Die 466 Schweizer, die der Résistance zu Hilfe eilen, sind zur überwiegenden Mehrheit weder Politaktivisten noch Antifaschisten. Im Unterschied zu den Schweizer Freiwilligen im Spanischen Bürgerkrieg, die einige Jahre zuvor zur Rettung der Republik aufgebrochen sind, ist das Profil des Schweizer Résistant vielfältiger und politisch weniger markant. Und obwohl er – im Unterschied zum Spanienkämpfer – bei Kriegsende auf Seiten der Sieger steht, empfängt ihn die Heimat bestenfalls mit Gleichgültigkeit und dem Vorwurf, sein Land im Stich gelassen und zu Kriegszeiten geschwächt zu haben.1
Widerstand kann mehrere Formen annehmen. Wir haben eine Auswahl getroffen, beschränken wir uns doch auf die "Résistance-organisation", die nur eine Minderheit einschliesst: jene Schweizer, die am bewaffneten Widerstand innerhalb und ausserhalb Frankreichs teilgenommen, ihn unterstützt oder geholfen haben. Wer – um ein Beispiel zu nennen – am Arbeitsplatz, im Freundeskreis oder am Stammtisch die Besetzung oder das Vichy-Regime als verbrecherisches Regime bezeichnete und verhaftet oder deportiert wurde, fällt bei dieser "engen" Definition durch die Maschen.2
Unsere Berechnungen beruhen auf einem Grundstock von 466 Schweizer Résistants, zu denen wir Angaben insbesondere im Bundesarchiv in Bern (Militärstrafakten) und im Militärarchiv in Paris-Vincennes (ehemaliges "Bureau Résistance") gefunden haben. Der Forschungsstand zum Thema ist schnell umrissen: Luc Van Dongen hat auf einer engen Quellenbasis und ohne Anspruch auf Repräsentativität 131 Schweizer unter die Lupe genommen, die an der "inneren Résistance" (FFI, Forces françaises de l'intérieur) teilgenommen haben.3 Wir arbeiten mit einer repräsentativen Auswahl von Schweizern der inneren und der äusseren Résistance und ziehen zum Vergleich immer wieder Arbeiten zu Schweizer Freiwilligen in anderen Konflikten und Untersuchungen zu anderen "Länderkontingenten" herbei.4
Fünf unterschiedliche Ausgangssituationen
Die Schweizer Kriegsfreiwilligen, die der Résistance beitreten, bilden keinen homogenen Block. Nur eine Minderheit lebt unmittelbar vor Beitritt in der Schweiz und zieht über den Jura bzw. den Genfersee in die Résistance. Die Mehrheit hält sich im Ausland auf – insbesondere in England, in Frankreich, in Nordafrika und im Nahen Osten. Diesen verschiedenen geografischen Ausgangslagen muss bei der Suche nach Merkmalen des "typischen" Schweizer Résistant Rechnung getragen werden. Auch der Zeitpunkt des Beitritts ist weitgehend von den politischen und kriegerischen Begebenheiten abhängig, die im jeweiligen Land herrschen und den Wegzug begünstigen bzw. erschweren.
Wollen wir unseren Korpus von 466 Schweizer Freiwilligen mit wissenschaftlichen Kriterien unter die Lupe nehmen, so ist es unentbehrlich, je nach Ort des Eintritts Untergruppen zu bilden und einzeln zu untersuchen. Wir haben uns für fünf Kategorien entschieden, die verschiedenen Ausgangslagen des Freiwilligen zum Zeitpunkt des Eintritts entsprechen:
Kategorie 1: Lediglich 21% der Schweizer Freiwilligen wohnen bis zum Aufbruch in die Résistance in der Schweiz. Mit anderen Worten ausgedrückt: Nur annähernd jeder Fünfte zukünftige Freiwillige lebt vor Eintritt in die Résistance in der kriegsverschonten Schweiz, um sich von hier aus der "inneren Résistance", insbesondere den Maquis im besetzten Frankreich, anzuschliessen.5
Kategorie 2: 18% der Schweizer Freiwilligen – die Hälfte davon Doppelbürger – arbeiten bis zum Eintritt in die Résistance im besetzten Frankreich. Auch sie schliessen sich hier der "inneren Résistance", insbesondere den FFI an.6
Kategorie 3: 8% der Schweizer Freiwilligen – die kleinste Gruppe – sind Auslandschweizer und Geschäftsleute in London, im Nahen Osten und in Afrika. Sie treten hier der "äusseren Résistance", den "Forces françaises libres" (FFL) von General de Gaulle, bei.7
Kategorie 4: 18% der Schweizer Freiwilligen sind ehemalige Fremdenlegionäre der 13. Halbbrigade (13. Demi-Brigade de Légion étrangère, DBLE), die im Sommer 1940 nach dem Rückzug aus Norwegen und der Kapitulation Frankreichs in London "stranden". Diese 989 Ex-Legionäre verschiedenster Nationalität bilden den Grundstock der "äusseren Résistance", der FFL von General de Gaulle.8
Kategorie 5: 33% der Schweizer Freiwilligen sind ehemalige Fremdenlegionäre, die sich im Sommer 1941 im Nahen Osten (Syrien, Palästina) und ab November 1942 (Landung der US-Truppen in Nordafrika) den FFL von General de Gaulle anschliessen.9
Mehr als die Hälfte der Schweizer Résistants (51%) sind somit ehemalige Fremdenlegionäre, die meist seit Jahren fern der Heimat in Frankreichs Kolonialtruppe gedient haben und aus unterschiedlichsten Gründen zwischen 1940 und 1943 den FFL beitreten. Die Freiwilligen schliessen sich somit in ganz verschiedenen geografischen Räumen Europas und Nordafrikas mit sehr unterschiedlichen politischen Ausgangssituationen dem französischen Widerstand an. Der "typische" Schweizer Freiwillige existiert nicht – der "Background" ist zu unterschiedlich, das "Menschenmaterial" zu facettenreich. Ein Fremdenlegionär in Nordafrika, der sich auf der Verliererseite wähnt, hat kaum politische Kriterien und keine Skrupel, seine Manneskraft dem bisherigen Gegner zu leihen. Sein Überlaufen zu den FFL ist anders motiviert als der Beitritt eines Auslandschweizers und Lehrers in Kairo, der angesichts des Vorrückens der Panzer Rommels 1942 ebenfalls die FFL wählt.10
Bei der Suche nach dem sozialen Profil der Freiwilligen müssen die verschiedenen Kategorien bzw. Segmente von Freiwilligen immer wieder auch einzeln unter die Lupe genommen werden. Nur so treten Merkmale deutlich hervor, so dass wir Klarheit über den heterogenen Korpus der Freiwilligen gewinnen.
