Krieg und Zwangsmigrationen in Südosteuropa 1940-1950

Internationale Tagung organisiert durch das Institut für donauschwäbische Geschichte und Landeskunde (IdGL)
Datum: 
Donnerstag, 8. November 2012 bis Samstag, 10. November 2012
Ort: 
Tübingen

Im Zuge des seine Fangarme auf ganz Europa ausbreitenden nationalsozialistischen Deutschlands geriet Europa im Zweiten Weltkrieg in Bewegung. Das Hin- und Herschieben von Minderheiten und das Anpassen der Grenzen an tatsächliche oder vorgebliche ethnische Verhältnisse unter dem Vorwand, damit Minderheitenfragen "zu lösen" und so das Konfliktpotential zwischen Staaten zu verringern, wurde zur gängigen Praxis - auch in Südosteuropa.

Ungarn verschob seine Grenzen und führte auch Bevölkerungsumsiedlungen durch. Die Eroberung Jugoslawiens mit der "Neuordnung" der Grenzen auf dem Balkan, u. a. mit der Errichtung des Unabhängigen Staates Kroatien, hatte Umsiedlungen und Vertreibungen zur Folge. Dem von Deutschland und Italien abhängigen kroatischen Ustascha-Regime empfahl Hitler "50 Jahre lang eine national intolerante Politik zu verfolgen". Sie fand ihren Ausdruck in massenhaft betriebenen Ausweisungen, Vertreibungen und im Töten von Serben, Kroaten, Slowenen, Zigeunern und Juden. Nach der Eroberung Mazedoniens wies Bulgarien hunderttausende von Griechen und Serben aus. Die Annexion der südlichen Dobrudscha durch Bulgarien war auch mit einem Bevölkerungsaustausch verbunden. Als sich das amputierte Rumänien an der Seite Hitler-Deutschlands am Angriff gegen die Sowjetunion beteiligte, verband der rumänische Staatsführer Antonescu damit weit reichende Ziele: völkische Reinigung und nationale Revision.

Dem nationalsozialistischen Deutschland, das mit dem von ihm vom Zaun gebrochnen Krieg wesentliche Voraussetzungen schuf, damit solche Überlegungen Realität werden konnten, dienten Umsiedlungen und Vertreibungen als Mittel, um seine Rassen- und Expansionspolitik zu verwirklichen. Mit der von Hitler verkündeten "weitschauenden europäischen Politik" war, wie es schon im Herbst 1939 in der Sprache der SS hieß, "ethnische Flurbereinigung" gemeint. Die Umsiedlung und Ansiedlung von Volksdeutschen auch aus Südosteuropa unter der Parole "Heim ins Reich", die mit der Ausweisung und Liquidierung der eingesessenen Bevölkerung einherging, bildete nur den Auftakt groß angelegter Planungen zur "völkischen Neuordnung" auch Südosteuropas. "Umvolkung der rassisch Geeigneten, Aussiedlung von rassisch Unverdaulichen, Sonderbehandlung destruktiver Elemente, Neubesiedlung dadurch freigewordenen Raumes mit frischem deutschem Blut".

Mit der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands hörten die Bevölkerungsverschiebungen nicht auf. Im Gegenteil: Die viel beschworene Stunde Null zieht auch hier eine willkürliche Grenze, mit der Folge, dass die Zusammenhänge zwischen den Bevölkerungsbewegungen der Kriegs- und jenen der Nachkriegszeit verschleiert werden. Aus dem Verschiebebahnhof unter den Bedingungen des Krieges wurde auch Südosteuropa nach 1945 ein Verschiebebahnhof in Abwesenheit des Krieges. Der Gedanke des ethnisch entmischten, von Minderheiten befreiten Nationalstaats hatte nicht nur bezogen auf deutsche Minderheiten Konjunktur. Praktisch alle Bevölkerungsgruppen der Region wurden als "exchangeable populations" eingestuft: Ungarn aus der Tschechoslowakei, Rumänen und Jugoslawien; Italiener aus Jugoslawien; Rumänen aus Ungarn, Bulgaren aus Jugoslawien und Griechenland, Rumänen aus Bulgarien und umgekehrt; Albaner aus Jugoslawien und Griechenland. Die "nationalen Purifizierung" stand in ihrer Hochblüte.

Jüngst ist zu Recht darauf hingewiesen, dass bei der Erforschung der Zwangsmigrationen im Europa des 20. Jahrhunderts abgesehen von wenigen Ausnahmen, "die alten Blickverengungen national und identitär angelegter Geschichtsforschung und -politik im Wesentlichen " nach wie vor bestehen. Tatsächlich beschäftigen sich die meisten Arbeiten, ob zum Nationalsozialismus, zum Zweiten Weltkrieg oder zu seinen Folgen, mit einzelnen ethnischen Säuberungen bzw. Opfergruppen. Diese Blickverengung ist, so paradox es auch erscheinen mag, auch eine Folge der Pluralisierung der Opferdiskurse seit den 1990er Jahren. Damit sind einzelne Opfergruppen und nationale Diskurse wieder viel stärker in den Mittelpunkt gerückt. Die Folge: Vergleichende und kontextualisierende Betrachtungen von Bevölkerungsverschiebungen im Zweiten Weltkrieg und der unmittelbaren Nachkriegszeit bilden immer noch die Ausnahme.

