Teil II der Interviewreihe: 25 Jahre Arbeitskreis Militärgeschichte e.V. (1995-2020)
Daniel R. Bonenkamp/Takuma Melber
Interview
Veröffentlicht am: 
12. Oktober 2020

Lieber Herr Prof. Afflerbach, Sie sind Gründungsmitglied des Arbeitskreis Militärgeschichte e.V. (AKM) und lehren seit beinahe zwanzig Jahren an amerikanischen und britischen Hochschulen. Inwiefern unterscheidet sich die deutsche von der angelsächsischen Militärgeschichtsschreibung?

Afflerbach: Wir können die Historiographie und gesellschaftlichen Sichtweisen und Traditionen nicht voneinander trennen. Deutschland ist aufgrund seiner Geschichte ein semipazifistisches Land und sieht Militär und Krieg sehr skeptisch. In Großbritannien und den USA wird Krieg natürlich auch als sehr großes Übel betrachtet, aber es gibt eben doch „the good war“, um mit Terkel zu sprechen1, und eine positive militärische Tradition. Das macht einen insgesamt riesigen Unterschied.

 

Wenn Sie sich an die Gründung des Arbeitskreises im Jahr 1995 zurückerinnern, in welcher Lage befand sich damals die deutsche Militärgeschichte? War die Gründung des AKM zu dieser Zeit unausweichlich?

Afflerbach: Ich erinnere mich genau an die Gründungsveranstaltung und den entscheidenden Einfluss, den Stig Förster oder Gerd Krumeich auf das Ganze genommen haben. Manche meinten damals scherzhaft, man solle das ganze doch gleich die Stig-Gesellschaft nennen. Der AKM hat durch den „Stig-Hub“ in Bern und durch die Schriftenreihe „Krieg in der Geschichte“2 der Militärgeschichte wesentliche Modernisierungsimpulse gegeben und auch eine Reihe ausgezeichneter jüngerer Wissenschaftler gefördert. Unausweichlich war die Gründung nicht, aber gut.

 

Mit einem Blick von der britischen Insel auf Deutschland: Welche Entwicklung hat die deutsche Militärgeschichte seit dieser Zeit genommen? Gibt es so etwas wie besondere Wegmarken und welche Rolle spielte dabei der AKM?

Afflerbach: Die Fragen sind komplexer geworden. Als der AKM gegründet wurde, war bereits eine deutliche Abkehr von politischen und klassischen militärgeschichtlichen, strategischen Fragen hin zur Erfahrungsgeschichte zu beobachten. Dieser Prozess hat sich fortgesetzt. Die Mitglieder des AKM treiben diesen Prozess voran; es gibt ja kaum einen wichtigen deutschen Militärhistoriker, der nicht Mitglied ist. Auf die britische Historiographie hat das alles einen sehr begrenzten Einfluss. Was nicht auf Englisch ist, wird nur begrenzt wahrgenommen; und auch die Forschungsfragen sind andere. Ein Beispiel wäre hier die Debatte über die „learning curve“, die als Hinweis auf ein größeres britisches Interesse an militärtechnischen und strategischen Themen genommen werden könnte.

 

Inwiefern wird der AKM eigentlich von der britischen Militärhistoriker-Community wahrgenommen? Gibt es so etwas wie eine britische Sicht auf den AKM?

Afflerbach: Die Spitzen des Fachs – zum Beispiel Hew Strachan3 – sind natürlich exzellent über den AKM informiert, hier darf man nicht generalisieren. Aber viele britische Militärhistoriker ohne Deutschkenntnisse haben da wenig Interesse. Außerdem interessieren sich britische Militärhistoriker vorrangig für die Militärgeschichte ihres Landes, die ja wahrlich imperial und breit gefächert ist. Auch deutsche Militärhistoriker interessieren sich ja oft (nicht immer, natürlich!) vorrangig für deutsche Themen und Problematiken.

 

Warum assoziiert die allgemeine Geschichtswissenschaft in Deutschland mit Militärgeschichte vorwiegend das bloße Schlachtengeschehen und demzufolge Taktikgeschichte? Wie schaut es diesbezüglich in Großbritannien aus?

