Leerstelle(n)? - Der deutsche Vernichtungskrieg 1941-1944 und die Vergegenwärtigungen des Geschehens nach 1989

Datum: 
Samstag, 23. September 2017 bis Sonntag, 24. September 2017
Ort: 
Minsk
Deadline: 
Samstag, 1. April 2017

Der deutsche Vernichtungskrieg in der Sowjetunion (1941-1944), der insbesondere in Russland und Weißrussland als "Großer Vaterländischer Krieg" erinnert wird, spielt in der öffentlichen Wahrnehmung und Erinnerung in Deutschland lediglich eine marginale Rolle. Zwar gab und gibt es im öffentlichen Raum in Deutschland und in der Wissenschaft Formen der Repräsentation, aber es bestand und besteht eine Diskrepanz zwischen dem Wissen, das von verschiedenen gedächtnispolitischen Akteuren in den letzten Jahren erarbeitet und zur Verfügung gestellt wurde, und der Aneignung sowie den Rezeptionsweisen in einem öffentlichen Diskurs.

So wird unter anderem nicht aller Opfergruppen des deutschen Vernichtungskriegs gemeinsam gedacht. Vielmehr gibt es lediglich eine punktuelle Erinnerung an einzelne Opfergruppen, die sich vor allem an Jahrestagen orientiert. Dies war anlässlich des Jahrestags des Überfalls der deutschen Wehrmacht auf die Sowjetunion am 22. Juni 2016 und im Rahmen der Gedenkfeierlichkeiten zum 75. Jahrestag der Erschießung von 33.771  Jüdinnen und Juden durch Wehrmacht und SS in Babi Jar am 29. und 30. September 2016 zu beobachten. Damit wird das Geschehen fragmentiert und aus dem Kontext der deutschen Besatzungspolitik herausgelöst. Zu den blinden Flecken im öffentlichen Bewusstsein gehören unter anderem: die Politik der "verbrannten Erde", also die systematische Vernichtung von Dörfern und ihrer Einwohner durch die deutschen Besatzerinnen und Besatzer, das Ausmaß und die Zahl der Massenerschießungen an den Jüdinnen und Juden auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion, der jüdische Widerstand gegen die deutsche "Endlösung", insbesondere in den Wäldern von Weißrussland, der Widerstand der Partisaninnen und Partisanen oder die Dimension der ermordeten sowjetischen Kriegsgefangenen. Daneben erweist sich die deutschsprachige Historiographie oftmals als unterkomplex, da sie den Holocaust in erster Linie aus der Perspektive des deutschen nationalen und staatlichen Rahmens untersucht, während sie sowohl die betroffenen osteuropäischen Mehrheitsgesellschaften (damals und heute) als auch die Transformation der Orte (damals und heute) vernachlässigt - trotz eines spatial turn in den Holocaust Studies.

Das Erkenntnisinteresse des geplanten Workshops richtet sich explizit auf die Beschaffenheit und Erforschung der "Landschaften des Todes" - sowohl im wörtlichen Sinne, auf die konkreten Orte und die materiellen Spuren, als auch im metaphorischen Sinne. Welchen Stellenwert haben die Taten und die Täterschaft sowie die konkreten materiellen Orte, an denen die Verbrechen verübt wurden, in der gesellschaftlichen, wissenschaftlichen und künstlerischen Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus in Deutschland? Wie sehen die Orte heute aus, und wie lässt sich die Gestaltung oder Umgestaltung von Denkmalszeichen oder Gedenkanalagen charakterisieren? Wie wird über sie gesprochen und geschrieben oder nicht gesprochen und geschrieben? Welche Akteure nutzen sie für welche Zwecke? Welche Funktion erfüllt das "leere Sprechen" von Politikerinnen und Politikern und gedächtnispolitischen Akteuren an den Orten selbst und im gesellschaftlichen Diskurs? Welche Denkmalssetzungen, Gedenkstätten und andere ästhetische Repräsentationen auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion haben Eingang gefunden in den öffentlichen und wissenschaftlichen Diskurs, welche sind weniger bekannt oder gänzlich unbekannt und warum? Denkmalssetzungen können, so scheint es, zugleich als Modi der Erinnerung und des Vergessens funktionieren.

Der Workshop verfolgt das Ziel, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus verschiedenen Disziplinen zu einem Gedankenaustausch über die oben aufgeführten Fragen zusammenzubringen. Es bietet die Möglichkeit, sich auf verschiedenen Ebenen und mit Hilfe unterschiedlicher Zugänge dem Thema anzunähern: in (kunst-)historischen, diskursanalytischen, literatur- oder kulturwissenschaftlichen, philosophischen oder historiographischen Studien.

Die Organisatoren bitten um die Zusendung eines abstracts (max. eine Seite) sowie Angaben zur Biographie (max. 1.500 Zeichen, nicht mehr als drei Publikationen) an: workshopminsk@dhi.waw.pl.

Die Beiträge sollen eine Länge von 20 Minuten nicht überschreiten. Anschließend sind jeweils 25 Minuten zur Diskussion angedacht.

Konferenzsprachen sind Deutsch und Russisch (Simultanübersetzung).

Kosten für die An- und Abreise sowie für die Unterkunft werden vom DHI Warschau übernommen.

Es wird angestrebt, die Tagungsbeiträge zu veröffentlichen.

Veranstaltungsort:  Geschichtswerkstatt Minsk, Suhaja 25, 220004 Minsk, Weißrussland

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Kontakt:

Dr. Katrin Stoll

DHI Warschau

stoll@dhi.waw.pl