Sechs Gründe hinzugehen
Damit ein Jugendlicher oder ein junger Erwachsener für Frankreich in den Krieg zieht, sind meist mehrere Gründe verantwortlich, die sich überlagern und ergänzen. Jede vorschnelle Zuweisung oder "Kategorisierung", die andere Beweggründe ausschliesst oder einzig auf die Aussagen des Angeklagten bzw. einvernommener Zeugen anlässlich des Strafprozesses in der Schweiz abstellt, muss kritisch hinterfragt werden. Wir haben den Versuch unternommen, aufgrund verschiedenster Hinweise in den Akten die Beweggründe in sechs Motive zu unterteilen und einen Hauptgrund, der den Ausschlag zum Wegzug gab, auszumachen. Wir bewegen uns dabei wissenschaftlich "auf dünnem Eis", halten den Versuch aber trotzdem für aussagekräftig.
Untersuchungen zu den Beweggründen für den Beitritt zur Résistance bestehen bereits zu zwei "Länderkontingenten". Beide Autoren bedauern die enge Quellenbasis und eine fehlende Verlässlichkeit der Aussagen, sei es von Seiten der Ehemaligen im "Anstellungsgespräch" bei Eintritt in die Résistance, in Erinnerungsberichten oder in Zeugenaussagen vor Untersuchungskommissionen nach dem Krieg.11 Jean-François Muracciole unterstreicht für die französischen Freiwilligen, die mit 91% den Grundstock der FFL-Truppen bilden, die Dominanz des Faktors "Patriotismus", der in 8 von 10 Fällen den Ausschlag zum Engagement gegeben habe:
"L'engagement dans la France libre fut d'abord l'expression d'un patriotisme viscéral, du rejet spontané de la défaite et de l'armistice."
Das Motiv "Chasser l'envahisseur!" steht laut Muracciole mit Abstand im Vordergrund und stelle eigentliche politische und ideologische Gründe (Antifaschismus, Vichy bekämpfen) in den Schatten.12
Diego Gaspar Celaya unterstreicht die ganz andere Ausgangslage und Motivation der 1.182 spanischen Freiwilligen in den FFL-Truppen. Nach verlorenem Bürgerkrieg und monatelangem Ausharren in französischen Internierungslagern erscheint ihnen 1939/40 der Kampf für Frankreich in Verbänden der Fremdenlegion als Befreiungsschlag und logische Konsequenz eines Einsatzes, der im Bürgerkrieg gegen Franco begonnen hat. Als sie ab Herbst 1940 nach dem Zusammenbruch Frankreichs erneut in Internierungs- und Arbeitslagern – diesmal jene des Vichy-Regimes in Nordafrika – harren, erblicken sie seit der Landung alliierter Truppen in Marokko und Algerien (November 1942) im Beitritt zu den FFL-Truppen das Vehikel, um Frankreich zu befreien und gleichzeitig das Franco-Regime zu stürzen. Laut Gaspar Celaya entspricht die Formel "Liberar Francia para liberar España" exakt den Beweggründen der spanischen Freiwilligen, sei aber nicht mit dem engen Patriotismus der französischen Freiwilligen vergleichbar:
"Sin embargo, a diferencia del caso francés, este impulso patriótico español aparece, en testimonias y memorias, íntimamente relacionado a motivaciones políticas e ideológicas entre las que el antifascismo [...]."13
Die 466 Schweizer Freiwilligen treten unter ganz anderen Bedingungen der Résistance bei. Die Schweiz hat weder einen Bürgerkrieg hinter sich wie Spanien, noch ist sie unterworfen wie Frankreich. Auch bilden die Schweizer Freiwilligen zum Zeitpunkt ihres Engagements keinen Block – sie sind auf mehrere Länder zerstreut und treten aus unterschiedlichen Gründen dem Widerstand bei. Eine aussergewöhnlich günstige Quellenlage – die Akten der Schweizer Militärjustiz zu den Freiwilligen – erlaubt uns überdies, die Gründe des Beitritts zu erahnen.14
Antifaschismus
Nur sehr wenige Freiwillige bewegen sich vor dem Wegzug in einer linkspolitischen Organisation oder deren Umfeld. Parteimitglieder, Sympathisanten oder Gewerkschafter sind die grosse Ausnahme: Lediglich jeder Zwanzigste (4%) der Schweizer Freiwilligen zieht aus politischen oder ideologischen Gründen in den Krieg. Dieser geringe Anteil aus dem linkspolitischen Spektrum ist vor allem dem Umstand zuzuschreiben, dass über die Hälfte der Schweizer Freiwilligen direkt aus der Fremdenlegion zur Résistance bzw. den FFL-Truppen finden – ein Segment, bei dem die politischen Überzeugungen abwesend sind. Lassen wir die Freiwilligen mit "Legionsvergangenheit" ausser Betracht, so erhöht sich der Anteil der politisch motivierten Freiwilligen auf 8%.15
Ein Beispiel für diese politisch motivierte Minderheit ist der in Lausanne aufgewachsene Georges Gilliand, langjähriges Mitglied des Bau- und Holzarbeiter-Verbandes, der zudem von 1936 bis 1938 im Spanischen Bürgerkrieg auf Seiten der Republikaner gekämpft hat. Als er im Februar 1940, nach der Rückkehr aus den französischen Internierungslagern von Argelès und Gurs, in der Schweiz wegen "Schwächung der Wehrkraft" vor Militärgericht steht, erklärt er stolz, nichts zu bereuen und jederzeit wieder aufzubrechen:
"J'ai été envoyé sur divers fronts, mais je n'ai pas à vous dire lesquels car cela ne vous regarde pas. J'ai été blessé plusieurs fois et je suis prêt à y retourner si les républicains ont encore besoin de moi."16
Gilliand bricht tatsächlich im Sommer 1942 von Lausanne aus zum zweiten Mal in fremden Kriegsdienst auf, diesmal auf der anderen Seite der Pyrenäen und für die FFI.17
Auch beim Zürcher Bauzeichner Walter Stierli, der 1944 eine Jugendgruppe der Partei der Arbeit (PdA) leitet, stehen politische Erwägungen beim Wegzug in den Widerstand im Vordergrund. Doch ein zweiter Beweggrund hat ebenfalls mitgespielt: Stierli ist "unglücklich" verheiratet, hat insgeheim eine Freundin und entzieht sich dem Dilemma, indem er im August 1944 mit der neuen Liebe von Zürich ins Maquis aufbricht.18
Auch einige Auslandschweizer jener Kategorie von Freiwilligen, die in Afrika oder dem Nahen Osten den FFL-Truppen beitreten, handeln aus handfesten politischen Überzeugungen. So der Neuenburger Georges-Henri Pointet, der noch während des Studiums zum Leutnant avanciert, doch 1933 die Unvorsichtigkeit begeht, bei einer Regierungsratswahl öffentlich Partei für den SP-Kandidaten Paul Graber zu ergreifen, der als Pazifist die Armee ablehnt. Pointet wird vom Dienst suspendiert, entwickelt sich zu einem Vorkämpfer des Volksfront-Kurses und reist zu antifaschistischen Kongressen in Paris. Wegen mangelnder Verdienstmöglichkeiten in der Schweiz nimmt er 1935 eine Stelle als Französischlehrer in Kairo an. Pointet politisiert hier im antifaschistischen Sammelbecken "Union démocratique" und meldet sich im Juli 1942 – als die Panzer Rommels bei El-Alamein 70 km vor Alexandrien stehen – als Freiwilliger bei den FFL.19
Freiwillige mit einem linkspolitischen Hintergrund, die Frankreich mit seinem Antifaschismus als Hort der Freiheit begreifen, sind eine kleine Minderheit, die in allen Kategorien von Freiwilligen zu finden sind – ausser jener der Freiwilligen mit Legionärs-Hintergrund.
