeugnisse und mediale Darstellungen bieten Einblicke in zeitgenössische Narrative, Topoi, Sinnstiftungs- und Wahrnehmungsmuster der Verarbeitung maritimer Gewalt. Derartige Zufallsüberlieferungen werden ergänzt durch serielle Gerichtsakten, in denen Verfehlungen und Schiffsverluste nach einer Schlacht verhandelt wurden. Prozesse, die Akten produzierten, wurden dann geführt, wenn Gewalthandlungen nicht das erhoffte Ergebnis erbracht hatten. Rechtfertigungsnarrative und Schuldzuweisungen in den Akten bilden einen Schlüssel zur sonst nicht thematisierten Praxis. Der heuristische Zugang über diese juridisch-administrative Form der Nachbereitung der Gewaltereignisse redet keinem naiven „wie es eigentlich gewesen“ das Wort, sondern legt soziale Wissensbestände ansonsten schwer sichtbarer Praktiken offen. Einen Zugang zu zeitgenössischen Normvorstellungen, ästhetischen Idealen und Erwartungen an eine Seeschlacht bieten Gemälde, Skizzen, Drucke und Stiche der sich im 17. und 18. Jahrhundert als eigenständiges Genre ausbildenden Marine- und Seeschlachtenmalerei, deren Vertreter mitunter selbst an Seegefechten teilnahmen.
Die an der Georg-August-Universität von Prof. Dr. Marian Füssel betreute Dissertation liefert eine neue und bedeutende Perspektive auf die europäischen Seekriege des langen 18. Jahrhunderts sowie Impulse für die historische Gewaltforschung und internationale Marinegeschichte. Das Projekt schließt eine Forschungslücke, die einem umfänglichen Verständnis der globalen Vorherrschaftskonflikte, in denen bis heute wirksame Machtkonstellationen entstanden, entgegensteht und überwindet durch die vergleichende Betrachtung britischer, französischer und niederländischer Gewalthandlungen nationale Pfadabhängigkeiten der Forschung.
Dieser Beitrag wurde redaktionell betreut durch Lisa-Marie Freitag.
Zitierempfehlung: Sarah von Hagen, Maritime Gewalten. Erfahrung, Darstellung und Technik von Kriegsgewalt auf See, 1665–1783, in: Portal Militärgeschichte, 25. April 2022, URL: https://portal-militaergeschichte.de/hagen_maritime_gewalten (Bitte fügen Sie in Klammern das Datum des letzten Aufrufs dieser Seite hinzu).
- 1. Marc Antonio Giustinian, venezianischer Botschafter in Frankreich, an den Doge und Senate, 22. Juni 1666, in: Calender of State Peapers Venice, Bd. 35: 1666–1668. British History Online, URL: http://www.british-history.ac.uk/cal-state-papers/venice/vol35/pp12-25 [aufgerufen am 10.02.2022].
- 2. Nicholas A. M. Rodger, The Wooden World. An Anatomy of the Georgian Navy, London 1986, S. 11.
- 3. Vgl. Randall Collins, Dynamik der Gewalt. Eine mikrosoziologische Theorie, Hamburg 2011.