Christian Westerhoff
Aufsatz
Veröffentlicht am: 
03. April 2017
DOI: 
akm.03.04.2017

 

2016 gelang der Bibliothek für Zeitgeschichte in der Württembergischen Landesbibliothek der Kauf des Kriegstagebuchs von Hans von Winterfeldt,[1] deutscher Generalleutnant und Oberquartiermeister in den Jahren 1914-1918. Bei dem Tagebuch handelt es sich um eine zentrale, bisher in der Fachwelt völlig unbekannte Quelle zu einer wichtigen Persönlichkeit des Ersten Weltkriegs. Mittlerweile wurde es digitalisiert und ist über den Karlsruher Virtuellen Katalog (KVK) oder das Themenportal Erster Weltkrieg der Bibliothek für Zeitgeschichte online einsehbar.

Hans Karl von Winterfeldt (*29. März 1862 in Berlin, † 10. Oktober 1931 in Potsdam) stammte aus einer Adelsfamilie, die viele Militärs hervorgebracht hat. Zu seinen Vorfahren gehörte Hans Karl von Winterfeldt (1707-1757), preußischer Generalleutnant und enger Freund Friedrichs des Großen. Auch Hans von Winterfeldt schlug früh eine militärische Laufbahn ein. Er besuchte von 1891 bis 1894 die Kriegsakademie und diente in zahlreichen Regimentern und Korps. Verheiratet war er mit Lilly von Bohlen-Halbach, der Schwester des Industriellen Krupp von Bohlen-Halbach.[2]

Im Ersten Weltkrieg avancierte von Winterfeldt nach seiner Verwendung als Heerführer von 1916 bis 1918 zum Stabschef beim Generalgouverneur in Brüssel. Als solcher hatte er eine bedeutende Stellung innerhalb der deutschen Besatzungsverwaltung in Belgien inne. Der vorliegende „1. Teil“ seines Tagebuchs behandelt allerdings nicht seine Tätigkeit in Belgien, sondern vorausgegangene militärische Kommandos in den Jahren 1914-1916. Auf 637 Seiten beschreibt er seine Einsätze bei verschiedenen Einheiten und seine Erlebnisse während zahlreicher Gefechte an der West- und Ostfront. Dass auch aus den letzten Kriegsjahren Tagebuchaufzeichnungen von Winterfeldts existierten, ist überliefert.[3]Leider ist jedoch nichts über den Verbleib dieses zweiten Teils des Tagebuchs bekannt. Die Bibliothek für Zeitgeschichte wäre sehr daran interessiert, weitere Aufzeichnungen von Winterfeldt zu erwerben.

Zu Beginn des Krieges wurde von Winterfeldt von seinem Posten als Kommandeur des Braunschweigischen Infanterie-Regiments Nr. 92, den er seit 1912 innehatte, abberufen. Mit seiner neuen Einheit, der 37. Reserve-Infanterie-Brigade, erlebte er die Invasion Belgiens, die Schlacht an der Marne und den Übergang zum Stellungskrieg. Im Winter 1914/1915 diente er als Oberquartiermeister der 7. Armee, die zu dieser Zeit bei Charleville kämpfte. Im Frühjahr 1915 wurde er dann zur Südarmee an die Ostfront abkommandiert. Als Kommandeur der 8. Infanterie-Brigade war er an der Offensive der Mittelmächte beteiligt, welche die russischen Truppen aus Österreich-Ungarn vertrieb. Die Armeen Deutschlands und Österreich-Ungarns drangen im Sommer 1915 weit in russisches Territorium vor und besetzten Russisch-Polen, Litauen sowie Teile Lettlands und Weißrusslands. Nach einer Zwischenstation an der Westfront im Winter 1915/1916 kehrte er im Frühjahr 1916 an die Ostfront zurück. Als Oberquartiermeister der 8. Armee sollte er den Wiederaufbau Kurlands fördern und gleichzeitig für die wirtschaftliche Ausnutzung des Landes zu Gunsten der deutschen Kriegswirtschaft sorgen. Im Herbst 1916 folgte schließlich von Winterfeldts Versetzung zum Generalgouvernement Belgien.[4]

Im Tagebuch gibt es für fast jeden Tag einen eigenen Eintrag. Minutiös beschreibt von Winterfeldt, was vorgefallen ist. Den Text ergänzen 371 eingeklebte und beschriftete Fotos. Als hoher Offizier führte von Winterfeldt auch im Krieg ein komfortables Leben mit gutem Essen und Freizeit-Vergnügungen. Untergebracht war er in repräsentativen Unterkünften wie z.B. auf Schloss Mitau, der ehemaligen Residenz der Herzöge von Kurland.[5]

