Eine Tagung veranstaltet vom Forschungsprojekt „Militarisierung frühmittelalterlicher Gesellschaften. Erscheinungsformen, Regulierung und Wahrnehmung im westeuropäischen Vergleich“, 19.-21. September 2017, Freie Universität Berlin
Guido M.Berndt
Tagungsbericht
Veröffentlicht am: 
29. März 2024

Nach einem ersten Workshop im August 2016, der dem Thema „Military Organisation and Society in the post-Roman World“ gewidmet war (siehe dazu den Bericht: http://portal-militaergeschichte.de/node/1665) fand im September 2017 eine internationale Tagung in Berlin statt, die sich den verschiedenen Wahrnehmungen und Konzeptionen militarisierter Gesellschaften des frühen Mittelalters zuwandte. Um zu ausgewogenen Urteilen zu kommen, sollte eine vergleichende Perspektive eingenommen werden, wie STEFAN ESDERS (FU Berlin) in seiner Einleitung ausführte. Esders stellte zunächst einen Kriterienkatalog vor, anhand dessen versucht werden könne, den Militarisierungsgrad einer jeden Gesellschaft zu bestimmen. Dabei unterstrich er, dass sich bereits im spätantiken Römischen Reich verschiedene Regionen ausmachen ließen, in denen starke Militarisierungstendenzen erkennbar seien. Die Mitglieder einer neuen Militäraristokratie hätten bereits hier zahlreiche Aufstiegschancen gehabt. Die seit dem 5. Jahrhundert entstehenden Nachfolgereiche interpretierte Esders aber nicht als einfache Fortsetzungen der spätantiken Strukturen und er betonte, dass sich diese auch in ihrem jeweiligen Militarisierungsgrad unterschieden. Mithin ließen sich sogar innerhalb einzelner Großregionen signifikante Unterschiede hinsichtlich der Militarisierung ihrer Gesellschaften beobachten, wie etwa in Gallien, wo sich das merowingische Frankenreich etablieren sollte.

In der ersten Tagungssektion Assessing Militarisation reflektierte EDWARD JAMES (London) die von ihm bereits 1997 entworfene Definition der Militarisierung von europäischen Gesellschaften der Zeit zwischen 400 und 700. Dieses Konzept stellt einen der Grundpfeiler des Berliner Forschungsprojektes dar, weshalb die Frage nach seiner Validität, aber auch nach potentiellen Schwächen, ein zentrales Anliegen seines Vortrags war. Anhand des Fallbeispiels Aquitanien im 6. Jahrhundert zeigte James auf, dass sich zwar durchaus grundlegende Prozesse beschreiben ließen, die auf einen sich stetig verstärkenden Militarisierungsgrad hindeuten. Viele Detailfragen aber, so etwa nach den konkreten Rekrutierungsmechanismen, ließen sich aufgrund der schwachen Quellenlage jedoch kaum zufriedenstellend beantworten. James kam zu dem Schluss, dass die moderne Forschung – sich selbst dabei durchaus einschließend – oft zu definitiven Aussagen neige, die aufgrund der Überlieferungssituation eigentlich kaum möglich sind. Wie man dem geringen Schriftquellenbestand für das merowingische Frankenreich dennoch neue Erkenntnisse abringen kann, zeigte LAURY SARTI (Universität Freiburg) in ihrem Vortrag. Mithilfe einer Analyse semantischer Veränderungen einschlägiger Termini aus den Schriftquellen sei es möglich gesellschaftliche Veränderungen zu erfassen. So gäbe es etwa einen Bedeutungswandel der Begriffe miles und honor, die es entweder ermöglichen, strukturelle Veränderungen innerhalb der frühmittelalterlichen Heeresstruktur und die damit einhergehende Identität der Kriegsteilnehmer zu untersuchen, oder aber die zeitgenössische Konzeption von Ehre. Die mit dem Begriff honor einhergehende Bedeutung habe dem merowingischen Verständnis von Ehrhaftigkeit nicht mehr entsprochen, weshalb fränkische Autoren Begriffe wie virilitas („Männlichkeit“), fortitudo („Tapferkeit“) oder utilitas („Nützlichkeit“) verwendet hätten. Diesen Befund interpretiere Sarti als einen Beleg für eine zunehmende Aufwertung des Militärischen – einen Prozess, der auf eine sich verstärkende Militarisierung hindeutete.

