Zur Erinnerung an Johannes Steinhoff
Heiner Möllers
Miszelle
Veröffentlicht am: 
17. September 2013

Mit dem Namen Johannes Steinhoff verbinden an Militär und Militärgeschichte Interessierte vor allem ein vom Krieg gezeichnetes Gesicht. Es machte den General unverwechselbar. Daneben erinnern sich nicht wenige an den hochdekorierten Jagdflieger, der, mit Ritterkreuz nebst Eichenlaub und Schwertern ausgezeichnet, nach dem Zweiten Weltkrieg in der Bundeswehr eine beeindruckende Karriere machte. Dabei handelte es sich bei Johannes Steinhoff um einen herausragenden Vertreter der Bundeswehr mit hohem Ansehen im In- und Ausland.

Der am 15. September 1913 im thüringischen Bottendorf geborene Sohn eines Getreidemühlenbesitzers legte sein Abitur in der Klosterschule Roßleben ab und begann 1932 sein Studium der Sprach- und Sportwissenschaften in Jena, das er jedoch nach zwei Jahren aus wirtschaftlichen Gründen aufgeben musste. Nach dem Eintritt in die Marine des Deutschen Reiches 1934 zum Offizier ausgebildet, wechselte er 1936 zur neu aufgestellten Luftwaffe und erlebte als Jagdflugzeug- und Verbandsführer alle europäischen Kriegsschauplätze. Das Kriegsende erlebte der im April 1945 schwer verletzten Steinhoff im Lazarett, das er erst 1947 verlassen sollte. Nach einigen zivilberuflichen Zwischenstationen führte ihn sein Weg 1952 ins Amt Blank, dem Vorläufer des Bundesverteidigungsministeriums, wohin man Steinhoff offenkundig aufgrund seiner Erfahrungen mit jetgetriebenen Kampfflugzeugen und seiner Scharnierfunktion als Gründungsmitglied der Gemeinschaft der Jagdflieger berief. Dieser Verein hatte sich 1951 gegründet und wirkte in den frühen Jahren der Bundeswehr nicht zuletzt als Nachrichtenbörse und Jobvermittlung. Aus ihr kamen zahlreiche spätere Generale der Luftwaffe und nicht wenige, die in ihr eine neue militärische Heimat fanden.

Steinhoff war in ihr zwar der Gründungspräsident, übernahm aber seit 1952 keine Vorstandsämter mehr. Vielmehr wirkte er wohl im Hintergrund. Er war nicht zuletzt aufgrund seiner exponierten Verwendungen mit dem Aufbau der Luftwaffe voll beschäftigt. Seine Vorgesetzten bescheinigten ihm von Anfang an, fachlich zu den Besten zu gehören, weswegen sein Weg zum Viersternegeneral durchaus vorgezeichnet war. Auffällig ist bei der Durchsicht seiner Personalakte wie auch des Nachlasses und der damit korrespondierenden Literatur jedoch, dass Steinhoff ein progressiver General war. Er stand modernen Führungsmethoden und -stilen, dem technischen Fortschritt und den daraus resultierenden Anforderungen an den Soldatenberuf sowie den militärpolitischen Zusammenhängen der Zeit offen gegenüber. Insbesondere die durch das Zeitalter der Atombombe veränderten Vorstellungen vom künftigen Krieg, den er für nicht führbar bewertete, zeichneten ihn aus: Im Gegensatz zu vielen Generalen der ersten Stunde sah er die NATO-Strategie der Massiven Vergeltung als eine Art Lebensversicherung Deutschlands an.

Die ab 1967 eingeführte Flexible Antwort hielt er anfangs allein durch mit ihr verbundenen hohen Kosten für die Konventionalisierung der Ausrüstung der Luftwaffe und der Bundeswehr für nicht praktikabel. Doch seine Erkenntnis von 1962, dass die USA den Strategiewandel durchführen würden, gleichgültig, wie die europäischen NATO-Partner dies sähen, führten zu einem Gesinnungswandel. Dieser war jedoch nicht von der Überzeugung, die neue Strategie sei die bessere, geprägt, sondern von der Einsicht, dass die Bundesrepublik auf den militärischen Schutz der USA zwingend angewiesen war. In verschiedenen Verwendungen bei der NATO, u.a. 1960-63 als deutscher Vertreter im ständigen Militärausschuss und 1971-74 als Vorsitzender NATO-Militärausschuss („Chairman MC NATO“) – als dem ständigen Gremium der Generalstabschef der Allianz – entwickelte er sich zum kritischen Begleiter der militärpolitischen Entwicklungen seiner Zeit. Gerade als Chairman kommentierte er in vielfältigen Interviews für Presse, Rundfunk und Fernsehen, welche Auswirkungen der Vietnamkrieg auf Europa, der Sechs-Tage-Krieg auf die Militärtechnologie und der gesellschaftliche Wandel auf das Selbstverständnis der Soldaten der Bundeswehr haben würde. Damit hob er sich von vielen Zeitgenossen ab. Er sprach pointiert, ohne schwammige Rabulistik und lieferte klare Analysen.