Patriotismus, Frankophilie
Laut Muracciole ist der Faktor "Patriotismus" in 80% der Fälle für den Beitritt französischer Freiwilliger zu den FFL-Truppen verantwortlich. Dass der Anteil dieses Faktors bei den Schweizer Freiwilligen, die Frankreich zu Hilfe eilen, tiefer liegt, dürfte niemanden überraschen. Bei lediglich 34% der Freiwilligen gibt der Grund "Patriotismus" bzw. affektive Verbundenheit mit Frankreich den Ausschlag zum Engagement.20
Der Grund "Patriotismus" ist bei jener Kategorie von Schweizer Freiwilligen am höchsten (88%), die zumeist seit Jahren und oft als Doppelbürger in Frankreich arbeiten und hier die deutsche Besetzung oder die Zwangsmassnahmen des Vichy-Regimes, insbesondere den Service du travail obligatoire (STO), erleben. Der im Kanton Fribourg geborene, aber im französischen Jura aufgewachsene Brotauslieferer Joseph Maillard flieht im Herbst 1942 zum Bruder in die Schweiz, wo er als 19-Jähriger die Rekrutenschule absolviert und als Korporal Aktivdienst macht. Im August 1944, nach der Landung der Alliierten in der Normandie und in Südfrankreich, geht Maillard erneut über die Grenze und kämpft vorerst mit den FFI im Maquis, später in Verbänden der FFL, die von Südfrankreich her nach Norden vorstossen. Als er nach Kriegsende die Revision des gegen ihn in Abwesenheit ergangenen Urteils der Schweizer Militärjustiz beantragt, begründet er den Wegzug in die Résistance
"par son attachement pour la France, où il a vécu toute sa jeunesse, et par sa haine des Allemands".21
Diese "symbiose transfrontalière" finden wir auch beim Doppelbürger Hubert De Castella, der im Herbst 1942 vorübergehend in die Schweiz flüchtet, hier Grenzdienst leistet und im Ausgang in Kreisen junger Franzosen verkehrt, die insgeheim den Aufbruch in die Résistance vorbereiten. De Castella zieht mit der Gruppe in die Résistance.22
Patriotismus als Handlungsgrund ist auch beim Doppelbürger François Cacheux im Spiel. Als der 20-Jährige, zum Grossteil in der Schweiz Aufgewachsene, 1943 von Paris nach Genf flüchtet und Monate später, nach der Landung der Alliierten in der Normandie, im Auftrage der Résistance die Grenze nach Frankreich überschreitet, handelt er nach dem Leitmotiv "Chasser l'envahisseur!". Sein Bruder sei im Rahmen des Service du travail obligatoire (STO) nach Deutschland verfrachtet und dort misshandelt worden. Nicht die Schweiz, sondern das besetzte Frankreich habe ihm sein Handeln diktiert:
"Etant donné que toute ma famille, mes amis, mon avenir etaient en France, j’ai estimé que mon devoir m’obligeait à donner suite à cet ordre de rejoindre la Résistance."23
Patriotismus, affektive Verbundenheit mit Frankreich und Frankophilie sind auch der vorherrschende Grund (75%) bei jener Kategorie von Freiwilligen, die in Afrika, im Nahen Osten und in der anglophonen Welt insgesamt leben und sich den FFL-Truppen anschliessen. Sie fühlen sich aus verschiedenen Gründen Frankreich verpflichtet.
Der Neuenburger Willy Tschamper hat noch vor dem Krieg und nach langer Arbeitslosigkeit in der Schweiz in Paris Arbeit gefunden und wird nach dem Krieg seine emotionelle Nähe zur Grande Nation, aber auch zum unterworfenen und gedemütigten Frankreich, unterstreichen:
"J'avais appris à connaître une France forte, et j'y avais vécu assez longtemps pour aimer déjà beaucoup cette patrie; j'ai connu les mêmes plaisirs, les mêmes joies et les mêmes souffrances que les français lors de la douloureuse situation de juin 1940."24
Auch bei dem in Zürich aufgewachsenen Georges Fierz, der seit 1938 in Istanbul Geschäfte tätigt, steht beim Entschluss zum Eintritt in die FFL-Truppen die Verbundenheit mit Frankreich im Vordergrund. Sein Vater meint im Oktober 1943 zum militärischen Untersuchungsrichter, sein Sohn habe mit dem Eintritt "ideelle Ziele verfolgt, denn er hat immer für die Alliierten sympathisiert". Im Übrigen sei die Mutter Genferin, aber in Frankreich geboren und aufgewachsen: "Er selbst spricht so gut französisch wie deutsch."25
Prototyp einer Minderheit, die sich selbst als "enfant de France" und francophil bezeichnen, ist der in Paris geborene und in Genf aufgewachsene Doppelbürger Jean-Pierre Burki. Der 21-jährige Metzgereiangestellte desertiert während des Grenzdienstes auf einem Motorrad und in voller Ausrüstung, um sich vorerst den FFI im Jura, später der regulären französischen Armee als Fahrer anzuschliessen. Als er 1946 heimkehrt und vor Militärgericht steht, erklärt er sein Handeln mit dem "état d'esprit qui fit de moi un enfant de France". Weiter:
"Il y avait en moi un peu de lassitude de l'inaction, je pensais à la France, à me battre, à la libération et c'est ainsi que je passais la frontière."26
Ein Dienstkamerad gibt in einer Zeugenaussage zu Protokoll
"que Burki se sentait plus français que suisse, et, depuis quelque temps, las de l'inaction."
