Christina Klein
Exkursionsbericht
Veröffentlicht am: 
10. Oktober 2012

Wenn man aus Richtung Norden in die französische Stadt Meaux hineinfährt, erblickt man zuerst ein großes Denkmal: "La liberté éplorée" – "Die tränenreiche Freiheit" des amerikanischen Künstlers Frederick MacMonnies. Dieses Denkmal ist ein Geschenk der Vereinigten Staaten von Amerika zum Gedenken an die Marne-Schlachten in den Jahren 1914 und 1918. Sowohl die Nähe zu dieser Statue als auch zu den historischen Stätten des Ersten Weltkrieges waren Entscheidungskriterien für den Standort des 2011 eröffneten Musée de la Grande Guerre in Meaux.

Bürgermeister Jean-François Copé zögerte 2004 nicht lange, als ihm eine aus knapp 50.000 militärhistorischen Objekten bestehende Sammlung von Jean-Pierre Verney zum Verkauf angeboten wurde. Die Stadt Meaux erwarb schließlich 2005 die Sammlung und die Idee zur Eröffnung eines Museums, das an den Ersten Weltkrieg erinnern sollte, nahm allmählich Gestalt an. Unter der Leitung von Marc Ferro wurde 2007 ein wissenschaftlicher Beirat gegründet, dem unter anderem Jean-Jacques Becker, Leiter des Forschungszentrums am "Historial de la Grande Guerre" in Péronne angehört. Im darauffolgenden Jahr wurde ein Architekturwettbewerb ausgerufen, den der Pariser Christophe Lab gewann. Die Fertigstellung des imposanten Baus ging recht zügig voran, so dass unter Anwesenheit von Staatspräsident Nicolas Sarkozy am 11. November 2011 – Tag der Unterzeichnung des Waffenstillstands 1918 und damit ein Datum mit hoher Symbolkraft – das Museum eröffnet werden konnte.

Die Ausstellung des Museums beginnt schon außerhalb der Museumsmauern. Neben dem bereits erwähnten Denkmal führt auch ein eigens für das Museum angelegter Vorplatz mit Geräuschkulisse den Besucher in das Thema ein. Auf dem Boden dieses Geländes befindet sich eine topographische Karte des Marne-Gebietes, die eine erste geographische Orientierung ermöglicht. Die Ausstellung besteht architektonisch aus einer Hauptachse, die chronologisch aufgebaut ist, und zwei Seitengängen. In einem der eigentlichen Szeneografie vorgelagerten Raum wird der Besucher mittels eines auf eine große Leinwand projizierten Videos durch Bild, Musik und Text in das Jahr 1870 zurückversetzt. Mit diesem Jahr beginnt die Geschichte, die das Museum erzählen möchte.

Aus dieser Dunkelkammer hinaus betritt der Besucher einen Ausstellungsraum, indem ihm zur historischen Einordnung die Vorgeschichte des Ersten Weltkrieges anhand eines Zwei-Farben-Schemas erläutert wird: Die Alliierten in grün werden den Mittelmächten in rot gegenübergestellt. Die Themen sind unter anderem die internationalen Beziehungen und die Mobilisierung der verschiedenen Seiten. Wenn der Besucher sich dann unter einer Geräuschkulisse weiter bewegt, geht er durch einen Gang an dutzenden Puppen vorbei, welche sich – begleitet von einigen Pferden – symbolisch auf den Weg in den Krieg machen. Obwohl solche Puppen lächerlich wirken könnten, bleibt diese Darstellung doch recht zurückhaltend: Die Figuren bestehen aus weißem Wachs, sind nicht geschminkt oder ähnliches. Schwierig ist allerdings, dass dieser Gang eher eng ist und beispielsweise eine geführte Gruppe zuerst schnell – ohne weitere Erläuterung - "durchgeschleust" werden muss und nicht den Eindruck der Puppen auf sich wirken lassen kann.

