Zur Bildgeschichte des Truppenbesuchs von Erich Honecker bei der NVA 1984
Christoph Nübel
Aufsatz
Veröffentlicht am: 
02. Januar 2017
DOI: 
akm.02.01.2017

Auf den ersten Blick wirkt er wie ein Fremdkörper im Kreis der Uniformierten: Erich Honecker defiliert an einer Ehrenkompanie von Soldaten vorbei. Auch sein militärischer Gruß kann nicht verbergen, dass es sich hier um einen Zivilisten handelt, der unter die Militärs gegangen ist (Abb. 1). Honecker unterscheidet sich durch seinen hellgrauen Anzug, das weiße Hemd und die gemusterte Krawatte deutlich von den Soldaten, die in dunkler Paradeuniform angetreten sind. Honecker erscheint gleichsam von Militärs eingerahmt und auf Abstand gebracht: Zu seiner Linken befinden sich der in Reih und Glied aufgestellte Truppenkörper, zu seiner Rechten Generaloberst Horst Stechbarth, Chef des Kommandos Landstreitkräfte, sowie der Kommandeur der Ehrenkompanie Hauptmann Frank Duhse. In einem Staat, in dem sogar der Verteidigungsminister in sowjetischer Tradition einen Generalsrang bekleidete und in Uniform auftrat, konnte der Unterschied zwischen Zivil und Militär nicht deutlicher sein.

Bildgeschichte der NVA

Gleichwohl ist die zentrale Botschaft des Bildes nicht das Trennende, sondern das Gemeinsame. Es sollte demonstrieren, dass Staat, Partei und Armee eine Einheit bildeten. Dieser Zweck wird deutlich, wenn die Aufnahme in den ereignis- und publikationsgeschichtlichen Kontext eingebettet wird. Sie steht nicht allein, sondern ist Teil einer Fotoserie, die Rainer Mittelstädt gemeinsam mit einer Equipe der bedeutendsten Pressefotografen der DDR während eines Truppenbesuchs der Staatsspitze im Juni 1984 schoss. Mittelstädt war Mitarbeiter der „Zentralbild“, der Bildstelle des Allgemeinen Deutschen Nachrichtendienstes, und begleitete Honecker immer wieder auf Reisen im In- und Ausland.1

Am 21. Juni und damit im Vorfeld der Feierlichkeiten zum 35. Jahrestag der DDR besuchten neben Honecker die Mitglieder des Politbüros Egon Krenz und Willi Stoph, der Vorsitzende des Ministerrates Horst Sindermann, Volkskammerpräsident Werner Felfe sowie zahlreiche andere Funktionäre ein Manöver der NVA im Raum Rathenow. Dass neben den einflussreichsten Politikern der DDR mit Michail Saizew und Alexej Lisitschew auch ranghohe Vertreter der „Gruppe der sowjetischen Streitkräfte in Deutschland“ teilnahmen, unterstreicht die Bedeutung des Truppenbesuchs. Dabei entstanden zahlreiche Aufnahmen, die Honecker – anders als bei der Paradeaufstellung – mitten unter den Soldaten zeigten. Sie bilden die chronologische Fortsetzung einer dramaturgisch durchkomponierten und reich illustrierten Story, die das SED-Parteiblatt „Neues Deutschland“ (ND) am Folgetrag über vier Seiten brachte.2 Das Paradebild zeigte lediglich das offizielle Eröffnungsritual und war damit Auftakt für eine in Text und Bildern präsentierte Geschichte, die von der großen, ja geradezu freundschaftlichen Nähe zwischen dem Diktator und der Armee des Volkes und der Identität ihrer Ziele erzählte.

Die Aufnahmen der DDR-Pressefotografen dienen heute der Illustration von Sachbüchern und Ausstellungen zur Geschichte der DDR. Fotos aus der Zeit des ostdeutschen Sozialismus sind unentbehrliche Vermittlungsmedien in der historisch-politischen Bildung. „Geschichte zerfällt in Bilder, nicht in Geschichten“, notierte Walter Benjamin in seinen Aufzeichnungen zum Passagen-Werk und wies damit auf die prägende Kraft von Bildern hin.3 Sie wirken unmittelbarer auf den Betrachter ein als Texte, die letztlich ein abstrakteres Kommunikationsmedium sind: Texte bestehen aus komplexen Zeichen, die eine Realität nur ganz begrenzt wiedergeben können, während Fotografien als direkte Abbilder dieser Realität erscheinen.

