Geheimdienste - Netzwerke, Seilschaften und Patronage in nachrichtendienstlichen Institutionen

Datum: 
Donnerstag, 4. September 2014 bis Samstag, 6. September 2014
Ort: 
Erfurt
Deadline: 
Dienstag, 12. August 2014

Geheimdienste gehören in Deutschland noch kaum zu den Gegenständen seriöser historischer Forschung. Das hat erstens damit zu tun, dass solche Dienste, unabhängig davon, ob sie im In- oder Ausland tätig sind, noch nicht lang existieren. Geheimdiensteals behördlich ausgebildete, dauerhaft auch in Friedenszeiten bestehende und spezialisierte Machtapparate sind ein Produkt des 20. Jahrhunderts. Sie haben sich in den meisten Staaten erst im zweiten Weltkrieg und im Kalten Krieg voll herausgebildet. Ein zweiter Grund ist im beschränkten Aktenzugang zu sehen, der sich erst Ende des 20. Jahrhundert zu verbessern begann. Drittens schließlich hat die Aura des Geheimnisses, mit dem sich die Dienste umgaben, im öffentlichen Raum einen Nebelschleier aus Legenden, Mythen und Verschwörungstheorien produziert, den in distanzierter und kritischer Annäherung zu durchdringen bisher wenig erfolgversprechend schien.

Jedoch hat sich durch die Diskussion über die personellen Kontinuitäten verschiedener Dienste zum Nationalsozialismus – nicht nur in Deutschland – und die öffentliche Debatte über den Grad der Überwachung die Situation geändert. Die Öffentlichkeit zeigt größeres Interesse an sachgerechten Informationen und eine international veränderte Gesetzgebung führt langsam zu einem verbesserten Aktenzugang. Zudem sind nach dem Zusammenbruch des Ostblocks in den daraus entstandenen demokratischen Staatswesen die Akten der kommunistischen Geheimdienste zugänglich geworden sind. Deshalb hat sich in verschiedenen Disziplinen eine seriöse Forschung zur Struktur und Arbeitsweise von Geheimdiensten etablieren können.

Das entstehende Forschungsfeld ist jedoch bisher kaum in Umrissen erkennbar. Die zunächst festzustellende Konzentration auf Struktur- und Politikgeschichte scheint langsam zugunsten einer Erweiterung der Fragestellungen aufgegeben zu werden. Bestehende Desiderate sind unter anderem theoretische Überlegungen zur Situierung der Dienste in Staat und Gesellschaft, etwa im Umfeld der Geschichte der internationalen Beziehungen, der Militärgeschichte, der Geschichte der Demokratisierung Europas und der Entwicklung von Staatlichkeit. Außerdem sind die Aufnahme von Modellen der Diskursanalyse und die Integration von Fragen nach Geschlechterrollen, Habitus, Ritualen oder Performanz wünschenswert. Darüber hinaus fehlen methodische Überlegungen zum Aussagewert der speziellen Quellenüberlieferung von Geheimdiensten und zur Möglichkeit ihrer Kontextualisierung durch andere Quellen.

Innerhalb dieses unübersichtlichen Forschungsfeldes wendet sich der Workshop der Frage nach der Rolle von Netzwerken, Seilschaften und Patronage in Geheimdiensten zu. Willkommen sind Beiträge, die Fragen nach den Entstehungsbedingungen, den Handlungsmustern und den Konsequenzen von Netzwerkbildung in Geheimdiensten stellen:

1.  Wie und warum entstehen Netzwerke und was hält sie zusammen? Kollektive Machtstrategien, Ideologie und Feindbilder, Opportunismus und gegenseitige Abhängigkeit und männerbündlerische Vorstellungen einer Kampfgemeinschaft wären hierbei zu beschreiben.

2.  Welcher Mittel bedienen sich Angehörige eines Netzwerkes, um ihren kollektiven Aufstieg in der Hierarchie zu bewerkstelligen? Können sie Einfluss auf die Personalpolitik gewinnen? Bestehen Unterschiede zu anderen staatlichen Organisationen und worin liegen diese?

3.  Welchen Einfluss haben Netzwerke und Seilschaften auf Entscheidungsprozesse und welche Konsequenzen zeitigt das? Können sie Entscheidungskompetenzen innerhalb eines Dienstes bündeln und dadurch seine politische Ausrichtung beeinflussen?

4.  Setzen sich solche Netze bis in die Ebene der V-Leute und Informanten fort und welche Konsequenzen hat das für die Qualität der beschafften Informationen?Kann man damit Einfluss auf die politische Tendenz der Informationen gewinnen, die nach außen weitergegeben werden? Gibt es Strategien, solche Effekte durch kluges Informationsmanagement auszugleichen?

5.  Können Netzwerke durch gezielte Akkumulation und Weitergabe von Informationen die politische Tendenz von Entscheidungsträgern außerhalb des Dienstes beeinflussen? Welche Konsequenzen hat es darüber hinaus, wenn Vernetzungen sich aus einem Dienst nach außen fortsetzen, z.B. in Behörden oder politische Parteien, die sie an ihrem Wissen partizipieren lassen? Welche Gegenleistungen werden erwartet und gegeben?

6.  Stützen solche Netzwerke die Funktionalität eines Dienstes oder wirken sie eher dysfunktional? Gehören sie vielleicht gar zur den Charakteristiken eines Geheimdienstes?

Diese Fragen zielen darauf ab, genauer zu bestimmen, welche Dimensionen Netzwerkbildung innerhalb von Geheimdiensten annehmen kann. Eine Verbindung mit den angesprochenen theoretischen und methodischen Problemen der Geheimdienstforschung ist wünschenswert, aber auch empirische Studien sind willkommen.

Der Workshop ist interdisziplinär und international angelegt und wendet sich an alle Forschenden, die an Themen aus dem weiteren Feld der Geheimdienste arbeiten. Er richtet sich besonders an junge Wissenschaftler.

Die Tagungssprachen sind Deutsch, Englisch und Französisch.

Über das Tagungsthema hinaus soll der Workshop den wissenschaftlichen Austausch in einem Forschungsfeld, das kaum erschlossen ist, befördern und Ansätze für dauerhafte Diskussionszusammenhang schaffen.

Die Organisatoren können im Moment keine Zusicherung für die Übernahme der Reise- und Übernachtungskosten für die Referenten machen; es wird sich aber um eine Finanzierung bemüht.

Kurze Proposals werden erbeten an: Eva Jobs (eva2n@hotmail.com) u.  Dr. Gerhard Sälter (G.Saelter@t-online.de)

Veranstaltungsort: Kleine Synagoge Erfurt, An der Stadtmünze 4, 99084 Erfurt

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Kontakt:

Eva Jobs

Philipps-Universität Marburg

eva2n@hotmail.com

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Dr. Gerhard Sälter

Unabhängige Historikerkommission zur Geschichte des BND

Philipps-Universität Marburg

G.Saelter@t-online.de