Diese Klarheit in der Person lässt auch verstehen, weshalb der damalige Bundesverteidigungsminister Kai-Uwe von Hassel gerade Steinhoff auf dem Höhepunkt der Starfighter-Krise 1966 zum Inspekteur der Luftwaffe berief. Nur ein General, der im Bündnis der NATO verwurzelt und dort anerkannt war, der „Moderne“ nicht nur als Schlagwort verstand, sondern daraus auch Folgerungen für die Bundeswehr entwickeln konnte und der Probleme entschlossen löste, musste gefunden werden. Steinhoff stand dabei nicht im Fokus der bisherigen Luftwaffenführung. Sie wollte vorzugsweise einen aus ihren eigenen, deutschen Reihen und nicht den damals bei der NATO in Paris arbeitenden international vernetzten General an ihrer Spitze sehen.

Dass Steinhoff letztlich an der Spitze der Luftwaffe erfolgreich wirken konnte, war auch den Umständen seiner Amtsübernahme und vor allem seinen Kontakten in die Medienlandschaft zu verdanken: gerade die über die Ernennung stattfindende Berichterstattung – und erst recht durch die zuvor betriebene Berichterstattung über die Starfighterkrise und ihre Hintergründe – verdeutlicht, dass es sich auch um eine kleine Revolution handelte. Die durch die politischen Rahmenbedingungen und Ereignisse desavouierten Abläufe im Bundesverteidigungsministerium konnte Steinhoff nahezu umfassend, wenngleich nicht ad hoc, ändern. Einzelne Vertreter der Medien, hier vor allem die Bundeswehrexperten Lothar Rühl von der „Welt“ und Adelbert Weinstein von der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, wirkten bereits seit Jahren als seine Multiplikatoren in die Öffentlichkeit.

Die Handlungsprämisse „Communication is the Key!“ hat Steinhoff Zeit seines Wirkens in der Bundeswehr vorgelebt. Er stand bis zu seinem Tode immer mit Medienvertretern in Kontakt und das ZDF hat in den 1970er Jahren eine halbstündige Reportage gesendet: der Titel, „Ein deutscher General“, verstellt aber den Blick auf die komplexe Persönlichkeit Steinhoffs. Er war mitnichten auf Deutschland fokussiert. Er dachte international und war als solcher eine anerkannte Größe bis zu seinem Tod. – Als er 1994 starb, schrieb die „Welt“ unter Berufung auf Helmut Schmidt, Steinhoff stecke „10 Staatssekretäre in den Sack“. Dieses Bild trügt: einen beamteten Staatssekretär, der dem tagespolitischen Geschehen nicht so unterworfen ist wie ein Berufspolitiker, konnte Steinhoff 1966 aushebeln. Ein politisch starker Minister, wie Helmut Schmidt es von 1969 bis 1972 an der Spitze der Bundeswehr war, hätte dies nie zugelassen.

Vielleicht ist das auch die Erklärung dafür, weshalb Steinhoff nicht Generalinspekteur der Bundeswehr wurde, sondern bei der NATO als Viersternegeneral seinen Karrierehöhepunkt erreichte. Helmut Schmidt wollte dem Verfasser zu dieser Frage keine Antwort geben.

Johannes Steinhoff hätte eine Biographie oder wenigstens einen Sammelband verdient, der seine vielfältigen Lebensstationen nachzeichnet. Dann hätte erstmals wissenschaftlich untersucht werden können, unter welchen Umständen und aus welchen Gründen kriegsgediente Offiziere der Wehrmacht in der Bundeswehr Karriere machten. Darüber hinaus hätte erforscht werden können, wie sich ein Soldat in der Welt der bipolaren Weltordnung im Zeitalter der Atombombe zu einem exponierten und anerkannten Vertreter der gemeinsamen Sicherheit unter dem Dach der NATO und dabei zu einem kritischen, aber konstruktiv vermittelnden Anwalt Europas wurde. Sein im Militärarchiv in Freiburg liegender Nachlass ist zwar nicht umfangreich, aber die darin liegenden Vorträge Steinhoff offenbaren tiefe Einblicke in die militärpolitische Situation seiner Zeit.

Die Bundeswehr hat ihn scheinbar vergessen. Auf ihren Internetseiten findet man nichts zum Geburtstag dieser herausragenden Persönlichkeit der Bundeswehrgeschichte. Lediglich die Luftwaffe würdigte ihn mit zwei internen Veranstaltungen und einem Tagesbefehl.

[1] Einen umfassenden Lebenslauf hat der Verfasser seit 2006 in Wikipedia erstellt und laufend überarbeitet. Nachdem sich die Beckmesser an Zeichensetzung und „AbkAufl“ ausgetobt haben, hat es kaum nach Änderungen an der Substanz des Beitrages gegeben. Dort findet sich auch weiterführende Literatur von und über Steinhoff.

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