Fotografien vermitteln jedoch kein objektives Bild der Vergangenheit, sondern zeigen nur einen kleinen Ausschnitt, dessen Verständnis durch die Perspektivität ihres Schöpfers und ihres Lesers sowie durch ihre Überlieferungssituation und suggestive Kraft bestimmt wird. Aufnahmen wie jene aus dem Portfolio Mittelstädts sind im Staatsauftrag entstanden und entsprechend quellenkritisch zu hinterfragen. Die Geschichtswissenschaft hat das erkannt und erforscht Bildgeschichten und Geschichtsbilder als wirkmächtige historische Relikte.4 Dieser Impuls soll im Folgenden in einer kurzen Skizze aufgenommen werden, die Bilder zum zentralen Gegenstand einer als Zeitgeschichte betriebenen Militärgeschichte macht.5 Sie sind ein besonders fruchtbarer Untersuchungsgegenstand, weil sie in ihrer ikonografischen Verdichtung zentrale Kontexte und Motive ihrer Zeit einschließen.

Im Folgenden geht es darum, die Ikonografie der Macht in der DDR am Beispiel von Bildern der NVA zu analysieren. Sie wird in den Artikeln des ND besonders deutlich, weil die Zeitung nach einer kurzen liberalen („blauen“) Phase in den 1960er Jahren in der Ära Honecker zu einem strammen Parteiblatt wurde, das sogar die Seitenspiegel mit dem Politbüro abstimmte. Somit bildete das ND die DDR auf eine Weise ab, „wie sie die Führung der DDR sehen wollte“.6 Das blieb der Leserschaft nicht verborgen und führte zu einem Glaubwürdigkeitsverlust des Blattes.7 Die Rezeption dieser Bilder zu untersuchen wäre indes eine ganz andere Geschichte, die hier ausgeklammert bleiben muss. Der Untersuchungsgegenstand nimmt also in einer doppelten Weise die Gouvernementalität des SED-Staates in den Blick: So wie Bilder in der DDR „der eigentliche Transmissionsriemen totalitärer Diktatur“ waren und damit die Botschaften des ostdeutschen Sozialismus unters Volk bringen sollten, ist die NVA ganz konkret „als Machtinstrument im Sinne der SED“ und damit als Verkörperung dieser Botschaften zu verstehen.8

Handarbeit: Honecker unter Soldaten

Eine der im Juni 1984 geschossenen Aufnahmen zeigt Honecker, wie er einem Soldaten aus einer Gruppe von Fallschirmjägern die Hand schüttelt (Abb. 2). Die Bildunterschrift des ND lautet: „Erich Honecker beglückwünschte Fallschirmjäger zur erfolgreichen Erfüllung ihres Kampfauftrages“. Im Bundesarchiv ist diese Aufnahme nicht überliefert. Hier findet sich indes eine Fotografie, die der Fotograf Sekunden später aus einer leicht versetzten Perspektive angefertigt hat – offenbar war der Moment des Zusammentreffens des Staatsratsvorsitzenden mit den Soldaten so bedeutsam, dass er eine Serienaufnahme machte, um später das wirksamste Bild auswählen zu können.9 Überhaupt wird deutlich, welcher Aufwand getrieben wurde, um diese Szenen festzuhalten. Neben Honeckers Kopf sind links eine Fernsehkamera und rechts ein Reporter mit den Kopfhörern eines Tonaufnahmegerätes erkennbar. Das Bild des ND zeigt die Kamera, zudem ist im Bildvordergrund ein Mikrofon auf die Gruppe gerichtet.

In der Beschriftung der „Zentralbild“-Aufnahme im Bundesarchiv heißt es, Honecker „dankte“ Fallschirmjägern des Luftsturmregiments 40 „Willi Sänger“ „für ihre gezeigten Leistungen“, nachdem sie „Elemente ihrer Gefechtsausbildung demonstriert hatten“.10 Das Sujet beider Bilder ist gleich, ebenso die Haltung, Gestik und Mimik der Akteure, nur der Aufnahmewinkel sowie der Bildvorder- und rechte Hintergrund unterscheiden sich leicht voneinander. Die Soldaten sind im Kampfanzug. aber ohne Helm angetreten, was verdeutlicht, dass sie ihren Einsatz bereit absolviert haben. Die Blicke der Gruppe sind auf Honecker gerichtet, der damit das Zentrum der Darstellung bildet. Dessen Haltung ist freundlich, er hat Blickkontakt mit dem Soldaten im Bildvordergrund aufgenommen. In der Bildergeschichte des ND finden sich noch zwei ähnliche Bilder. Beide zeigen laut identischer Bildunterschrift Honecker unter verschiedenen Soldatengruppen, die jeweils „vorbildliche Leistungen“ vollbracht haben. Das auffälligste und diese drei Aufnahmen verbindende Merkmal ist der Handschlag zwischen dem Politiker und den Soldaten.

