Der Film „Der Weiße Tiger“
Max Bigelle
Miszelle
Veröffentlicht am: 
03. Juli 2013

Eher geht ein Kamel durchs Nadelöhr als dass ein Panzerfilm aus Putins Russland beim Festival in Cannes auf die Shortlist kommt. Auf den Versuch hat es der Regisseur Karen Shakhanazarov mit „Belvy tigr“ (Weißer Tiger) in diesem Jahr immerhin ankommen lassen.

„Belvy tigr“ reiht sich nur auf den ersten Blick in die große Zahl konventioneller Heldenfilme über den Großen Vaterländischen Krieg. Shakhanazarov ist hierzulande eher als Generaldirektor der russischen Mosfilm ein Begriff denn als Regisseur. Mit diesem Film hat er sich erstmals an ein kriegerisches Thema gemacht. Fritz Göttler hat den Film in der Süddeutschen Zeitung (08.04.2013) als „Tarkowski mit Tanks“ charakterisiert, was insofern treffend ist, als sich der Film etwas in die Länge zieht und auch hier immer wieder traumatisierte Männer schweigend in den Wald blicken.

Die Geschichte beginnt an der Ostfront 1943 mit der Bergung eines völlig verkohlten sowjetischen Panzerfahrers aus dem Wrack seines T-34. Ein geheimnisvoller deutscher Panzer VI „Tiger“ entwickelt sich gerade zur Nemesis der Roten Armee. Unvermutet taucht der überstarke Stahlkoloss aus dichten Wäldern und scheinbar unpassierbaren Sümpfen auf, vernichtet sowjetische Panzer in großer Zahl und verschwindet dann wieder spurlos. Selbst die deutschen Kriegsgefangenen sprechen vom „Weißen Tiger“ nur ehrfürchtig.

Der mysteriöse Superpanzer wirkt nicht nur durch seine mörderische Präsenz, sondern durch seine Abwesenheit. Je weniger er sichtbar ist, desto mehr wird über ihn geredet.

Der verwundete Panzerfahrer Ivan Naydyonov (Aleksey Vertkov), nach Ansicht seiner Vorgesetzten der beste der Roten Armee, soll nun den Weißen Tiger zur Strecke bringen. Merkwürdigerweise ist Naydyonov von seinen an sich tödlichen Brandverletzungen innerhalb kürzester Zeit auf wundersame Weise geheilt. Doch nicht nur sein Körper wurde durch den Angriff zerstört, er hat dabei auch seine Erinnerung verloren. „Um einen Panzer zu fahren, muss er nicht wissen, wer er ist“, urteilt die Sanitätskommisson, die die Wunderheilung Naydyonovs untersucht. Ein Mann, der nicht weiß, wer er ist, begibt sich nun auf die Jagd nach einer Maschine, die keiner kennt. Zwar ist er als Panzerfahrer Teil eines Kollektivs. Doch ist „Belvy tigr“ kein amerikanisches Hohelied auf die soldatische Primärgruppe von Buddies. Die anderen Mitglieder der Crew fungieren allenfalls als Staffage, sind Hilfskräfte, die den verschrobenen Tankkiller ins Ziel bringen sollen.

Durch die Verwundung ist Naydyonov verändert. Er entwickelt über seine militärtechnischen Fähigkeiten hinaus übersinnliche Kräfte: die abgeschossenen sowjetischen Wracks sprechen zu ihm, sie berichten ihm über ihre Kämpfe mit dem Weißen Tiger. Der Panzermann fühlt physisch die Präsenz der Geister-Maschine, des „Panzergottes“, wie er ihn bald sieht. Er nimmt die Fährte auf. Unterstützt wird er durch seinen Vorgesetzten, Major Fedotov (Vitaly Kishchenko), der im Verlauf der Jagd auf den Weißen Tiger immer mehr in den Bann des übersinnlichen Solitärs gezogen wird. Aus dem Hinterhalt, dem man dem geheimnisvollen Feind stellt, entwischt der Weiße Tiger und Naydyonov bleibt in den Urwald blickend zurück.

Wer nun an dieser Stelle des Films den Gang zum Kühlschrank unternommen hat, wird bei der Rückkehr glauben, in der Zwischenzeit hätte jemand das Programm gewechselt. Denn die Geschichte der Jagd auf den Weißen Tiger, die uns – wir gestehen es – bei so viel Diesel und Stahl, der hervorragenden Ausstattung, der eigentümlichen Birkenbaum-Mystik und ihrer penetranten musikalischen Unterlegung mit Richard Wagners „Tannhäuser“-Motiv inzwischen in den Bann gezogen hat, diese Geschichte bricht hier unvermittelt ab. Ab jetzt wird der heroische Sieg der Roten Armee über die Wehrmacht noch einmal kräftig abgefeiert. Dafür greift der Regisseur zum geschichtspolitischen Holzhammer. Schnitt: Knallende Stiefel in Berlin-Karlshorst, wo wir Zeugen der Unterzeichnung der Kapitulation zu werden. Die Vertreter der Wehrmacht wirken wie italienischen Nazi-Comics der 1970er Jahre entsprungen (Christian Redl, der in Hirschbiegels „Der Untergang“ den Jodl gemimt hat, spielt hier Keitel). Die Vertreter der Roten Armee aber weisen die Hitleristen mit kühlen Blicken und ehrfurchtsgebietenden Gesten auf ihren Platz in der Geschichte.

Zu diesem Zeitpunkt haben wir die Hoffnung schon fast aufgegeben, da findet der Film doch noch zu seiner Geschichte zurück. Naydyonov und Fedotov haben überlebt und treffen ein letztes Mal aufeinander. Sie wissen: Nur für die, die den bösen Panzergott nicht spüren, ist der Krieg zu Ende. Doch Naydyonov wittert ihn da draußen und dabei wirkt er ein wenig wie Kapitän Ahab, der seinen Wal verloren hat.

Bevor wir uns nun mit diesem Ende abgefunden haben, springt der Film ein weiteres Mal und endet mit einem dramaturgisch ebenso zusammenhangslosen wie inhaltlich wirren Monolog Hitlers vor dem Kamin. Wir fragen uns schließlich, ob die Drehbuchautoren nicht vielleicht den bewusstseinserweiternden Pilzen des russischen Waldes zu sehr gefrönt haben, und hoffen auf einen Director’s Cut. In diesem müssten die das Narrativ zerstörenden Szenen wieder dorthin verfrachtet werden, wo sie hingehören – in die Mottenkiste des postsowjetischen Propagandafilms. Und dann werden wir „Belvy tigr“ auch als eine verstörende filmische Metapher auf das Verhältnis von Mensch und Maschine im Krieg empfehlen können.

 

Abb.: Mosfilm Cinema Concern

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