Wechselwirkungen zwischen Militär und Politik in der Neuzeit
Christina Kecht, Marie-Kristin Reischl, Florian Wieninger
Tagungsbericht
Veröffentlicht am: 
16. August 2021

Die Entwicklungen staatlicher und militärischer Strukturen gingen seit dem ausgehenden Mittelalter miteinander Hand in Hand. Spätestens ab dem 18. Jahrhundert wurden die stehenden Heere zum manifesten Symbol eines staatlichen Gewaltmonopols. Die Bemühungen, die militärische Gewalt zu kontrollieren, prägten und prägen moderne Staatswesen.

Die Fachtagung des Arbeitskreises Militärgeschichte e. V. (AKM) „Ordnung und Gewalt. Wechselwirkungen zwischen Militär und Politik in der Neuzeit“ fand am 18. März 2021 statt. Organisiert wurde sie in Zusammenarbeit mit dem Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr Potsdam (ZMSBw) und untersuchte die oben genannten Entwicklungen und Spannungsverhältnisse. Dabei gingen die Organisatoren WENCKE METELING (Washington, D.C.) und CHRISTOPH NÜBEL (Potsdam) davon aus, dass Militär und Politik nicht essenzialisiert werden sollten, zumal politisches und militärisches Denken und Handeln auf zeitgenössischen Zuschreibungen beruhten, sondern dass sie zu historisieren sind. Gleichwohl lassen sie sich als Analysekategorien fruchtbar machen, wie die Beiträge der Tagung zeigten. Die Veranstaltung sollte ursprünglich im Herbst 2020 stattfinden, wurde aber pandemiebedingt in ein kleineres, digitales Format via Zoom mit fünf Vorträgen überführt.

Eröffnet wurde die Tagung von MARTIN CLAUSS (Chemnitz), dem Ersten Vorsitzenden des AKM, der mit seinen Begrüßungsworten zunächst seine ganz persönliche Assoziation mit dem Tagungsthema metaphorisierte. Dabei verdeutlichte er die Bedeutung von Bildsprache bei der Beanspruchung von Führungspositionen, etwa wenn ein Diktator sich mal mehr, mal weniger als bewaffneter und uniformierter Offizier in der Öffentlichkeit zeigt, um ein bestimmtes Bild zu evozieren. Dabei wies Clauss darauf hin, dass solche politischen und militärischen Vermischungen durchaus auch in demokratischen Systemen wie beispielsweise den USA stattfinden können. Vor allem der Drang nach Inszenierung und das jeweilige Verständnis von Politik und Kommunikation spielten hier eine erhebliche Rolle. Bei der Frage, in welchen Gesellschaften sich Politikerinnen und Politiker als Militärs präsentieren können, vermutete Clauss die Trennlinie zwischen heroischen und nicht-, beziehungsweise postheroischen Gesellschaften. Am Beispiel des Mittelalters zeigte Clauss wie schwierig es ist, eine klare Trennung zwischen Militär und Politik als Diskursräume auszumachen. Der Mediävist betonte, dass Gewaltkompetenz ein wesentliches Element mittelalterlicher Heroisierungsstrategien war. Hier bestünden durchaus Parallelen zu modernen Inszenierungsformen. In der Römischen Republik etwa fungierte Krieg als „Bewährungsraum“ für Karrieren. Der Militärdienst war ausschlaggebend für den politischen Erfolg, militärische beziehungsweise kriegerische Reputation bildete somit eine Brücke zwischen den Bereichen Militär und Politik. Diese Verbindung, so Clauss, sei ein Wesenskern vieler europäischer Gesellschaften von der Antike bis hin zur Moderne.