Der Handschlag stellt eine zentrale politische Geste dar, die bereits in der Bildpropaganda der Antike auf Münzen geschlagen wurde. Sie illustriert politische Eintracht, aber auch Treue und Freundschaft.11 In der DDR hatte der Handschlag eine ganz konkrete Bedeutung: Er zeigte, dass die Spaltung der Arbeiterklasse im sozialistischen Deutschland überwunden wurde. Noch vor der Vereinigung der SPD und KPD im April 1946 erschienen in der SBZ Propagandaplakate, die die angestrebte „Einheit der Arbeiterklasse“ eindringlich visualisieren sollten. Das Plakat „In Eins nun die Hände“ zeigt den Handschlag Otto Grotewohls (SPD) mit Wilhelm Pieck (KPD) während der Feierlichkeiten zu dessen Geburtstag im Januar 1946.12 Weitaus bekannter als dieser Vorläufer ist die Handschlagsszene während des sogenannten „Vereinigungsparteitags“ vier Monate später, am 22. April 1946. Der Handschlag zur Vereinigung der Arbeiterschaft wurde in der DDR zur politischen Ikone und bildete fortan das Emblem der SED: Zwei ineinander verschlungene Hände vor einer roten Fahne, umrahmt vom Schriftzug „Sozialistische Einheitspartei Deutschlands“ (Abb. 3).

Eine solche Handarbeit kann also die Einheit unterschiedlicher Welten bestätigen und die Identität ihrer Ziele unterstreichen. Als kommunikative Akte dieser Art sind auch die im Bild festgehaltenen Handschläge Honeckers am 21. Juni 1984 zu betrachten. Anders, als es seine zivile Kleidung nahe legte, war Honeckers Karriere eng mit dem Militär verflochten. Seit 1958 Sekretär für Sicherheitsfragen im Zentralkomitee der SED, wurde er mit der Einrichtung des Nationalen Verteidungsrates 1960 dessen erster Sekretär. Damit hatte er sich großen Einfluss auf Entscheidungen beim Aufbau der NVA und ihre innen- und außenpolitische Rolle gesichert.13 Nachdem Honecker 1971 die wichtigsten Partei- und Staatsämter übernommen hatte, setzte er den bereits unter Walter Ulbricht etablierten Kurs der vielfachen Verschränkung von Armee und Gesellschaft hin zu einer militarisierten Gesellschaft fort. In seinem Bericht zum IX. Parteitag beispielsweise unterstrich Honecker, dass NVA und Gesellschaft zusammengehörten. „Mit hervorragenden Ergebnissen hat unsere Landesverteidigung aktiven Anteil am kraftvollen Voranschreiten der entwickelten sozialistischen Gesellschaft.“14 Die Geschichtswissenschaft hat mittlerweile deutlich herausgearbeitet, wie sehr das Gesellschaftsbild des DDR-Sozialismus von einer großen Nähe von Politik, Volk und Militär bestimmt war.

Effektivität und Politisierung: Die NVA in den 1980er Jahren

Handschläge finden oftmals in einem rituellen Kontext statt.15 Während der Manöver 1984 wurde dieser formal-protokollarische Charakter jedoch bewusst aufgebrochen. Hier ging es nicht um eine Begrüßung, den Abschluss eines Vertrages oder eine Friedensgeste. Honeckers Handschläge sollten spontan wirken. Zum einen galt es, die gezeigten militärischen „Leistungen“ als vorbildlich zu würdigen, zum anderen wurden im Feld die freundschaftliche Verbundenheit und das Einvernehmen zwischen Politik und Militär unterstrichen. Auf diese Weise griffen die Bilder zwei der zentralen Themen der Militärpolitik der 1980er Jahre auf: Effektivität und Politisierung.16

