Janus Metz in Armadillo
Richard Kühl
Miszelle
Veröffentlicht am: 
03. Dezember 2012

Die Veröffentlichung von "Armadillo" war in Dänemark 2010 Sensation und Schock zugleich. Die Filmdokumentation über den sechsmonatigen Einsatz eines dänischen Isaf-Bataillons in der afghanischen Provinz Helmand sorgte nicht nur für Aufsehen, weil sie nach den Worten ihres Regisseurs "in die Köpfe" der Soldaten vorstoßen wollte und zu diesem Zweck mit allen klassischen Regeln des Genres brach. Die Diskussion um den Film entzündete sich auch an der Frage: Belegt Janus Metz' Dokumentation die Liquidierung verwundeter Talibankämpfer durch dänische Soldaten?

Janus Metz interessiert das Thema Männer und Atavismus im Krieg. Was macht der Afghanistaneinsatz mit den jungen Männern aus dem Westen, die den Krieg zuvor zwar 'trainiert' haben, ihn ansonsten aber nur aus den Medien und der westlichen Populärkultur kennen? Begreifen sie den Einsatz als Bewährung von 'Männlichkeit'? Wie sehen in Stresssituationen die psychischen Reaktionen, wie die seelischen Verarbeitungen danach aus?

Diese Ausgangsfragen sind als solche gewiss nicht mehr besonders originell, auch nicht in Bezug auf den Afghanistaneinsatz. Bei Tim Hetherington und Sebastian Junger etwa ("Restrepo") standen sie ebenfalls mehr oder weniger im Vordergrund. Schon nach wenigen Minuten von "Armadillo" aber ist klar, Janus Metz macht alles ein bisschen anders. Ist das überhaupt noch "embedded journalism"? Ist das nicht schon ein Spielfilm? Ein Art Reality-Doku-Drama? Tatsächlich scheinen Metz und sein Kameramann Lars Skree von Anfang an etwas anderes vor Augen gehabt zu haben als Hetherington et alii. Erzählt und kommentiert wird mithilfe eines Schnitts und einer Montagetechnik, die unübersehbar bekannte Kriegsfilme zitieren, die Farben sind digital nachbearbeitet, vieles wird mit Musik unterlegt. Offenkundig ist auch, dass Metz den Soldaten mitunter direkte Regieanweisungen gab. Kurzum: Gearbeitet wurde mit Mitteln, die Janus Metz von Haus aus mitbrachte. Bekannt war er in Dänemark mit sozialkritischen Spielfilmen geworden.

Vom dänischen Militär erhielten Metz und Skree 2009 eine Drehgenehmigung für den in der südafghanischen Provinz Helmand gelegenen Stützpunkt Armadillo. Knapp 200 Isaf-Soldaten sind dort untergebracht. Den Zug einer dänischen Kompanie begleiteten die Filmemacher für ein halbes Jahr durch den Lageralltag und bei Außeneinsätzen.

Der Film beginnt in der Heimat: Gespräche in der Familie, der Abschied am Flughafen. Bei der Ankunft in Afghanistan wird versichert, allen würde "nicht langweilig" werden. Die Taliban stünden kaum einen Kilometer vom Militärstützpunkt entfernt, es werde wohl in den kommenden Monaten vermehrt zu Gefechtsituationen kommen. Schon nach wenigen Patrouillen durch die anliegenden Dörfer wissen die Neuankömmlinge: Sobald sie Frauen und Kinder wegrennen sehen, dauert es nicht mehr lange bis zur Feindberührung. Metz' Film zeigt, wie die Taliban die Isaf-Soldaten mit einer bald zermürbenden Strategie der 'Wespenstiche' konfrontieren, die das Ziel verfolgt, ihnen und den Einheimischen klar zu machen, dass man hier keine Schulen oder irgendetwas anderes wird aufbauen können. Die meisten Angriffe dieser Art verlaufen glimpflich. Der Gegner ist schon wieder verschwunden, bevor die Soldaten erkennen, in welche Richtung sie das Feuer erwidern können. Es gibt Verletzte. Aber für Leib und Leben gefährlicher als diese permanenten kurzen Störangriffe bei Patrouillen sind versteckte Sprengladungen im Gelände. Ohne Minensuchgerät können sich die Soldaten kaum bewegen. Die militärisch-technische Überlegenheit gegenüber den Taliban macht sich ansonsten kaum bemerkbar. Ihre Wirkung zeitigt sie in der Überwachung des umliegendes Geländes durch Drohnen. Hier sieht man, dass die Isaf-Truppen in Helmand schnell schießen. Dazwischen zeigt "Armadillo" Kontakte mit der Zivilbevölkerung und den Lageralltag: Draht verhauen, Ego-Shootern, homoerotische Quatschspielchen, Hanteltraining, Waffenreinigen, Pornos gucken und das Warten auf die Bewährung in einer 'wirklichen' Kampfsituation.