Der Tatsache Rechnung tragend, dass die frühmittelalterlichen Gesellschaften Europas überwiegend christianisiert waren, nahm die zweite Sektion War and Christian Thought die Frage in den Blick, welchen Einfluss christliches Denken – etwa Augustinus' Idee des „gerechten Krieges“ – auf Krieg und Kriegsführung nehmen konnte. UTA HEIL (Universität Wien) konstatierte zunächst, dass in der römischen Armee des 5. Jahrhunderts viele Christen als Soldaten dienten und untersuchte dann die umfangreiche Briefsammlung Gregors des Großen. Angesichts der dort dargelegten Überzeugung, dass das Ende der Welt unmittelbar bevorstehe, müssten die Missionsanstrengungen bei den verbliebenen Heiden intensiviert werden. In einzelnen Briefen machte Heil dementsprechend Spuren einer Aufforderung zur Schwertmission (Zwangschristianisierung) aus. Zu diskutieren sei aber die Frage nach Ursache und Wirkung, also ob die zunehmende Militarisierung der Gesellschaft auf die Form der Mission Einfluss genommen oder ob die propagierte und wohl auch durchgeführte Schwertmission auf den Prozess der Militarisierung gewirkt habe.

Im Anschluss fragte HANS-WERNER GOETZ (Hamburg), inwieweit die Kriege des frühen Mittelalters als Religionskriege oder sogar „Heilige Kriege“ charakterisiert werden könnten. Goetz zeigte, dass obgleich es in den erhaltenen Schriftquellen keinen Begriff gibt, der der modernen Wortschöpfung des heiligen Krieges entspricht, und viele Berichte über Kriegszüge gegen heidnische Gegner (so beispielsweise gegen wikingische Kriegergruppen) ohne eine Charakterisierung der Feinde als Ungläubige auskommen, karolingische Autoren in bestimmten Situationen durchaus politische Motive der Kriegsführung mit religiösen verflochten. Als Beispiel nannte Goetz die retrospektive Rechtfertigung der Bruderkriege unter den Söhnen Ludwigs des Frommen.

YANNIS STOURAITIS (Universität Wien) konzentrierte sich in seinem Vortrag auf das um 900 entstandene Militärhandbuch Kaiser Leos VI. und ging dabei der Frage nach, ob sich in diesem Werk eine Konzeption des gerechten, oder sogar heiligen Krieges, insbesondere gegen die muslimischen Gegner der Byzantiner, ausmachen lasse. Stouraitis konnte zeigen, dass sich die Legitimierung von Kriegszügen als ein wichtiger Leitfaden des Textes ausmachen lässt, wenn auch religiös motivierte Kriegsrechtfertigungen eine eher untergeordnete Rolle spielen. Gleichwohl werden im besprochenen Werk Angriffe der Sarazenen auf Byzanz auch als Angriffe auf den christlichen Glauben dargestellt, die mit allen zur Verfügung stehenden militärischen Möglichkeiten zu bekämpfen seien. Laut Stouraitis wurden aus byzantinischer Perspektive aber auch solche Kriege als gerecht dargestellt, die gegen christliche Völker geführt werden mussten, insofern diese zum Ziel hatten, deren Unbotmäßigkeiten gegenüber dem Kaiser im Zaum zu halten.

In der dritten Tagungssektion Assessments of the Warrior fragte ELLORA BENNETT (FU Berlin) nach den unterschiedlichen Wahrnehmungen und Darstellungsmustern von Kriegsgegnern im angelsächsischen Britannien der Zeit vom 6. bis zum 8. Jahrhundert. Sie konnte zeigen, dass die Feindbildkonstruktionen in den Schriftquellen von der jeweiligen Gruppenidentität abhingen, die sich von den „Anderen“ abzugrenzen suchten. Dabei wurden die Gegner oft als unterlegen dargestellt. Auch innerhalb der angelsächsischen Gruppen konnten solche Feindbilder aktiviert werden, insbesondere wenn es galt, Handlungen gegnerischer Militärführer zu charakterisieren.