Die NVA sollte eine effektive Armee sein. Effektivität bedeutete, dass große Leistungen zu erbringen waren, um vorab definierte Ziele zu erreichen. Ähnlich wie in der Wirtschaft waren beim Schießen oder im Geländelauf Normen zu erfüllen, was während der Manöver prämiert wurde. Im ND abgedruckte Bilder illustrieren dies, wenn sie dynamische Kampfszenen zeigen, in der eine moderne Armee ihre Aufgaben in vorbildlicher Weise ausführt. Diese Leitlinie betonte Honecker in seiner Rede an die Soldaten, in der er hervorhob: „Sie demonstrierten hohe Bewußtheit, eine ausgezeichnete Kampfmoral, militärische Meisterschaft und perfektes Beherrschen der Waffen und der Kampftechnik.“ Um die Umsetzung dieser Vorgaben zu demonstrieren, zeigte das ND in Reihe aufgefahrene Haubitzen und im Schwarm vorpreschende Fallschirmjäger. Der beigeschlossene Artikel betonte, dass die Soldaten „ihr meisterliches Können“ gezeigt, ihre Ziele „auf maximale Entfernung mit dem ersten Schuß vernichtet“ und „die Zeitnorm für das Herstellen einer höheren Stufe der Gefechtsbereitschaft weiter unterboten“ hätten. Honecker selbst sprach in seiner Rede vom „sozialistischen Wettbewerb um höchste politische und militärische Leistungen“.

Effektivität bedeutete in den 1980er Jahren auch, dass die Armee ökonomisch handelte. Der hohe Grad der Gefechtsbereitschaft – es mussten sich ständig etwa 85 % der Soldaten in den Kasernen aufhalten, um im Ernstfall ohne Verzögerung einsatzbereit zu sein – bedeutete zusammen mit den häufigen Manövern eine erhebliche Belastung für die Militärangehörigen und das Gerät. Da war es gut, dass anlässlich des Truppenbesuchs ein „Ausbildungstechnisches Zentrum“ präsentiert werden konnte, das mit „Simulatoren und anderen modernen Trainingsgeräten“ ausgestattet war. Das dazu abgedruckte Foto zeigt Honecker und die übrigen Staatsgäste, wie sie den Ausführungen Stechbarths an der Ausbildungstechnik lauschen (Abb. 4). Diese Anlagen verringerten, so wusste der begleitende Text, „den ökonomischen Aufwand [des Militäreinsatzes bei Übungen] um die Hälfte“.

Auf die Anfang der 1980er Jahren zum Schlagwort gewordene „Verbesserung der Dienst-, Arbeits- und Lebensbedingungen“17 der Soldaten ging das ND an keiner Stelle ein. Dieses Programm, das die zum Teil harschen Dienstbedingungen mildern und damit die Motivation der Militärangehörigen fördern sollte, passte offenbar nicht in den Rahmen eines Manövers, das ganz im Zeichen des zweiten Kalten Krieges stand. Gegenwärtig, so Honecker, stehe die „sozialistische Gemeinschaft“ nicht nur in der „Klassenauseinandersetzung mit dem Imperialismus“. Vielmehr sei man Zeuge einer „Kreuzzugsstrategie der aggressivsten imperialistischen Kreise“, mithin der USA und ihrer Verbündeten, die eine Aufrüstung in Europa betrieben. Das binäre Denken des Kalten Krieges erklärt sicher auch, weshalb die Einsatzbereitschaft der Soldaten in besonderem Maße mit der „politisch-moralische[n] Standhaftigkeit“ im Gefecht (wie es das ND ausdrückte) verbunden wurde.18 Honecker betonte das gleich mehrmals in seiner Rede an die Soldaten. Es gelte, „die Werte, Vorzüge und Triebkräfte des Sozialismus noch tiefer auszuschöpfen, um eine ideologische Haltung (…) aller Kämpfer und militärischen Kollektive zu sichern“. Während man hoffte, die materielle Effektivität durch Technisierung und Ökonomisierung herzustellen, sollte die Einsatzmotivation der Soldaten durch Ideologisierung gesteigert werden. Es gehe, so Honecker weiter, um die „feste Einheit von Partei, Volk und Armee“. Effektivitätssteigerung und Motivation durch Politisierung waren in ganz ähnlicher Weise auch Probleme der DDR-Planwirtschaft und Gesellschaftssteuerung. Dass deshalb in diesen zivilen Bereichen eine ganz ähnliche Rhetorik vorherrschte wie bei der bewaffneten Macht belegt die wechselseitige Durchdringung von Politik, Militär und Gesellschaft in der DDR.