Vieles in "Armadillo" meint man schon irgendwo gesehen zu haben. Das liegt zum einen daran, dass Metz auch in Bezug auf eher alltägliche Situationen im Stützpunkt immer wieder beinahe archetypisch wirkende Momentaufnahmen gelingen – bereits der extrem hochgefahrene Kontrast sorgt für eine seltsam archaische Aufladung der Bilder. Zum anderen liegt es an der bereits erwähnten Schnitt- und Montagetechnik. Dass hier Anleihen und Zitate aus diversen Vietnamfilmen unverkennbar sind, hat Metz den Vorwurf der Effekthascherei eingebracht. Für den Regisseur war aber entscheidend, dass die Soldaten selbst ihre Wahrnehmungen immer wieder mit dem Inventar der ihnen aus Filmen, Ballerspielen und anderen medialen Repräsentationen des Krieges bekannten 'Wirklichkeiten' des Krieges abzugleichen schienen, sich gleichsam darin bewegten. Ihre Fantasien, ist Metz überzeugt, seien voll mit diesen Bildern.1 Tatsächlich vermag "Armadillo" sehr eindrucksvoll zu zeigen, wie die Soldaten das, was sie in Helmand erleben, durch diese Filter ordnen, häufig so, als geschähe dies alles quasi nicht im Ernst, nicht 'wirklich jetzt' und nicht mit ihnen. Das sei "alles völlig surreal", hört man einen jungen Soldaten rufen, nachdem ihm gerade auf offenem Feld die Kugeln im wörtlichen Sinne um die Ohren gepfiffen waren. Ein anderer schaut nach einer Schussverwundung mit weit aufgerissenen Augen erstaunt seine Umgebung an, als realisiere er erst hier, dass Derartiges überhaupt möglich ist und es sich nicht, wie der "Guardian" treffend über dieses Bild schrieb, "nur um Paintball" handelt. Emblematisch gleichermaßen für diese Brechung der Wahrnehmung wie für eine im Einsatz schleichende Abstumpfung die Szene, als einer der Soldaten seine Emotionen einzuordnen versucht, nachdem die Einheit durch Granatbeschuss den Tod eines kleinen Mädchens verschuldet hat. Wenn man jeden Tag im Fernsehen Nachrichten von Tausenden Toten rund um den Globus verfolge, erzählt er, dann berühre einen der Tod eines afghanischen Kindes nicht: "Das ist hier nur, weil man so dicht dran ist", und dann, als schiebe sich erst hier noch ins Bewusstein, dass er Teil der Apparats ist, der unmittelbar für den Tod des Mädchen verantwortlich ist, fügt er hinzu: "Pech, dass wir hier unten sind. Niemand hat es mit Absicht getan." – "Schnee von gestern", wie man "so schön sagt", versucht der Zugführer einen sich schuldig fühlenden Soldaten zu beruhigen.

Es kommt der Augenblick, da sich die Einheit entscheidet, sich den 'Wespenstichen' der Taliban entgegenzustellen und riskanter das Gefecht zu suchen. Was Metz und Skree hierüber an Bildern und O-Tönen eingefangen haben, hat in Dänemark eine breite Diskussion um die offiziellen Verlautbarungen zur Isaf, ihren Auftrag und die mentalen Veränderungen der Soldaten im Einsatz angestoßen: Allein in den ersten Wochen nach der Premiere zählte man über 300 Presseartikel. Metz' Film schoss im Juni 2010 sogar auf Platz Eins der dänischen Kinocharts.