Afflerbach: Das ist historisch gewachsen und basiert auf einem Verständnis von Militärgeschichte, wie sie vor 1945 üblich war. Vieles davon sind dann auch tradierte Vorurteile, die andere Zweige der Geschichtswissenschaft gegen diese Militärgeschichte uralter Schule kultiviert haben, die aber in praktisch allen Fällen der Realität nicht mehr entsprechen. Dieses Imageproblem hat die Militärgeschichte in Großbritannien auch, aber in einem etwas geringeren Ausmaß, und die „nuts and bolts“-Militärhistoriker sind wahrscheinlich einen Hauch selbstbewusster und anerkannter als in Deutschland. Im Übrigen ist die Geschichte von Schlachten, wenn gut gemacht, sicher nach wie vor notwendig und anerkannt, und die Autoren sind international hoch angesehene Wissenschaftler. Schauen Sie sich etwa die Arbeiten und Karrieren von John Keegan, Hew Strachan, Bernd Wegener oder Karl-Heinz Frieser an.

 

Was glauben Sie: Welchen Einfluss üben die zwei Weltkriege noch heute auf die deutsche Geschichtswissenschaft und insbesondere auf die Militärgeschichtsschreibung aus?

Afflerbach: Wie ich oben schon sagte, ist Deutschland meiner Ansicht nach ein semipazifistisches, militärskeptisches Land, das, wenn es mutiger und ehrlicher im Verfolgen seiner wahren Ansichten wäre, eigentlich seine Armee abschaffen müsste. Doch Pazifisten brauchen sehr viel Mut, wie Mahatma Gandhi meinte; vielleicht auch mehr Kompromisslosigkeit, als man realistisch erwarten darf. Nach zwei verlorenen Weltkriegen ist es aber nicht verwunderlich, dass es einen tiefsitzenden Zweifel gegen das Militär gibt, das nun einmal im deutschen Fall ungeheuer versagt hat; und von diesem Zweifel kann man sich praktisch nicht befreien. In vielen Ländern ist das anders, nicht nur in den USA und Großbritannien, sondern beispielsweise auch in Finnland oder Polen. Die Historiographie kann sich von diesen gesamtgesellschaftlichen Strömungen natürlich nicht abkoppeln.

 

Was denken Sie, wie wird sich die „Militärgeschichte in Deutschland“ im kommenden Vierteljahrhundert verändern? Haben Sie eine Prognose, Hoffnungen oder auch Bedenken?

Afflerbach: Ich glaube, dass der große Trend, das Aufbrechen der Meistererzählung, und die damit verbundene Zersplitterung, sich fortsetzen werden. Das führt zur thematischen Vielfalt, aber auch zur Unübersichtlichkeit. Manchmal sorge ich mich, dass dieser Trend zu einer Art kollektiver Enzyklopädie führt, in der ein fast unendliches Wissen angehäuft wird, das aber nicht mehr zu klaren Erkenntnissen führt. Auch manche großen Darstellungen folgen diesem Prinzip. Ich halte das Argument der (politischen) Verantwortlichkeit für zentral, da hieraus ein – zumindest indirekter – Lerneffekt durch Erkenntnis resultieren kann.

 

Wie lautet Ihr Fazit für die bisherigen 25 Jahre des AKM?

Afflerbach: Äußerst positiv; der AKM ist intellektuell lebendig und hat viel geleistet – wie zum Beispiel die Tagungen und die Bände der Schriftenreihe „Krieg in der Geschichte“ – das ist nur teilweise der Arbeitskreis, aber die Grenze ist, dank der personellen Überschneidungen, doch fließend.

 

Zur Übersicht über die Interviewreihe "25 Jahre Arbeitskreis Militärgeschichte e.V. (1995-2020)" (Link).

  • 1. Studs Terkel: "The Good War": An Oral History of World War II, New York 1984.
  • 2. Informationen zur Schriftenreihe „Krieg in der Geschichte“ sind der Homepage des Ferdinand Schöningh Verlags zu entnehmen: www.schoeningh.de
  • 3. Sir Hew Strachan ist ein britischer Militärhistoriker und ist Professor of International Relations an der University of St. Andrews.