Burki selbst spricht in der Einvernahme vor dem Untersuchungsrichter von seinen "sentiments francophiles et le sentiment de l'inaction".27
Die bisher erwähnten ideellen Gründe für den Beitritt zur Résistance (Antifaschismus; Patriotismus/Frankophilie) sind minderheitlich und dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass bei der Mehrheit der Schweizer Freiwilligen – insbesondere jenen, die in der Schweiz am Rande der Gesellschaft leben – der Wegzug in die Résistance vor allem ein Befreiungsschlag ist, um einer verzweifelten Situation in der Schweiz zu entkommen.
Als Legionär in England gestrandet (1940)
Knapp über die Hälfte der Schweizer Freiwilligen hat eine Vergangenheit als Fremdenlegionäre und wechselt von dieser Söldnertruppe zu den FFL-Kräften von Charles de Gaulle, sei es in England, im Nahen Osten oder in Nordafrika. 18,3% der Freiwilligen vollziehen den Übergang zum französischen Widerstand im Sommer 1940 in England, nachdem ihre Einheit, die 13. Halbbrigade (DBLE), nach der deutschen Besetzung Norwegens und dem Debakel Frankreichs auf der Insel Zuflucht gefunden hat. Der Handlungsspielraum dieser gestrandeten Söldner und "Résistants de la première heure" ist beschränkt. Wer sich nicht für den Beitritt zu den im Aufbau begriffenen FFL-Truppen entscheidet, riskiert die Internierung in England oder die Verschiffung nach Nordafrika in ein Lager der Vichy-Regierung. Der ehemalige Gärtner Bruno Blatter, der bereits 1938 wegen Arbeitslosigkeit der Fremdenlegion beigetreten ist und nun in London festsitzt, bringt das Dilemma auf den Punkt:
"Nach dem Zusammenbruch in Frankreich flüchtete unser Oberst mit uns nach England. Die Fremdenlegion wurde aufgelöst, und ich stand vor der Wahl, entweder in den Dienst der Alliierten (General de Gaulle) einzutreten, oder in England in ein Konzentrationslager zu wandern."28
Laut Muracciole sollen 39% der in England gestrandeten Legionäre die Repatriierung nach Vichy-Frankreich oder in ein Lager nach Marokko dem Übertritt zu den FFL vorgezogen haben. Von den Schweizer Legionären entscheidet sich die überwiegende Mehrheit (94%) für den neuen "Brotgeber", die FFL-Truppen von de Gaulle. Lediglich 6% lassen sich nach Marokko verschiffen, darunter der Neuenburger Roger Droz, der dort die ersten Kriegsjahre mit Strassenbau verbringt und erst im Frühjahr 1943, nach der Landung von US-Truppen und dem Fall des Vichy-Regimes, den französischen Freiwilligenverbänden beitritt.29
Die in London zu den FFL-Truppen wechselnden ehemaligen Legionäre machen Jahre später vor dem Schweizer Militärrichter oder in Briefen an Verwandte keinerlei auch nur annähernd politische oder ideelle Begründung für diesen Schritt. Sie stehen damit in bester Legionärstradition: Der Legionär kümmert sich kaum um die politischen, militärischen oder gar moralischen Auswirkungen seines Handelns. In seinem Selbstverständnis kämpft der Legionär nicht für ein Vaterland Frankreich, sondern für die Ehre der Legion.30 Wer aus der Legion zum Widerstand kommt, macht diesen Schritt, um einen neuen "Arbeitgeber" zu haben – und die rekrutierenden Behörden in London wollen möglichst schnell eine schlagkräftige Armee aus dem Boden stampfen und wissen die gute Ausbildung und die Einsatzbereitschaft der Legionäre zu schätzen.
Der Übertritt zur Résistance gleicht in der Erzählung der Legionäre einem rein technischen Vorgang. Das Beispiel des 21-jährigen ehemaligen Brotausläufers Henri Clerc, der 1939 aus Perspektivenlosigkeit und Abenteuerlust zur Legion gekommen ist und nun im Sommer 1940, nach dem Rückzug aus Norwegen und dem Zusammenbruch Frankreichs, in England die Truppe wechselt, steht für viele andere:
"J'ai fait campagne avec la Légion à Narvik. De Narvik, je suis revenu à Brest et trois jours après, la demi-brigade à laquelle j'appartenais partait en Angleterre. En Angleterre, les contrats des légionnaires ont été annulés. Il nous a été offert, soit de contracter un nouvel engagement pour la durée de la guerre, soit d'être rapatrié sur l'Algérie. J'ai opté pour un nouvel engagement pour la durée de la guerre, le 1 septembre 1940."31
Als Legionär zum Sieger überlaufen (Naher Osten, Nordafrika)
Die im Sommer 1940 in England gestrandeten Legionäre der 13. Halbbrigade bilden den Grundstock des von de Gaulle zielstrebig vorangetriebenen Aufbaus eigenständiger Truppen. Im Sommer 1941 kapitulieren in Syrien und im Libanon 677 bisher Vichytreue Legionäre des 6. Régiment étranger d'Infanterie (6. REI) vor britischen Verbänden und schliessen sich den bisher schwachen FFL-Truppen an – darunter auch 50 ehemalige Schweizer Legionäre. Dieses FFL-Standbein im Nahen Osten erfährt ab November 1942 mit der Landung von US-Truppen in Nordafrika und dem Überlaufen ehemaliger Legionäre in Marokko, Algerien und Tunesien zu den FFL-Truppen an Bedeutung.32 Was sind die Gründe für diesen Seitenwechsel, den insgesamt 155 Schweizer Legionäre (ein Drittel aller Freiwilligen) mitgemacht haben?
Der ehemalige Gelegenheitsarbeiter Ernst Burri, der nach langer Arbeitslosigkeit "für mich in der Schweiz keine Existenzmöglichkeit" sah, 1936 der Legion beitritt und im Juli 1941 in Syrien die Front wechselt, berichtet nach der Rückkehr in die Schweiz lakonisch, ohne Gründe anzugeben:
"In Syrien kämpfte ich für die Regierung in Vichy gegen England. Nach dem Waffenstillstand im Jahre 1941 wurde uns überlassen, entweder nach Frankreich zurückzukehren oder mit General de Gaulle zu marschieren. Ich begab mich hierauf zu General de Gaulle."
