Der Träger des Wilhelm-Deist-Preises für Militärgeschichte 2019 ist Emanuel V. Steinbacher. Herr Steinbacher studierte zunächst Technologie- und management-orientierte Betriebswirtschaftslehre an der Technischen Universität München, ehe er ein Bachelor-Studium der Geschichte und Archäologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München absolvierte. Ein Auslandssemester verbrachte er an der Università di Bologna und war von 2015 bis 2017 außerdem als freier Mitarbeiter in der KZ-Gedenkstätte Dachau tätig. 2017 schloss er seinen Master an der LMU München ab mit der nun preisgekrönten Arbeit „,The Irish Tommy‘: Identitäten, Loyalitäten und Nationalitäten irischer Soldaten in der britischen Armee, 1914-1918“. Seit Herbst 2017 ist er Doktorand am Lehrstuhl für Zeitgeschichte von Frau Prof. Dr. Margit Szöllösi-Janze, LMU, und arbeitet an einer Dissertation mit dem Arbeitstitel „The ,Crime of the Century‘: High Society, Medien und Familie in den USA in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts“.
Wer sich mit der britischen Armee im Ersten Weltkrieg beschäftigt hat, weiß um die vielen Falltricke bei ihrer Erforschung. Ihre Zusammensetzung war komplex, die Forschungskontroversen sind hochpolitisch und die schiere Masse an Fachliteratur und Quellen kann erdrückend wirken. Herr Steinbacher hat somit einen ambitionierten Untersuchungsgegenstand gewählt, und er beherrscht ihn meisterlich. Sein Haupttitel greift er das auf, was Roger Brubacker 1996 den „triadic nexus“ genannt hat und was im Zentrum des Erkenntnisinteresses steht: die nationalen, ethnisch-konfessionellen und imperialen Identitäten der irischen Freiwilligen.
Die Untersuchung fußt vorwiegend auf unveröffentlichten Egodokumenten (Kriegstage¬büchern, Erinnerungen und Feldpostbriefen) irischer Freiwilliger in der Britischen Armee des Ersten Weltkrieges, die Herr Steinbacher im Imperial War Museum in London gesichtet hat. Das Personensample der Studie setzt sich aus acht Offizieren, sieben Unteroffizieren sowie fünf Mannschaftssoldaten zusammen, die an der Westfront und im östlichen Mittelmeerraum im Einsatz waren. In einer sehr lesenswerten Einleitung stellt Herr Steinbacher tiefgreifende theoretisch-konzeptionelle Überlegungen zu Gruppenloyalitäten an und reflektiert die Methode, mit der er Kriegserfahrungen und kollektive Identitäten zu analysieren vermag. Nicht nur erweist sich Herr Steinbacher als Kenner der Nationalismusforschung und der Neuen Militärgeschichte, sondern er ist genauso firm in Alltags- und Mikrogeschichte.
Auf die kluge Einleitung folgt ein Kapitel zur Terminologie. Die drei Themenfelder Gruppenloyalitäten, institutionelle Loyalitäten und loyale Nationalität(en), die das Kernstück des Hauptteils ausmachen und kapitelweise strukturiert sind, bilden zugleich drei unterschiedliche Ebenen der Untersuchung. Kapitel drei arbeitet die fragilen Bezugspunkte der Gruppenloyalitäten heraus, namentlich Kameradschaft, das Verhältnis von Offizieren zu Soldaten sowie Gewalterfahrungen. In Kapitel vier geht es um dauerhafte Fixpunkte institutioneller Loyalitäten: Bataillon, Regiment, Division und Armee. Die Bedeutung von Bataillon und Regiment überwog dabei eindeutig jene von Division und Armee. Kapitel fünf zu loyaler Nationalität bzw. loyalen Nationalitäten behandelt unterschiedliche Ausprägungen ambivalenter Nationalitätenverständnisse, von Irishness über imperialen Nationalismus, der bei irischen Soldaten vergleichsweise stark ausgeprägt war, zu irischen und britischen Selbstwahrnehmungen bis zum massiven Loyalitätskonflikt des Easter Rising. Die empfundene Irishness irischer Soldaten war eng an ihren Katholizismus gekoppelt, mit dem sie sich von der protestantischen Britishness abgrenzten. Die imperiale Britishness wiederum wirkte assimilativ, weshalb wir es mit mehrschichtigen Nationalitäten irischer Soldaten zu tun haben. Die thesenstarken Befunde werden im Fazit gekonnt gebündelt.
Mit großem Feingespür für sein Quellenmaterial deckt Herr Steinbacher in seiner Arbeit die Ambivalenzen, Mehrdeutigkeiten und Vielschichtigkeit der Identitätsgefühle irischer Soldaten und Offiziere auf, die sich jeder eindimensionalen Zuschreibung entziehen. Quellennah und lebendig, zugleich analytisch rigoros vermag Herr Steinbacher zu zeigen, wie im Kriegsverlauf eine Verschiebung weg von konkreten hin zu abstrakten, institutionellen Identifikationen stattfand. Den Dubliner Osteraufstand von 1916 wertet er überzeugend als Wendemarke und Bruchstelle im Krieg. Der militärische Einsatz im Ersten Weltkrieg, so wird immer wieder deutlich, verlangte irischen Soldaten und Offizieren ein drastisches Maß an Anpassung ab.
Es freut mich außerordentlich, mit „The Irish Tommy“ eine herausragende Masterarbeit der Neueren Militärgeschichte zu prämieren, deren Lektüre ich als echte Bereicherung empfunden habe. Im Namen des gesamten AKM-Vorstandes beglückwünsche ich Herrn Steinbacher zu dieser großartigen Forschungsleistung!