Teil IV der Interviewreihe: 25 Jahre Arbeitskreis Militärgeschichte e.V. (1995-2020)
Daniel R. Bonenkamp/Takuma Melber
Interview
Veröffentlicht am: 
30. November 2020

Lieber Herr Dr. Pöhlmann, Sie gehören der „ersten Generation“ von AKM-Mitgliedern an und haben durch Ihr Engagement die Geschichte des Arbeitskreises entscheidend mitgeprägt: So haben Sie unter anderem nicht nur Jahrestagungen oder Exkursionen organisiert, sondern Sie waren beziehungsweise sind auch im Vorstand sowie zunächst in der Redaktion des gedruckten Newsletters, dann des Portal Militärgeschichte tätig. Bitte skizzieren Sie uns doch „25 Jahre AKM“ in groben Zügen: Was waren aus Ihrer Sicht die großen Meilensteine in der Entwicklung des AKM?

Pöhlmann: Ich kann eigentlich keine an die Personen gebundenen Zäsuren erkennen. Da gab es sehr viel konzeptionelle und menschliche Kontinuität. Ist das wissenschaftlich immer ein Vorteil? Ich weiß es nicht. Auf jeden Fall sind dem AKM bis heute Fronden und Flügelkämpfe erspart geblieben.

Als eine strategische Weichenstellung sehe ich die langjährige Zusammenarbeit mit dem Hamburger Institut für Sozialforschung (HIS). Da habe ich absolute Freiheit von den Niederungen universitärer Drittmittelwirtschaft beobachten können. Wenn da eine gute Idee war, dann hat das HIS das einfach möglich gemacht – das waren partners in crime im besten Sinne.

Die zweite strategische Weichenstellung war die Zusammenarbeit mit dem Verlag Ferdinand Schöningh, die maßgeblich vom damaligen Lektor Michael Werner vorangetrieben worden ist. Seit einigen Jahren hat die in Zusammenarbeit mit dem AKM entwickelte Reihe „Krieg in der Geschichte“1 Konkurrenz durch Reihen in anderen Verlagen bekommen. Ich hoffe, die belebt das Geschäft und führt nicht zur publizistischen Kannibalisierung.

 

Wie kamen Sie eigentlich zum AKM und was waren Ihre ersten Gedanken als Sie Mitte der 1990er Jahre vom Arbeitskreis Militärgeschichte erfuhren?

Pöhlmann: Das war zwingend, weil ich 1997 bis 1999 an der Universität Bern am Lehrstuhl von Stig Förster arbeitete. Der AKM war sein Projekt und das hieß, dass alle seine Leute da mit Feuer und Flamme dabei waren. Das muss man sich übrigens auf der Zunge zergehen lassen, dass Bern einmal ein Leuchtturm der deutschsprachigen Militärgeschichtsschreibung gewesen ist.

 

Schon lange engagieren Sie sich sehr aktiv im Arbeitskreis Militärgeschichte. Was sind Ihre persönlichen Gründe dafür?

Pöhlmann: Ich glaube, dass man in einer Subdisziplin wie der Militärgeschichte akademisch nur überleben kann, wenn man sich vertikal aber auch horizontal vernetzt. Das hat damit zu tun, dass die einschlägig interessierten Kolleginnen und Kollegen oft räumlich verstreut arbeiten. Fachspezifische Kolloquien, wie sie an angelsächsischen Universitäten üblich sind, gab es in meiner Studienzeit praktisch nicht; ganz zu schweigen von Lehrstühlen für Militärgeschichte. Drittmittelprojekte waren in dem Bereich auch eine Seltenheit. Der Tübinger Sonderforschungsbereich 437 „Kriegserfahrungen“ (1999-2008) war da übrigens wissenschaftspolitisch ein wichtiger Katalysator und das war auch eine Agora für den Nachwuchs. Internet ebenfalls Fehlanzeige, bis dann Foren wie H-War aufkamen. Insgesamt blieb es aber lange schwierig, vor Ort wissenschaftliche Gleichgesinnte zu finden. Diese kommunikative Fehlstelle hat der AKM besetzt.

 

Erinnern Sie sich an eine AKM-Veranstaltung oder einen „AKM-Moment“ im Speziellen besonders gerne zurück?