Burri entscheidet sich für die Sieger, mit denen er sich vermutlich eine bessere und interessantere Zukunft verspricht als von der Rückkehr nach Frankreich.33
Andere Legionäre des Vichy-treuen 6. REI geraten noch in den Wochen vor Ende der Kampfhandlungen in Gefangenschaft und unterzeichnen nach wenigen Tagen beim ehemaligen Feind, um der Ungewissheit ein Ende zu setzen. So etwa der Legionär René Crottaz, der bereits im Juni 1941 von einer australischen Einheit gefangen genommen wird und sich die Freiheit erkauft, indem er schnell einen Dienstvertrag mit den FFL auf dem englischen Stützpunkt Quastina (Palästina) unterzeichnet.34
Mit der Landung von US-Truppen in Marokko und Algerien im November 1942 und dem sukzessiven Zerfall der Vichy-Administration eröffnen sich für die ehemaligen Legionäre neue Horizonte. Seit dem Waffenstillstand von 1940 und der Demobilisierung der Legion fristen die ehemaligen Legionäre im Maghreb ein trauriges Dasein, geprägt von rechtlicher Unsicherheit, zeitweiliger Internierung und Einweisung in Arbeitslager, den sogenannten Groupements de travailleurs étrangers (GTE). Nicht wenige Ehemalige ziehen das Leben in den GTE den Internierungslagern oder der Illegalität vor, erhalten sie doch Essen, Unterkunft und sogar einen kleinen Lohn.35
In den Tagen nach der Landung der Amerikaner und der Schaffung neuer Freiräume entstehen die Corps franc d'Afrique (CFA), die bis zu ihrer Integration in die FFL im Juli 1943 4.000 Mann umfassen und schnell zu einem Magnet für all jene Ausländer werden, die interniert, in Arbeitslagern oder frei am Rande der Legalität leben.
Auch 20 Schweizer treten im Frühjahr und Sommer 1943 in Marokko, Algerien und Tunesien den CFA und somit dem französischen Widerstand bei. Der ehemalige Basler Hilfsschmied Paul Thalmann hat bis 1942 fünf Jahre in der Legion gedient, kommt in ein Arbeitslager in der Sahara und kann sich nach wenigen Monaten als eigenständiger Schmied ausserhalb des Lagers niederlassen. Den Grund für den Anschluss an den Widerstand erklärt Thalmann nach der Rückkehr in die Schweiz folgendermassen:
"Ich gab diese Stelle auf, weil ich mit dem Verdienst nicht auskommen konnte. Es werden dort eben sehr niedrige Löhne bezahlt, da die Araber viel anspruchsloser sind. Da ich keine andere Beschäftigung fand und andererseits auch nicht in die Schweiz zurückkehren konnte, entschloss ich mich, mich freiwillig zur französischen Armee zu melden. Am 8. Februar 1943 meldete ich mich zum Corps franc d'Afrique.“36
Wie für die überwiegende Mehrheit der Legionäre ist auch für Thalmann der Beitritt zum französischen Widerstand keine Folge affektiver oder gar politischer Präferenzen, sondern Ergebnis ganz praktischer Überlegungen zum eigenen Vorwärtskommen bzw. Überleben. Dieses kühle Abwägen von Vor- und Nachteilen, bei dem keine politischen Überlegungen mitspielen, formuliert auch der ehemalige Zögling und Verdingbub Paul Aschwanden, der 1940 in die Legion eintrat, da er laut späteren Aussagen "ein anderes Leben anfangen" und "einen Strich unter alles bisherige" machen wollte. Er, der sich im März 1941 in Algerien für den Dienst in der Sahara gemeldet hat, um der Verschiffung nach Syrien und dem Kampf gegen die Engländer zu entgehen, läuft nach der Landung der Amerikaner (November 1942) zu den Alliierten über:
"Ich konnte in diesem Moment nicht in die Schweiz zurückkehren. Ich weiss nicht, was mit mir geschehen wäre, wenn ich mich nicht zum Eintritt in die Armee de Gaulle verpflichtet hätte. Möglicherweise wäre ich bei Strassenbauten beschäftigt worden, möglicherweise wäre ich aber auch ins Gefängnis gesteckt worden."37
Schwierigkeiten im Zivilleben
Bei den Freiwilligen, die nicht über die Legion zum Widerstand finden (48,5%) und somit vom Zivilleben direkt in die Résistance eintauchen (vgl. Kategorien 1 bis 3), spielen als Beweggrund nicht nur Antifaschismus oder Frankophilie, sondern auch Schwierigkeiten im Zivilleben eine Rolle, denen man entfliehen will. In 18% der Fälle gibt ein prekäres, von Arbeits-, Hoffnungslosigkeit und Schulden geprägtes Dasein den Ausschlag zum Wegzug.38 Insbesondere Freiwillige, die im Sommer 1944 über den Jura oder das Genferseegebiet die FFI aufsuchen (Kategorie 1), stammen aus einem Milieu, dem in der Schweiz nichts geschenkt wurde.