CHRISTOPH NÜBEL (Potsdam) stellte in seiner Einführung die Frage, ob das Militär eine tickende Zeitbombe sei. Er führte einige aktuelle Beispiele auf, in denen Streitkräfte gegen Regierungen putschten. Ferner erläuterte er, dass militärische Gewalt, die in die Politik hineinwirke, nicht nur ein gegenwärtiges Problem sei, sondern ein historisches. Nübel verwies darauf, dass sich in der Vormoderne zwischen Militär und Politik keine trennscharfen Linien ziehen ließen und nahm Bezug auf die militärischen und zivilen Aufgaben in der römischen Antike sowie auf den mittelalterlichen Herrscher, der durch Feldzüge und Siege seine Legitimation unter Beweis stellen musste. Zahlreiche historische und gegenwärtige Beispiele zeugten davon, so Nübel, dass die bewaffnete Macht beziehungsweise bewaffneten Streitkräfte ihre Waffen einsetzten, um Macht auszuüben. Spätestens im 18. Jahrhundert wurden Armeen dann zur Verkörperung und zum zentralen Symbol des staatlichen Gewaltmonopols. Dabei merkte Nübel an, dass es bis ins 20. Jahrhundert zur vornehmen Pflicht des Adels gehört habe, Kriegsdienst zu leisten und so als Säule von Monarchie und/oder Staat zu fungieren. Militär und Politik waren nicht nur aufeinander angewiesen, sondern standen und stehen in einer konfliktbehafteten Beziehung. Gleichwohl müsse in diesem Zusammenhang die Frage geklärt werden, wann das staatliche Gewaltmonopol, das im frühneuzeitlichen Rechtsdenken verankert war, als umstrittene Norm hinterfragt werde. Die Thematik hat also nichts von ihrer Brisanz verloren. Mit einem Blick auf die Forschungen Gerhard Ritters zeigte Nübel auf, dass das Ringen von Militär und Politik einerseits als ein Kampf zwischen Gut und Böse angesehen wurde, und dass mit Carl von Clausewitz gesprochen andererseits eine Vereinbarkeit beider Sphären angenommen wurde. Das Militär habe immer wieder als eine Organisation agiert, die ihren Einfluss und ihr Gewaltpotenzial dazu nutzte, Entscheidungen zu erzwingen oder zu steuern. Nachdrücklich betonte Nübel: „Wer Staatlichkeit verstehen will, sollte das Militär studieren.“ Zwischen „Militär“ und „Politik“ bestanden und bestehen also vielfältige Wechselwirkungen und Grenzüberschreitungen, die keine leicht zu bestimmenden Parameter besäßen. Deshalb sollten sie, so Nübel abschließend, in der Forschung nicht als strikt voneinander getrennt begriffen, sondern als interagierende Sphären untersucht werden.

Das erste Panel befasste sich mit Fallbeispielen aus der Frühen Neuzeit. CATHLEEN SARTI (Oxford) nahm in ihrem Vortrag die Wechselwirkungen zwischen Militär und politischer Ordnung in den Kriegen der skandinavischen Mächte Dänemark-Norwegen und Schweden im Verlauf des späten 16. Jahrhunderts in den Blick. Die ineinander übergehenden militärischen Kampagnen wurden von einer Generation ehrgeiziger Renaissanceherrscher getragen, die im Krieg das Herrschaftsmittel ihrer Wahl fanden. Während starke feudale Strukturen, die Nähe zu Rekrutierungsgebieten in Norddeutschland und der Wohlstand Dänemarks einen Fokus auf den Einsatz von professionellen Söldnern unter Kommandanten aus dem einheimischen Adel bedingt hätten, habe das finanziell vergleichsweise arme, aber an Ressourcen reiche Schweden für seine Kriege maßgeblich auf ein Konskriptionssystem gesetzt, das sogenannte „ältere Indelningsverk“. Aufgrund der Schwächung der schwedischen Aristokratie habe man ferner nicht nur verstärkt auf Offiziere aus dem Ausland zurückgegriffen, sondern politisch hätten auch Bauern, Bürger und Bergleute bis 1560 im schwedischen Reichstag an Bedeutung gewonnen. Die besondere Rolle der Marine und Artillerie, die sich im Rahmen des Siebenjährigen Nordischen Krieges (1563-1570) gezeigt hatte, habe ferner zu kostenintensiven strukturellen Veränderungen geführt. Besonders in Folge dieses Konfliktes sei das Königreich Dänemark-Norwegen, in dem der starke Adel Einfluss auf die Politik ausübte, mit einer hohen Schuldenlast konfrontiert gewesen, die Finanzreformen zur Folge gehabt habe. Schweden sei dagegen in den Konflikten des späten 16. Jahrhunderts durch eine konsensbasierte politische Kultur geprägt gewesen und habe auf eine Taktik der Kriegsfinanzierung durch den Krieg selbst gesetzt.

