Nerven und Krieg - Psychische Mobilisierungs- und Leidenserfahrungen in Deutschland, 1900-1933
Das Thema Nerven hatte in den deutschen Kriegsdebatten seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts einen zentralen Stellenwert.
In Politik, Öffentlichkeit, Militär oder Wissenschaft wurde die Frage diskutiert, welche Belastungen ein zukünftiger Krieg den Nerven der deutschen Bevölkerung abverlangen würde. Im Ersten Weltkrieg wurden Nervenstärke und Nervenschwäche schließlich zu häufig benutzten Kampfbegriffen. Hinzu kam die massenhafte Erfahrung von psychischen Versehrungen und Leiden. Und auch nach dem Kriegsende blieb die sozialpolitische Verwaltung und medizinische Behandlung der psychischen Kriegsbeschädigungen ein brisantes Thema. Gleichzeitig erfolgte eine erneute geistige Kriegsmobilisierung in der Weimarer Republik, die im Nationalsozialismus durch die "Gleichschaltung" des Staates zunehmend alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens in diese Entwicklung einbezog.
Nachdem sich die Forschung der Behandlung und Versorgung von psychischen Kriegsversehrten in den letzten Jahren angenommen hat, stellt diese Tagung zeitgenössische Nervendiskurse in Militär, Politik, Wissenschaft und Gesellschaft in den Mittelpunkt und möchte deren Wechselwirkungen als auch deren praktische Konsequenzen für die Zeit von 1900 bis 1933 untersuchen. Die Tagung geht davon aus, dass Nerven als Chiffre und Konstrukt zu verstehen sind, mit denen Identitäten verhandelt wurden. Entsprechend thematisiert die Tagung sowohl die zeitgenössischen Nervendiskurse in Wissenschaft, Militär, Politik und Öffentlichkeit wie auch individuelle und kollektive psychische Mobilisierungs- und Leidenserfahrungen. Der räumliche Schwerpunkt liegt dabei auf Deutschland, das im europäischen Kontext analysiert wird.
Anmeldungen bitte an Deniza Petrova (dpetrova@zedat.fu-berlin.de)
Tagungsort: Freie Universität Berlin, "Holzlaube" (Raum: 2.2059), Fabeckstraße 23-25, 14195 Berlin
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Programm:
Donnerstag, 12. Oktober 2017
12.30 Einführung
Gundula Gahlen (Freie Universität Berlin): Nerven und Krieg. Psychische Mobilisierungs- und Leidenserfahrungen in Deutschland 1900-1933
Bernd Ulrich (Berlin) - Keynote: Krieg der Nerven - Krieg des Willens
13.45 Pause
14.15 Panel 1 - Medizinische Diskurse zu Nerven und Krieg
Panelleitung: Birgit Aschmann (Humboldt-Universität zu Berlin)
Susanne Ude-Koeller (Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg): Gustav Spechts "Krieg und Geistesstörung" 1913
David Freis (Universität Münster): Psyche, Krieg und Kollektiv. Von der Massensuggestion zur Völkerpsychopathologie 1900-1933
Thomas Beddies (Institut für Geschichte der Medizin und der Ethik in der Medizin der Charité, Berlin): Die Revolution als "psychopathologische Fundgrube". Nerven und Nervenheilkunde nach dem Ersten Weltkrieg
15.45 Pause
16.15 Panel 2 - Die Nerven in der militärischen Führung
Panelleitung: Oliver Janz (Freie Universität Berlin)
Annika Mombauer (Open University London): Die Nerven Helmuth von Moltkes
Gundula Gahlen (Freie Universität Berlin): Die Nerven der Offiziere als militärisches Problem. Militärische Diskurse und Handlungsstrategien 1914-1918
Mark Jones (University College Dublin): Nerves and the Officers' Plot during the German Revolution of 1918-1919. The Case from Western Germany
17.45 Pause
18.15 Öffentlicher Abendvortrag
Moderation: Christoph Nübel (ZMSBw, Potsdam)
Joachim Radkau (Universität Bielefeld): Die Wende zur 'Willenskultur' in der Nerventherapie und das nervöse Doppelgesicht des Krieges
19.45 Ende Tag 1
Freitag, 13. Oktober 2017
09.00 Panel 3 - Die Nerven der Soldaten
Panelleitung: Bernd Ulrich (Berlin)
Philipp Rauh (Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg): Die militärpsychiatrischen Therapiemethoden im Ersten Weltkrieg. Diskurs und Praxis
Rebecca Ayako Bennette (Middlebury College, USA): Diagnosing Dissent. The Medicalization of Conscientious Objection in World War One Germany
Christoph Nübel (ZMSBw Potsdam): Raumpsychologie und soldatische Kriegserfahrung im Ersten Weltkrieg
10.30 Pause
11.00 Panel 4 - Die Nerven an der Heimatfront
Panelleitung: Jason Crouthamel (Grand Valley State University Michigan, USA)
Silke Fehlemann (Universität Düsseldorf): Die Nerven der Daheimgebliebenen 1914-1918
Sebastian F. Bondzio (Universität Osnabrück): Massentrauer. Das Sterben von Soldaten im Krieg, Verlusterfahrungen und seine gesellschaftlichen Nachwirkungen
12.00 Pause
13.30 Panel 5 - Nervendiskurse, Mobilisierungspraktiken und politische Lernprozesse der politischen Rechten nach dem Ersten Weltkrieg
Panelleitung: Björn Hofmeister (Freie Universität Berlin)
Dennis Werberg (ZMSBw Potsdam): Die Nerven der Stahlhelm-Männer. Weltkriegserinnerung und Selbstverständnis des Stahlhelm-Bundes der Frontsoldaten
Daniela Gasteiger (LMU München): Nerven und Herz. Diskurse um politische Herrschaft und politisches Handeln auf der politischen Rechten zwischen den Weltkriegen
Nils Löffelbein (Universität Frankfurt a.M.): "Rentenjäger - Simulanten" - Kriegstraumata und psychische Versehrtheit in Ideologie und Propaganda des Nationalsozialismus
15.00 Pause
15.30 Panel 6 - Die Bedeutung von "Nerven" in Sinnstiftungsnarrativen und medialen Deutungsmustern
Panelleitung: Uwe Puschner (Freie Universität Berlin)
Jason Crouthamel (Grand Valley State University Michigan, USA): Contested Memories and Traumatic Neurosis in Weimar and Nazi Germany
Olga Lantukhova (LMU München): Kriegsbegeisterung als Normalität und Pazifismus als Nervenschwäche. Auseinandersetzungen mit psychischen Auswirkungen des Krieges in den literarischen Darstellungen des Ersten Weltkriegs
Julia Barbara Köhne (Humboldt-Universität zu Berlin): Spiegelungen interdisziplinären Diskurswissens in Robert Reinerts Nerven (1919)
17.00 Abschlussdiskussion
Björn Hofmeister (Freie Universität Berlin): Nerven und Krieg - Methodische Überlegungen und Schlusskommentar
18.00 Ende der Tagung
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Kontakt:
Deniza Petrova
Freie Universität Berlin