Jakob Vinzenz, Vater von zwei Kleinkindern, hat mehrere Erziehungsanstalten durchgemacht, ist wegen Landstreicherei vorbestraft und lebt seit Jahren in Basel am Rande der Gesellschaft. Als er Bankkredite nicht zurückzahlen kann und Verfahren eingeleitet werden, schickt er Frau und Kinder zu ihren Eltern, verkauft Möbel und Silberbesteck und haust in Parkanlagen. Um zumindest die Familie vor dem Nichts zu bewahren, inszeniert Vinzenz ein raffiniertes Täuschungsmanöver: Er schliesst für Frau und Kinder eine Lebensversicherung ab und fingiert im Sommer 1944 einen Badeunfall im Rhein vor, bei dem er ertrunken sei – in Tat und Wahrheit macht er sich noch gleichentags nach Hoch-Savoyen auf, um bei den FFI unterzukommen.39
Für den in Lausanne arbeitslosen Bauarbeiter René Neyret ist der Sprung zu den FFI in Hochsavoyen eher ein Mittel, um Kost und Logie und nach Kriegsende möglichst schnell Arbeit beim Wiederaufbau zerstörter Infrastrukturen zu erhalten. Die kurzen Diensturlaube benutzt er zur erfolglosen Arbeitssuche in Südfrankreich, worauf er nach vier Monaten in die Schweiz zurückkehrt.40
Zum Beweggrund der Schwierigkeiten im Zivilleben, die in einen Wegzug in den Widerstand münden, gehören auch Brüche von Liebschaften und Scheidungen, die den Mann derart destabilisieren, dass er einen vermeintlichen Ausweg im Maquis sucht. 8% der Freiwilligen gehen diesen Weg, so der im Wallis arbeitende Maurer Gaston Aubert, der laut Auskunft von Eltern und Freunden den Bruch einer langjährigen Bekanntschaft nicht verdauen kann, den Kummer im Alkohol ertränkt und im August ins Maquis entkommt, als er wegen Trunkenheit und Nachtruhestörung von der Justiz belangt wird.41
Freude am Militär, Suche nach Kameradschaft
Waffentragen und Militärdienst üben zweifelsohne eine starke Anziehungskraft aus auf junge Männer, insbesondere jene, die im Zivilleben kaum hochkommen. Das Bild der Fremdenlegion als bewaffneter Männerbund im fernen Afrika ist verklärt und wirkt wie ein Magnet auf Entwurzelte mit trüben Aussichten in der Schweiz.42 Bei 6% der Männer, die nach dem Zweiten Weltkrieg von der Schweiz in die Fremdenlegion aufbrechen, ist die Freude am militärischen Betrieb, der ihnen in der Heimat verweigert wird, der ausschlaggebende Grund für den Wegzug. Viele, die bei der Aushebung im 18. Altersjahr als untauglich erklärt, einer wenig prestigeträchtigen Waffengattung zugeteilt oder später zum Besuch der Unteroffiziersschule wegen tiefer beruflicher Stellung im Zivilleben abgelehnt werden, fühlen sich in ihrem Stolz verletzt und projizieren in den Wegzug in die Legion eine Chance, um dort Kameradschaft zu finden und ihre Männlichkeit unter Beweis stellen zu können.43 Was für die Legion nach dem Zweiten Weltkrieg gilt, hat auch bei 6% der Schweizer ohne Legionsvergangenheit, die direkt aus dem Zivilleben der Résistance beitreten, eine Entsprechung.
Diese Begeisterung für das militärische Leben, das man gerne mit den Mühen des Zivillebens tauscht, beginnt mit Sätzen wie: "Ich hatte immer Freude am Dienst und bin gerne eingerückt."44 Der in Kinderheimen und bei Bauern aufgewachsene Jean Gauthey hat laut Bericht eines Psychiaters seit dem 13. Lebensjahr "une tendance à la fugue" und ein "fort besoin de se faire valoir". Als er 1941 wegen eines Sehfehlers lediglich beim Hilfsdienst eingeteilt wird, flieht er ein erstes Mal über den Jura – laut eigenen Angaben anlässlich der Einvernahme, aber ohne die Absicht, in die Waffen-SS einzutreten. 1943, nach der Flucht aus einem deutschen Rüstungsbetrieb in die Schweiz, wird er aus der Armee ausgeschlossen, worauf Gauthey im Oktober 1944 nochmals über den Jura nach Frankreich entweicht, wo inzwischen die FFI das Sagen haben. Das Schweizer Militärgericht wird nach Kriegsende als Gründe für Gautheys Anschluss an die Résistance aufführen:
"Son besoin de se mettre en valeur et le dépit qu'il a éprouvé de ne plus pouvoir servir dans l'armée suisse, alors qu'il ressentait un vif besoin de la vie militaire."45
Fragt man nach den Gründen für den Wegzug in die Maquis, so sucht man unweigerlich nach Ereignissen, deren Widerhall und Interpretation in der Presse sowie Stimmungen, die junge Männer damals veranlassen konnten, ins Maquis aufzubrechen. Ein Polizeibericht aus Fribourg vom August 1944 beschreibt eine "mystique du maquis", die seit kurzem Jugendliche vereinnahme und den Maquis zuführe:
"Ce milieu se compose d'une grande partie des jeunes de 14 à 18 ans, de nationnalité suisse et habitant notre ville, qui, influencés par le cinéma et la lecture de romans bon marché, rêvent sans cesse d'aventures. Ces jeunes gens, pour la plupart désouevrés et souffrant d'une éducation familiale déficiente, s'excitent les uns les autres. Il n'est pas de jours que l'on n'en rencontre aux Grands Palaces, installés sur un banc, en trains de discuter des exploits des 'Gars du maquis'. La propagande que l'on fait à propos de l'activité du maquis semble leur avoir complètement tourné la tête. Chacun ne rêve que de rejoindre ces héros."46
Die Landung der Alliierten in der Normandie und in der Provence (August 1944), die Befreiung von Paris und das Vorrücken alliierter Truppen der schweizerischen Grenze entlang in Richtung Elsass schaffen eine Stimmung, bei der jeder noch seinen Beitrag zur Befreiung leisten will. Das Gefühl, dass eine neue Epoche anbricht und die Maquis ein Hebel sind, um der jahrelangen Demütigung und Untätigkeit ein Ende zu bereiten, beflügelt auch den 17-jährigen Lucien Bersano, der im Frühjahr 1944 in Genf in Kreisen von französischen Internierten verkehrt, die vom Maquis schwärmen. Im Mai 1944 geht Bersano in einer Gruppe über die Grenze, verabschiedet sich von der Grossmutter in Bellegarde und schliesst sich dem Maquis an – als er im Januar 1946 heimkehrt und wegen fremden Militärdienstes vor Gericht steht, gibt er als Grund für den Wegzug ins Maquis an:
"C'est le goût des aventures et le fait que je n'avais que 17 ans et que je désirais voir du pays."47
Fazit
Die sechs Gründe für den Aufbruch in die Résistance überlagern sich und sind nur selten allein ausschlaggebend für den Wegzug. Im Vergleich zu den Freiwilligen im Spanischen Bürgerkrieg sind die Résistance-Kämpfer viel schwächer von einem politischen, antifaschistischen Bewusstsein getrieben. Allen Schweizer Freiwilligen gemeinsam scheint ein dumpfes Gefühl, dass dem deutschen Ausgreifen in Europa und insbesondere der Besetzung Frankreichs entgegengetreten werden muss. Doch die Schweizer Freiwilligen sind kein einheitlicher Korpus. Der Schweizer Freiwillige existiert nicht – er wäre ein Konstrukt ohne Aussagekraft. Zu verschieden sind die Ausgangslagen, unter denen in unterschiedlichen geografischen Räumen und zu verschiedenen Zeitpunkten Schweizer Freiwillige die innere oder äussere Résistance gewählt haben. Lediglich die Freiwilligen mit vorangehender Legionserfahrung – und das sind über die Hälfte (Kategorien 4 und 5) – wählen die FFL von de Gaulle fast ausnahmslos aus einem ganz unidealistischen Grund: Gefolgschaft und Einsatz für Frankreich im Austausch für Kost, Logie und Beschäftigung.48
Die 466 Schweizer Freiwilligen auf Seiten Frankreichs bilden alles andere als einen homogenen Block – und dies in mehrerer Hinsicht. Über die Hälfte der Freiwilligen hat bis zum Anschluss an die Résistance in der Fremdenlegion gedient und findet den Weg zu den FFL-Truppen von de Gaulle aus ganz praktischen, von keinerlei ideellen oder politischen Überlegungen geprägten Gründen. Diese Résistants mit Legionshintergrund laufen zwischen 1940 und 1943 mangels Alternativen und in Schüben zu de Gaulle über und haben in Bezug auf Mentalität und Zukunftspläne nur wenig gemeinsam mit jenen Kategorien, die sich als Auslandschweizer in Frankreich den FFI oder im Nahen Osten und Nordafrika den FFL anschliessen.
