Vor 70 Jahren trafen die ersten Teile der norwegischen „Tysklandsbrigaden“ in Norddeutschland ein
Dieter Kollmer
Miszelle
Veröffentlicht am: 
17. Juli 2017
DOI: 
10.15500/akm.17.07.2017

An einem sehr kalten Wintertag im Februar 1947 traf in den frühen Morgenstunden im kriegszerstörten Hamburger Hafen der norwegische Frachter “Svalbard“ ein. An Bord hatte das Schiff nicht dringend benötigte Waren oder Lebensmittel, sondern einige hundert Soldaten, die das erste Kontingent einer norwegischen Besatzungstruppe bildeten, die unter britischem Kommando in Norddeutschland eingesetzt werden würde. Die Anlandung der ersten Soldaten der so genannten “Tysklandsbrigaden“ (norw. für “Deutschlandbrigade“) jährt sich in diesem Jahr zum 70. Mal. Dieses Ereignis wurde und wird von der norwegischen Regierung, aber auch von der Öffentlichkeit umfassend gewürdigt. So war Anfang Mai 2017 eine größere offizielle norwegische Delegation in Schleswig-Holstein und Berlin, um der geleisteten Dienste der Brigadesoldaten zu gedenken. In Deutschland hingegen ist es kaum bekannt, dass sechs Jahre lang auch norwegische Besatzungstruppen zwischen Flensburg und Goslar stationiert waren. Dieser Beitrag unter anderem zum Aufbau der bundesdeutschen Demokratie soll in dem nachfolgenden kurzen Artikel gewürdigt und in einem längeren Aufsatz im kommenden Herbst ausführlicher beleuchtet werden.

 

Aufbau des Besatzungsregimes in Norddeutschland nach Kriegsende 1945-1947

Mit der Kapitulation der Deutschen Wehrmacht am 8. und 9. Mai 1945 endete der deutsche Vernichtungskrieg zur Erlangung der Weltherrschaft mit einer totalen Niederlage. Bereits frühzeitig hatten die Alliierten Verhandlungen über die Zeit nach dem Sieg über Hitler-Deutschland geführt. Aber erst die Konferenzen von Jalta und Potsdam im Frühjahr bzw. Sommer 1945 führten zur Aufteilung des Deutschen Reiches in vier Besatzungszonen. Jede der Siegermächte USA, UdSSR, Großbritannien und Frankreich erhielt einen Bereich möglichst nahe dem eigenen Staatsgebiet zugeteilt. Dementsprechend war Großbritannien fortan für Nord- und Nordwestdeutschland sowie das Ruhrgebiet und das Rheinland verantwortlich.

Ganz Europa hatte unter dem Krieg gelitten. Die Zerstörungen waren unvorstellbar. Nur langsam begann der Wiederaufbau nicht nur der zerstörten Städte, sondern auch der Infrastruktur und der Industrieanlagen. Ohne die US-amerikanische Hilfe des “European Recovery Program“ (= Marshall Plan) hätte Westeuropa noch wesentlich länger benötigt, wirtschaftlich wieder auf die Beine zu kommen. Um sämtliche Lasten des Wiederaufbaus gleichmäßig zu verteilen, mussten alle westeuropäischen Staaten ihren Möglichkeiten entsprechend einen Beitrag zu den Anstrengungen leisten. In diesem Zusammenhang bat Großbritannien seine Verbündeten (Königreiche) Belgien, Dänemark, die Niederlande und Norwegen, sich an der Besatzung Deutschlands mit eigenen militärischen Kontingenten zu beteiligen. Bereits im Frühjahr 1946 wurden hierzu in London Verhandlungen geführt. Sehr schnell konnte eine Einigung über die jeweils länderspezifische Unterstützung erzielt werden.

 

Die Beteiligung des Königreichs Norwegen an der Besatzung 1947-1953

Demzufolge erklärte sich das Königreich Norwegen bereit, ab März 1947 rund 4.400 Offiziere, Unteroffiziere und Soldaten nach Westdeutschland zu entsenden. Sie wurden der “British Army of the Rhein“ unterstellt und erhielten den Namen “Tysklandsbrigaden“. Geführt wurden sie von dem “Tysklandskommandoen“, an dessen Spitze ein norwegischer Zweisternegeneral stand, der mit seinem Stab das Bindeglied zwischen der Brigade, den Behörden in Oslo und den britischen Militärbehörden in Deutschland war. Zudem trug er die Verantwortung für die Ausbildung, Verwaltung und Jurisdiktion der Brigade. Vorläufig für zwei Jahre mit einem halbjährigen personellen Wechsel wurden die Soldaten unter dem Motto “Für den Frieden nach Deutschland“ zunächst in Standorten entlang des Harzes in Braunschweig, Goslar, Northeim, Holzminden, Höxter, Göttingen und Bad Gandersheim stationiert.

Nach dem kommunistischen Staatsstreich in der Tschechoslowakei und der Berlin-Blockade 1948 einigten sich die Regierungen in London und Oslo vor dem Hintergrund des sich verhärtenden Kalten Krieges darauf, die norwegischen Einheiten von der innerdeutschen Grenze abzuziehen und nach Schleswig-Holstein zu verlegen, wo deren Versorgung unmittelbarer und kostengünstiger sichergestellt werden konnte. Die Brigade wurde auf Garnisonen in Itzehoe, Neumünster, Rendsburg, Husum, Holtenau, Schleswig und Flensburg aufgeteilt. Gemeinsam mit dort ebenfalls stationierten dänischen und britischen Verbänden bildeten sie eine rund 8.000 Soldaten umfassende Besatzungs- und ab 1949 Schutzmacht im nördlichsten Bereich der jungen Bundesrepublik. Das gemeinsame Hauptquartier befand sich in Rendsburg.