Pöhlmann: Schwierig, denn die Leitveranstaltungen des AKM, die wissenschaftlichen Jahrestagungen, zeichnen sich ja gerade durch ihre Diversität im Thema, im Zugriff und damit bei den Beteiligten aus. Eine der interessantesten Veranstaltungen war sicher die Jahrestagung 1998 in Bochum unter dem programmatischen Titel „Was ist Militärgeschichte?“. Da war Aufbruchstimmung spürbar, da waren vor allem Referentinnen und Referenten, die Marken gesetzt haben.

Der „AKM-Moment“ ist eher informeller Natur und hat sich immer wieder im Anschluss an den offiziellen Teil eingestellt; vielleicht an irgendeiner Hotelbar in den 2000er-Jahren mit Persönlichkeiten wie Dennis Showalter, Roger Chickering oder Sir Hew Strachan. Das waren Leute, deren Bücher man verschlungen hatte. Sie zeigten in dieser Situation ein ehrliches Interesse an den Forschungen junger Doktoranden, das war schon bemerkenswert. Dass alle drei genannten Wissenschaftler aus der angelsächsischen Forschungslandschaft stammen, ist vielleicht symptomatisch. Ich wüsste jetzt auf Anhieb keinen deutschen Ordinarius, der zu dieser Zeit ein vergleichbares Interesse am Nachwuchs aufgebracht hätte.

 

Eine der wichtigen Entwicklungsschritte des AKM war die Abkehr vom traditionellen Newsletter hin zum Portal Militärgeschichte. Sie haben diesen Schritt mitinitiiert und federführend begleitet. Wie und warum kam es eigentlich dazu?

Pöhlmann: Der ursprüngliche Newsletter des Arbeitskreises war ein verdienstvolles Freiburger Produkt, initiiert und organisiert von Gerd Krumeich und seinen Leuten – Stuhlkreis im Kollegiengebäude, Prittkleber und Tannenzäpfle. Am Schluss hat jemand die Broschüren eingetütet und auf die Post gebracht. Aus heutiger Perspektive war das natürlich mediale Steinzeit. Es war auch keine einvernehmliche Zeit, denn sobald Kommunikation über Distanz notwendig wurde, begannen die Probleme. Das lief damals alles über Mail und Festnetz und es knirschte mitunter. Da wurde auch um den Bart des Propheten gestritten. Aber wenn man sich anschaut, wer aus der damaligen Redaktion heute noch in der Wissenschaft unterwegs ist – Gundula Bavendamm, Susanne Brandt, Stefan Kaufmann oder Jürgen Zimmerer – dann ist das eigentlich ein schöner Beweis für den damaligen Geist und die Bandbreite. Die Entscheidung zur Umstellung auf ein Internetportal war übrigens zum guten Teil pragmatisch, also budgetär begründet. Papier war einfach viel teurer.

 

Welche Bedeutung messen sie dem Schritt hin zu einem Onlineportal heute bei? Und welche Hürden waren und sind weiterhin bei der Entwicklung des Portal Militärgeschichte zu nehmen?

Pöhlmann: Die Umstellung auf das digitale Medium wurde genau zum richtigen Zeitpunkt vollzogen und hat dem AKM eine neue, breitere Öffentlichkeit erschlossen. Online heißt heute ständige Weiterentwicklung und da sind wir als Historikerinnen und Historiker ja eher Trendhechler. Wir bemühen uns. Es ist ein ständiges Bemühen um redaktionelle Inhalte und um nachhaltige redaktionelle Beteiligung. Alle arbeiten da ja pour le roi de Prusse. Was das Portal aber wirklich einzigartig macht, das ist das niedrigschwellige Angebot für den akademischen Nachwuchs und die Offenheit für die tagesaktuelle Intervention. Das kann keine wissenschaftliche Fachzeitschrift leisten. Über die tatsächliche Sichtbarkeit bin ich mir aber nicht sicher. Ich glaube, unsere Qualität ist größer als unsere Reichweite.