DIMITRIOS TIM NYENHUIS (Düsseldorf) befasste sich in seinem Beitrag mit dem situativen und intentionellen Kontrollverlust von Politik und Militär im Verlauf des Dreißigjährigen Krieges. Dabei nahm er zunächst die Darstellung des völligen Kontrollverlustes der zivilen und militärischen Ordnung in zeitgenössischen Einblattdrucken in den Blick, ehe er dieses Narrativ der Unbeherrschbarkeit des Krieges in der Folge in Frage stellte, indem er die der Kriegsfinanzierung zugrundeliegenden Strukturen in den Fokus rückte. Dabei legte Nyenhuis dar, dass der Krieg – trotz ungewollter Entgrenzungen – grundsätzlich in der Intention der hochverschuldeten politischen Machthaber gelegen habe. Den mit seiner Organisation und Umsetzung betrauten Kriegsunternehmern sei es zwar gelungen, persönlichen Nutzen aus der Situation zu schlagen, jedoch nicht die Versorgung ihrer Truppen zu gewährleisten, sodass diese ohne regelmäßigen Sold das Kriegshandwerk verrichteten. Die Bedürfnisse der am unteren Ende dieser Kreditkaskade stehenden Söldner hätten im Verlauf des Krieges dann sukzessive zu einem situativen wie auch intentionellen Kontrollverlust geführt, da die Versorgung der Söldner (auch als militärischer Planungsfaktor) und die Exzesse des Krieges ineinandergriffen.

Die zweite Sektion zu Militär und innerer Sicherheit behandelte organisierte Gewalt zwischen Ver- und Entstaatlichung im 19. und 20. Jahrhundert. KATHARINA SCHMITTEN (Berlin) widmete sich in diesem Sinne den Einsätzen von Polizei und Militär bei Streiks von Bergarbeitern, wobei sie vergleichend das Ruhrgebiet und Südwales von 1889 bis 1912 in den Blick nahm. Nach Skizzierung der rechtlichen Grundlagen und der unterschiedlichen Stellung des Militärs im jeweiligen sozialpolitischen Gefüge standen zwei Fälle im Mittelpunkt: 1912 wurden Polizisten aus ganz Preußen ins Streikgebiet an der Ruhr geschickt. Mit Unterstützung der von den Zechenbesitzern bewaffneten Zechenschutzwehren und dem Militär führten sie im westfälischen Teil das Ende des Streiks herbei – nach acht Tagen und mehreren Toten durch Schusseinsatz von Polizisten. Dagegen dauerte der Streik in Wales 1910/11 beinahe ein Jahr an. Der britische Innenminister Winston Churchill bemühte sich zusammen mit Captain Lionel Lindsay als Verantwortlichem vor Ort um abgestimmtes Vorgehen von Polizei und Militär unter Vermeidung von Schusswaffeneinsatz. Insgesamt waren die Soldateneinsätze in den Augen der Zechenbesitzer ein Instrument zur schnellen Beendigung der Arbeitsniederlegung. Sie dauerten jeweils nur kurz und dienten zur Unterstützung der Polizei, waren aber dennoch immer wieder Grund zur Verbitterung der Bevölkerung.

