Unermessliche Verluste und ihre Bewältigung - Die Bevölkerung der europäischen Großstädte und der Erste Weltkrieg

Datum: 
Dienstag, 7. Oktober 2014 bis Mittwoch, 8. Oktober 2014
Ort: 
Prag
Deadline: 
Dienstag, 15. April 2014

Nicht nur die europäische, sondern auch die außereuropäische Historiographie wird zusammen mit den Medien den hundertsten Jahrestag des Ausbruches des Ersten Weltkrieges mit einer Flut von Tagungen und Publikationen würdigen. Angesichts der immensen Bedeutung des Weltkriegs, der Europa von Grund auf veränderte, kann dieses große Interesse kaum verwundern. Große Aufmerksamkeit wird im Rahmen der Gedenkfeiern den militärischen und politischen Aspekten des Krieges zuteil werden. Allerdings sollte nicht vergessen werden, dass dieser globale Konflikt auch das Leben der europäischen Großstädte grundsätzlich veränderte, denn er wirkte sich direkt auf den Alltag ihrer Einwohnerschaft aus. Er erschütterte ihre Wirtschaft, beeinträchtigte die städtische Selbstverwaltung und veränderte in vielen Fällen auch die Rolle der Metropolen in den jeweiligen Staaten und nationalen Gesellschaften.

Die internationale Tagung widmet sich dem Thema der Auswirkung des Ersten Weltkriegs auf das Leben der mehr als 600.000 Einwohner der Metropole Prag. Die Situation in Prag soll mit europäischen Großstädten von vergleichbarer Größe oder solchen mit ähnlichen regionalen und nationalen Funktionen (Wien, Krakau, Warschau, Moskau, Berlin, Paris, Rom usw.) verglichen werden.

Die Fragen, die sich in diesem Kontext aufdrängen, sind zahlreich: Es interessiert uns vor allem, wie tief, in welcher Richtung und mit welchen Folgen der Krieg die demographischen, sozialen und kulturellen Strukturen der städtischen Bevölkerung verändert hat. Weiterhin soll gefragt werden, welche Konsequenzen die Dienstbarmachung der Städte für die Kriegsmaschinerie (Stichwort: Militärverwaltung) hatte. In diesem Rahmen ist unter anderem zu thematisieren, welche Beeinträchtigungen sich durch den Abfluss von Kapital, ob für Kriegsanleihen oder in Form direkter militärischer Konfiskationen, für den Alltag in der Stadt ergaben (etwa durch einen allgemeinen Baustopp oder fehlende Mittel für Infrastrukturmaßnahmen und andere laufenden Ausgaben) bzw. inwieweit die Großstädte andererseits vom Krieg und dem Boom der Rüstungs- bzw. Ausrüstungswirtschaft und militärischen Bauaufträgen profitieren konnten.

Da es die Möglichkeiten einer zweitägigen Konferenz übersteigt, das Thema in all seiner Komplexität zu ergründen, richten wir unsere Aufmerksamkeit auf vier thematische Frageblöcke, die einerseits die Verwaltungsmechanismen der Großstädte während des Krieges, anderseits ihre Einwohner in Betracht nehmen:

1)  Wer waren die Entscheidungsträger?  Hier interessieren uns insbesondere folgende Fragen: Inwiefern wurde die städtische Verwaltung durch die Kriegsbedingungen und die aus ihnen resultierenden spezifischen Aufgaben beeinträchtigt? Wie meisterte die kommunale Wirtschaft die Konsequenzen des Krieges? Waren die Beeinträchtigungen und Veränderungen durch den Krieg nur kurzfristig oder beeinflussten sie die kommunalen Verwaltungsmechanismen nachhaltig? Existierten Pläne oder wenigstens Vorstellungen auf Staats- oder Landesebene darüber, inwieweit die Städte (auch hinsichtlich des Humankapitals) für den Krieg "angezapft" werden konnten bzw. was ihnen wiederum für ihr Funktionieren und Überleben notwendigerweise belassen werden musste? Oder blieb es den kommunalen Gremien überlassen, ad hoc die Finanz-, Sach- und Menschenverluste irgendwie zu kompensieren und den Betrieb aufrecht zu erhalten? Waren sich die Regierungen der komplexen Bedeutung der Großstädte und ihrer Stabilität für den Kriegserfolg überhaupt bewusst?

2)  Wer ging in den Krieg?  In diesem Kontext interessiert uns vor allem, wer von der städtischen Bevölkerung in den Krieg berufen wurde (und sehr oft nicht mehr zurückkam). Welche praktischen (strukturellen) Konsequenzen hatte der Abgang einer Masse von jungen - nicht selten qualifizierten - Städtern für mehrere Jahre ins Feld? Welche Folgen zeitigte der Verlust von großen Gruppen qualifizierter Männer für die Wirtschafts- und Funktionsstruktur bzw. das Kulturleben der Städte? Welche Berufsgruppen der städtischen Bevölkerung waren am stärksten betroffen, und wer waren eigentlich jene Gefallenen oder durch den Krieg physisch wie psychisch Versehrten? Wie viele waren sie und welchen sozialen Gruppen und städtischen Milieus gehörten sie an?

