Homosexualität und sexuelle Gewalt in den Armeen Österreich-Ungarns 1900–1918
Daniel Gunz
Projektskizze
Veröffentlicht am: 
28. März 2022

Mit der Eulenburgaffäre, die das Deutsche Kaiserreich erschütterte, trat auch in Österreich-Ungarn ab 1907 die „Gefahr“ einer „homosexuellen Unterwanderung“ der Armee in das Blickfeld einer breiten medialen Öffentlichkeit. Spätestens mit der Spionageaffäre um den homosexuellen Oberst Alfred Redl, dem Chef des Geheimdienstes Österreich-Ungarns, im Jahr 1913, stellte sich auch in der Habsburgermonarchie zunehmend die Frage, inwiefern die Armee durch das als abnorm wahrgenommene sexuelle Begehren einzelner Männer gefährdet war. Das Militärstrafgesetz wie auch das zivile Strafgesetzbuch stellten gleichgeschlechtliche Sexualkontakte lange vor diesem Zeitpunkt unter Strafe. Abseits der großen Skandale, die von der internationalen Historiographie bereits detailliert untersucht wurden, kam es auch im alltäglichen Leben innerhalb der Kasernen zur militärgerichtlichen Verfolgung gleichgeschlechtlich begehrender Soldaten. In der Dissertation wird sowohl die öffentliche Wahrnehmung über Homosexualität im Militär als auch Ermittlungs- und Strafverfahren der K.-u.-k.-Militärgerichte gegen Soldaten, denen gleichgeschlechtliche Sexualkontakte zur Last gelegt wurden, untersucht.

Seit den späten 1980er Jahren finden sich einige Forschungsarbeiten, die um den Themenkomplex Homosexualität im Militär kreisen, diesen aber bisher nicht systematisch analysierten. Für Österreich-Ungarn schneiden beispielsweise Arbeiten Themen wie die Sexualität von Offizieren,1 die Prostitution von Soldaten in Großstädten des Reiches2 oder den homoerotischen Momenten soldatischen Zusammenlebens während des Ersten Weltkriegs an.3 Außerdem findet sich beispielsweise eine Studie zu Initiationsriten und Vergewaltigungen innerhalb der US Army, die sich aber größtenteils auf die letzten 25 Jahre des 20. Jahrhunderts bezieht.4 Trotz aller bisherigen Bemühungen einzelner Historikerinnen und Historikern, muss von einem Desiderat der Forschung gesprochen werden, dem sich das seit September 2021 laufende Promotionsprojekt Von Lust und Leid widmet.

Den zentralen Quellenkorpus der Arbeit bilden 170 Militärgerichtsakten aus den Jahren 1900 bis 1918. Da ein Großteil dieser Akten aus der K.-u.-k.-Kriegsmarine stammt, werden Spezifika sowohl der See- als auch der Landstreitkräfte bearbeitet. Zusätzlich finden interne Schriftstücke des Kriegsministeriums, Zeitungsartikel oder Selbstzeugnisse innerhalb der Dissertation Beachtung. Diese Quellenpluralität erfordert das Heranziehen verschiedener methodischer Zugänge. Zuerst wird das Quellenmaterial anhand einer qualitativen Inhaltsanalyse untersucht. Das hierbei erarbeitete Kategoriensystem dient als Ordnungsstruktur und bildet die Grundlage für die anschließend erfolgende Diskursanalyse. Da sich circa ein Dutzend verschiedene Begriffe für Homosexualität innerhalb der Militärgerichtsakten finden (juristische, medizinische und umgangssprachliche Bezeichnungen), wird in einem einleitenden Kapitel auch die Methode der historischen Semantik herangezogen.

Ein Anliegen der Arbeit ist es, die Rahmenbedingungen gleichgeschlechtlicher Sexualität im Militär aufzuzeigen. Dazu zählen die Vorverurteilung und die latente Homophobie unter den Soldaten. Ein besonderes Augenmerk wird auf sexuelle Gewalt unter Männern und die Bedeutung militärischer Hierarchie für diesen Aspekt gelegt. Zumeist missbrauchten Vorgesetzte ihre Autorität, um Untergebene zu sexuellen Handlungen zu zwingen. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, konsensualen Verkehr in die Untersuchung miteinzuschließen, da die Grenzen zwischen Einvernehmen und Forcierung oftmals fließend waren. Innerhalb der Arbeit wird eine ganzheitliche Betrachtung aller Dienstränge angestrebt, vom einfachen Soldaten über die Unteroffiziere bis hin zu höheren Offizieren, damit die Konsequenzen von Beschuldigungen bzw. Verurteilungen für die jeweiligen Gruppen ersichtlich werden.

Das Militär war kein von äußeren Einflüssen isolierter Raum, was beispielsweise das Heranziehen von Sachverständigen innerhalb von Strafverfahren zeigt. Gerade anhand der Figur der Militärärzte wird ersichtlich, dass diese den zeitgenössischen sexualitätswissenschaftlichen Diskurs über Homosexualität rezipierten und ihre Gutachten entsprechend der damaligen Lehrmeinung verfassten. Dasselbe gilt für die Militärjustiz in ihrer Gesetzesauslegung, die sich an der Rechtsprechung der Zivilgerichtsbarkeit orientierte. Deshalb ist die Verortung dieser und weiterer Standpunkte innerhalb der zeitgenössischen Diskurse von großer Bedeutung für das Promotionsvorhaben.

In einem weiteren Abschnitt der Arbeit wird die öffentliche Wahrnehmung über den Forschungsgegenstand durch die Berichterstattung deutschsprachiger Zeitungen Österreich-Ungarns nachgezeichnet. Analysiert werden dafür drei homosexuelle Skandale, die im deutschsprachigen Raum große Wellen schlugen: die Prinzenaffäre um Franz Joseph von Braganza, der Eulenburgskandal und die Spionageaffäre des Oberst Redls.

Es findet somit innerhalb der Dissertation eine umfangreiche Auseinandersetzung mit verschiedensten Aspekten zum Themenkomplex Homosexualität im Militär statt, die von der internationalen Geschichtsforschung bisher, wenn überhaupt, nur unzureichend behandelt wurden.

 

Dieser Beitrag wurde redaktionell betreut durch Lisa-Marie Freitag.

 

Zitierempfehlung: Daniel Gunz, Von Lust und Leid. Homosexualität und sexuelle Gewalt in den Armeen Österreich-Ungarns 1900–1918, in: Portal Militärgeschichte, 28. März 2022, URL: https://portal-militaergeschichte.de/gunz_lust (Bitte fügen Sie in Klammern das Datum des letzten Aufrufs dieser Seite hinzu).

  • 1. Vgl. István Deák, Der K. (u.) K. Offizier. 1848–1918, Wien, Köln, Weimar 1991, S. 174–177.
  • 2. Anita Kurimay, Queer Budapest. 1873–1961, Chicago 2020, S. 79–81.
  • 3. Jiri Hutečka, Men under Fire. Motivation, Morale and Masculinity among Czech Soldiers in the Great War, 1914–1918, New York, Oxford 2020, S. 84–92, S. 115–133.
  • 4. Vgl. Aaron Belkin, Bring Me Men. Military Masculinity and the Bengin Façade of American Empire, 1898–2001, New York 2012.
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