Der Frage nach Austausch- und Wechselbeziehungen zwischen Militär, Staat und privaten Sicherheitsunternehmen nach den großen Wendepunkten 1918, 1945 und 1990 ging MARCUS BÖICK (Bochum) in seinem Beitrag nach. Die sich ab 1900 verbreitenden Vereinigten Wach- und Schliess-Gesellschaften sorgten nach Abschaffung des kommunalen Nachtwächtersystems bei wachsender Eigentumskriminalität für Sicherheit. Gerade nach Ende des Ersten Weltkriegs fanden hier inmitten allgemeiner Arbeitslosigkeit immer wieder einzelne ehemalige Offiziere und Soldaten ein Betätigungsfeld. Die Anerkennung der Branche nahm im NS-Regime ein vorläufiges Ende, sie überlebte aber nach erzwungener „Arisierung“ mit dem Kerngeschäft der Zwangsarbeiterbewachung. Nach 1945 blieben die Wiederzulassungen zwar schwierig, der Bedarf an kommerziellen Schutzangeboten war jedoch ungebrochen. Auch ehemalige Stasi-Mitarbeiter und NVA-Offiziere gründeten nach dem Mauerfall Wachunternehmen, so wie auch die sogenannten schwarzen Sheriffs von München als privater Sicherheitsdienst nach amerikanischem Vorbild tätig waren – und als solche stark kritisiert wurden: Der Ausverkauf des staatlichen Gewaltmonopols, die Angst vor der Amerikanisierung oder eine rechte Unterwanderung werden bis heute diskutiert. Böick resümierte, es gebe immer wieder Einzelnachweise dafür, dass der Private Security-Sektor Auffangbecken für „Gewaltexperten“ war; das Aufblühen der Branche ist allerdings ungehindert.

Bei aller chronologischer, geographischer und thematischer Verschiedenheit der Beiträge ist es gelungen, diverse Aspekte unter dem Titel der Tagung thematisch zu vereinen. Der historische Rahmen spannte sich von den Kriegen zwischen Dänemark und Schweden im 16. Jahrhundert, über den Kontrollverlust im Dreißigjährigen Krieg, bis hin zu den Militäreinsätzen bei Streiks in britischen und deutschen Industrieregionen um die Wende zum 20. Jahrhundert und den Entwicklungen im Bereich privater Sicherheitsunternehmen im zurückliegenden Jahrhundert. Dabei wurden die Wechselwirkungen von Militär und Politik in der Neuzeit eindrücklich veranschaulicht und die prägenden Einflüsse der Interaktion und Verzahnung dieses vermeintlichen innerstaatlichen Dualismus auf die Gesellschaft offengelegt.

 

Tagungsprogramm (digitale Tagung)

18. März 2021, 14:30-18:00 Uhr

Begrüßung: Martin Clauss

Einführung: Staat, Politik, Militär (Wencke Meteling, Christoph Nübel)

Sektion 1: Politik und Militär in Krieg und Nachkrieg: Fallbeispiele aus der Frühen Neuzeit (Leitung Christoph Nübel)

Cathleen Sarti, Wechselwirkungen zwischen Militär und politischer Ordnung. Dänemark-Norwegen und Schweden in den Kriegen des späten 16. Jahrhunderts
Dimitros Tim Nyenhuis, Ordnung oder Gewalt? Situativer und intentioneller Kontrollverlust von Politik und Militär im Dreißigjährigen Krieg

Sektion 2: Militär und innere Sicherheit: Organisierte Gewalt zwischen Ver- und Entstaatlichung (Leitung Wencke Meteling)

Katharina Schmitten, Soldaten als Ordnungskräfte? Militäreinsätze in britischen und deutschen Industrieregionen 1889-1912
Marcus Böick, Ein professionelles Auffangbecken für Gewalt-Experten? Über Austausch- und Wechselbeziehungen zwischen Militär, Staat und privaten Sicherheitsunternehmen nach 1918, 1945 und 1990

 

Zitierempfehlung: Christina Kecht, Marie-Kristin Reischl, Florian Wieninger, Ordnung und Gewalt. Wechselwirkungen zwischen Militär und Politik in der Neuzeit, in: Portal Militärgeschichte, 16. August 2021, URL: https://www.portal-militaergeschichte.de/Kecht_Reischl_Wieninger_Ordnung_und_Gewalt, (Bitte fügen Sie in Klammern das Datum des letzten Aufrufs dieser Seite hinzu).