Berichte deutscher Spätheimkehrer über die Kriegsgefangenen der División Azul. Ein Quellenfundus im Archivo General de Alcalá
Dominik Herzner
Projektskizze
Veröffentlicht am: 
29. März 2024

 

Über die Gefangenschaft der spanischen Kämpfer der División Azul in der Sowjetunion ist in der deutschen Forschung wenig bekannt. Das ist erstaunlich, da gerade deutsche Kriegsheimkehrer vielfach Informationen über die Spanier in Gefangenschaft lieferten. Ein Zufallsfund im Archivo General de la Administración in Alcalá de Henares könnte dies ändern. Hier wurde ein bislang nicht genutzter Quellenkorpus entdeckt, der zahlreiche Informationen über Bedingungen, Orte und Verlauf der Gefangenschaft beinhaltet.[1]

Die spanische Blaue Division kämpfte im Zweiten Weltkrieg als Teil der Heeresgruppe Nord an der Ostfront. Seit 1941 unterstützte Francos Freiwilligenarmee die deutschen Soldaten im Kampf gegen ihren gemeinsamen ‚bolschewistischen’ Feind und nahm beispielsweise zusammen mit der 18. Armee an der Belagerung Leningrads teil.[2] Die División Azul war keineswegs eine homogene Gruppe antikommunistischer Soldaten, wie es das spanische Narrativ nach dem Zweiten Weltkrieg verbreitete, sondern vielmehr eine gemischte Truppe, bestehend aus Studenten, Staatsbeamten, ehemaligen Afrika-Kämpfern und sogar untergetauchten Kommunisten, die auf diesem Weg zur Roten Armee stoßen wollten.

Die deutschen Wehrmachtsoldaten sympathisierten mit den Freiwilligen der Division. Der Kampf gegen die feindliche bolschewistische Weltanschauung war das zentrale einende Element zwischen den verschiedenen Truppenteilen. Bereits im Spanischen Bürgerkrieg hatte dieses Feindbild eine Zusammenarbeit der deutschen Legion Condor mit Francos Aufständischen bewirkt. Die División Azul war nun ein paar Jahre später die Gegenleistung des spanischen Diktators für die einstige Hilfestellung Hitlers.

Vor Ort in der Sowjetunion war das Verhältnis zwischen den deutschen und spanischen Soldaten gut. Die Spanier standen ihren deutschen Kameraden freundlich gegenüber und auch die Wehrmachtangehörigen interessierten sich für die in ihren Augen exotischen Kampfgenossen.[3]

Am 20. Oktober 1943 löste Franco jedoch die Truppe auf. Der außenpolitische Druck durch die Alliierten wurde für den spanischen Diktator zu groß und die militärische Lage hatte sich geändert, weshalb er begann, sich von Hitler-Deutschland zu distanzieren. Doch nicht alle Kämpfer kehrten nach Spanien zurück. Einige Freiwillige, Fanatiker und Abenteurer blieben und traten in den Dienst der Wehrmacht oder der Waffen-SS.[4] Zu den Soldaten, die noch direkt an der Front in die deutschen Verbände eintraten, kamen neue Freiwillige hinzu, mehrheitlich junge Falangisten und Veteranen der División, die heimlich die Pyrenäen überquerten, um weiterhin auf deutscher Seite kämpfen zu können. Rund 2.000 Mann bildeten die sogenannte Spanische Legion, die bis 1945 auf deutscher Seite kämpfte.

Insgesamt waren in den vier Einsatzjahren rund 47.000 spanische Soldaten in der Sowjetunion aktiv. Ihr Einsatz war bis zum Ende der Diktatur 1975 die letzte militärische Operation Francos im Ausland und ist bis heute in der Erinnerungskultur des Landes tief verwurzelt.

Während über den Kampfeinsatz und die Truppenzusammensetzung vergleichsweise viele Studien existieren, ist über das Vermächtnis und das Gedächtnis der Einheit in Spanien und Deutschland nur wenig bekannt. Einzig Núñez Seixas gibt genauere Informationen über die Erinnerungskultur der División Azul nach 1945.[5] Sein Schwerpunkt liegt jedoch auf den Gefallenen- und Traditionsvereinen, die das Gedächtnis und die Erinnerung an die Einheit aufrecht erhalten.