THOMAS WITTKAMP (Universität Freiburg) stellte die Gesta Karoli Magni vom Ende des 9. Jahrhunderts in den Mittelpunkt seiner Überlegungen. Obwohl dieses Werk Notkers von St. Gallen aus einer klösterlichen bzw. kirchlichen Sicht geschrieben ist, enthält es dennoch bemerkenswerte Informationen über militärische Aspekte, so der Referent. Häufig finden Geschenke von Schwertern und Rüstungen Erwähnung ebenso wie das Reiten und die Jagd. Notkers Gesta gehören zu den ersten Texten der Karolingerzeit (8. bis 10. Jahrhundert), in denen sich eine spezifische Hierarchie von spezialisierten Kriegern (milites) ausmachen lässt. Der Mönch, so Wittkamp, legte besonderen Wert auf die Darstellung der militärischen Fähigkeiten der fränkischen Herrscher. Schwierig zu beurteilen sei aber die Frage, inwieweit Notkers Erzählungen ausreichen, um den tatsächlichen Militarisierungsgrad der in ihnen beschriebenen Gesellschaften konkret zu bestimmen.

Die vierte Sektion der Tagung Perceptions of Military Combat stellte Wahrnehmungsformen von Krieg bei verschiedenen frühmittelalterlichen Autoren in den Vordergrund. Zwei Beiträge waren dabei dem Italien der Langobardenzeit (568-774) gewidmet: STEFANIE DICK (Universität Bonn) zeichnete in ihrem Vortrag nach, wie in der für das langobardenzeitliche Italien bedeutendsten Quelle Kriegs- und Gewalthandlungen beschrieben werden. Dick argumentierte zunächst, dass sich in der Historia Langobardorum des Paulus Diaconus keine grundsätzlichen Distanzierungen von diesen Phänomenen erkennen ließen. Sie folgerte daraus, dass Krieg und Gewalt auch im späten 8. Jahrhundert noch so stark die Lebensrealitäten bestimmten, dass sie nicht besonders bemerkenswert, sondern Teil einer gesellschaftlichen Normalität waren. Paulus kritisierte zwar durchaus Übergriffe auf Kirchen und hatte möglicherweise auch eine Vorstellung davon, dass die Vermeidung von Krieg und Blutvergießen gottgefällig war. Nichtsdestotrotz gehörte er aber aufgrund seiner Herkunft und seiner Sozialisierung eben jener Elite an, die ihre gesellschaftliche Vorrangstellung auf militärische Funktionen und Erfolge zurückzuführen gewohnt war.

GUIDO M. BERNDT (FU Berlin) untersuchte eine Reihe von byzantinischen Schriftzeugnissen des 6. und 7. Jahrhunderts mit Blick auf die Frage, inwieweit die Autoren Kenntnisse über das Kriegswesen der Langobarden hatten und wie eine spezifisch langobardische Kriegsführung in Ravenna und Konstantinopel wahrgenommen wurde. Berndt stellte heraus, dass in den östlichen Schriftzeugnissen, die nach dem Friedensschluss zwischen Byzantinern und Langobarden von 680 verfasst wurden, signifikant weniger Informationen über die Verhältnisse in Italien zu finden sind.

THOMAS SCHARFF (Universität Braunschweig) konzentrierte sich in seinem Beitrag Vortrag auf eine der bekanntesten militärischen Auseinandersetzungen des 9. Jahrhunderts: die Schlacht von Fontenoy. Während dieser standen sich im Sommer 841 zwei fränkische Armeen südwestlich von Auxerre gegenüber, die eine Entscheidung im Kampf um die Nachfolge Ludwigs des Frommen militärisch herbeizuführen suchten. Viele Historiker interpretieren diese Auseinandersetzung als Beginn einer unumkehrbaren Teilung des Frankenreiches in ein ost- und ein westfränkisches Herrschaftsgebiet, aus dem schließlich Deutschland und Frankreich hervorgehen sollten. Nach einem Einblick in die Wirkungsgeschichte und in verschiedene Lokalisierungsversuche, insbesondere im 19. Jahrhundert, zeichnete Scharff die unterschiedlichen Perspektiven der frühmittelalterlichen Berichterstatter nach. Er betonte, dass karolingische Autoren unterschiedliche Begriffe für „Schlacht“ verwendeten und dass die Durchführung von Schlachten eher die Ausnahme, denn die Regel karolingischer Kriegsführung war. Die Anführer hätten vielmehr versucht, Entscheidungsschlachten zu vermeiden, um im Falle einer eigenen Niederlage nicht in wenigen Stunden alles zu verlieren. Schließlich konnte Scharff zeigen, dass die Berichte einen Historisierungsprozess einleiteten, mit Hilfe dessen diese Ereignisse Teil des kulturellen Gedächtnisses werden konnten.