Diese Feststellung gilt für Europa insgesamt, aber in noch viel höherem Maß für Südosteuropa. Verglichen mit Osteuropa besteht ein unübersehbares Forschungsdefizit. Daran hat auch die überschaubare Zahl neuer Studien der letzten Jahre nichts geändert. Es kann daher von einer Marginalisierung der Forschung zu den Zwangsmigrationen in Südosteuropa während und in der unmittelbaren Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg gesprochen werden. Hinzu kommt, dass die Forschung in hohem Maß nationalstaatlichen Paradigmen verpflichtet ist. Diese Entwicklung hat sich nach dem Zerfall Jugoslawiens und den damit einhergehenden Entstehung neuer Staaten noch verstärkt. Eine nationalstaatliche Fragmentierung der einschlägigen Forschung ist die Folge. Schließlich ist die Forschung auf einzelne Opfergruppen fokussiert und damit in hohem Maß segmentiert. Dabei spielen auch die Interessenvertreter der einzelnen Opfergruppen eine nicht zu unterschätzende Rolle.

Die skizzierten Charakteristika der Forschung zu den Zwangsmigrationen in Südosteuropa im Jahrzehnt nach dem Beginn des Zweiten Weltkriegs - Marginalisierung, Fragmentierung, Segmentierung - bilden den Ausgangspunkt für die Tagung. Ohne langfristig wirksame Faktoren auszublenden, ist die Tagung, die den Schwerpunkt auf den Zusammenhang von Krieg und Zwangsmigrationen legt, auf das Zeitfenster zwischen 1940 und 1950 fokussiert. In fünf Panels zielt die international besetzte Tagung darauf, den Stellenwert des Krieges als wesentliche Voraussetzung, als Motor und Kontext für Zwangsmigrationen herauszuarbeiten; an Beispielen das breite Spektrum an ethnischen Säuberungen in Südosteuropa zu verdeutlichen; die Verflechtungen aufzuzeigen, die zwischen den einzelnen Zwangsmigrationen bestehen; die Planung und Praxis der Zwangsmigrationen in den einzelnen Staaten zu vergleichen und die ethnischen Säuberungen vom Genozid abzugrenzen.

Tagungsort: Eberhard Karls Universität Tübingen, Neue Aula

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Programm:

Donnerstag, 8.11.2012

Eröffnung der Tagung (18:30-20:00)

Reinhard JOHLER (Tübingen): Begrüßung

Stefan TROEBST (Leipzig): Staatliche Ethnopurifizierungpolitik. Bulgarien als europaradigmatischer Fall von Fluchtverursachung, Bevölkerungsaustausch, Vertreibung und Zwangsassimilierung (1878-1989)

Freitag, 9.11.2012

Einführung: Mathias BEER (Tübingen)

Panel I: NS Umsiedlungs- und Vernichtungspolitik (8:30-12:00)

Moderation und Kommentar Wolfgang HOEPKEN (Leipzig)

Isabel HEINEMANN (Münster): "Rassische Bestandsaufnahme, Umsiedlung, Eindeutschung". Grundlinien der NS-Germanisierungspolitik für Südosteuropa

Walter MANOSCHEK (Wien): Extermination statt Zwangsmigration. Das Schicksal der serbischen Juden 1941/42

Diskussion

Pause (10:00-10:30)

Michael WEDEKIND (Wien): NS-Umsiedlungspläne in der Untersteiermark und in der Oberkrain

Carl BETHKE (Tübingen): Heim-ins-Reich: Umsiedlung, Evakuierung, Aussiedlung

Panel II: Ethnische Säuberungen unter nationaler Flagge: Pläne, Praxis, Verflechtungen (12:00-16:30)

Moderation und Kommentar Reinhard JOHLER (Tübingen)

Danijela STJEPIC (Tübingen): Zwangskonversionen im Unabhängigen Staat Kroatien 1941-42. Politische Interessen und multiethnische Dynamiken

Vladimir SOLONARI (Orlando): Dangerous Triangle: Experts, Military, and Bureaucrats in the Politics of Ethnic Cleansing in World War II Romania

Mittagspause (13:30-15:00)

Marianna HAUSLEITNER (Berlin): Deportationen in Rumänien 1941-1943. Forschungsstand und vergleichende Ansätze

Michael PORTMANN (Wien): Flucht, Internierung und Neubesiedlung. Migrationspolitik in der Vojvodina 1944-1948

Pause (16:30-17:00)

Panel III: Die gereinigte Nation als Friedensstifter? Alliierte Nachkriegsplanungen (17:00-18:30)

Moderation und Kommentar Klaus GESTWA (Tübingen)

Mathias BEER (Tübingen): Alliierte Umsiedlungspläne für Südosteuropa während des Zweiten Weltkriegs

Josef WOLF (Tübingen): Ethnisch begründete Reparationspolitik: Deportationen in die Sowjetunion

Samstag, 10.11.2012

Panel IV: Nationale Purifizierung am Ende des Zweiten Weltkriegs (9:30-11:00)

Moderation und Kommentar Stefan DYROFF (Bern)

Zoran JANJETOVIC (Belgrad): Feinde der Nation. Ausweisungen aus Serbien am Ende des Zweiten Weltkriegs

Ágnes TÓTH (Budapest): Zwangsmigration und Machtumstrukturierung in Ungarn 1944-1948

Pause

Panel V: Gemeinsamkeiten und Unterschiede: Ein diachroner Vergleich (11:30-13:30)

Moderation und Kommentar Mathias BEER (Tübingen)

Marie-Janine CALIC (München): Vermeintliche Parallelen. Zwangsmigrationen in Südosteuropa im Zweiten. Weltkrieg und die ethnischen Säuberungen in den 1990er Jahren auf dem Balkan

Zusammenfassung und Schlussdiskussion (12:45-13:30)

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Organisation und Anmeldung:

Dr. Mathias Beer

Institut für donauschwäbische Geschichte und Landeskunde

Mohlstraße 18

72074 Tübingen

Tel. 07071-9992-500,

Fax 07071-9992-502,

E-Mail poststelle@idgl.bwl.de