Eine Gruppe wird in der Forschung fast gar nicht thematisiert: Die Kriegsgefangenen der División Azul und der spanischen Legion. Ihr Schicksal ist nahezu ein Desiderat, bei Núñez Seixas, der 2016 die neueste Arbeit zum Thema vorlegte, findet sich nur der knappe Hinweis, dass sich bei der Rückkehr 1954 21 ehemalige Mitglieder der Waffen-SS unter den Kriegsheimkehrern befanden.[6] Über ihren Verbleib, ihre Behandlung in den Gefangenenlagern und ihre Zusammensetzung ist in der deutschsprachigen Literatur nichts zu finden.[7] Hinweise finden sich in älteren Überlieferungen, die aus den Reihen der Division selbst stammen, so zum Beispiel die Memoiren von General Emilio Esteban Infantes, in deren deutscher Übersetzung das Kapitel über die Kriegsgefangenen aber ausgelassen wurde.[8] Die einzige deutschsprachige Ausnahme bildet die Arbeit von Herminio Redondo, Botschafter in der Hölle, die 2008 im rechtsorientierten Wiener ‚fakten’ Verlag erschienen ist. Seine Arbeit verzichtet auf Quellennachweise und ist nicht frei von ideologischer Färbung. Viele Informationen scheinen aus dem Werk von Esteban Infantes übernommen zu sein.

Dieses Desiderat wirkt erstaunlich, denn es waren vor allem deutsche Kriegsheimkehrer, die vielfach Informationen über die Gefangenen der División Azul lieferten. Hauptsächlich über das Rote Kreuz übermittelten sie Nachrichten und Lebenszeichen an das spanische Konsulat und setzten sich somit für ihre Kameraden ein. Aus diesen Berichten lassen sich einerseits Informationen über den Verbleib, die Zusammensetzung und die Behandlung spanischer Kriegsgefangener gewinnen und andererseits Motive der deutsch-spanischen Beziehungen herausarbeiten, die sich auf einem Mikrolevel der Kriegsgeschichte befinden und den Kontakt auf einer individuellen menschlichen Ebene beleuchten. In der folgenden Darstellung sollen diese Berichte für weitere tiefere Forschungen im militärhistorischen Bereich vorgestellt werden. Ziel ist nicht eine detaillierte Auflistung von Einzelschicksalen zu liefern oder bereits eine tiefgreifende Analyse zu präsentieren, sondern generell die Entwicklung der spanischen Kriegsgefangenschaft zu skizzieren und die Berichte der deutschen Kriegsheimkehrer darin zu verorten. Die Russlanderfahrung der Blauen Division endet in der deutschsprachigen Forschung bisher mit dem Kriegsende 1945.[9] Der entdeckte Quellenkorpus kann dies ändern.


Einblicke in den Quellenkorpus

Die ersten Meldungen über die Existenz spanischer Kriegsgefangener in der Sowjetunion stammten aus dem Sommer 1946, als freigelassene italienische Soldaten über neun Offiziere der Division in ihrem Lager berichteten. Diese Meldungen verhallten allerdings ungehört im spanischen Außenministerium. Es gab keine diplomatischen Beziehungen zur Sowjetunion, zudem zeigte die Regierung wenig Interesse an den freiwillig zurückgebliebenen Kämpfern, waren diese doch ein lebendiges Zeugnis für den falangistischen Einsatz auf Seiten Hitler-Deutschlands, das wiederum Francos Regierung auf dem internationalen Feld zusätzlich kompromittiert, und zu weiterer Isolation geführt hätte.

Es dauerte rund drei Jahre bis erneut Meldungen über die verbliebenen Gefangenen im spanischen Außenministerium eingingen. Im November 1949 schrieb der Münchner Ingenieur Wilhelm Karl Geiss einen längeren Brief an die Regierung in Madrid und schilderte seine Erfahrungen. Im Lager in Kiew, Bereich 7062 seien ca. 25 spanische Offiziere und Soldaten untergebracht, die unter verschärften Wachbestimmungen stünden. Unter den Gefangenen sei auch ein Kapitän, der ein Verwandter des spanischen Kriegsministers sei. Für die Spanier bestand Schreibverbot, weshalb Geiss einen Appell an die spanische Regierung richtete, ihre Landsleute nicht zu vergessen.