Der Schweizer Résistant ist facettenreich und hat mehrere Gesichter. In Bezug auf soziale und regionale Herkunft, Motivation sowie Rückkehr in die Schweiz sind folgende Eckpunkte eines Gruppenporträts von Bedeutung:
• Jeder dritte Freiwillige ist in der Schweiz vorbestraft und gehört marginalisierten Unterschichten mit grosser Wegzugbereitschaft an. Armutsdelikte stehen im Vordergrund – Vergehen gegen die öffentliche Ordnung ("verbotenes Plakatkleben", "Teilnahme an verbotenen Kundgebungen") sind äusserst selten – dies im Unterschied zu den politisch motivierten Spanienfreiwilligen.
• Das Elternhaus bzw. die Kinder- und Jugendjahre der zukünftigen Freiwilligen sind zu 41% geprägt von Heimen, administrativer Versorgung und häuslicher Gewalt, mit all der gesellschaftlichen Ächtung, die solchen "Problemkindern" entgegenschlägt.
• Die fünf Westschweizer Kantone sind bei den Freiwilligen krass übervertreten. Die geografische und kulturelle Nähe, die Berührungsflächen mit dem besetzten Frankreich sowie oft familiäre Bande über die Grenze hinaus dürften dafür den Ausschlag geben.
• Die Gründe für den Aufbruch in die Résistance sind äusserst vielfältig und überlagern sich. Die Spanier in der Résistance haben einen verlorenen Bürgerkrieg hinter sich und wollen Jean "Frankreich befreien um Spanien zu befreien"; beim Franzosen steht die unterworfene und gedemütigte Heimat im Vordergrund.
• Der Schweizer Freiwillige hat im Unterschied zum Spanier oder Franzosen weder einen Bürgerkrieg verloren, noch die Besetzung und Demütigung des Landes hinnehmen müssen – Grund genug, um die Motivation anderswo zu suchen oder zumindest zu gewichten.
Bis vor wenigen Jahren hegten Kenner der Materie die Vermutung, politische Gründe spielten beim Wegzug der Schweizer in die Résistance eine ebenso grosse Rolle, wie dies bei den Spanienfreiwilligen der Fall war. Ausgehend von einigen wenigen bekannten Beispielen, die nicht repräsentativ sind, wurde den politischen und ideologischen Gründen ("Antifaschismus") ein zu grosses Gewicht gegeben.49 Lediglich 4% der Freiwilligen sind Mitglied einer linkspolitischen Organisation oder bewegen sich in deren Umfeld – bei den Freiwilligen mit Legionshintergrund sind sie gar abwesend.
• Wer in der Schweiz am Rande der Gesellschaft lebt, der sieht im Wegzug über den Jura zu den FFI-Verbänden ein Vehikel und einen Befreiungsschlag, um einer verzweifelten Situation zu entkommen. Schwierigkeiten im Zivilleben (Schulden, Scheidungen, Prekarität) sind ausschlaggebend, ebenso Begeisterung für das militärische Leben, das man gerne mit den Mühen im Zivilleben tauscht. Hinzu kommt ein emotionaler Moment, eine Stimmung ("mystique du maquis"), eine Euphorie, die im Kriegsssommer 1944 mit der Befreiung von Paris und der Handstreiche der Maquisards junge Erwachsene in die Maquis aufbrechen lässt.
• Die Mehrheit der Freiwilligen (52%) steuert bei Kriegsende die Schweiz an, zumal Frankreich trotz offiziellen Lobgesangs auf die Résistance – insbesondere für die Gefangenen und Deportierten – nur für die wenigsten Ehemaligen eine neue Existenz in Aussicht stellt.50 Die Schweiz ihrerseits empfängt die Sieger auf europäischem Parkett mit Gleichgültigkeit und dem Vorwurf, dem Vaterland in schweren Zeiten gefehlt zu haben. Die Ehemaligen machen und erwecken bei der Rückkehr keinerlei Aufsehen – keiner veröffentlicht einen Erlebnisbericht – und verschwinden in der Versenkung. Mit einem Wort: "Ainsi, au sortir de la guerre, la place de héros est déjà occupée par l'armée et son général, et la résistance se voit associée au peuple helvétique."51
• Der Traum vom Weiterkommem und Aufstieg im neuen Frankreich bleibt eine Chimäre. Bereits die Demobilisierung bei Kriegsende verläuft für die FFL traumatisch, salopp ausgedrückt: "[...] un bon pour un costume minable, un repas, un ticket de métro, et merci pour tout."52 Lediglich ein Drittel jener, die in Frankreich bleiben (31%), hat beruflichen Erfolg und kann sich im gaullistischen Staatsapparat und Industriekonglomeraten einnnisten – insbesondere ehemalige Auslandschweizer, die bis zum FFL-Beitritt fernab der Schweiz als technische und kaufmännische Kader gearbeitet haben.
• 16% der Schweizer Ehemaligen unterzeichnen bzw. verlängern bei Kriegsende bei der Fremdenlegion im Bewusstsein, nach Algerien und Indochina verschifft zu werden. Wer verlängert, hofft, bald die 15 Dienstjahre mit Anspruch auf Pension zu erreichen – wer erstmals unterzeichnet, will der Leere nach der Demobilisierung und der Perspektivlosigkeit nach Kriegsende entgehen. Aus freiwilligen Kriegern gegen die Hitler-Barbarei wandeln sie sich in den kommenden Jahren fernab von Europa zu willfährigen Vollstreckern der französischen Kolonialpolitik.
- 1. Siehe dazu Marie-Laure Graf, Traces et mémoires des suisses dans la Résistance française. In: Marie-Laure Graf, Irène Herrmann (sous la direction de), L'étoffe des héros? L'engagement étranger dans la Résistance française, Genf 2019, S. 90-96. Einen Überblick zu Ausländern in der Résistance gibt Denis Peschanski, Des étrangers dans la Résistance, Paris 2013.