3)  Welche Auswirkungen hatte der Krieg auf die akademischen und kulturellen Eliten?  Bekanntlich zog ein außerordentlich hoher Prozentsatz von Hochschulstudenten und der jungen städtischen Intelligenz allgemein - zumeist begeistert und freiwillig - ins Feld, eine Bevölkerungsschicht also, die einen großen Einfluss auf die Gestaltung des politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Lebens der Stadt hatte. Daneben handelte es sich bei ihnen um eine wirtschaftliche bedeutende Konsumgruppe. Welche Folgen hatte also die drastische zunächst temporäre, letztendlich dauerhafte Verminderung dieser Gruppe für die Großstädte? Wie reagierten die zeitgenössische Publizistik, Öffentlichkeit, intellektuelle und kulturell-künstlerische Sphäre auf die Einberufung und schließlich die massenhaften Todesnachrichten der gefallenen Akademiker?

4)  Wer blieb zurück?  Welcher Teil der qualifizierten Fachleute, Angestellten und Arbeiter blieb in den Großstädten und wer wurde ihnen zur Seite gestellt, um die Alltagsaufgaben zu meistern? Wie verlief die Ersetzung/der Austausch der Funktionseliten in den Kriegsjahren? Wer hat die Einberufenen ersetzt? Wer hielt die städtische Macht und Verantwortung in den Händen? Welche Auswirkungen hatte der Krieg auf die Beschäftigung der Frauen, und zwar sowohl im beruflich-emanzipatorischen Sinne als auch hinsichtlich ihres erzwungenen Arbeitseinsatzes bzw. für die politische Partizipation?

5)  Wie sah das Ende aus?  Welche unmittelbaren Folgen für das innere Leben der Großstädte und für das Funktionieren ihrer Verwaltung hatten die - teilweise dramatischen - Wenden in der Schussphase bzw. in den letzten Tagen des Krieges? Wie ist die Demobilisierung der städtischen Soldaten gelaufen und wie die Demilitarisierung der Großstädte? Mit welchen Folgen? Wie haben sich die Umstände in den Großstädten des Frontgebietes und des tiefen Innenlandes unterschieden in jenen Tagen?

Folgende grundlegenden Fragen durchziehen dabei alle vier thematischen Blöcke:  Weisen die Probleme und Herausforderungen, mit denen die (funktionsmäßig überregionalen) Großstädte/Metropolen zu kämpfen und die sie zu bewältigen hatten, überindividuelle Charakteristika auf? Können ähnliche Reaktionen auf diese Situationen und vergleichbare Problemlösungsstrategien identifiziert werden? Inwieweit ist ein Vergleich der Kriegssituation in den europäischen Großstädten möglich?

Wir hoffen auf ein reges Interesse der tschechischen und europäischen Fachöffentlichkeit für das Problem der Großstädte im Ersten Weltkrieg und bitten die potenziellen Referentinnen und -en, den geplanten Titel ihres Referats zusammen mit einem Abstract an Mgr. Veronika Knotková (Veronika.Knotkova@praha.eu) einzureichen.

Die Tagungsorganisatoren behalten sich vor, eine Auswahl unter den eingesandten Vorschlägen zu treffen. Die Referate werden vollständig in einem Konferenzsammelband der Documenta Pragensia veröffentlicht.

Die Unterkunft der ausländischen Referenten in Prag wird von den Organisatoren übernommen. Es wird kein Tagungsbeitrag erhoben. Offizielle Tagungssprachen sind Deutsch (bzw. Englisch) und Tschechisch mit Simultanübersetzung.

Veranstalter/Partner:

Archiv der Hauptstadt Prag; Historisches Institut der Akademie der Wissenschaften der Tschechischen Republik; Fakultät für Humanistische Studien, Karlsuniversität Prag; Wiener Stadt- und Landesarchiv; Institut für Zeitgeschichte, Universität Wien; Lehrstuhl für Neueste Geschichte, Goethe-Universität Frankfurt am Main

Veranstaltungsort: Clam-Gallas Palais, Husova 20, Prag 1, Tschechische Republik

Für die Veranstalter:

Doc. dr. Václav Ledvinka, CSc

Prof. dr. Jirí Pesek, CSc.

Prof. dr. Milan Hlavacka, CSc.

PhDr. Olga Fejtová, PhD.

Für die Partnerinstitutionen:

Univ.-Prof. Mag. DDr. Oliver Rathkolb

Prof. Dr. Christoph Cornelißen

Univ. Doz. Mag. Dr. Andreas Weigl

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Kontakt:

Mgr. Veronika Knotková

Archiv hl. mesta Prahy

Archivní 6

149 00 Praha 4

Tschechische Republik

00420236004063

Veronika.Knotkova@praha.eu

http://www.ahmp.cz/eng/index.html