Über die Jahre kamen auf diese Weise rund 50.000 junge Norweger nach Westdeutschland. Die meisten von ihnen waren Wehrpflichtige, die nach einer Grundausbildung in den jeweiligen Heimatstandorten den zweiten Teil ihres Grundwehrdienstes in Deutschland absolvierten. Neben ihren rein militärischen Aufgaben hatten die norwegischen Truppen genauso wie die anderen Besatzungstruppen eine politisch-ideologische, ökonomische und sozio-kulturelle Bedeutung beim Wiederaufbau Westdeutschlands.

 

Norweger und Deutsche

Erwähnenswerte Auseinandersetzungen zwischen Deutschen und Norwegern gab es in diesen Jahren nicht. Einzelne Streitigkeiten um die Gunst junger Frauen, und das zumeist unter Alkoholeinfluss, waren auch damals nur “Ordnungswidrigkeiten“. Vielmehr maß man die Kräfte in sportlichen Wettkämpfen, die von dem “Tysklandskommandoen“ gefördert wurden, da sie viel zum näheren, unkomplizierten Kennenlernen beitrugen. Von nicht zu unterschätzender Bedeutung für viele Deutsche war, dass die “Tysklandsbrigaden“ verschiedentlich bezahlte Arbeit für Küchen-, Garten- oder Hilfskräfte anboten. Dies verschaffte den Einheimischen die Möglichkeit, sich und ihre Familie zu ernähren. Aber auch in anderen Situationen waren die Deutschen den Norwegern sehr dankbar. So eilten zum Beispiel bei einem Großbrand in Rendsburg die Soldaten der Brigade 502 sofort, uneigennützig und unerschrocken zur Hilfe, was bei den Bürgern der Stadt einen tiefen Eindruck hinterließ.

Für die Westdeutschen bedeutete die Präsenz der norwegischen (und dänischen) Soldaten bis zum Frühjahr 1953 nicht nur Schutz gegen mögliche Angriffe seitens des Warschauer Paktes. Vielmehr bot sie auch Raum für eine unbürokratische Kontaktaufnahme, Auseinandersetzung und Verständigung mit den skandinavischen Nachbarn. Dies war insbesondere deshalb von Bedeutung, da vielen Deutschen damals noch nicht bewusst war, welche Verbrechen und Zerstörungen die deutschen Besatzer zwischen 1940 und 1945 in Norwegen begangen und hinterlassen hatten.

 

Das Ende der Stationierung und der Abzug 1952/53

Nachdem im Mai 1952 der Deutschlandvertrag unterzeichnet worden war, beendeten die norwegischen Soldaten ihren Einsatz und zogen unter großer Anteilnahme der schleswig-holsteinischen Bevölkerung ab. Eine Militärparade im April 1953 auf dem Flugplatz Schleswig-Jagel in Anwesenheit des norwegischen Kronprinzen Olav, hoher NATO-Militärs und ziviler bundesdeutscher Vertreter bildete den würdigen Schlussakkord.

Die “Tysklandsbrigaden“ haben nicht nur ihren Auftrag erfüllt, in den zugewiesenen Gebieten für Ruhe und Ordnung zu sorgen und der Demokratie in der Bundesrepublik Deutschland mit zum Durchbruch zu verhelfen, sie haben auch einen wichtigen Beitrag zur Wiederannäherung von Norwegern und Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg geleistet.

 

Literatur zum Thema

Hartmann-Moritzen, Klaas, Rendsburg als Militärstandort nach dem Zweiten Weltkrieg. In: Robert Bohn/Martin Westphal (Hrsg.), Garnisonsgeschichte der Stadt Rendsburg, Bielefeld 2017, S. 276-329.

Kollmer, Dieter H.: “Okkupanter ble beskyterre – Tysklandsbrigadene bidro til normalisering mellom det tyske og norske folk. In: Forsvarets Forum 2/2017, S. 70/71 Kristiansen, Tom (Hrsg.), Die norwegische Deutschlandbrigade. Von der Okkupation zur Kooperation, Oslo 1998.

Levsen, Dirk, Die norwegische “Deutschland-Brigade“. Ein fast vergessenes Kapitel Besatzungsgeschichte. In: Militärgeschichtliche Beiträge 7 (1993), S. 4-9.

Pohl, Katherina, Nach Deutschland für den Frieden. Tysklandsbrigaden. In: Bernd Henningsen (Hrsg.), Hundert Jahre deutsch-norwegische Begegnungen. Nicht nur Lachs und Würstchen, Berlin 2006, S. 218.

Im Internet unter: www.tysklandsbrigaden.no (zuletzt aufgerufen: 29.04.2017)

Eine Infanteriegruppe des II. Bataillons der Brigade 512 geht während der Übung Skandia im März 1952 im Schutze eines schleswig-holsteinischen Knicks vor (Forsvarsmuseet, Norge)