Einen Monat später ging, vermittelt über das spanische Konsulat, in Madrid ein weiterer Brief von Major Bruno Gebele ein, der von etwa 40 Gefangenen im Lager 7.437 in Tscherepowjetz berichtete. Die Internierten waren teils ehemalige Angehörige der republikanischen Armee, die 1938 zur fliegerischen Ausbildung in die Sowjetunion geschickt und nach dem Ende des spanischen Bürgerkriegs interniert wurden. Auch Gebele übermittelte Botschaften der Gefangenen, er fühlte sich seinen ehemaligen Waffengefährten kameradschaftlich verbunden und erzählte daher von ihrem Schicksal. Nach einem Hungerstreik wurden die spanischen Soldaten 1947 nach Odessa abtransportiert, um – so das sowjetische Versprechen – ihre Repatriierung vorzubereiten. Dort versuchten andere spanische Emigranten sie zum Verbleib in der Sowjetunion zu überreden, da ihnen als Republikaner in der Heimat die Erschießung oder das Gefängnis drohe. Nachdem die Soldaten jedoch ablehnten, verkündeten die sowjetischen Offiziere sie wegen faschistischer Agitation anzuklagen und für 25 Jahre einzukerkern. Um ihre Androhungen glaubhafter zu machen, veranstalten sie mehrere Prozesse gegen die Spanier. Sieben Soldaten der División Azul wurden schließlich zur Zwangsarbeit verurteilt. Der sowjetische Lagerleiter in Tscherepowjetz, Major Popoff unterschied nicht zwischen Kriegsgefangenen und Internierten und zog auch die republikanischen Armeeangehörigen zur Zwangsarbeit heran, die daraufhin erneut in einen Hungerstreik traten und nach sechs Tagen zwangsernährt wurden. Die sowjetische Lagerleitung herrschte, so Gebel mit Zuckerbrot und Peitsche, versprach den Spaniern abwechselnd ihre Freilassung und drohte mit langen Haftstrafen, sollten sie sich nicht zum freiwilligen Verbleib in der Sowjetunion entscheiden. Rund 40 Prozent der Internierten gaben dem Druck nach und beschlossen, im Land zu bleiben.

Gebele schloss seinen Brief mit einer Charakterisierung der spanischen Gefangenen. Die einen waren demnach Überläufer, Verbrecher, Verräter und Spitzel der Lagerleitung, die anderen waren prächtige Soldaten, für die er sich einsetzen wollte, da sie noch in einer viel schlimmeren Lage als die Deutschen seien, schließlich könne sich ihre eigene Regierung nicht offiziell um sie kümmern. Wenn es gelänge sie freizubekommen, wären sie nach Meinung Gebeles die beste Propaganda gegen den Kommunismus, da sie 1938 nicht als Feinde in die Sowjetunion kamen, aber nun als faschistischen Agenten behandelt wurden. Im Anhang schickte er eine Namensliste aller ihm bekannten Spanier mit, deren Werdegang er versuchte nachzuzeichnen.

Meldungen, wie von Gebele oder Geiss häuften sich nun in den spanischen Behörden, viele gingen über die deutschen Vermittlungsstellen des Roten Kreuzes und das spanische Generalkonsulat ein. Die Regierung begann sich nun auch zunehmend für ihre Landsleute zu interessieren und schaltete ab dem Ende des Jahres 1949 verschiedene Zeitungsanzeigen in Deutschland mit der Aufforderung an Kriegsheimkehrer, Berichte über spanische Soldaten zu liefern. Das spanische Generalkonsulat suchte nun auch gezielt den Kontakt zu den Rot-Kreuz-Stellen in Deutschland, die Informationen sammelten. Die meisten Informanten berichteten von rund 230 spanischen Soldaten, circa 150 von der División Azul, 45 andere Spanier, teils Kommunisten und rund 30 zivile völkerrechtswidrig Internierte. So befanden sich unter den spanischen Gefangenen auch die Besatzung von drei Schiffen, der Cabo San Agostino, der Cabo Ginales und der Juan Sebastian de Cano, die bereits 1933 im Hafen von Odessa konfisziert wurden. 78 der circa 150 Mitglieder der División Azul befanden sich im Lager 7099/XII in Karaganda, in Kasachstan. Auch diese hatten keine Möglichkeit, Briefkontakt mit der Heimat aufzunehmen. Die deutschen Heimkehrer bewunderten in allen Schreiben den Mut ihrer spanischen Kameraden, die sich immer wieder gegen die sowjetischen Aufseher zur Wehr setzten und mit, so die Schilderung, Stolz ihr Vaterland verteidigten. So berichtete Konrad Friesenhahn, der rund fünf Jahre in der Nähe von Moskau interniert war, dass er fünfzig spanische Frauen traf, die angeblich als Kinder verschleppt worden seien und sich nun gegen eine Zwangsverheiratung mit Russen weigerten. Ein weiteres Motiv in den Schilderungen über die Spanier war neben ihrem Stolz die Lebensfreude, die sie versuchten zur Schau zu stellen. So betrieben sie regelmäßig Gottesdienste in den Lagern, veranstalteten mit den Deutschen Fußballturniere oder musizierten.