MICHEL SUMMER (Universität Freiburg) befasste sich mit der Frage, inwieweit Objekte mit figuralen Szenen aus dem Bereich des Krieges, wie etwa die berühmten Wolfkriegerdarstellungen oder Kriegerprozessionen, als Spiegel einer gesellschaftlichen Militarisierung interpretiert werden können. Dabei zeigte er auf, wie stark die Einschätzung dieser Bilder seitens der modernen Forschung noch immer von überkommenen Vorstellungen einer „Germanisierung“ der römischen Welt in Spätantike und Frühmittelalter geprägt sind. Gleichzeitig wies er auf die Grenzen der Interpretation solcher Objekte hin, da sie häufig aus Grabfunden stammten, für die sie einer verändernden Zweitverwendung unterzogen wurden, mithin ihre ursprüngliche Funktion oft gar nicht mehr zu erschließen sei. Summer argumentierte, dass diese Bilder als innovative Formen der Darstellung von sozialem und politischem Status zu verstehen seien, die in den spezifischen lokalen Kontexten Bedeutung hatten, und nicht etwa ein pangermanisches Kriegerideal repräsentieren.

In der fünften Sektion Representations of Warfare untersuchte MAGALI COUMERT (Universität Brest) verschiedene Versionen fränkischer Herkunftsgeschichten, wobei sie insbesondere Schilderungen von Gewalt und Kriegsführung bei Fredegar, im Liber Historiae Francorum, in der Chronik Freculfs von Lisieux und in der Kosmographie des Aethicus Ister in den Blick nahm. Sie konstatierte zwar eine allmähliche Wandlung in der Bewertung durch die Autoren von der Merowinger- zur Karolingerzeit, gleichwohl blieb die fränkische „Freiheitsliebe“ sowie ihre Unbesiegbarkeit ein zentrales Darstellungsmotiv.

Da STEFANO GASPARRI (Universität Venedig) nicht persönlich an der Tagung teilnehmen konnte, wurde sein Vortrag von Ryan Lavelle verlesen. Obgleich die Langobarden grundsätzlich als kriegerisches Volk gesehen wurden und es im langobardischen Italien einen fortwährenden Konkurrenzkampf innerhalb der Militäraristokratie gab, sind für das 7. Jahrhundert überraschenderweise lediglich drei größere Feldschlachten überliefert. Lediglich für die „Grenzprovinz“ Friaul sei eine höhere Intensität von anhaltendem Kriegsgeschehen zu verzeichnen. Im 8. Jahrhundert hätten die Langobarden kaum noch über eine größere professionelle Armee verfügt. Viele „Große“ des Reiches hätten König Desiderius ihre Unterstützung im Kampf gegen die Franken verweigert. So sei es wenig erstaunlich, dass das regnum Langobardorum schließlich sang- und klanglos unterging, als Karl der Große in Italien einfiel.

In der sechsten Sektion Why battles were fought untersuchte PABLO POVEDA ARIAS (Universität Salamanca) die Bedeutung von Krieg und Kriegsführung für die Etablierung des Gotenreiches in Spanien. Zunächst zeigte demonstrierte er, welche Bedeutung der 507 ausgetragenen Schlacht von Vouillé zuzumessen ist, in der die Visigoten eine empfindliche Niederlage gegen die Truppen des Franken Chlodwigs erlitten. Für das 6. und 7. Jahrhundert konstatierte Arias einen fortwährenden Konkurrenzkampf innerhalb der gotischen Militäraristokratie, in dessen Folge sich das Bild des morbus Gothorum (Könige sterben keinen natürlichen Tod, sondern werden gewaltsam beseitigt) geformt habe. Arias argumentierte für eine Unterscheidung der Kriegsmotivationen der Könige und der aristokratischen Militärs. Ein häufig von der Forschung angenommenes Motiv der Könige, auf militärischem Wege eine territoriale Einheit herzustellen, sei aber ein modernes Konstrukt, welches Historiker in die Vergangenheit projiziert hätten. Es sei den Königen vielmehr darum gegangen, durch permanente Kampagnen ihr politisches Überleben zu sichern, freilich unter der Voraussetzung, militärisch erfolgreich zu bleiben. Durch den Gewinn von Kriegsbeute, die an die mitkämpfenden Krieger verteilt werden konnte, sicherte der König seine Position. In den permanenten Kriegen der Visigoten erkannte Arias ein Instrument der sozialen Reproduktion.