 

Sie sind im Forschungsbereich „Deutsche Militärgeschichte bis 1945“ des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw) tätig, das eng mit dem AKM zusammenarbeitet. Wie sah und sieht die Kooperation zwischen dem ZMSBw und der Vorgängerinstitution MGFA2 konkret aus? Gibt es viele und große Schnittmengen?

Pöhlmann: Die Verbindung zwischen dem Arbeitskreis und dem MGFA/ZMSBw war stets gut und wird täglich besser. Die Erzählung, dass die Gründung des AKM im damaligen MGFA zu Unruhe geführt habe, weil man einen disziplinären Alleinvertretungsanspruch gefährdet gesehen habe, halte ich für eine Legende. Tatsächlich hat jeder ernstzunehmende Wissenschaftler im MGFA (Wissenschaftlerinnen gab es damals dort keine) erkannt, welche Tür sich damit öffnete. Und auf der anderen Seite konnte der AKM immer von der Fachkompetenz und den Ressourcen des MGFA/ZMSBw profitieren. Eine derartig enge und wissenschaftlich ertragreiche Verbindung zwischen staatlicher Ressortforschung und universitärer Wissenschaft werden sie in dem Bereich weltweit nirgends finden.

 

Wodurch zeichnet sich der AKM besonders aus? Gibt es so etwas wie Alleinstellungsmerkmale oder Errungenschaften des AKM, auf welche der Arbeitskreis in gewisser Hinsicht auch stolz sein darf?

Pöhlmann: Der AKM hat immer versucht, Fragestellungen epochenübergreifend anzupacken – von Platon bis NATO. Das birgt manchmal die Gefahr, dass man ein interessantes, epochengebundenes Spezialthema opfert oder dass es hier und da an Tiefgang mangelt. Ich denke aber, die Mischung macht es. Für Spezialthemen bieten sich ja Workshops im kleineren Kreis an. Die zweite Leistung des AKM ist, dass die Förderung des akademischen Nachwuchses immer ein leitender Gedanke gewesen ist. Ein Honoratiorenverein ist der AKM nie gewesen.

 

Und in welchen Bereichen thematischer oder strukturell-organisatorischer Art sehen Sie in der AKM-Arbeit noch Verbesserungsbedarf?

Pöhlmann: Eine erkennbare theoretische Fundierung der Militärgeschichtsschreibung ist seit jeher ein Desiderat. Was die Forschungen zur Neuzeit angeht, so halte ich die heute orthodoxe culture de guerre für einen ganz wichtigen, inzwischen aber einigermaßen agonischen Forschungsansatz. Wir sollten auch mal wieder über Kriegsbilder, über Strategie oder Doktrin reden. Was das Portfolio des AKM angeht, wünsche ich mir ein verstärktes Engagement bei den Exkursionen. Zugegeben: Das bedeutet einen erheblichen Organisationsaufwand. Aber am Ende werden wir Krieg und organisierte Gewalt nur wirklich verstehen, wenn wir auch ins Gelände gehen – in Kalkriese auf der Suche nach irgendwelchen Pfeilspitzen im Boden rumpopeln, am Pointe du Hoc über die Klippe schauen, in Khe Sanh im Regen stehen oder ganz einfach in Langemark vor dem deutschen Grabstein mit dem Davidstern.

 

Was werden Sie Ihren Kindern und Enkeln wohl noch in 25 Jahren über den AKM und Ihre Zeit im AKM berichten?

Pöhlmann: Nichts, weil sie das dann gerne in meinem Nachlass im Bundesarchiv studieren können. Außerdem bin ich Realist, was die gesamtgesellschaftliche Strahlkraft der Militärgeschichte im Speziellen und der Geschichtswissenschaft im Allgemeinen angeht.

 

Zum Abschluss: Was wünschen Sie dem AKM und seinen Mitgliedern für das nächste Vierteljahrhundert?

Pöhlmann: Es wäre schön, wenn die Mitarbeit im AKM Wissenschaftler*innen in Zukunft noch stärker als bisher den Weg in die Academia öffnet. Da haben wir bislang bis zur Ebene der Promotion schon viel geschafft. Darüber sieht es aber weiterhin finster aus.

 

Zur Übersicht über die Interviewreihe "25 Jahre Arbeitskreis Militärgeschichte e.V. (1995-2020)" (Link).