Peripherie oder Kontaktzone? Die NATO-Flanken 1961 - 2013
Die Flanken der NATO bildeten während der Zeit des Kalten Krieges besonders exponierte und neuralgische Punkte. Einerseits konnte die NATO dort nur vergleichsweise begrenzte Kräfte einsetzen, andererseits gerieten die entsprechenden Regionen durch politisch-militärische Ereignisse und Konflikte immer wieder und prominent in den Fokus. Auch nach der "Wende" 1990 kehrte dort nicht automatisch Ruhe ein. Im Gegenteil - die dort teils weiterbestehenden Probleme und Gefahren rückten die Flanken -im Gegensatz zum Mittelabschnitt, der sich nach der deutschen Wiedervereinigung mehr oder weniger auflöste- weiterhin in das öffentliche Interesse.
Die Nordflanke der NATO erwies sich im Vergleich als die verhältnismäßig ruhigere Region. Jedoch betrachtet die Russische Föderation die Osterweiterung des Bündnisses in den vergangenen Jahren, die Diskussion um den NATO-Raketenabwehrschild sowie den Schutz des baltischen Luftraumes durch Luftstreitkräfte der Europäer und US-Amerikaner mit Misstrauen und teilweise offener Missbilligung. Als besonders wichtiger Punkt tritt zunehmend die Frage nach der Nutzung der Rohstoffreserven in der Arktisregion in den Vordergrund.
Die Südostflanke des Nordatlantischen Bündnisses steht derzeit im Blickpunkt der Weltöffentlichkeit. Der syrische Bürgerkrieg und die latent unruhige Lage im Nahen Osten haben die türkische Regierung kürzlich dazu bewogen, ihre Verbündeten um militärische Hilfe und Unterstützung zu bitten. Neben logistischer Hilfe leistet derzeit auch die deutsche Bundesregierung mit der Stationierung von Patriot-Flugabwehrraketensystemen ihren Beitrag zur Stabilisierung und zum Schutz des gemeinsamen Bündnisgebiets.
Die ganze Region dürfte in den kommenden Jahren und Jahrzehnten sogar noch deutlicher an Bedeutung zunehmen. Dies betrifft nicht nur die südöstlichen Grenzgebiete des Bündnisgebiets mit Blick auf den Nahen Osten, sondern auch die Mittelmeeranrainer der Allianz und damit letztlich auch die übrigen Bündnispartner. Die latent immer noch instabile innenpolitische Lage in den nordafrikanischen Staaten nach dem "Arabischen Frühling", gefolgt von Macht- und Verteilungskämpfen im zentralafrikanischen Gebiet fordern angesichts steigender Flüchtlingsbewegungen nicht nur wirtschaftliche und politische Hilfen von Seiten der europäischen Staaten, die gerade im Süden selbst eine schwere Probleme zu gewärtigen haben (EURO-Krise mit erheblichen Auswirkungen auf alle Partnerstaaten im Süden). Der Aufbau neuer Sicherheitsstrukturen in jenen Regionen stellt auch die NATO-Gemeinschaft vor neue Herausforderungen.
In der historischen und historiographischen Auseinandersetzung fanden die Flanken der NATO insbesondere auch im deutschsprachigen Raum bisher nur begrenzte Beachtung. Der Blick der Forschung richtete sich schwerpunktmäßig eher auf Mitteleuropa bzw. das transatlantische Verhältnis oder in operationsgeschichtlicher Hinsicht auf den "Mittelabschnitt" ("Central Front"), hier insbesondere die deutsch-deutsche Grenze.
Dennoch machte sich insbesondere der Südabschnitt im Laufe der Zeit deutlich bemerkbar, sei es wegen bündnisinterner griechisch-türkischer Auseinandersetzungen (Zypern, Ägäis), sei es wegen Konflikten an den südlichen und südöstlichen Außengrenzen des NATO-Bündnisgebiets (Naher Osten - Israelisch-arabische Konflikte, Irak-Irankrieg, Ölkrisen, Libyen unter dem "Terrorfürsten Ghaddafi" in den 1980ern).
Auch die Nordflanke blieb nicht immer ruhig. Hier kam es zeitweise auch zeitweise zu Zerwürfnissen zwischen einzelnen NATO-Partnern, so etwa beim Fischereikrieg 1972 - 1976 ("Cod War"), oder es erfolgten fortgesetzte Provokationen des Gegners, etwa durch sowjetische U-Boote an den Ostseeküsten oder durch Truppenbewegungen im Grenzgebiet zu Norwegen. Die skandinavischen Staaten verfolgten aus Sorge vor einer Provokation der Sowjetunion grundsätzlich einen überaus zurückhaltenden Kurs, der teilweise als 'neutralistisch' gekennzeichnet wurde. Teilweise wurden darüber hinaus eher individuelle Wege beschritten. So ist beispielsweise Norwegen zwar Mitglied der NATO, lehnte aber in Volksentscheiden 1972 und 1994 einen Betritt zur EWG bzw. EU ab.
Die Bündnisgeschichte der Flanken dient einerseits als hervorragende historische Folie zur historisch-politischen Orientierung, andererseits als Problemaufriss und Hintergrund für heutige Krisen und Konflikte.
Daher hat sich das Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften entschlossen, einen Workshop zum Thema NATO-Flanken während der Zeit des Ost-West-Konfliktes sowie seit der "Wende" 1990 zu veranstalten. Dabei spielt auch die Einsatzgeschichte, d.h. die seit den 1990er Jahren zunehmenden Einsätze des Bündnisses bzw. einzelner Bündnismitglieder, eine prominente Rolle.
Der Workshop soll inhaltlich folgendermaßen gegliedert werden (vorläufiger Ablaufplan):
- eine Sektion zu Politik und Geschichte an den NATO-Flanken
- eine Sektion zu Militärstrategie, Krisenmanagement und Einsatz (z.B. NATO-Übungen)
- eine Sektion zur Bedeutung des Persischen Golfes und Globale Aspekte in Bezug auf die NATO-Flanken
Die Tagung richtet sich an Historiker, Politikwissenschaftler und militärische Vertreter aus dem Bereich der Bundeswehr, der NATO und ihrer Partnerländer. Interessierte Laien sind ebenfalls herzlich willkommen.
Der Workshop findet am Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften, Zeppelinstr. 127/128, 14471 Potsdam statt und wird von Bernd Lemke und Stefan Brenner organisiert. Die Teilnahme ist kostenfrei, Referenten erhalten freie Unterkunft und Reisekostenerstattung. Interessenten für einen Vortrag werden gebeten, sich und ihr Thema mit cv und einem kurzen Abstract vorzustellen. Um Anmeldung mit eigener Erreichbarkeit per e-mail an Bernd Lemke (Bernd1Lemke@bundeswehr.org, 0331/9714-564) wird bis zum 31. Juli 2013 gebeten. Zweite Kontaktperson: Stefan Maximilian Brenner (StefanMaximilianBrenner@bundeswehr.org, 0331/9714-443).
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Kontakt:
Bernd Lemke
Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw)
(t) 0331/9714-564
(f) 0331/9714-507