Von dem Gefecht selbst zeigt "Armadillo" freilich nicht viel mehr als Chaos und lässt kaum Rückschlüsse auf Einzelheiten zu. Bilder danach zeigen die zerschossenen Stellungen der Taliban, die Durchsuchung ihrer Leichen nach Waffen, die Rückkehr ins Camp, Gejohle, Scherze, "Dem da hab ich in den Kopf geschossen", gibt einer an, "Könnte ich direkt noch mal haben", ein anderer. In der anschließenden Lagebesprechung im Militärstützpunkt berichten die Soldaten, sie hätten mehrere Taliban in ihren Stellungen "stöhnend, halb tot", vorgefunden. Und dann fallen die Sätze: "Wir haben sie, so gut es ging, auf humane Weise liquidiert." Ein "Schütze" der Taliban habe noch "versucht zu kriechen, wie die anderen auch." Er habe dabei "grauenvoll gestöhnt": "Wir haben auch ihm 30 bis 40 Kugeln gegeben." Als der Zugführer wenig später erfährt, jemand aus dem Lager hätte durch einen Anruf in der Heimat gestreut, seine Einheit würde verwundete Taliban töten und anschließend mit ihren Leichen posieren, gibt er Anweisung, die "leidige Klatschgeschichte" fortan als ein "Gerücht" zu kommunizieren und verteilt Orden an zwei Soldaten, die bei der Operation besonders hervorgetreten waren. Einer scheint sofort die Verstörung zu reflektieren, die das alles evozieren wird, als er in die Kamera sagt, vielleicht könne man das ja tatsächlich nicht nachempfinden, wie das ist: Wie "glücklich" man sein könne, weil man getötet hat.

Es bleibt wohl Metz' Geheimnis, wie er es schaffte, dieses Material ohne Zensureingriffe des dänischen Militärs in seinem Film zeigen zu können. Offenbar verdankt er dies keineswegs etwaigem Bemühen der militärischen Führung um Transparenz, sondern der Hilfe von Rechtsanwälten und einer Verkettung von Zufällen. So scheint das dänische Militär unter anderem deshalb von Eingriffen abgesehen zu haben, weil sich kurz zuvor die zweifelhafte Informationspolitik des Verteidigungsministeriums im Zusammenhang mit der Autobiographie eines Afghanistanveteranen zu einem Skandal ausgewachsen und zum Rücktritt des Ministers geführt hatte.  

Einige Kritiker und Zuschauer hat es verstört, dass sich der Film eindeutiger Wertungen entzieht. Es gibt keine Stimme aus dem Off,  keine retrospektiven Einordnungen der Beteiligten, 'der Weg zurück' in die zivile Welt wird nicht thematisiert. "Armadillo" endet mit Porträtaufnahmen seiner Protagonisten und einer kurzen Information über deren aktuellen jeweiligen militärischen oder zivilen Status. Die meisten von ihnen, erfährt man, haben sich 2011 freiwillig wieder für den Afghanistaneinsatz gemeldet.

Aber dieses Ende unterstreicht zugleich, was im gesamten Film durch den Fokus auf die jungen Männer in Armadillo greifbar wird: Das Bizarre der Situation eines quasi totalen Nebeneinanders dreier 'Parteien' in diesem Krieg. Hier die Taliban, über deren Innenleben die Truppen so viel wissen wie der Rest der Welt, dort die jungen westlichen Soldaten, die mit hochtechnisierter Ausstattung und in komfortablen Stützpunkten untergebracht auf nichts anderes mehr zu warten scheinen als auf den Kick, dazwischen die in ärmlichsten Verhältnissen lebenden Einheimischen, deren Existenzgrundlagen zwischen den Fronten zerrieben werden und die jeden Tag um ihr Leben fürchten müssen. "Weder ihr noch die Taliban werden getötet. Wir sterben", erklärt ein afghanischer Bauer einem dänischen Offizier. Wenn er mit seinem Film, deutete Metz in einem Interview an, ein politisches Anliegen verfolge, dann dass in allen Überlegungen um den Isaf-Auftrag die Geschichte Afghanistans ins Zentrum gehöre: Den meisten Afghanen kämen die westlichen Truppen vor Ort wie Wesen vor, die gerade vom Mond gekommen seien.2

 

 

 

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