Die Schweizer Freiwilligen in der Résistance, 1940-1944
Peter Huber
Projektskizze
Veröffentlicht am: 
11. Januar 2017

Die umfangreiche und imposante Geschichtsschreibung zur französischen Résistance hat lange Zeit das Mitwirken fremder Nationalitäten am Befreiungskampf vernachlässigt oder gar ausgeblendet. Mehr als 70 Jahre nach der Landung alliierter Truppen in der Normandie und der Befreiung von Paris ist der Beitrag "ausländischer Kontingente" an der inneren und äusseren Résistance bekannt, wenn auch nicht systematisch aufgearbeitet. Vor allem der Beitrag mehrerer Hundert republikanischer Flüchtlinge aus Spanien, die 1944 an der Spitze der Division Leclerc in Paris einzogen, ist in mehreren Arbeiten erforscht und in Fernsehsendungen dokumentiert worden.

Die Teilnahme von ungefähr 400 Schweizer Freiwilligen liegt weiterhin im Dunkel. Nach ersten Schätzungen kämpften etwa je 200 von ihnen in der "inneren" Résistance (Forces françaises de l'intérieur, FFI) und in der "äusseren" Résistance (Forces françaises libres, FFL) unter General de Gaulle.

Während die Schweizer Reisläufer des 16. bis 19. Jahrhunderts in der Schweizer Historiographie und im kollektiven Bewusstsein tief verankert sind, liegen zur modernen Form des Fremden Dienstes – sei es in der Fremdenlegion im Ersten Weltkrieg oder in der Résistance – keine Untersuchungen vor. Der stark politisch motivierte Wegzug von 800 Schweizer Freiwilligen in den Spanischen Bürgerkrieg sowie der Einsatz von 900 Schweizer Freiwilligen in der Waffen-SS sind hingegen durch Arbeiten erforscht und bis in die breitere Öffentlichkeit hinein bekannt – unser Thema jedoch schlummert in der Vergessenheit, ein Anachronismus, den wir beheben wollen.

In der Folge des Bergier-Berichts zur Rolle der Schweiz im Zweiten Weltkrieg aus dem Jahr 2001 wurden wohl die Fluchthelfer und die "justes" im weitestens Sinne erforscht und rehabilitiert – die ab 1944 aus Frankreich heimgekehrten und hier wegen "Schwächung der Wehrkraft" und "Dienstversäumnis" verurteilten Schweizer Résistants hingegen harren bis heute einer Aufarbeitung geschweige denn Rehabilitation. Noch 2008 konnte die Regierung mit einer gewissen Berechtigung auf eine Interpellation aus dem Parlament antworten, die Namen dieser Verurteilten seien unbekannt und deren Geschichte noch nicht aufgearbeitet, womit eine Rehabilitierung nicht angegangen werden könne. Wir möchten auch dies nachholen.

Unser kollektivbiographisches und komparatives Forschungsprojekt wird erstens Antworten liefern auf die Frage, warum rund 400 junge Schweizer als Freiwillige in den Krieg ziehen. Eine ausserordentlich günstige Quellenlage, d.h. seit 2008 neu zugängliche Akten im Pariser "Service historique de la Défense" und im Berner Bundesarchiv, stellen die Forschung auf eine neue Grundlage und erlauben, dem "Warum" des Wegzugs auf den Grund zu gehen. Wir hüten uns vor monokausalen Erklärungen wie "Abenteuerlust", "Arbeitslosigkeit", "Antifaschismus" und bevorzugen in unserer sozialhistorischen Studie Erklärungsmuster, die sowohl "push-Faktoren" der damaligen Schweiz als auch "pull-Faktoren" der imaginären neuen Welt - der Mystik des Maquis- in Betracht ziehen.

Wir werden zweitens nach der sozialen Herkunft/Identität, dem "Kriegserlebnis" in der Résistance und der oft bitteren Rückkehr in die Schweiz fragen, wo sich die "Sieger" ab 1944 wegen "Schwächung der Wehrkraft" vor Militärgerichten verantworten müssen. Grundlage unserer schrittweisen Annäherung an den Schweizer Résistant ist eine Datenbank, die wir in der ersten Phase des Projektes mit Daten – zumeist biographischen – aus den konsultierten Quellen in Paris und Bern füttern; in der nachfolgenden analytisch-interpretativen Phase stellen wir Berechnungen an, die uns den Zielen des Projektes – das soziobiographische Profil des Résistant und dessen Schicksal nach dem Krieg – näherbringen.

Wir werden drittens systematisch Vergleiche mit anderen Kontingenten von Schweizer Freiwilligen anstellen, die bereits wissenschaftlich aufgearbeitet sind (Spanienfreiwillige; Freiwillige für Nazi-Deutschland; Freiwillige in der Fremdenlegion). In diesem Sinne verstehen wir das Thema unseres Projekts als ein letztes Glied in einer Kette von Untersuchungen zu Schweizer Kriegsfreiwilligen im 20. Jahrhundert.

Die sozialhistorische Pionierstudie mit militärgeschichtlichen und komparativen Aspekten will mehr als nur eine Lücke schliessen. Die Tatsache, dass gegen 400 Schweizer in der Résistance auf freiwilliger Basis mitgekämpft haben und nach der Rückkehr in der Schweiz verurteilt und nicht als "Sieger" wahrgenommen wurden, dürfte auch neues Licht auf die Schweizer Gesellschaft mit ihren "Verlierern" werfen.

Unsere Prosopographie sozialhistorischen Zuschnitts zu den Résistants steht in einem weiten Sinne auch in der Dynamik der heute weiter an Bedeutung gewinnenden Migrationsforschung. Wir werden Resultate zu diesen "Prototypen zeitweiliger Emigration" vorlegen, deren Bedeutung und Aktualität ein breites, interdisziplinär ausgerichtetes Milieu interessieren wird.

Die Pionierstudie orientiert sich an den Publikationen zu den Spaniern in der Résistance und wird in der zweiten, analytisch-interpretativen Phase, in zwei Veröffentlichungen münden:
• Eine soziobiographische Studie zum "Vorleben" in der Schweiz, dem Wegzug nach Frankreich und der Zeit in der Résistance (Peter Huber).
• Eine Dissertation zur Rückkehr in die Schweiz, der Verurteilung und dem Widerhall in der Schweizer und französischen Öffentlichkeit (Marie-Laure Graf).
Das Forschungsprojekt ist vom Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschgung (SNF) finanziert und an der Universität Genf (Prof. Irène Herrmann) angesiedelt.

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