ETIENNE RENARD (Universität Namur) untersuchte die in frühmittelalterlichen Schriftquellen zu findenden Rechtfertigungsstrategien fränkischer Militärs. Dabei konzentrierte er sich auf Kampagnen, die gegen äußere Feinde gerichtet waren. Als Hauptmotive stellte er, neben Expansion und Beuteschlagen, die Vergeltung für gebrochene Eide, Ehrverletzungen sowie die Unterdrückung von Rebellionen als entscheidende Rechtfertigungsmuster heraus. Laut Renard traten in der Karolingerzeit dann aber auch verstärkt religiöse Kriegsbegründungen hinzu, auch wenn diese häufiger erst im Nachhinein konstruiert worden seien, wie etwa im Falle der Sachsenkriege Karls des Großen.

In der abschließenden Sektion Assessments of Fighting stellte SIMON COUPLAND (Universität Cambridge) die sowohl in zeitgenössischen Quellen als auch der modernen Forschungsliteratur vorhandenen negativen Urteile über die militärischen Fähigkeiten Karls des Kahlen (von 843 bis 877 westfränkischer König und von 875 bis 877 Kaiser) auf den Prüfstand und kam zu einer Neubewertung der Verteidigungsmaßnahmen, die der Kaiser insbesondere gegen die sein Reich bedrohenden Wikinger ergriffen habe. Zunächst argumentierte er, dass die militärischen Herausforderungen, mit denen sich Karl konfrontiert sah, mindestens ebenso groß waren wie die seiner Brüder und Neffen. Karl konnte diese letztlich geschickt zu meistern. Die Konfrontation mit den skandinavischen Langschiffen, mit Hilfe derer Wikinger in die Flüsse einzufahren verstanden, stellte eine gänzlich neue Art der Bedrohung für die Westfranken dar. Auch dieser begegnete Karl einfallsreich und entschlossen, so Coupland. Ein dritter Aspekt des Vortrags zeigte, dass der Kaiser seine Herrschaft zusätzlich durch eine Reform der westfränkischen Münzprägung stabilisieren konnte. Die negative Zeichnung durch die Zeitgenossen Karls und durch die moderne Forschung als eines militärischen „Schwächlings“ sei dementsprechend zu korrigieren.

PHILIP RANCE (Berlin) nahm eine Reihe byzantinischer Texte in den Blick, die seitens der Forschung als „classicising historiography“ bezeichnet werden, da in ihnen starke Anklänge an Herodot, Thukydides oder Polybios zu finden sind. Rance untersuchte, wie Autoren, zum Beispiel Prokop von Caesarea, Wunden und Verwundungen von Kriegsteilnehmern darstellten. Der Vortragende fragte, für wen die mitunter sehr drastischen Erzählungen bestimmt gewesen sein könnten. Den möglichen Rezipientenkreis identifizierte er als eine im wesentlichen zivile Aristokratie, die über eine umfangreiche Bildung auch in Literatur verfügt, aber kaum militärische Erfahrung gehabt und sich signifikant von der militärischen Aristokratie unterschieden habe. In dieser in der frühbyzantinischen Gesellschaft vorhandenen Trennung der militärischen und zivilen Gesellschaftsteile sah Rance einen signifikanten Unterschied zu den zeitgleichen militarisierten Gesellschaften im ehemaligen römischen Westen.