Informativer Mehrwert und offene Fragen

Welcher informative Mehrwert steckt nun in dem vorgestellten Quellenkorpus? Neben den Informationen über einzelne Schicksale, auf Grund der häufig angehängten Namenslisten geben die Quellen einen deutschen Blick auf die Gefangenschaft der Spanier in der Sowjetunion preis. Anhand der Dokumente kann der Fokus verändert werden und die Forschung ist nicht nur auf die spanischen Überlieferungen, wie von Esteban Infantes angewiesen. Damit einhergehend eröffnet sich ein kontrastiver Ansatz. So werden die republikanischen Gefangenen in den Überlieferungen des Generals nur wenig thematisiert, in den Berichten der deutschen Heimkehrer spielen sie aber eine zentrale Rolle. Esteban Infantes charakterisierte die Rotspanier schon beinahe als Überläufer, die mit offenen Armen zu den Sowjets eilten,[10] wogegen die deutsche Überlieferung deutlich macht, dass sich besonders die völkerrechtswidrig internierten republikanischen Soldaten durch Heimatliebe und Stolz auszeichneten. Dies widerspricht deutlich dem franquistischen Bild der verräterischen ‚Rotspanier’.

Weiterhin konnte der kurze Blick in die Quellen deutlich machen, dass die Initiativen zur Beendigung der Gefangenschaft weniger von der spanischen Regierung, die auf Grund der politischen Differenzen wenig Einflussmöglichkeiten in der Sowjetunion hatte, ausgingen, sondern vielmehr von ehemaligen deutschen Soldaten, die sich für ihre spanischen Kameraden einsetzten. Unklar bleibt im Quellenkorpus, was die Motive der Regierung in Madrid waren, sich nicht intensiver um die republikanischen Internierten zu kümmern.

Die Erfahrungsberichte der deutschen Kriegsheimkehrer können aber insgesamt ein weiteres Unterkapitel in der Erinnerungsforschung über die División Azul werden. Es bleibt dabei die Frage offen, inwiefern die deutschen Berichte dazu beigetragen haben, dass sich das spanische Konsulat ab Ende 1949 vermehrt für die Rückführung einsetzte und beispielsweise Anzeigen in Zeitungen schaltete. Denkbar ist, dass die deutschen Berichte als Katalysator fungierten.

Das von Major Gebele angebrachte Argument der antikommunistischen Propaganda kann dabei ein zentraler Aspekt sein. Hatte man kurz nach Kriegsende die ehemaligen Mitglieder der División Azul und der spanischen Legion nicht beachtet, um möglichst die Nähe zu Hitler-Deutschland nicht zu offensichtlich zu machen, änderten sich nun, nur wenige Jahre später, die globalen Konstellationen im sich abzeichnenden Ost-West-Gegensatz, in dem die Spanier eine klare antikommunistische und prowestliche Haltung einnahmen.

Nach dem Umzug des Archivs des Ministerio des Asuntos Exteriores ins General Archiv nach Alcalá sind viele Akten noch nicht systematisiert beziehungsweise geordnet und der Zugang für Forscher deutlich erschwert. Auch der hiesige Bestand, bestehend aus rund 20 Briefen plus Aktenvermerke war nur ein Zufallsfund. Es kann daher angenommen werden, dass noch weitere Bestände bestehen, die noch nicht über das Suchsystem auffindbar sind. Die Auswertung dieses Materials könnte die deutschsprachige Forschung über die División Azul bereichern, zumal gerade die deutschen Soldaten eine besondere Rolle spielten. Die Akten des Roten Kreuzes in anderen Archiven wären hier ein weiterer denkbarer Zugang.

 

[1] Archivo General de la Administración Aktennummer: 54/11692.
[2] Walter Haubrich, Spanien, München 2009, S. 54f.
[3] Xosé Núñez Seixas, Die spanische Blaue Division an der Ostfront, 1941-1945. Zwischen Kriegserfahrung und Erinnerung, Münster 2016, S. 100ff.
[4] Ebd. S. 303.
[5] Ebd. S. 325ff.
[6] Ebd. S. 309.
[7] Im spanischen existieren einige Arbeiten über die División Azul, die auch die Gefangenschaft ausführlicher behandeln. Vgl. Xavier Moreno Juliá, La Division Azul. Sangre española en Rusia 1941-1945, Barcelona 2005. (2015 in englischer Übersetzung erschienen) oder Francisco Torres, Soldados de Hierro. Voluntarios de la División Azul, Madrid 2014. Die Forschungen basieren größtenteils auf den Zeugenaussagen, der 1954 zurückgekehrten Soldaten.
[8] Übersetzung von Werner Haupt, Die Blaue Division. Spaniens Freiwillige an der Ostfront, Leoni am Starnberger See 1958.
[9] Xosé Nuñez Seixas, Als die spanischen Faschisten (Ost)Europa entdeckten – Zur Russlanderfahrung der „Blauen Division“ (1941-1944). In: Totalitarismus und Demokratie 3 (2006), S. 323-344.
[10] Emilio Esteban Infantes y Martin, La División Azul. Donde Asia empieza, Barcelona 1956, S. 280.

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