Interessant sind von Winterfeldts Beobachtungen zur Kriegführung. An der Düna – im heutigen Lettland – konstatiert er am 10. Mai 1916, dass der Stellungskrieg an der Westfront mittlerweile wesentlich intensivere und schonungslosere Züge angenommen habe als an der Ostfront:

„Die Russen müssen hier sehr friedlich sein. Schützengräben, Unterstände, alle Einrichtungen sind auf unserer Seite daher noch so, wie vor 1½ Jahren in Frankreich und haben geradezu etwas rührendes. Von rückwärts geht man einfach über freies Feld in den Schützengraben; da würden einem die Franzosen mit Artillerie schön eins naufschießen.“[6]

Die Folgen des schon fast zwei Jahre andauernden Krieges für den Umgang mit Menschenleben beschäftigen ihn. Als eine ehemalige Einheit von ihm im Mai 1916 vor Verdun kämpft, freut ihn zwar, dass Höhe 304 erstürmt wurde. Er befürchtet jedoch gleichzeitig, dass solche Geländegewinne nur mit einem hohen Blutzoll zu erreichen sind, auch wenn dies die offiziellen Berichte nicht widerspiegeln würden:

„Hoffentlich ist meinen guten Leuten nicht zu viel passiert; mäßige Verluste sollen sie nach dem Heeresberichte ja nur gehabt haben, aber in diesem Kriege sind die Begriffe sehr verändert und ‚mäßig‘ ist schon immer eine ganze Masse.“[7]

Auch über die Kriegsgegner macht er sich Gedanken:

„Wir haben hier 4 russische Gefangene, welche die grobe Arbeit für unser Hauswesen machen, gute harmlose Kerle, die fleißig sind und unsern Burschen eine Menge Dreckarbeit abnehmen, Holz hauen u.s.w. Man versteht nicht, daß sie solche Viecher sein können wie sie in Ostpreussen waren.“[8]

An anderer Stelle wird von Winterfeldts Haltung gegenüber der einheimischen Bevölkerung des besetzten Lettlands deutlich. So schreibt er am 26. April 1916:

„Lange Unterredung mit dem Kreishauptmann von Libau, Berkerer. […] Der schimpft sehr auf die Civilverwaltung von Ober Ost in Schulangelegenheiten, weil diese besondre Schulen für die Letten eingerichtet hat, während es doch von größtem Nutzen wäre, […] möglichst zu germanisieren; ich muß ihm recht geben.“[9]

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass das vorliegende Kriegstagebuch von Hans von Winterfeldt auf einmalige Weise in die Erfahrungen Einblick gibt, die er während der Jahre 1914 bis 1916 sammelte. Aufgabe der Forschung ist es, diesen Erfahrungshorizont näher zu ergründen und herauszufinden, welche Rückwirkungen diese Prägungen auf seine anschließende Tätigkeit in der deutschen Besatzungsverwaltung in Belgien hatten. Auch mit Blick auf die deutsche Besatzungspolitik in Kurland stellen von Winterfeldts Aufzeichnungen eine sehr wichtige Quelle dar, da die entsprechenden Aktenbestände des preußischen Kriegsministeriums im April 1945 bei einem Luftangriff zerstört wurden und nur wenige vergleichbare private Dokumente vorliegen. Schließlich vermitteln seine Äußerungen auch einen Einblick in das Leben und die Perspektive eines hohen Militärs, der an unterschiedlichsten militärischen Auseinandersetzungen des Ersten Weltkriegs beteiligt war.


[1] Winterfeldt, Hans von: Meine Erlebnisse im Weltkriege. 1914-1918, 1. Teil, [Potsdam] o.D., 637 S. (Württembergische Landesbibliothek, BfZ N16.4).

[2] Wentscher, Erich: Geschichte des Geschlechts von Winterfeld(t), Vierter Teil ( Band 5), Görlitz 1937, S. 249 f.

[3] Eine Abschrift der Tagebucheinträge vom 8. bis 10. November 1918 befindet sich in einem Schreiben seines Bruders Detlof von Winterfeldt an den Staatssekretär der Reichskanzlei Hermann Pünder, 11. März 1932, Bundesarchiv Koblenz, Nachlass N 1005 Hermann Pünder, Nr. 174, Bl. 63.

[4] Wentscher, Geschichte, S. 252.

[5] Winterfeldt, Meine Erlebnisse, S. 525.

[6] Ebd., S. 516.

[7] Ebd., S. 515.

[8] Ebd., S. 219.

[9] Ebd., S. 503.

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