Attraktion der Nazi-Bewegung
Vor 80 Jahren übernahmen die Nationalsozialisten die Macht in Deutschland. Ernst Bloch hatte schon 1924 gewarnt: "So ist nicht gering anzuschlagen, wie Hitler die Jugend hat. Man unterschätze nicht den Gegner, sondern stelle fest, was so vielen eine psychische Gewalt ist und sie begeistert."
Zeitgenössisch glaubten viele Demokraten, dass die nationalsozialistische Bewegung nur eine der vielen sektiererischen Gruppierungen der Weimarer Zeit bliebe, die mit ihrer Hass-Propaganda, ihrer kruden völkischen Ideologie, ihrem kreischenden Führer, ihren pseudosakralen Ritualen und ihrer Brutalität die Menschen letztlich abstoßen würde. Worin bestand indes die Anziehungskraft der Nazi-Bewegung? Was brachte die Menschen zum Besuch von Parteiveranstaltungen, zur Bekehrung zu Hitler, zur Parteimitgliedschaft oder zum SA-Beitritt, zur Beteiligung an Gemeinschaftsbeschwörungen, Hassorgien und Gewalt gegen Juden und politische Gegner?
Warum wählten die Deutschen in wachsender Zahl quer durch die unterschiedlichsten Schichten und Milieus die NSDAP, warum versprachen sich immer mehr Menschen von einem Sieg der Nazis nationale Erneuerung und Reinigung? Was machte die Attraktion für die Jugend aus, für die Frauen? Warum fand die Judenfeindschaft so großen Anklang? Wie konnte es geschehen, dass eine antidemokratische Führer-Partei als volksnaher Protest gegen die Etablierten wahrgenommen wurde?
Die Anfälligkeit für die Nazi-Ideologie muss auf dem Hintergrund der Niederlage im Ersten Weltkrieg und der Weltwirtschaftskrise Anfang der 1930er Jahre gesehen werden. Mit dem Zusammenbruch der alten Ordnung und den sozialen und ökonomischen Umstürzen gingen alle Sicherheiten verloren. Subjektiv spiegelte sich die Krise im Erleben von Ohnmacht, Wut und dem Verlangen nach einem radikalen Neuanfang.
In den aktuellen Krisenzeiten erleben wir eine anwachsende gewalttätige Neonazi-Szene und einen zunehmenden "Extremismus der Mitte". Gibt es Parallelen zu der historischen Nazi-Bewegung, die uns die Attraktion des Rechtsextremismus heute verständlicher werden lässt?
Auf der Tagung wollen wir diesen Fragen aus den unterschiedlichen Blickwinkeln der Geschichtswissenschaft, der Sozialpsychologie und der Psychoanalyse nachgehen und dabei unseren Diskussionsprozess immer wieder reflektieren.
Veranstaltungsort:
Evangelische Akademie Tutzing
Schloss-Str. 2+4
82327 Tutzing
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Programm:
Mittwoch, 13. Februar 2013
18.00 Uhr Abendessen
19.00 Uhr Begrüßung und Einführung
Dr. Gudrun Brockhaus/Dr. Ulrike Haerendel
19.30 Uhr Erlebniswelten im nationalsozialistischen Milieu - Gewalt, Ordnung, Gemeinschaft
Prof. Dr. Peter Longerich
Donnerstag, 14. Februar 2013
08.45 Uhr Andacht in der Schlosskapelle
09.00 Uhr Die Attraktion des Ersten Weltkriegs für die Nazi- Bewegung
Prof. Dr. Gerhard Hirschfeld
Wie man Helden macht. Heroische Mythenbildung nach dem Ersten Weltkrieg bis zur Machtergreifung
Dr. Sabine Behrenbeck
10.45 Uhr Kaffeepause
11.00 Uhr Populismus, Nationalsozialismus und 1933
Prof. Dr. Peter Fritzsche
12.00 Uhr Hitler - Psychodynamische Überlegungen
Dr. Falk Stakelbeck
12.45 Uhr Mittagessen
14.15 Uhr Hilfe beim Aufbau - Hilfe zum Sieg: Was zog Frauen am Nationalsozialismus an?
Dr. Franka Maubach
15.00 Uhr Große Gefühle - das nationalsozialistische Erlebnisangebot
Dr. Gudrun Brockhaus
15.45 Uhr Kaffeepause
16.15 Uhr "Machtergreifung" or "Machtergriffenheit"? The sudden enthusiasm for Hitler 1930-33
Prof. Dr. Roger Griffin
17.15 Uhr Kommentar zum Tagungsverlauf und Diskussion
PD Dr. Christian Schneider/Marina Mayer
18.00 Uhr Abendessen
19.30 Uhr Ewige Schönheit. Film und Todessehnsucht im Dritten Reich
Präsentation des Filmes von Marcel Schwierin
Freitag, 15. Februar 2013
09.00 Uhr Mit Gewalt aus der Ohnmacht. Sozialpsychologische Anmerkungen zum Rechtsradikalismus
Prof. Dr. Heiner Keupp
Rechtsextreme Biographien - Fallbeispiele aus der Arbeit im Jugendstrafvollzug
Judy Korn
10.30 Uhr Kaffeepause
10.45 Uhr Ordnung und Rebellion - Rechtsextreme Gefühls- und Lebenswelten
Jan Buschbom
11.45 Uhr Kommentare und Diskussion mit den Referentinnen und Referenten der Tagung
12.45 Uhr Ende der Tagung mit dem Mittagessen
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Kontakt:
Dr. Ulrike Haerendel
Stellv. Direktorin
Evang. Akademie Tutzing
Schloss-Str. 2+4
82327 Tutzing