Parteistaat und Volksarmee

Die Handarbeit Honeckers während der Manöver verdichtete die hier skizzierten Kontexte in einer zentralen Geste. Sie belobigte und bestätigte die Effizienz und Leistungsbereitschaft der NVA. Zugleich zeigte sie, dass Partei, Staat und Militär eine Einheit bildeten. Entscheidend war, dass die Verbildlichung des Handschlages diesen abstrakten und in zahlreichen Reden zur Phrase geronnenen Axiomen des DDR-Sozialismus zu einer ganz konkreten, für jeden nachvollziehbaren und emotional aufgeladenen Eindrücklichkeit verhalf. Gestik und Mimik der auf den Fotos abgebildeten Personen unterstrichen die einvernehmliche und warme Atmosphäre der Begegnungen von Politik und Militär. Das ND bestätigte das in seiner Berichterstattung, wenn es von einem „begeisternden Feldmeeting“ und einem „herzlichen Empfang“ der „Partei- und Staatsführung“ bei der Truppe schrieb.

Die auf den Fotografien sichtbaren Kameras und Mikrofone sollten genau diese Stimmung der Nähe festhalten. Sie zeichneten die Dialoge zwischen Honecker und einzelnen Soldaten auf. „In freundschaftlichen Gesprächen […] berichteten die Soldaten von ihren Ausbildungsergebnissen“, hieß es im ND. In diesen Gesprächen ging es um das Erreichen der Schießnormen, das fehlerlose Arbeiten von Batterien oder biographische Belanglosigkeiten. „‚Seit wann gehören Sie zu dieser erfolgreichen Besatzung?‘, fragte Erich Honecker. ‚Seit dem 3. Mai bin ich dabei‘, war die Antwort des 31-jährigen Maurers [Klaus-Dieter Busch] aus der LPG-Tierproduktion Zierzow.“ Der Austausch solch hölzerner Statements war kein bloß illustratives Beiwerk der Treffen, sondern sollte jene „freundschaftliche“ Nähe bestätigen, welche die Ikonografie des Handschlages symbolisierte. Die auffällig häufige namentliche Nennung der beteiligten Akteure beglaubigte, dass Honecker tatsächlich mit dem Volk zusammentraf. „Dem Panzerkommandanten Oberfähnrich Böhm, Vater von zwei Kindern, trug Erich Honecker Grüße an die Familie auf.“ Das ND bediente mit einer solchen Berichterstattung das Bild einer „Armee des Volkes“, die mit dem Parteienstaat eine freundschaftliche Einheit der Ideologie und der Tat bildete. Die Zeitung bestätigte somit die Gesellschaftsordnung eines Staates mit totalitären Tendenzen, in dem sich jenseits des Offensichtlichen bereits Zeichen einer ernsthaften Krise zeigten.