Die Abschlussdiskussion wurde durch zwei Kurzbeiträge eingeleitet. RYAN LAVELLE (Universität Winchester) demonstrierte zunächst anhand der Illustrationen des „Stuttgart-Psalters“ aus dem frühen 9. Jahrhundert das Potenzial von Bildquellen für die Frage nach den Vorstellungen von Krieg und Militarisierung auf, bevor PHILIPP VON RUMMEL (DAI Berlin) eine Reihe von Fragen vorrangig aus der Perspektive der Archäologie formulierte. Hier wurde noch einmal deutlich, dass das von der Berliner Forschergruppe verfolgte Konzept der Militarisierung als analytische Methode noch längst nicht ausgeschöpft ist. Wie die abschließende Diskussion festhalten konnte, beschränkt sich das Phänomen der Militarisierung nicht auf die äußeren strukturellen Merkmale einer Gesellschaft wie die Heeresstruktur, die Rekrutierungsstrategien, die Beteiligung der Bevölkerung an Kriegshandlung oder die militärische Funktion der Elite. Diese äußeren Gegebenheiten wirken sich auch immer auf die zeitgenössische Wahrnehmung, Wertvorstellungen und Denkweisen aus. Für die Untersuchung des Phänomens der Militarisierung und der damit verbundenen historischen Prozesse ist es darum unumgänglich, auch nach deren inneren Kennzeichen zu fragen. Erst die Beschäftigung mit der Frage, wie die Kriegsteilnehmer und die von ihnen ausgehende Gewalt von den Zeitgenossen wahrgenommen und in den Texten dargestellt wurden, ermöglicht es, die Militarisierung frühmittelalterlicher Gesellschaften als Phänomen und Prozess grundlegend zu erfassen und zu verstehen.

 

Tagungsprogramm

19. September 2017

Stefan Esders: Introduction. The ‘Post-Roman Militarization Index’ and the Early Medieval Kingdoms

SESSION I: ASSESSING MILITARISATION

Edward James: Militarisation. Twenty Years On Laury Sarti: Perceptions and Conceptions of War and the Military as Reflections of a Militarised World

SESSION II: WAR AND CHRISTIAN THOUGHT

Uta Heil: Swords in Christian Hands. Reflections on Gregory the Great

Hans-Werner Goetz: Holy Wars? Religious Wars? The Perception of Religious Motives of Warfare against non-Christian Enemies in Ninth-Century Chronicles

Yannis Stouraitis: Just War in Leo VI’s Tactica as a Hallmark of Imperial Romanness in early tenth-century Byzantium

 

20. September 2017

SESSION III: ASSESSMENTS OF THE WARRIOR

Ellora Bennett: Construction of the Enemy in Pre-Viking England

Thomas Wittkamp: Weapons and Warriors in the Gesta Karoli of Notker the Stammerer – Evidence of a Militarised World?

SESSION IV: PERCEPTIONS OF MILITARY COMBAT

Stefanie Dick: Krieg und Gewalt in der Darstellung des Paulus Diaconus

Guido M. Berndt: Lombard Warfare. Some Observations from the Perspective of Byzantine Sources (6th-7th centuries)

Thomas Scharff: Defining battle in the Carolingian Age. Perceptions, Attributions and Appraisals

Michel Summer: Images of war? A Reconsideration of the Figural Scenes on Early Medieval Helmets and other Items from North-western Europe

SESSION V: REPRESENTATIONS OF WARFARE

Magali Coumert: Violence, Trickeries and Fights in Origin Accounts of the early Middle Ages

Stefano Gasparri: “Gens Germana gente ferocior”. Lombards and Warfare between Representation and Reality

 

21. September 2017

SESSION VI: WHY BATTLES WERE FOUGHT

Pablo Poveda Arias: The Role of War in the Construction of Visigothic Kingdom in Hispania (507–589). Motivations, Perceptions and Factors of Military Cohesion

Etienne Renard: Motives and Justification for Frankish Military Campaigns

SESSION VII: ASSESSMENTS OF FIGHTING

Simon Coupland: Warrior or Wimp? Charles the Bald as Military Commander

Philip Rance: “Displaying Many Wounds”. The Portrayal and Symbolism of Combat Injuries in early Medieval Warfare (4th-7th centuries)

Ryan Lavelle und Philipp von Rummel: Summary and Final Remarks

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