Im zentralen Raum der Ausstellung wird der Besucher durch die Gestaltung in die historische Szenerie hineinversetzt: Hier befinden sich die größten Objekte des Museums, zwei französische Flugzeuge, ein Panzer, Lastwagen und ein Taxi. In der Mitte ist ein Schlachtfeld rekonstruiert. Auf der einen Seite ist ein französischer, auf der anderen ein deutscher Schützengraben und dazwischen das Niemandsland dargestellt. Links von diesem Raum wird dieser Ansatz weitergeführt und der Besucher kann einen nachgebauten Unterstand und einen Schlafsaal betreten. Der interessanteste Bereich befindet sich allerdings rechts vom zentralen Raum. Der Besucher kann seinen Weg selbst bestimmen und wählen, ob er die verschiedenen Abteilungen zu ausgewählten Themen, die sich hier befinden, entdecken möchte oder nicht. Aspekte der Technologie, der Mobilisierung, der Taktik und Strategie werden genauso dargestellt wie der Alltag der Soldaten und der Daheimgebliebenen. Ausgeblendet wird gleichermaßen nicht das Leiden und Sterben der Soldaten oder die Kriegsgefangenschaft. Schlussendlich wird auf die Globalisierung, die Kolonialsoldaten sowie die ab 1917 ins Kriegsgeschehen eingreifenden Vereinigten Staaten von Amerika eingegangen. Es gelingt dem Museum somit, einen umfassenden und facettenreichen Blick auf das Kriegsgeschehen zwischen 1914 und 1918 zu werfen. In jedem Raum wurde dabei eine unterschiedliche Darstellungsform gewählt. Dazu zählt unter anderem eine innovative Darbietung, die mit Spiegeln und indirektem Licht arbeitet. Zum Schluss führt der Weg zu einem letzten Bereich, der dem Sieg der Alliierten und dem Gedenken an die Opfer gewidmet ist. Ein interessanter Ansatz befindet sich im Ausgangsbereich: Dieser ist gesäumt mit Fragen und Bildern, die illustrieren sollen, dass die Wirkung des Ersten Weltkrieges weit über 1918 hinausging.

Eine Besonderheit der Dauerausstellung liegt darin, dass sie verschiedene Sinne anspricht und dadurch jedem einen Zugang zur Thematik bietet: Durch Sehen, Hören, Lesen und Fühlen wird dem Museumsbesucher die Rezeption von Geschichte erleichtert. Zudem wird dem Besucher die freie Wahl gelassen, welche Räume er betreten möchte und mit welchen Themen er sich genauer beschäftigen will, da das Museum offen gestaltet ist und verschiedene Routen durch die Ausstellung ermöglicht. Es gibt sogar einen Raum, der vor allem auf Kinder ausgerichtet ist, denen dort spielerisch Geschichte nähergebracht werden soll. Besonders ist hierbei, dass sich dieser Raum nicht separat außerhalb des Ausstellungsbereiches befindet, sondern in die Dauerausstellung integriert ist.

Trotz dieser positiven Aspekte ist Kritik angebracht: Leider werden in einigen Ausstellungsbereichen zu viele Objekte auf einmal gezeigt, sodass der Besucher durch die angebotene Fülle überfordert wird. Auf die gleiche Weise wirkt, dass im Nebengang der Ausstellung zahlreiche Farben eingesetzt werden. Diese kunterbunte Mischung überanstrengt das Auge ebenso wie das Konzentrationsvermögen des Besuchers.

In der Presse hingegen wird das Museum grundsätzlich positiv bewertet. Lediglich aus dem nordöstlichen Frankreich werden Bedenken angemeldet. In Verdun wird ein Besucherschwund befürchtet, da z.B. Schulklassen aus Paris eher nach Meaux fahren würden als an den symbolträchtigsten Ort des Ersten Weltkriegs. Eine solche Konkurrenzsituation erscheint konstruiert, wenn man bedenkt, dass das "Musée de la Grande Guerre" in Meaux eher als "Eingangspforte" zu den Schlachtfeldern dienen soll. Das Museum stellt umfassend die Geschichte des Ersten Weltkrieges dar, während die Museen in Péronne ("Historial der la Grande Guerre") und Verdun ("Memorial de Verdun") hingegen ortsbezogen die Geschichte einzelner Schlachten hervorheben. Die verschiedenen französischen Museen zum Ersten Weltkrieg scheinen sich also eher zu ergänzen als in Konkurrenz zueinander zu stehen, weshalb ein Besuch im "Musée de la Grande Guerre" in Meaux durchaus zu empfehlen ist.

Kontakt: Musée de La Grande Guerre du Pays de Meaux, Rue Lazare Ponticelli 77100 Meaux France

Informationen zu Preisen und Öffnungszeiten: http://www.museedelagrandeguerre.eu/de/planen-sie-ihren-besuch

Referenzen:

Serge Barcellini, "Verdun doit-il avoir peur du 'Grand Méchant Meaux' ?", 11.11.2012, in: Le Monde.fr (07.10.2012).

Le Musée de la Grande Guerre de Meaux inauguré par Nicolas Sarkozy, 11.11.2011, in: Le point (07.10.2012).

Eric Nunès, Nicolas Sarkozy et Jean-François Copé inaugurent le Musée de la Grande Guerre de Meaux, 11.11.2011, in: Le Monde.fr(07.10.2012).

Nicolas Offenstadt, Le musée de la Grande Guerre à Meaux, collection et attraction, 25.06.2012, (http://www.histoire-politique.fr/index.php?numero=04=dossier=41&rub=comp..., 07.10.2012).

Edward Rothenstein, Bringing the War Home, 11.11.2012, in: NY Times, (07.10.2012).

Michel Rouger: Le musée de la Grande Guerre de Meaux: "un musée en chantier", in: P.U.F., Guerres mondiales et conflits contemporains 235 (2009), S. 81 – 86.