- 2. Zur Unterscheidung von "Résistance-organisation" von "Résistance-mouvement" (ein breiteres Widerstandsfeld), vgl. Olivier Wiewiorka, Histoire de la Résistance, 1940-1945, Paris 2013, S. 13-16.
- 3. Luc van Dongen, Des Suisses dans la Résistance française (1944-1945). In: Michel Porret/Jean-François Fayet (Hrsg.), Guerres et Paix. Mélanges offerts à Jean-Claude Favez, Genf 2000, S. 281-301. Zu erwähnen sind auch zwei Dokumentarfilme, die am Fernsehen ausgestrahlt wurden: Daniel Kunzi, Un Suisse à part, Georges-Henri-Pointet (2000), sowie Irène Loebell, Man konnte doch nicht neutral sein... (1995).
- 4. Jean-François Muracciole, Les Français libres. L'autre Résistance, Paris 2009; Diego Gaspar Celaya, La guerra continúa. Voluntarios españoles al servicio de la Francia libre (1940-1945), Madrid 2015; Peschanski, Des étrangers dans la Résistance.
- 5. 100 von 466 Résistants (21,5%). Roger-Albert Dougoud.
- 6. 85 von 466 (18,3%). Paul Egger.
- 7. 40 von 466 (8,6%). Georg Fierz.
- 8. 85 von 466 (18,2%). Bruno Blatter.
- 9. 155 von 466 (33,3%). Paul Aschwanden.
- 10. Gorges-Henri Pointet. Vgl. den Film von D. Kunzi, Un Suisse à part.
- 11. Muracciole, Les Français libres, S. 201-223; Gaspar Celaya, La guerra continúa, S. 375-388.
- 12. Muracciole, Les Français libres, S. 202-204. Muracciole stützt sich auf Aussagen von 452 Freiwilligen und bestätigt grosso modo eine Untersuchung von Jean-Noël Vincent, Les forces françaises dans la lutte contre l'Axe en Afrique, Vincennes 1983.
- 13. Gaspar Celaya, La guerra continúa, S. 380.
- 14. Über Angaben zu den Gründen verfügen wir bei 400 der 466 Freiwilligen (86%).
- 15. 51,5% der Untersuchten (die Kategorien 4 und 5) stammen aus der Fremdenlegion.
- 16. Georges Gilliand, E5330-01#1975/95#3036, Bundesarchiv Bern (BAR). Peter Huber, Die Schweizer Spanienfreiwilligen. Biografisches Handbuch, Zürich 2009, S. 196.
- 17. Georges Gilliand, 16P 255892, Service historique de la Défense (SHD), Paris-Vincennes.
- 18. Walter Stierli, E5330-01#1975/95#34218, BAR.
- 19. Georges-Henri Pointet, 16P 483312, SHD.
- 20. Lassen wir die Freiwilligen mit Legionshintergrund, die nur äusserst selten "Patriotismus" geltend machen, ausser Betracht, so würde der Grund "Patriotismus" auf 60% hochschnellen.
- 21. Joseph Maillard, E5330-01#1975/95#32884, BAR.
- 22. Hubert De Castella, E5330-01#1975/95#38872, BAR.
- 23. François Cacheux, E5330-01#1975/95#30237, BAR.
- 24. Willy Tschamper, E5330-01#1975/95#37740, BAR.
- 25. Georges Fierz, E5330-01#1975/95#25151, BAR.
- 26. Jean-Pierre Burki, E5330-01#1975/95#39059, BAR.
- 27. Jean-Pierre Burki, E5330-01#1975/95#39059, BAR.
- 28. Bruno Blatter, E5330-01#1975/95#37850, BAR.
- 29. Roger Droz, E5330-01#1975/95#370, BAR; Roger Droz, 16P 193197, SHD.
- 30. Peter Huber, Fluchtpunkt Fremdenlegion. Schweizer im Indochina- und im Algerienkrieg, 1945-1962, Zürich 2017, S. 135.
- 31. Einvernahme André Clerc, 14.10.1947, André Clerc, E5330-01#1975/95#39192, BAR.
- 32. Douglas Porch, La Légion étrangère, 1831-1962, Paris 1994, S. 550-552.
- 33. Ernst Burri, E5330-01#1975/95#27670, BAR.
- 34. René Crottaz, 16P 151669, SHD.
- 35. Porch, La Légion étrangère, S. 559-566.
- 36. Paul Thalmann, E5330-01#1975/95#37469, BAR.
- 37. Paul Aschwanden, E5330-01#1975/95#36685, BAR.
- 38. Vgl. eingangs die Definition der 5 Kategorien.
- 39. Jakob Vinzenz, E5330-01#1975/95#31227, BAR.
- 40. René Neyret, E5330-01#1975/95#30021, BAR.
- 41. Gaston Aubert, E5330-01#1975/95#31674, BAR.
- 42. Huber, Fluchtpunkt Fremdenlegion, S. 89-91. Christian Koller, Die Fremdenlegion. Kolonialismus, Söldnertum, Gewalt, 1831-1962, Paderborn 2013, S. 116-160.
- 43. Vgl. René Lenzlinger, in: Huber, Fluchtpunkt Fremdenlegion, S. 292-295.
- 44. Bruno Blatter, E5330-01#1975/95#37850, BAR.
- 45. Jean Gauthey, E5330-01#1975/95#35331, BAR.
- 46. Emile Grêt, E5330-01#1975/95#31751, BAR. Van Dongen, Des Suisses dans la Résistance, S. 292-293.
- 47. Lucien Bersano, E5330-01#1975/95#37175, BAR.
- 48. Christian Koller/Peter Huber, Armut, Arbeit, Abenteuer – Sozialprofil und Motivationsstruktur von Schweizer Söldnern in der Moderne. In: Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, 2015, H. 1, S. 1-22.
- 49. Luc Van Dongen hat als erster auf die Schwäche des politischen und ideologischen Faktors beim Eintritt in den Widerstand aufmerksam gemacht. Vgl. Van Dongen, Des Suisses dans la Résistance.
- 50. Vgl. dazu Jérémy Guedj, Aux étrangers, la Patrie reconnaissante? La place politique et mémorielle des résistants étrangers dans la France de l'après-guerre (1944-1950). In: Graf/Herrmann, L'étoffe des héros?, S. 117-128.
- 51. Graf, Traces et mémoires, S. 91.
- 52. Muracciole, Les Français libres, S. 301.