  • 1. Michael Minholz/Uwe Stirnberg, Der Allgemeine Deutsche Nachrichtendienst (ADN). Gute Nachrichten für die SED, München 1995, 300. - Die Zuordnung der einzelnen in diesem Beitrag analysierten Fotografien ist problematisch. Das Bild des die Parade abschreitenden Honecker wurde laut Bundesarchiv von Rainer Mittelstädt aufgenommen. Das Neue Deutschland hingegen weist ihn nicht als Fotografen aus, sondern rekurriert nur auf seine Kollegen Axel Lenke, Gerhard Murza und Schmidtke (der Vorname konnte nicht ermittelt werden). Die Frage der Urheberschaft der Aufnahmen muss daher ausgeklammert bleiben.
  • 2. ND Nr. 146, 22.6.1984. Alle nicht gekennzeichneten Zitate stammen aus dieser Ausgabe.
  • 3. Walter Benjamin, Das Passagen-Werk, in: ders., Gesammelte Schriften, hg. von Rolf Tiedemann und Hermann Schweppenhäuser, Bd. V.1, Frankfurt a.M. 1982, 596.
  • 4. Gerhard Paul (Hg.), Visual History. Ein Studienbuch, Göttingen 2006.
  • 5. Als Beispiele: Anton Holzer, Die andere Front. Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg, Darmstadt 2012; Bernd Hüppauf, Fotografie im Krieg, Paderborn 2015; Thorsten Loch, Soldatenbilder im Wandel. Die Nachwuchswerbung der Bundeswehr in Werbeanzeigen, in: Paul (Hg.), Visual History, 265-282; Gerhard Paul, Bilder des Krieges – Krieg der Bilder. Die Visualisierung des modernen Krieges, Paderborn 2004.
  • 6. Jörg Probst, Ansichten der Notwendigkeit. Ereignisse in der Pressefotografie der DDR, in: Tobias Nanz/Johannes Pause (Hg.), Politiken des Ereignisses. Mediale Formierungen von Vergangenheit und Zukunft, Bielefeld 2015, 101-122, 103.
  • 7. Burghard Ciesla, Zur Geschichte des „Neuen Deutschland“, in: Presse in der DDR. Beiträge und Materialien, 29.3.2012, URL: http://pressegeschichte.docupedia.de/wiki/Neues_Deutschland_Version_1.0_... (12.11.2015).
  • 8. Stefan Wolle, Die Diktatur der schönen Bilder. Zur politischen Ikonographie der SED-Diktatur, in: Klaus Honnef (Hg.), Deutsche Fotografie. Macht eines Mediums 1870-1970, Köln 1997, 174-185, 177; Rüdiger Wenzke, Die Nationale Volksarmee (1956-1990), in: Torsten Diedrich/Hans Ehlert/Rüdiger Wenzke (Hg.), Im Dienste der Partei. Handbuch der bewaffneten Organe der DDR, Berlin 1998, 423-535, 423.
  • 9. Auch in diesem Fall weist das Bundesarchiv Mittelstädt als Fotografen aus, während die im ND abgedruckten Bilder mit „Lenke, Murza, Schmidtke“ gezeichnet sind. Sollte es sich nicht um denselben Urheber handeln, müssen die Fotografen sehr eng nebeneinander gestanden haben.
  • 10. BA, Bild 183-1984-0621-028. Gemeinfrei unter Wikimedia Commons, URL: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Bundesarchiv_Bild_183-1984-0621-... (7.11.2015).
  • 11. Zur Ikonographie des Handschlags Thomas Ahbe, Der Handschlag als Symbol in der politischen Kommunikation Deutschlands, in: Mariacarla Gadebusch Bondio (Hg.), Die Hand. Elemente einer Medizin- und Kulturgeschichte, Münster 2010, 357-368; Astrid Wenger-Deilmann/Frank Kämpfer, Handschlag – Zeigegestus - Kniefall. Körpersprache, Gestik und Pathosformel in der visuellen politischen Kommunikation, in: Paul (Hg.), Visual History, 188-205.
  • 12. Plakat „In eins nun die Hände“, SBZ, 1946; Bundesarchiv, Plak 102-001-001, abrufbar unter https://www.hdg.de/lemo/bestand/objekt/plakat-in-eins-nun-die-haende.html (4.11.2015).
  • 13. Winfried Heinemann, Die DDR und ihr Militär, München 2011, 42f., 74; Otto Wenzel, Kriegsbereit. Der Nationale Verteidigungsrat der DDR 1960 bis 1989, Köln 1995.
  • 14. Honecker am 18.5.1976, zit. n. Heiner Bröckermann, Landesverteidigung und Militarisierung. Militär- und Sicherheitspolitik der DDR in der Ära Honecker 1971-1989, Berlin 2011, 13. Zur Militarisierung der DDR allgemein Heinemann, Die DDR, 63-67; Matthias Rogg, Armee des Volkes? Militär und Gesellschaft in der DDR, Berlin 2008; Rüdiger Wenzke, Ulbrichts Soldaten. Die Nationale Volksarmee 1956 bis 1971, Berlin 2013, insbes. 547-652.
  • 15. Wenger-Deilmann/Kämpfer, Handschlag, 192.
  • 16. Dazu zusammenfassend Heiner Bröckermann, Entwicklungsprobleme der Nationalen Volksarmee der DDR, in: Hans-Hubertus Mack/László Vesprémy/Rüdiger Wenzke (Hg.), Die NVA und die Ungarische Volksarmee im Warschauer Pakt, Potsdam 2011, 75-87.
  • 17. Dazu Bröckermann, Landesverteidigung, 581f.
  • 18. Siehe dazu Patrick Bernhard/Holger Nehring (Hg.), Den Kalten Krieg denken. Beiträge zur sozialen Ideengeschichte seit 1945, Essen 2014.
Abb. 1. Honeckers Defilee (BA, Bild 183-1984-0621-025)
Abb. 3. Wahlplakat der SED, 1950 (BA, Bild 183-08483-0003)
Abb. 4. Honecker lauscht (BA, Bild 183-1984-0621-024)
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